Die tägliche Kolumne – 15 – Journalismus und Konsum aus einer Hand?

Eine Tages- oder Wochenzeitung, aus der Sie wichtige Nachrichten, gekennzeichnete Meinungen und Analysen beziehen, sollte unabhängig sein. Darauf können wir uns sicher ganz leicht verständigen. Dort will ich keine plumpe Propaganda lesen – es sei denn sie wäre als solche gekennzeichnet …

Sicher ist es heikel, die Unabhängigkeit eier solchen Publikation in Zweifel zu ziehen. Das werde ich auch nicht tun. Ich behaupte nicht, Wissen über illegitimes Verhalten irgendeiner Publikation zu besitzen.

Ich beziehe mich nur auf einige Erscheinungen, die für jeden völlig offensichtlich sind: es ist die Entwicklung, dass immer mehr mit den Publikationen eng und wirtschafltich verbundene Konsumangebote an mich herangetragen werden. Das vermittelt mir ein ungutes Gefühl.

Sie zucken mit den Schultern und sagen: ist mir durchaus recht, wenn sozusagen ein intellektueller „Treuhänder“ quasi für die gute Qualität des Kultur- oder Konsum-Angebotes seinen Namen leiht – und auf den Reisen treffe ich überwiegend nette Gleichgesinnte und die Hotelqualität ist eher gut!

Ich sage: genau das ist ja das Problem! Jemand bietet sich mit seinem (guten) Namen für die Förderung von Geschäften an – und ist in Personalunion derjenige, der das Geschäft mit Ihnen macht.

Es ist eben auch in Ihrem eigenen Interesse NICHT egal, bei wem Sie (kaufmännisch betrachtet) ihren Kulturkitsch oder die Reise kaufen:

Im Zweifelsfalle werden in der finanziell verbundenen Publikation genau diese Produkte und Reisen besprochen – und zwar „wohlwollend“. Sie erfahren dann nicht, ob ein anderes Angebot für ihre Interessenslage eventuell günstiger sein könnte.

Der Verlag tut sich aus meiner Sicht auch keinen Gefallen, wenn er sich dem Verdacht einer (immerhin möglichen) Abhängigkeit der journalistischen Inhalte von seinen sonstigen Geschäftstätigkeit aussetzt. Wir wissen alle, dass Journalismus ein schwieriges Geschäftsmodell ist  – aber gerade deswegen ist das Gut der Unabhängigkeit (und Transparenz) so kostbar!

Ich schreibe auch deshalb jetzt darüber, weil das Modell der „Nebengeschäfte“ anscheinen immer intensiver betrieben wird. Sind die Verlage eines Tages Gemischtwaren-Konzerne mit angeschlossener Zeitung? Mir fehlt die Transparenz.

Ich bin kein Journalist – ich meine Journalisten sollten sich mit dem Thema befassen … aber dürfen die das, denn sie arbeiten ja für die Verlage, deren Geschäftsmodell betroffen ist?

Wenn Sie Journalist sind: denken Sie darüber nach …

Herzlichst

Der Brandenburger Tor

© Herbert Börger, 15.11.2023

P.S: Ja, auch ich habe schon eine Zeit-Reise mitgemacht, weil es zu diesem Zeitpunkt und Themenlage die für mich am besten passende war …

Die tägliche Kolumne – 7 – Lob der Autokratie …

Ich vertraue einfach mal einer Gruppe von Politikwissenschaftlern, die unisono verkünden, dass weltweit die Staatsform der Demokratie rückläufig sei. Ich kann das nicht überprüfen bzw. WILL ich das nicht selbst überprüfen: wozu zahle ich sonst über meine Steuern indirekt einen Haufen von Hochschul-Fachleuten, die sich nach eigenen Angaben fachlich kompetent mit diesem Thema befassen. Diese umständliche Einführung gehört bereits zum Thema – vertrauen Sie mir!

Wir müssen davon ausgehen, dass in unserem zweifelsfrei demokratisch verfassten Land Deutschland auch viele wahlberechtigte Bürger leben, die gerne mal die Meinung äußern – und vielleicht auch wirklich die Meinung haben – dass es doch viel einfacher und wirksamer wäre, wenn einer oder wenige von oben bestimmten, wie bestimmte Dinge geregelt würden. Vor allem ginge das viel schneller, ist die vorherschende Meinung.

Da ist es wieder: das Lob der Autokratie!

Bei den „Dingen“, die es im Lande zu regeln gibt, ist natürlich davon auszugehen, dass die Menschen, die den Autokraten herbeisehnen, erwarten, dass er die „Dinge“ dann in ihrem Sinne regeln würde. Was sonst? (Dabei handelt es sich um das Phänomen der „Annahme des besten Falles“ – da hab ich auch schon mal drüber geschrieben …)

Bevor ich frage, ob dieser Fall denn eintreten wird, möchte ich kurz auf eine besondere Eigenschaft der Autokratie eingehen: wenn man den Autokraten hat, ist er äußerst schwer wieder los zu werden.

Nehmen wir nun an, der ersehnte Autokrat hat an einem ruhigen, gemütlichen Sonntagmorgen (als niemand Lust hatte für die Demokratie vor die Tür zu gehen) die Macht übernommen. Zur Belohnung dürfen Sie ihm jetzt zujubeln – nein, nicht dann wenn Sie Lust haben: jetzt gleich, auch wenn Sie eigentlich nicht jetzt vor die Tür gehen wollten. Ok, geschafft, und nun bekommen Sie vom Autokraten die gesetzliche Regelung, um die es Ihnen ging. Sie freuen sich.

Am nächsten Tag gehen Sie in das Reisebüro Ihres Vertrauens und wollen gerne mal wieder Ihre Freiheit genießen, die Welt zu bereisen. Das Reiseziel Ihrer Wahl ist allerdings jetzt leider nicht verfügbar – nein, nicht weil schon alles ausgebucht ist … Wegen der umgehend eingeführten Devisenbewirtschaftung können Sie das Reiseziel nicht buchen sondern nur solche Ziele, wo Sie eh schon waren und jetzt nicht hin wollten. Autsch! Warum das denn?

