Das fängt ja gut an – 282 – „Trans-Humanismus“ (Ewiges Leben)

Ewiges Leben ohne Gott – der Trans-Humanismus

Was ist der „Stand der Technik“ im uralten „Körper-Geist-Problem“ ?

Wie so oft ist mal wieder der Fernseh-Kanal ARTE schuld, in dem ich tief in der Nacht einen Beitrag über den „Trans-Humanismus“ sah. Darin war vor allem Luc Ferry äußerst engagiert dabei darzulegen, dass die Super-KI-Cyborgs, also Maschinen mit Ich-Bewusstsein und immens höherer Leistungsfähigkeit als der Mensch sie hat, schon direkt vor der Tür stehen und dass der menschliche Körper auf der anderen Seite so weit optimierungsfähig sei, dass wir auch als physisches Individuum noch locker ein paar hundert Jahre machen werden.

An dieser Stelle des Diskurses haben immer zwei Forschungserfolge Auftritt: ein paar Mäuse, die schon wieder ein paar Tage länger gelebt haben und die Gen-Schere CRISPR… ja und einige der Forscher sollen da schon Selbstversuche machen!

Ich erspare mir detaillierte Erläuterungen zum Thema indem ich auf den folgenden Link verweise, der mir eine sehr gute Einführung in das Thema aus dem Jahr 2016 zu sein scheint:

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Zusammenfassung: Die supereichen Bosse der großen Internetkonzerne haben gemerkt, dass sie älter werden und womöglich im Laufe  der nächsten Jahrzehnte STERBEN könnten!  Da kamen ein paar smarte Wissenschaftler um die Ecke, die haben erklärt, dass das ja nicht so bleiben muss: erst verlängern wir mal das physische Leben um hundert Jahre oder mehr und zum Schluss wird das Ich-Bewußtsein (also die Seele?) des Larry Page in einen Computer „hochgeladen“ – und dann ist er unsterblich (bis zum nächsten Stromausfall…).

Die Internet-Bosse geben den smarten Wissenschaftlern sehr(!) viel Geld für Forschung, damit es ihnen in den nächsten hundert Jahren nicht langweilig wird (deshalb heißt wohl einer von denen auch „Kurzweil“) und stellen sie dazu in den eigenen Firmen an, damit das alles unter ihrer Kontrolle bleibt. Eine Firma wird extra dafür gegründet, um weltweit Propaganda für diese Schöne Neue Welt der un-toten Cyborgs zu machen (Singularity University).

Ende der Glosse – jetzt mal ganz im Ernst:

Durch die privatisiert verlaufende Google-Forschung auf dem Gebiet der KI (Künstlichen Intelligenz) wird ausgeschlossen, dass die Öffentlichkeit erfährt, wie weit die smarten Wissenschaftler wirklich sind. Drum herum gibt es genügend vom Thema begeisterter Experten wie Luc Ferry, die jederzeit bestätigen, dass sie das Ganze für sehr seriös und wahrscheinlich halten – zumal ja alle von den Milliarden hypnotisiert sind, die die Internet-Bosse da hinein stecken. Die Bosse und ihre Helferlein aber erklären mal einfach so, dass es schon in 10-20 Jahren möglich sein wird, mein Ich-Bewusstsein in einem Computer zu simulieren (Super-KI) – und damit wird ein Geschäftsmodell eröffnet, d.h. eigentlich ein neuer Mythos geschaffen, aufgrund dessen die Konzerne wie Google erneut im Wert steigen. (S. auch meinen Text über den Mythos der Internet-Konzerne von vorgestern!)

Was tut Google da wirklich?

Tatsächlich treibt Google dort mehrere sehr anspruchsvolle KI-Projekte voran wie: Verschlüsselungs-Systeme, Übersetzungs-Software, Bildwahrnehmung, Robotik. Bei dieser Forschung werden typischerweise auch Teilbereiche des menschlichen Gehirns versucht zu simulieren. Diese Teilgebiete der KI unterstützen nachhaltig das heutige Google-Geschäftsmodell. Das hat Google auch so veröffentlicht. Aber für die Medien sind das sehr komplizierte, eher langweilige hochtechnologische Themen. da macht sich das „Ewige Leben“ doch schon besser. Gutes Presse-Futter!

