Warnhinweise: „Das geheime Leben der …“
oder: Die große Pest der schrecklichen Vereinfacher (Simplificateurs terribles!).
Fragen Sie Ihre Suchmaschine nach „Das geheime Leben der….“
Sie werden finden: Pflanzen (der älteste Klassiker! ), Bäume (der Bestseller von 2015), Hunde, Katzen, Dinge, Worte, .. auch ganz OHNE Zusatz: sozusagen das geheime Leben an sich…
Wenn Sie einen solchen Buchtitel lesen, ist große Vorsicht angebracht: besser, sie nehmen geistig „die Beine in die Hand“! Jedenfalls wenn Sie ihre Lebenszeit nicht mit sinnlosen Metaphern und – im Falle der meisten pflanzliche-tierischen Themenbereichen – furchtbaren Antropomorphismen verbringen wollen (das sind Analogien zu menschlichen Verhalten/Eigenschaften für nicht-menschliche Lebensformen).
Das Problem ist: in den fraglichen Sachgebieten nicht-menschlicher Lebensformen oder Strukturen („Dinge“) wird ein durchaus relevantes Thema beackert. Allerdings ist es – wie fast immer – eigentlich komplex! Mit dem Ziel, breite Leser-Schichten populärwissenschaftlich zu durchdringen, wird die offensichtlich nicht-menschliche Wirklichkeit auf Teufel komm raus mit Antropomorphismen zugekleistert bis die Wirklichkeit nicht mehr zu erkennen ist.
Witzig ist schon alleine die Ironie, die darin liegt, dass das jeweils Beschriebene ja gar nicht „geheim“ sein kann, wenn es der Autor hier ausbreiten kann – und selbst wenn es vorher nur der Autor gekannt haben sollte, ist es nicht mehr geheim, nachdem Sie und einige hunderttausend Leser es gelesen haben werden… oder eben doch, weil das mit Metaphern zubetonierte Gebiet in Wirklichkeit dem Leser weiterhin verborgen bleibt.
Aber wieder im Ernst: Auch ich erkenne und erkenne an, dass die Autoren (wie Förster Wohlleben), die sich mit dem spektakulären populärwissenschaftlichen Mäntelchen des geheimen Lebens bekleiden, meistens (außer Aufmerksamkeit) die Empathie der Leser für das Thema wecken wollen – und das gelingt anscheinend am besten, wenn man die dem Menschen nahestehenden, seine eigenen Emotionen befeuernden Metaphern in der Beschreibung verwendet wie Sehen, Fühlen, etc.
Wenn man aber einen Haufen nicht ganz falscher Metaphern schließlich zu einem Gesamtbild verschmilzt – so kann die Wahrheit schließlich dahinter verborgen bleiben! Es resultiert mehr Missverständnis als Verständnis! Typischerweise werden dann Lawinen von Esoterik oder Verschwörungstheorien losgetreten, auch wenn der Autor selbst nicht den schritt zur Esoterik getan hat.
Die Informationen, die z.B. Förster Peter Wohlleben in seinem Buch verwendet, sind als Forschungsergebnisse in den letzen Jahrzehnten laufend veröffentlicht worden und wurden in einem GEO-Kompakt-Band (03/2014) bereits ein Jahr vor Erscheinen des Wohlleben-Buches sachlich zusammengefasst.
Abschließend komme ich zu einer Warnung vor einer dem Voranstehenden eng verwandten Kategorie der „schrecklichen Vereinfachung„: lesen Sie bitte auch keine Bücher, die vorgeben, sie könnten Ihr Leben vereinfachen – dadurch, dass Sie das Buch lesen. Das ist immer ein Missverständnis: Sie vereinfachen das Leben des Autors dadurch, dass Sie das Buch kaufen! Wenn Sie dazu beitragen wollen: kaufen Sie es eben – aber lesen Sie es nicht!
Denken Sie immer an folgendes: Das Verhalten der Menschen ist hochgradig adaptiv – und der Mensch an-sich ist faul! Wenn es ein einfacheres Leben als Ihr gegenwärtiges gäbe, wäre der Mensch schon vor 100.000 Jahren darauf gekommen: und Sie wären folglich schon so auf die Welt gekommen – ein offensichtlicher Widerspruch zur Vereinfachbarkeits-Hypothese.
Die schlichte – wenn auch erschütternde – Tatsache ist: mit der Teilung der ersten Zelle endete das „einfache Leben“. Ihr gegenwärtiges Leben ist unter den gegebenen Umständen bereits das einfachst-mögliche Leben … (Ich habe viele Jahrzehnte gebraucht, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen – und man sieht es mir an!)
Aphorismus des Tages: „Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher (als nötig).“ (Albert Einstein)
Herbert Börger
© Der Brandenburger Tor, Berlin, 28. Januar 2018