Das ist nötig, werden Sie feststellen, damit die Feinde der Autokratie im Lande ihr Geld nicht ins Ausland bringen. Das müssen Sie einsehen: Feinde unseres Landes müssen bekämpft werden und deren Vermögen würde nur irgendwo hin fließen, wo es Deutschland schadet. Deshalb zieht der Autokrat das ein – nein: eine Kontrolle darüber, wo das Geld bleibt, gibt es nicht.

Dafür ist der Staat nun  viel billiger geworden – man muss ja nicht mehr die sogenannten Volksvertretungen finanzieren. Und Sie werden jetzt jubeln: das Flüchtlingsproblem ist schlagartig gelöst: Estens will jetzt keiner mehr in Ihr Land „fliehen“ – außerdem lässt der Autokrat nur noch den rein, der ihm nützt. Schlau – was?

Stellt sich nur noch die Frage, wohin Sie jetzt fliehen könnten … (Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt – siehe Fettdruck oben!)

Und jetzt kehren wir zum Anfang der Kolumne zurück: ja, es ist natürlich viel einfacher, einem Autokraten an der Spitze zu vertrauen (der aufwändig überwacht, ob Sie das auch tun!) als zu entscheiden, welchem der Politikwissenschaftler sie vertrauen wollen, die sich alle untereinander spinnefeind sind und deshalb sich wissenschaftlich nicht das Butter auf dem Brot gönnen. Und so liefern die Ihnen – heute noch in der Demokratie – mühelos und von Ihnen selbs finanziert alle Argumente und Gegenargumente frei Haus  – wenn Sie wollen! … und können sich nun damit befassen, ob Sie wirklich die Demokratie eben mal in die Tonne treten wollen …

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07.11.2023, Herbert Börger

Die tägliche Kolumne – 6 – Ratlos im Deutschen Theater

Ratlos im Deutschen Theater …

… an den Schauspielern kann es nicht gelegen haben, dass ich anschließend ratlos der nächsten U-Bahn zustrebte …

… denn die Schauspieler hatten gestern abend in der Kammer des DT die Regie-Einfälle in Spiel und Sprache großartig umgesetzt: fast beängstigend perfekt, wie die beiden marionettengleich ätherisch über die Bühne schwebten und dabei den Text hochsprachlich und gestochen in den Raum akzentuierten.

Zwei Elemente waren es, die diesen guten Eindruck wieder zunichte machten:

Erstens der Textinhalt, der sich in banalen Endloskreisen an den scheinbaren Lächerlichkeiten der Ur-Religions-Metaphern (daher der Froschgott!) und den dämlichen religiös-geistigen Taschenspielertricks des 19. Jahrhunders abarbeitet.

Liebe Frau Lausund: nach Ionesco kann man „die letzten Dinge“ so nicht mehr bringen (außer in einem Musical) ohne das Publikum massiv zu unterfordern.

Zweitens die Aufblähung eines 40-Minuten-Monologs mittels lächerlicher Endlos-Tanzeinlagen mit brachialer  (also bedeutungsschwanger weil laut?) Soundkollage. Während sich ärgerliche Langeweile immer mehr ausbreitet, verflüchtigen sich die letzten positiven Ansätze des Stücks.

Angesichts der sehr guten Leistungen aller Darsteller hätte sich ein Buh verboten, denn die Autorin war nicht da.

Noch ein Gedanke, der mir dann in der U-Bahn kam: den Informationen zum Stück entnahm ich, dass es eigentlich ein Monolog einer Person (m/w) sei. Das Sowohl-als-auch Mann und Frau des Regieeinfalls mag ja ganz witzig sein und die Bühne besser bespielen. Aber ist es dem ticketzahlenden Theatergänger wirklich egal, ob aus einer Person für 40 Minuten sechs Personen für 90 Minuten plus Soundkollage plus Tanz werden?… ohne erkennbaren Zusatznutzen? … und letztlich ist es ja auch meine eigene Zeit, die währenddessen verstreicht (in der ich auf ein wirklich geistreiches Stück gehofft hatte).

Es drängte sich mir ein fatales Bild auf: jemand hatte einen Strohhalm in den Froschgott gesteckt und ihn dann riesig aufgeblasen … schrecklich. Liebe Intendanz: wenn ich in ein Musical gehen wollte, würde ich in ein Musical gehen.

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06.11.2023, Herbert Börger

Die tägliche Kolumne – 5 – Wo ist „der Mensch“ falsch abgebogen?

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich weiß es auch nicht! (Und wir wissen ja noch nicht einmal genau, was der Mensch ist.)

Das läßt mich aber vermuten, dass die richten Fragen zu diesem Komplex noch nicht gestellt wurden. Ich glaube nur zu wissen, dass zu viele Antworten zu noch gar nicht gestellten Fragen durch unsere Gesellschaften schwirren oder gebrüllt werden.

Lassen wir mal hier den Denkansatz beiseite, dass ein „Mensch“ – mit der Fähigkeit des Denkens und der Selbstreflexion – von Grund auf eine Fehlentwicklung ist, die zwangsläufig der Selbstauslöschung entgegenstreben muss. Wobei ich durchaus denke, dass dieser Gedanke bisher nicht widerlegt wurde. Der hat auch schon eine erhebliche Deutungskraft in Bezug auf das, was wir auf der Welt beobachten.

Besonders bevorzugt wurden schon immer Erkläransätze, die die Grundprinzipien der menschlichen Gesellschaft aus vermeintlich „natürlichen“ Verhältnissen (die man meinte beobachtet zu haben) ableitet – wie zum Beispiel das „Recht des Stärkeren“ (Autokratie? – gerade groß im Kommen!)

Stelle ich mir die Entstehung des Menschengeschlechts vor vermutlich ca. 200.000 (oder mehr) Jahren in der Gestalt von Familien von Sammlern und Jägern, die wahrscheinlich in überschaubaren Gruppen zusammenlebten, so ist der Gedanke eines Ur-Rechtes des Stärkeren geradezu absurd:

Die der sie umgebenden wilden Natur ausgesetzte Gruppe muss um zu überleben so perfekt zusammengespielt haben (wobei jeder SEINE speziellen Fähigkeiten einbringen musste), dass man unter diesem Aspekt wohl eher von „Pflichten des Stärkeren“ (im Sinne von Beschützen und Ernährung) sprechen müsste! Arbeitsteilung eben.