Der radikale Wissenschaft-Optimismus, der in den USA ja Tradition hat, hat natürlich etwas erfrischendes und wird gegenüber unserer europäisch-moralinsauren Wissenschaft-Auffassung gerne als fortschrittlich und überlegen gepriesen (Beispiel: Gen-Technologien!). Wer das so oberflächlich „erfolgsorientiert“ betrachtet, vergisst allerdings völlig, welchen Hintergrund die vorsichtige europäische Grundhaltung hat. Wir wollen damit zwei grundlegende Konflikten vorbeugen:

– dem Interessenskonflikt zwischen rein wirtschaftlichen (Privat-)Interessen und wissenschaftlichen Erkenntnissen;

– der Gefahr der staatlich-autokratischen Entmündigung des Individuums durch Missbrauch der wissenschaftlichen Erkenntnis als Beherrschungsinstrument (seitens Oligarchien o.ä. Macht-Strukturen).

Wir nennen das Gebiet Wissenschafts-Ethik und versuchen durch öffentliche Institutionen wie die „Akademien der Wissenschaften“ hier die Interessenskonflikte unter Kontrolle zu halten. Das ist nicht leicht, denn die Institutionen haben eher wenig Macht. Eines der wichtigsten Instrumente bezüglich dieser Konflikte ist die Forderung nach „Technik-Folgen-Abschätzung“.

In USA ist eine völlig andere Mentalität sehr verbreitet und unter der derzeitigen Regierung rollt eine starke De-Regulierungs-Welle durchs Land: Machen und dann sehen wir ja. Diese Haltung wird in der Gestalt des Neo-Liberalismus neuerdings auch in Deutschland gestärkt (Ch. Lindner!).

Gerade die Forschungs-Bereiche „Gentechnik“ und  „Künstliche Intelligenz“ werfen derzeit die brisantesten Ethik-Konflikte auf und berühren dabei uralte Fragen des Menschseins, des Bewusstseins – einschließlich dem Thema der zeitlichen Begrenztheit des Lebens.

Wie positionieren sich die Internet-Konzerne in diesen ethischen Themen?

Diese Frage würde ich gerne generell beantworten können, dazu fehlen mir aber die Mittel und der Überblick – ich hoffe, dass andere sich dieses Themas intensiv annehmen.

Allerdings habe ich versucht, mir punktuell einen Eindruck zu verschaffen – und der ist aus unserer europäischen Perspektive besorgniserregend genug: am Beispiel der Singularity University!

Das ist keine Universität im üblichen Sinne sondern eine Firma, die von Peter Diamandis und Ray Kurzweil gegründet und von Google beherrscht wird. Wikipedia benutzt auch den Begriff „Think Tank“ dafür. Erwarten sie hier kein irgendwie geartetes „neutrales“ wissenschaftliches Konzept: Herr Kurzweil ist gleichzeitig bei Google angestellt als Entwicklungsleiter im KI-Engineering-Bereich. Singularity University konzentriert sich ebenfalls weitgehend auf KI-Themen und hat anscheinend vier Bereiche: Sommer-Camps für junge Wissenschaftler, Seminare und Trainings für Manager und Unternehmer, Inkubatoren-Funktion für junge KI-Unternehmen und viertens eine KI-Informationsplattform namens „Singularity Hub“. Trotz seiner personellen Verflechtung mit der Wirtschaft ist es ein „gemeinnütziges Unternehmen“ nach amerikanischem Recht.

Sieht man sich alle Bereiche etwas genauer an, ergibt sich das Bild eines Propaganda-Instrumentes für KI im Sinne des Trans-Humanismus und des Unternehmens Google.

Singularity University propagiert eine ganz eigene Ethik – und die scheint direkt von Ray Kurzweil (*1948) zu stammen: „Wir sind verpflichtet, uns Menschen permanent zu optimieren – mit nahezu allen Mitteln. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass wir unseren zukünftigen Nachwuchs von vornherein mit der Gen-Schere optimieren werden.“

Über Ray Kurzweil wird vor allem stets hervorgehoben, dass er seit 1990 viele zutreffende Prognosen über die Entwicklungen in der Computertechnologie bzw. deren Zeitpunkte gemacht hat. Er macht auch jetzt Prognosen über die Entwicklung der KI in den nächsten 25 Jahren. Am Endpunkt dieser transhumanistischen Vision steht 2045 das erreichen der Unsterblichkeit für unser Ich-Bewußtsein und der Aufbruch der Menschheit in die Planetenräume. Dann ist der sogenannte „Point of Singularity“ erreicht: an dem ist die künstliche Intelligenz der menschlichen überlegen sein wird. Ray Kurzweil ist sozusagen der Prophet der unternehmerischen Visionen von Larry Page, Elon Musk und einigen anderen. Tatsächlich ist allerdings Kurzweil ein sehr erfolgreicher Ingenieur und Innovator – das darf man ihm sicher nicht absprechen.