Wenn der Stärkste in einer Frühmenschen-Gruppe sich als Autokrat aufgespielt hätte, der die anderen „knechtet“, dürften sich irgendwann zwei oder drei „Zweitstärkste“ gefunden haben, die ihm eine Falle gestellt hätten – das sollte der neue Denkapparat im Schädel dann doch schon geleistet haben.

Die neueren Erkenntnisse und Theorien, wie der (zwangsweise mit der dichteren Bevölkerung entstehende) Übergang zur Landwirtschaft die menschlichen Gemeinwesen beeinflusst hat, muss tiefer erforscht werden. Der Mensch hat auch hier nicht nur die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis sondern auch die Pflicht dazu.

Die archäologische Antropologie hat in den letzten Jahrzehnten viele neue Erkenntnisse erzeugt und alte Vorurteile zertrümmert. Die vorurteilsfreie und nicht-nationalistische Geschichtsforschung wird und muss unbedingt neue Erkenntnisse generieren, wie Gesellschaften, Staaten, Reiche aufgestiegen und wieder untergegangen sind. Legenden gehören zerstört – denn sie werden vielfältig missbraucht!

Die 10.000 Jahre, um die es bei dieser Geschichtsforschung geht, sind allerdings tatsächlich „ein Fliegenschiss“  im Verhältnis zur gesamten Entwicklung von Leben auf diesem Planeten (den vermutlich überhaupt nicht juckt, was sich da auf seiner Kruste an dramatischen Szenen abspielt!)

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05.11.2023, Herbert Börger

Die tägliche Kolumne – 3 – Hitparade der Schrecken

Die Krisen und Schrecken  auf der Welt und in unserem Land sind kaum noch zu zählen. Manche schauen dann über die Landesgrenze, um festzustellen, dass es beim Nachbarn vielleicht noch schlimmer ist … Sie stellen sicher schnell fest, dass „Whataboutism“ auch keine Lösung ist. In das „Ja, aber“ kann man sich auch nicht ewig flüchten.

Analysiert man die heutige Tageszeitung, stellt man fest, dass es überhaupt nur zwei positive Artikel gibt:

Ein Artikel preist eine gerade verstorbene Person ganzseitig und fast euphorisch – nur komisch, dass die dafür erst sterben musste, nachdem sie 30 Jahre fast vergessen wurde.

Der andere befasst sich mit Urs Fischer, der sich selbst nach 11 Niederlagen in Folge emotional großer Beliebtheit erfreut. Es gibt sie also noch, die integeren Persönlichkeiten, die nach großen Erfolgen nicht gleich in die Tonne getreten werden, wenn es mal nicht optimal läuft. Schön. Aber was wäre, wenn Urs Fischer doch schuld wäre am Niedergang seiner Mannschaft?

Sogar die positiv erscheinenden Nachrichten sind irgendwie subversiv …

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Herbert Börger, 03. November 2023

Haben Pflanzen ein Bewusstsein?

Haben Pflanzen ein Bewusstsein?

Gleich vorweg die Antwort: „Ja, da bin ich mir heute subjektiv sicher!“ – Vor 20 Jahren habe ich es vermutet. Heute ist da schon eine Art von Gewissheit: worin die besteht werde ich unten beschreiben.

Der erste Schritt in einem solchen Thema muss immer der zur Begriffs-Klärung sein: also die Definition

Was ist Bewusstsein?„.

Da könnte man jetzt einige tausend Jahre Philosophie-Geschichte (und Religionen) und 200 Jahre Naturwissenschafts-Geschichte durchforsten – und säße da mit dutzenden teilweise stark divergierender Definitionen – je nach Zeitalter und Sachgebiet.  Man kann sich bei Wikipedia einen ganz guten Überblick verschaffen, der allerdings dann wieder mit einer großen Zahl von Begriffen gespickt ist, die jeweils wiederum eigener Definitionen bedürfen! Das kann eine durchaus wochenlange Recherchen-Reise durch Fachveröffentlichungen auslösen.

Am Ende treffen Philosophie und Naturwissenschaft (Biologie, Hirnforschung, Neurophysiologie, Psychologie, Kognitionswissenschaft) immer wieder zusammen, denn wir sind heute immer noch (weit?) davon entfernt, das Phänomen des Bewusstseins, speziell Ich-Bewusstseins, rein naturwissenschaftlich zu erklären. Aber auch die Philosophie ist noch nicht so weit.

Ich finde, dass die Partnerschaft von Philosophie und Naturwissenschaft gerade an dieser Schnittstelle sinnvoll ist: denn beide Bereiche haben eine gemeinsame „Mutter“: die Logik! Wer der jeweilige Vater ist, ist – wie so oft – umstritten…

Generell kann man aber sagen: stets ist im Zusammenhang mit „Bewusstsein“ die Rede von Geist, Denken, mentalen Prozessen, Gehirn – unabhängig davon, welches Modell eines Bewusstseins verhandelt wird. In diesem Sinne einer Bewusstseins-Definition, die ein Gehirn und neurophysiologische Systeme voraussetzt, können Pflanzen und also auch Bäume wohl kein Bewusstsein haben, denn sie haben kein Gehirn und kein Nervensystem (?). Es gab Pflanzen-Forscher, die aufgrund der Befunde mit der Existenz von elektrischen Potentialen und Informationsprozessen in pflanzlichen Strukturen angefangen hatten von einer Neurologie der Pflanzen zu sprechen. Das erwies sich aber nicht als sinnvoll und wurde glücklicherweise wieder fallen gelassen. Da wären man wieder im Bereich einer Metapher.

Aber: ist nicht die Begrenzung der Existenz eines Bewusstseins inclusive reflektierter Ich-Bewusstheit auf lebendige Systeme, die ein Gehirn benötigen um diese Leistung zu erbringen (also Menschen und höhere Tiere) auch eben wieder eine „Vermenschlichung“ dieser Leistungen (Antropomorphismus)? Verursacht durch den Umstand, dass wir – der sich selbst denkende Mensch – ein Gehirn haben. Aber ist ein „Gehirn“ eine notwendige Bedingung dafür, dass einem System ein Bewusstsein zugeschrieben wird? Nach meinem Verständnis ist es das nicht.

Für die Frage der reflektierenden Selbst-Bewusstheit des Menschen gibt es bis heute keine in sich schlüssige philosophische Lösung. Jeder noch so weit reichende Lösungsansatz des Leib-Seele-Problems ( oder Körper/Geist) eröffnet bisher am Schluss wieder ein neues ungelöstes (unlösbares?) Problem. Einer der vielleicht interessanteste neuere Lösungsansatz im Bereich der Philosophie ist der von Hedda Hassel Mørch, der dem Bereich des Panpsychismus nahe steht (eine-loesung-fuer-das-harte-problem-des-bewusstseins-15397757.html).

Ich bin nicht kompetent genug, um tiefer in diesen Forschungsbereich einzutauchen oder gar einzelne Fortschritte zu bewerten – es gibt eine Fülle ganz ausgezeichneter Publikationen dazu.

Anstatt dessen möchte ich den Denkansatz weiter verfolgen, ob das Phänomen der reflektierten Ich-Bewusstheit tatsächlich auf Lebewesen mit Gehirnen und Nervensystemen beschränkt werden muss (oder sogar auf „Lebewesen“ schlechthin…)?

Ich fasse kurz und grob einige Dinge zusammen, die die Wissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten über die Pflanzen herausgefunden hat:

Pflanzen haben ein System der Wahrnehmung („Sinne oder Sensoren“), mit denen sie Reize Ihre Umwelt (Schwerkraft, Licht, Nährstoffe, Berührung, bestimmte Gase, Angriff von Schädlingen) erfahren. Diese Sinne wirken nicht nur global sondern auch richtungsabhängig. Beim Baum nehmen wir bevorzugt den überirdischen Teil der Pflanze wahr – deshalb unterschätzen wir das Wurzelsystem, das wahrscheinlich den „wichtigeren“ Teil der Bäume darstellt.

Die wichtigste Einschränkung, der Pflanzen/Bäume gegenüber Mensch/Tier unterliegen, ist die Ortsfestigkeit. Jedenfalls bezüglich des Individuums – über die Stufe der Fortpflanzung kann sich die ART sehr wohl über große räumliche Bereiche „ausbreiten“. Aber wegen Nahrungsmangel oder Schädlingsangriff den Platz verlassen kann die Pflanze auf dem Festland nicht. (Im Gewässer/Meer ist diese Einschränkung möglicherweise nicht vollständig gültig …?)

Pflanzen können auf die Reize ihrer Umwelt reagieren und können dabei zielgerichtet agieren! Sie können ihren Wuchs in der Folge der Reizwahrnehmung in bestimmten Teilen der Pflanze in bestimmte Richtungen lenken, in anderen Bereichen den Wuchs ganz einstellen. Viele Pflanzen können sich als unmittelbare Folge der Reize bewegen: dem Sonnenlauf folgen, Blütenblätter entsprechend der Helligkeit schließen, nach Berührung schließen. Sie können den Wuchs global dem Nährstoffangebot, CO2-Konzentration oder äußeren Kräften anpassen. Pflanzen können bei Schädlingsangriff lokal den plötzlichen Zelltod einleiten, um dem Schädling unmittelbar lokal die Nahrung zu entziehen! Planzen können gasförmige Stoffe emittieren (bekanntestes Gas ist Ethylen), um zu kommunizieren, „Abwehrstoffe“ gegen Fressfeinde in Blätter transportieren und dort anreichern.

Anscheinend kommunizieren Bäume auch miteinander über die Wurzelgeflechte und sollen dazu auch Pilzgeflechte (die größten Pflanzen auf dieser Erde überhaupt!) in Symbiose mit nutzen. (Ich vermute, dass die „Gegenleistung“ in der „Beschattung des Bodens“ und damit der Schutz vor Erosion und Austrocknung ist – vielleicht aber auch ein Tribut mit Stoffen, die man nur mit Blattgrün herstellen kann …

Die Zeitskala von Baum-Leben und Baum-Erfahrungen ist eher „langsam“. Allerdings reagieren die Blätter von Mimose und Venus-Fliegenfalle im Sekundenbereich und ebenfalls die offensichtlich sensibelsten Spitzen der Wurzelenden reagieren auf Reize binnen Sekunden. Schon Darwin vermutete, dass ein eventuelles „Gehirn der Pflanzen“ dort in den vitalen Wurzel-Enden liegen könnte – ein Forscher schrieb: „Er hatte mal wieder recht!“

Ganz sicher auch: Pflanzen ist „Zeit“ als Qualität bewusst! Der Laubbaum weiß,  wann er die Blätter abwerfen muss – und jede Pflanze weiß, wann sie nach dem Winter wieder austreiben darf – und irrt sich nur bei extremen Wetter-Kapriolen.

Betrachten wir abschließend noch die äußere Erscheinung – die geometrische Form und Struktur des Baumes: wir – als bevorzugt visuell betrachtende menschlicher Beobachter können an einem weitgehend erwachsenen Baum – ganz gleich wo und unter welchen Umständen er aufgewachsen ist – die Art sofort an dieser äußeren Form erkennen, die der Baum sich selbst durch seinen Wuchs gibt: Pappel, Weide, Linde oder Eiche etc. Daraus folgt, dass der Baum ein genetisches „Selbstbild“ hat, das als ein Haupt-Parameter die Wachstums-Vorgänge zielgerichtet vorantreibt – durch eine Vielzahl von Standort-, Umwelt- und Zeit-Einflüssen wird er dann ein spezielles Individuum dieser Art. Als solches muss er aber ein System besitzen, das das Ergebnis der Wachstumsvorgänge mit dem Selbstbild vergleicht, um das angestrebte Ziel, eine Pappel oder eine Linde zu werden, zu erreichen, ohne sich im Spiegel ansehen zu können. Darüberhinaus besitzt er Strategien, sich nach Windbruch selbst zu „reparieren“.

In den grünen Pflanzenbestandteilen läuft schließlich – nicht zu vergessen – einer der genialsten Prozesse (Photosynthese) in diesem Kosmos ab, mit dem aus Licht-Photonen (Energie) und unbegrenzt verfügbarem Gas (CO2) die Grund-Substanz – also Materie – gebildet wird. Ein so erfolgreicher Prozess, dass es mit seiner Hilfe den Pflanzen über mehrere hundert Millionen Jahre gelungen ist, einen ganzen Planeten zu umhüllen – nicht zu vergessen: einschließlich der gewaltigen pflanzlichen Masse in den Meeren.