Ich finde es beeindruckend, dass jemand eine derart konsequente Vision der Zukunft der Menschheit hat! Sorge bereiten mir zwei Dinge dabei:

– dass diese Entwicklungen im Schoße einiger global agierender Konzerne stattfinden sollen und nicht open source zugänglich wie die öffentliche Forschung;

– dass in diesem Umfeld geplant wird grundsätzlich alles ohne eine vorangehende oder eingebettete Ethik-Debatte voran zu treiben.

Ray Kurzweils heutige Prognosen basieren übrigens auf einem extrem einfachen Modell: dem sogenannten „Moore’schen Gesetz“ – das allerdings kein Gesetz ist, sondern eine Art Regel, die seit drei Jahrzehnten in der Mikroprozessor-Industrie wie eine „selbsterfüllende Prophezeiung“ funktioniert: die Verdoppelung der Schaltelement-Dichte auf den Computer-Chips alle 18 Monate… Damit wäre 2045 dann die nötige Rechenleistung auf einem 1.000-Dollar-Computer erreicht, und das gesamte menschliche Gehirn zu simulieren. Das ist das vollständige Szenario von Kurzweils Prognosen!

Kurzweil zweifelt nicht, dass das Gehirn und unser Bewusstsein alleine durch Rechenleistung zu simulieren sein wird. Man kann mit sehr wenigen einfachen Überlegungen darauf kommen, dass das sicher nicht ausreichen wird, unserem Ich-Bewusstsein – hochgeladen in die „Cloud“ – ein ewiges Leben zu verleihen. Noch heikler sehe ich dabei die Frage, ob dieser Schritt überhaupt sinnvoll – und damit erstrebenswert – wäre, oder ob wir uns besser andere Ziele setzen sollten.

Ich will Ray Kurzweil und Kolleginnen nichts Unrechtes unterstellen – mich stört lediglich die plakative Naivität, mit der im trans-humanistischen Umfeld die Themen propagiert werden. Im Rahmen der Singularity Universität habe ich bisher keinen einzigen Ansatz zu einer Ethik-Debatte gefunden – das irritiert mich!

Glücklicherweise gibt es europa- und weltweit auf dem Gebiet der Gehirnforschung und der KI auch eine umfangreiche öffentliche Forschungs-Szene, deren Erkenntnisse durch Veröffentlichungen und einen globalen Diskurs zugänglich sind. Auch die EU gibt derzeit 1,2 Mrd. Euro für das „Human Brain Projekt“ aus (Laufzeit 10 Jahre), an dem 110 Forschungs-Einrichtungen beteiligt sind und dessen Datenplattform „Blue Brain Nexus“ vor wenigen Tagen (11.1.2018) als opensource veröffentlicht wurde.

Dadurch ist es möglich, den Stand der Technik realitätsnah zu verfolgen.

Bis heute weiß niemand, wie im Gehirn unser Ich-Bewußtsein entsteht – und vor allem, wie das Gehirn das mit nur 20 Watt Dauerleistung schafft!

Weder Philosophie noch Naturwissenschaft haben bisher das uralte „harte“ Geist-Körper-Problem gelöst. Allerdings tut sich überall viel zu diesem Thema. Es ist interessant und spannend, dies zu verfolgen. Man braucht aber doch einige Stunden Recherche und Lesen in jeder Woche, um sich da oberflächlich up-to-date zu halten.

Bisher beschäftigt sich die Forschung einerseits damit, die Informations-Prozesse im Gehirn auf Basis der Molekularbiologie zu verstehen, andererseits versucht man Teilprozesse im Gehirn informationstechnisch zu simulieren. Würde man mit der heutigen Super-Computertechnik versuchen die vollständige Gehirnfunktion eines menschlichen Gehirns längere Zeit mit Supercomputern zu SIMULIEREN (wobei noch kein Ich-Bewusstsein in der Maschine existierte!) müßte wahrscheinlich nur zur Deckung des Stromverbrauchs dieser Computer in Mitteleuropa das Licht abgeschaltet werden…?

Verblüffend ist aber auch hier wieder, mit welchen billigen Taschenspielertricks die KI-Propagandisten in ihrer eigenen Sache den informationshungrigen Normalbürger abspeisen – dazu in den nächsten Tagen noch mehr.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 19. Januar 2018

 

 

 

 

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