Man könnte postulieren, dass jede einzelne nachweisbare Ursache-Wirkung-Paarung in der Pflanze für sich eine „fest verdrahtete“ Funktion ist und nach diesem festen Schema abläuft – fertig! Wasser, C02 + Photosynthese und Nährstoff: Baum wächst und treibt Zweige und Blätter. Schwerkraft: bewirkt die Haupt-Wuchsrichtung – Licht fällt auf den Baum: es bestimmt die Wuchsrichtung im Detail und die Form der Ast-Krone. Wie ein Automat?

Sie haben es registriert: ich schrieb ganz oben nicht, dass ich „glaube“, dass Bäume ein Bewusstsein haben. Das Bewusstsein der Bäume existiert – oder existiert nicht … das kann man nicht in die Bäume „hinein-glauben“. Glauben ist etwas für Denk-Faule (ich bin eher denk-hyperaktiv). „Glaube“ ist bei mir reserviert für die Beziehung zu anderen Menschen, Freunden, Kindern – da erfüllt er seinen Zweck als stabiles Skelett in einem Wackelpudding von weichen Relationen in denen man nichts bewiesen kann oder will. Ich glaube, dass meine Freunde mich nicht hintergehen werden, ich glaube, dass meine Kinder ihren Weg im Leben finden und gehen werden… Aber sonst ist der Glaube bei mir in einer Garage geparkt und ich bemühe mich um sachlich begründbares  WISSEN und MEINUNG.

Ich habe auch kein „esoterisches“ Verhältnis zu Bäumen – ich finde es o.k., wenn jemand Bäume umarmt. Es kann sein, dass die körperliche Nähe zu einer Pflanze, in die man eine „Persönlichkeit“ imaginieren kann, dem Menschen gut tut, der dies tut. Ich bezweifle aber sehr, dass es dabei zu einer beiderseitigen „Beziehung“ kommt … Befeuert vom Bereich der menschlichen Emotionen und sachfremder Imagination entfaltet sich hier der Sektor der „Antropomorphismen“: in diesen versucht der Mensch das betrachtete Objekt oder Lebewesen in typisch menschlichen Kategorien zu erfassen und einzuhegen. Am Ende dieser Imaginationskette stehen dann Geschichten (nicht erst bei Disney… auch schon in alten Mythen!), in denen Tiere und Pflanzen nicht nur untereinander sondern auch mit Menschen kommunizieren.

Antropomorphismen sind auch ein stark genutzter Weg, den populärwissenschaftlich Publikationen benutzen um erfolgreich zu sein: ich schrieb bereits kürzlich über die Welt jener Schriften, die sich des „Geheimen Lebens der …“ bedienen, um Leser zu erreichen.

Weder mit ausgeklügeltesten Experimenten noch durch theoretische Logik-Schlüsse alleine läßt sich entscheiden, ob Fplanzen/Bäume ein Bewusstsein haben, solange der Begriff des „Bewusstseins“ nicht klarer definiert ist … Allenfalls der zweifelsfreie Nachweis der Existenz eines „Gehirns“ in Pflanzen könnte dies obsolet machen und zugunsten des vorhandenen Bewusstseins entscheiden.

Bis dies geleistet ist, erlaube ich mir die MEINUNG zu haben, dass Pflanzen sehr wohl ein Bewusstsein haben – und das fühlt sich richtig gut an!

Aphorismus der Tages: „Wissen plus Meinung = HALTUNG.“ (Der Brandenburger Tor)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 2. Februar 2018

 

Reisen stählt …

… zumindest die Entscheidungsfähigkeit!

(oder: Mehdorn ist an ALLEM schuld…)

Entscheidungen gefordert! aber fix bitte…

Nichtraucher?

Diese eine Entscheidung wurde uns abgenommen.

Aber dann: l

…lohnt sich 1. Klasse auf dieser Fahrtstrecke überhaupt ?

Reservierung?

Sitz mit Tisch?

Fenster oder Gang?

Abteil oder Großraum?

Im letzten Falle ist die Begegnung mit einem H1N1 wahrscheinlicher – trifft man aber auf einen im Abteil, hat er viel Zeit einen voll zu durchseuchen!

Über Köln oder Düsseldorf???

(Was soll das denn? Gesinnungs-Schnüffelei?)

Bahncard?

25?

50?

110 Prozent?

Sparpreis oder Normalpreis?

Mit oder ohne Zugbindung?

Mitreisende?

Mini-Gruppe?

Vorausbuchung?

Als alt gedienter Häufig-Bahnfahrer habe ich den Vergleich, dass der Kauf einer simplen Hin- und Rückfahrt mit Reservierung nun etwa doppelt so lange dauert wie ganz früher – trotz monströser Server-Computer und Programme im Hintergrund.

Sicherheitshalber werden die ganzen Daten vermutlich gespeichert – auf Vorrat… man weiß ja nie wozu man etwas noch mal braucht. (Stimmt – wenn ich so in meinen Keller schaue!)

Man kann dann in einigen Jahren gezielt einen Versicherungsvertreter auf dessen Wunsch (und gegen einen Obolus…) neben mich setzen, weil Leute mit meinem Nutzerprofil besonders anfällig dagegen sind, Versicherungen während der Bahnfahrt abzuschließen…

Es sei denn, ich ergänze aktiv mein Profil: keine Versicherungsvertreter neben mich setzen, bitte!!!

Dagegen ist Fliegen ein Klacks!

Wie wohl unsere entscheidungsgehemmten jüngeren Nachfahren mit so komplizierten Situationen klar kommen? Sie kommen ja bekanntlich schon mit so simplen Fragen schwer zurecht wie: „Soll ich mich binden? Und warum ausgerechnet mit Ihr/Ihm – ohne alle anderen ausprobiert zu haben?“

Weiter geht es dann im Abteil – die Wahl kann ich übrigens empfehlen: sie schützt vor der Fernwirkung von Acht-Personen-Gruppenreisenden, die – euphorisiert von  den vorbei huschenden Bäumen, Brücken und Bahnhöfen – pausenlos hysterisch lachen müssen.

Das Abteil schafft ein bisschen Gruppenmentalität und ermöglicht manchmal noch ein Gespräch:

Die Standard-Eröffnung ist die Verspätung – in Ermangelung einer solchen (häufiger als Sie denken!) das Wetter. An beidem ist natürlich Bahnchef Mehdorn schuld!

Wenn Sie mehr von dem Gespräch haben wollen, empfiehlt sich, die Widerspruchs-Position einzunehmen.

Also: als einziger nicht auf die Bahn schimpfen sondern Verständnis zeigen: bei der hoch-komplexen Netzsituation in Deutschland ist es eine Bravour-Leistung, dass es nicht noch mehr Verspätung gibt… und dann die Selbstmörder alle!

Knapp die Hälfte Der Gesprächspartner kippt sofort um und stimmt Ihnen zu. Zwei Reisende folgen nach der Argumentation mit – frei erfundenen – statistischen Daten. Der letzte verstummt verbittert, weil er jetzt in der Minderheit ist.

Eine Alternative: Sie teilen mit, dass der Mehdorn das jetzt gar nicht mehr macht!

Verblüffung: wieso gibt es dann immer noch Verspätung?

Aber keiner weiß, wie der Boss der Bahn jetzt heißt – ich auch nicht…

Das ist eine gefährliche Situation!

Unmut könnte sich jetzt anders äußern, schlimmstenfalls gegen das aktuelle Zugpersonal richten.

Liebe politisch Verantwortliche!

Ein Vorschlag zum Schutze des Zugpersonals:

Jeder, der die Führung der Bahn übernimmt, sollte sich amtlich in „Mehdorn“ umbenennen (nein: der II., III., VI. … brauchen wir nicht).

So ein klares Feindbild wirkt Wunder zur Ableitung negativer Emotionen.

Herr Mehdorn (I.) wird sicher nichts dagegen haben, bei dem großen Einvernehmen, in dem er sich vom Amt getrennt hat!

Zum Trost wird er schließlich ja doch noch als „Mehdorn der Große“ in die Geschichte eingehen…

Copyright Der Brandenburger Tor, Herbert Börger, 2010

DU SOLLST NICHT TÖTEN !

Satanische Verse?

DU SOLLST NICHT TÖTEN !

– so steht es
in den Gesetzbüchern der Religionen
und Gesellschaften.

Hältst du dich daran?

„NATÜRLICH!“- sagen alle,

…die das ohnehin nie vor hatten
– oder einfach zu feige sind…? –
ohne zu merken, dass „natürlich“
fast die einzige Bekräftigung für diesen Sachverhalt ist die NICHT trifft!

…oder die einfach keine Gelegenheit dazu hatten!

Dort steht der Satz: wie in Stein gehauen.

Wo habt ihr die Gebrauchsanweisung dazu gefunden?

Steckte sie in einer Felsritze am Berg Sinai?

Gerade noch rechtzeitig gefunden, ehe
das viele Blut, das dort wie überall geflossen ist
sie unlesbar gemacht hätte?

Gut gemacht! Was steht darin?

„Du darfst nicht töten, ES SEI DENN….!

Die Menschheitsgeschichte
ist eine einzige Blutspur
von Kain und Abel
über die Nibelungen,
Kolonisationen und Inquisitionstribunale, totale Kriege

bis zu Nine-Eleven.

Ein einzelner
eherner
Satz
und
Myriaden von Gründen trotzdem zu

TÖTEN.

Vielleicht…
schmuggelte Mephisto
den Satz in das Gesetz
um seine Klientel daran zu erinnern:

„…ich könnte eigentlich mal wieder…!

Copyright 2009, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger

 

Bücher allein in fremden Wohnungen

Geschichten über Bücher und andere angeblich tote Gegenstände

(1)

Ich fand den Aufenthalt in fremden Wohnungen schon immer irgendwie aufregend – wohlgemerkt, wenn man sich dort alleine aufhält, ohne den Wohnungseigner..

Die ersten Male, wenn man das erfährt – vielleicht weil man beim Nachbarn die Blumen in dessen Urlaub gießt oder die Katze füttert – ist da eine starke Befangenheit, fast ein Kribbeln. Man bewegt sich nahe am Bruch eines Tabus, aber legitim – im Allerheiligsten, dem „Castle“ eines anderen Menschen.

Die Befangenheit kommt auch daher, dass man die Aura des Wohnungseigners innerhalb dessen vier eigenen Wänden gewissermaßen zu spüren meint.

Das hat mich immer veranlasst, die vereinbarten Hilfsdienste auf kürzestem Wege zu erledigen – ohne unnötiges Herumschweifen in diesem fremden Lebensraum, was isch als Verletzung einer Intimsphäre empfand. An der Entdeckung verstümmelter Leichen in Tiefkühltruhen bin ich nicht im geringsten interessiert.

Mit einer einzigen Ausnahme: offene Bücherregale ziehen mich unwiderstehlich an!

Das ist wie eine Sucht. Die Buchrücken durchzuschauen – natürlich ist auch dies eine unbestreitbare Form der Indiskretion. Obwohl es sicher sehr leichtfertig wäre, daraus allzu sichere Rückschlüsse auf den Wohnungseigentümer ziehen zu wollen.

Sind die Bücher ererbt, die Titel nicht selbst zusammengestellt? Reste einer früheren Lebensgemeinschaft? Hat der Bewohner sie überhaupt gelesen?

Über zwei bemerkenswerte Begegnungen mit Büchern in dieser Situation möchte ich hier berichten.

(2)

Da war ein Buch, das ich in der Wohnung meines Sohnes in Berlin auf dem Schreibtisch liegen sah – und natürlich sofort darin zu lesen begann:

Max Goldt : Der Karpfen auf dem Sims. (22 Prosatexte)

Ich schlage es auf: die erste Geschichte heißt „Mein Nachbar und der Zynismus“. Ich suche das Inhaltsverzeichnis auf: auch da finde ich keine Geschichte über den Karpfen auf dem Sims… Aha – toller Marketing-Gag, jetzt muss ich, selbst wenn mir die erste Geschichte nicht gefallen sollte, alle „Prosatexte“ lesen, wenn ich erfahren will, wie der Karpfen auf den Sims kommt oder was er da macht oder ob der Sims etwa innerhalb oder außerhalb eines Gebäudes ist oder ob der SIMS eigentlich etwas ganz Anderes, Neu-Angesagtes ist, so wie SMS oder ein Sams mit einer Email-Adresse!

Ich lese trotzdem die erste Geschichte. Dann schlage ich das Buch zu und stelle fest: das Buch hat seinen Titel verändert ! – es heißt jetzt:

„Der Krapfen auf dem Sims“ (immer noch 22 Prosatexte – aber auch ein Krapfen ist im Inhaltsverzeichnis nicht zu finden…)

Auf dem Titelbild ist eine sitzende Katze abgebildet (so eine Nordafrikanische mit großen dünnen Ohren und schmalem Gesicht…) Ihr Gesichtsausdruck ist undurchdringlich. Hat sie den Karpfen gefressen? Wie ist sie auf den Sims gekommen? Wer wird nun aber den Krapfen essen?

Die Katze wird es sicher nicht preisgeben.

Sonst hat sich anscheinend nichts verändert.

Aber vielleicht muss ich jetzt die Geschichte noch mal lesen und werde feststellen, dass sie jetzt ganz anders geht – oder anders endet.

Vielleicht werde ich dann nie mehr ein anderes Buch lesen können, weil die Geschichten in dem Buch, und dessen Titel, sich ständig ändern, wenn ich eine davon gelesen habe.

Das ist ein Verhalten der Wirklichkeit, das einem Physiker nicht wirklich fremd ist. Eine Literatur-Unschärferelation…

Der Untertitel wäre dann aber irreführend: es wären dann eigentlich unendlich viele Geschichten! Ein Anschlag auf mein zukünftiges Leben und auf die Buchindustrie: denn ich würde nie mehr ein anderes Buch brauchen … so wie es mal vor über 400 Jahren mit der Bibel war… Buch der Bücher…

Nur wenn das Buch durch das viele Lesen schließlich zerfallen wäre, müsste ich es wieder neu kaufen, wenn das überhaupt möglich wäre, da ja dann keiner mehr weiß, wie der Titel wirklich lautet. Vielleicht ist es aber auch egal, welchen Titel ich kaufe – alle Bücher sind sowieso immer nur dasselbe eine Buch mit unendlich vielen Geschichten….?

Mir wird schwindlig und ich lege das Buch zurück auf den Tisch. Dabei fällt mir auf, dass der untere Seitenanschnitt des Buches einen Stempelabdruck trägt:

„Preisred. Mängel-Exemplar“.

Aha!

(3)

Dem geerbten Kleiderschrank fehlt ein Fuß, der durch einen Stapel von Büchern ersetzt wird.

Ich nehme eines der Bücher aus den Stapel: der Kleiderschrank neigt sich sofort bedrohlich, als sei er von dem Wohnungsbesitzer mit der Rache gegen einen eventuellen Bücherdieb beauftragt, was er sehr ernst zu nehmen scheint!

Der Titel lautete: „Simplify your Life!“ Ich kannte das Buch schon…

Ich habe diesen Titel ursprünglich als Bedrohung empfunden (etwa wie: Erschießen Sie den Pianisten!) – bis ich hineingelesen hatte….

…und es bald wutschnaubend in die Ecke feuerte – wieder mal so eine tragisch-absichtliche Lesertäuschung durch den Verlag. Der Autor hatte es sicher mit dem ehrlich gemeinten Titel „Simplify my life!“ eingereicht: gemeint als aufrichtige Aufforderung an die potentiellen Käufer des Buches, für den Lebensunterhalt des Autors zu sorgen…!

Ein Zettel steckte in diesem Schrankstützen-Exemplar auf Seite 15 (soweit bin ich darin nie gekommen).

Auf dem Zettel stand:

– Butter

– Milch

– Zwieback

– Oliven

Es scheint, dass die Zettel in den Büchern mehr über den Wohnungsbesitzer aussagen als die Bücher selbst!

(Ich darf nicht vergessen, den Wohnungsbesitzer nach dem Rezept zu fragen – interessant!)

Copyright 2007, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger

Bücher finden und lesen

(Über die Bedeutung von Bücherschränken und Dachböden für ein Nachkriegs-Kind.)

Die Situation des Lesens ist hochgradig intim. Apostrophiert durch zwei Buchdeckel – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – leben Autor und Leser eine Weile im Blickkontakt und die Gedanken und Bilder zweier Menschen verweben sich miteinander auf unvorhersehbare und einmalige Weise.

Seltsamer Einfluss von Äußerlichkeiten und Haptischem auf das Lesegefühl: Deckelgestaltung, Schnitt, Papiergriff oder wie sich das Lesebändchen anfühlt – so es  das gibt…

Nicht nur, dass unterschiedliche Bilder und Welten aufsteigen, wenn jeweils zwei Menschen „Die Leiden des jungen Werther“ lesen… Selbst wenn ich dasselbe Buch vier Mal mit Jahren oder Jahrzehnten Abstand lese – entsteht jedes mal eine andere Welt im Kopf!

„Du schlägst nie zweimal dasselbe Buch auf!“

Das Verhältnis von Leser und Autor ist während dieser Begegnung, die prosaisch „Lesen“ genannt wird, so persönlich, dass es noch nicht einmal die Etikette verletzen kann, wenn der Leser auf dem Klo sitzt! Und Du, lieber Leser, hast keine Ahnung, wo ich dies gerade schreibe… lassen wir das.

Als Kind habe ich jedes Buch als etwas Mystisches empfunden – zumal jedes Buch, gemessen an meiner gerade erworbenen Lesegeschwindigkeit, eine unendliche Geschichte zu sein schien… Die Bücher meines Erfahrungshorizontes waren allerdings auch danach: nein, keine Bibeln!

Diese Bücher waren zumeist alt und standen im Bücherschrank meines Vaters, der sie auch schon alt gekauft hatte (oder ihnen „Asyl“ gegeben hatte – und „vergessen“ sie zurückzugeben…).

Und sie standen nicht willfährig in offenen, Staub anziehenden Regalen, sondern hinter Türen – mit Schlössern darin!

Und wenn man sie herausnahm und aufschlug, fand man unverständliche (oder gar unlesbare, da sütterlinsche) handschriftliche Einträge auf einem der säurevergilbten Vorsatzblätter – da steht etwa: „Gerda Beute, 1929“ in der Chronik der Sperlingsgasse (162. Auflage). Gruß an Gerda!

Bücher haben keine Beine und keine Flügel – allenfalls schwimmen könnten sie, was dem anschließenden Zwecke des Gelesenwerdens allerdings nicht besonders zuträglich ist. Sicher haben Bücher aber eine Seele. Deshalb brennen sie gut – und wenn sie keine Seele hätten, wäre es sinnlos, Bücher zu verbrennen… jedenfalls aus der Sicht der Brandstifter.

Was eine Seele hat – aber keine Beine – das will gefunden werden.

Und deshalb ist oder war das Finden der Bücher ein Mythos an sich… bevor man sich entschlossen hat, sie einfach „on-line“ zu bestellen.

Aber davor wurden die Bücher, die nicht im Bücherschrank meines Vaters standen, auf Dachböden  bei Großeltern und Tanten gefunden. (Wieso schreibe ich „Tanten“? Tatsächlich: es gab keine Onkel! Schicksal der ersten Weltkrieg-2-Nachkriegsgeneration… Allerdings – doch: einen Onkel gab es – damals wohl jünger als ich heute bin. War Kumpel gewesen im Harzer Bergbau und saß immer mit einer Decke über den Knien da und siechte (daher kein Soldat geworden) letal an der Staublunge dahin – ketten-rauchend in einem Luftkurort!

Diese „Dachbodenbücher“ waren das mystischste überhaupt.

Sicher ist Michael Endes Erfolg mit der „Unendlichen Geschichte“ auch mit der Auftakt- und Rahmenhandlung des Dachboden-Fundbuches zu verbinden – ein Schlüsselreiz für unsere Generation, und Bücher kommen zunächst schließlich durch die Hände von Erwachsenen in Kinderhände!

Man muss sich wirklich Gedanken über seine Enkel machen.

Welche Chance – verglichen mit einem seit Jahrzehnten fast unberührten Dachboden – hat man beim Surfen im Internet? Bleibt schließlich nur der „Dachbodenfund“ bei Ebay? Aber den bekommt man ohne den Dachboden geliefert – und ohne das „Finde-Erlebnis“…

Mindestens genauso prägend und mystisch wie der „Fund“ an sich waren da doch die Gerüche und visuellen Reize: ein schmaler Lichtstreifen hat den Weg zwischen zwei Dachpfannen ins Halbdunkel gefunden und lässt Myriaden von Staubpartikeln wie Spiralnebel kreisen – im Dachboden eines Fachwerkhauses, das unmittelbar nach dem 30-jährigen Krieg gebaut wurde …

Welches Kribbeln in der Magengrube!

Dort fand sich auch ein praktikabler Heimkurs für das Schreibmaschine-Schreiben… und praktischer weise stand die uralte aber intakte Remington direkt daneben! Diesem Umstand verdanke ich die Fähigkeit des 10-Finger Blindschreibens seit meiner Jugend.

Ein riesiger Stapel von Lore-Romanen sichert vierzehn Ferientage, abgetaucht in Trivial-Literatur. Danach hatte man nie wieder ein Defizit auf diesem Gebiet! Abgehakt!

Ein wundersamer Weise dort Jahrzehnte überdauerter, mehrere Stapel umfassender Bestand an Lichtfreunde-, FKK- und Erotik-Heften der Elterngeneration (schwarz-weiss-Fotos!) half wieder andere Defizite überwinden.

Hier fand und verschlang ich die ersten deutschen „Zukunfts-Romane“ von Hans Dominik, die schon damals keiner mehr kannte!

Das Chemielabor meines Vaters stand noch so eingerichtet da, wie der es zuletzt mit 17 oder 18 benutzt hatte.

Und dann der Sensationsfund: ein Weltkrieg-2-Stahlhelm, durchschlagen von einem Geschoss! Dieser erweist sich bei seinem Vorzeigen als Schlüssel zu bisher unerhörten Erzählungen des Vaters. Er hatte diese zertrümmerte, jetzt nutzlose Schutzausrüstung „aus dem Felde“ durch die Gefangenschaft bis nach Hause geschleppt, weil er damals nur deshalb noch lebte, weil er ihn nicht auf dem Kopf hatte, sondern am Koppel hängend, weshalb Kugel oder Granatsplitter ihm nicht die Gedärme durchfurchen konnte.

Aber zu schnell versiegte dieser Geschichten-Quell wieder. Die Kerle wollten oder konnten nichts vom Krieg (und der Nazi-Herrschaft) erzählen. Auch nicht der Vater-Großvater, der noch als Hufschmied dem Kaiser im 1. Waltkrieg „diente“, und für dieses Gewerbe an dessen Ende mit 43 Jahren schon alt war.

Nehmen wir einmal an, dass sie entweder uns oder sich selbst durch das Nicht-Erzählen schützen wollten … vermutlich doch eher sich selbst. Später hätte ich die Mauer des Schweigens sicher noch hartnäckig zu durchbrechen versucht – aber diese Chance wurde durch den frühen Tod des Vaters zunichte gemacht.

In meiner Kindheit und Jugend gab es nur zwei Gattungen überlebender Kriegsteilnehmer: diese Schweiger, zu denen Vater und Großvater gehörten, und jene, die ausschließlich vom Krieg erzählten. Die hatten danach nichts mehr erlebt – es war ihre „schönste Zeit“ im Leben.

Der Großvater sprach auch sonst fast nie oder wenig. Jedenfalls nicht über Politik und den Krieg. Auch nicht darüber, wie viel Vermögen ihn zwei Inflationen resp. Währungsreformen gekostet hatten. Möglicherweise hatte ihm, der zwei Weltkriege überlebte und schließlich mit 92 starb, der Verlust von Söhnen und Schwiegersöhnen den Mund verschlossen.

Blieben uns nur die Dachböden mit ihren rätselhaften Chiffren vergangener Existenzen und Zeiten.

Irgendwann sind dann (fast) alle Dachböden durchstöbert…

Diese Phase wurde für mich später abgelöst durch den Aufenthalt in Antiquariaten. Sind das die Dachböden unserer offiziellen Schriftkultur – auch wenn sie im angelsächsischen Bereich meist eher im Souterrain zu finden sind?

Die Stille, die einem durch das rascheln einzelner Buchseiten erst bewusst wird, und der Geruch der alten Bücher hat als Erlebnis Drogen-Status!

Und da stehen sie dann alle – Seele an Seele – die noch gefunden werden wollen…

 

Copyright 2006, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger