Die tägliche Kolumne – 29 – Diese Gesellschaft braucht mehr Solidarität

Wieder eine Illusion dahin:

Lange redete man sich ein, dass es nach dem zweiten Weltkrieg eine geschichtlich gesehen extrem lange Friedensphase (zwischen den „relevanten“ Großmächten und Europa, dem alten Pulverfass, aus dem beide Weltkriege entsprangen) gegeben habe – quasi von 1946 an bis ….

Die Grundlage dieser positiven Entwicklung haben viele kluge Leute gedeutet: wohl war es zuerst das Gleichgewicht des Schreckens – aber seit 1970 und speziell dann ab 1990 wurde die Situation sehr kompliziert und unübersichtlich.

Ich bin in Deutschland geboren, kurz nachdem die beiden A-Bomben-Explosionen in Japan verhallt waren. Mein Geburtsort, Clausthal-Zellerfeld im Harz, liegt wenige Kilometer von der deutsch-deutschen Grenze (und damit der Grenze zwischen den großen gegnerischen Welt-Blöcken) entfernt – ZUFÄLLIG auf der westlichen Seite.

Ich bin also „lückenloser Zeitzeuge“ … für das Geschehen, das für mich wahrnehmbar war – oder das ich wahrnehmen wollte.

So bin ich auch rückblickend Zeuge dafür, wie wir uns diese großartige lange Friedenszeit einbilden konnten:

Es ist diese verdammte Sicht auf die Welt um den eigenen Bauchnabel herum, emotional nicht viel anders als das mittelalterlich-christliche Weltbild mit Mensch und dem Menschen untertane Erde im Mittelpunkt des Alls – nur ein bisschen schicker möbliert, nach neuester wissenschaftlicher Mode.

So nimmt der Bürger des angebrochenen 3. Jahrtausends zwar dann irgendwann wahr, dass die Welt um ihn „globaler“ geworden ist – und zwar durch sein EIGENES Wirken. Wenn er aber feststellt, dass das globaler ist, als er sich das wünscht, finden sich ein paar gerissene Populisten und Machtpolitiker, die ihm erklären, dann könne man sich eben „de-globalisieren“ (wie eine Korrektur eines fehlerhaften Kurses) – und es bildet sich ganz schnell ein Mainstream, der diese geniale Idee feiert:

Kommt, wir stellen alle handgestrickte Pullover vom deutschen Deichschaf her und verkaufen die teuer nach China, um unsere Rente zu sichern!

Der Grund für diese völlig irre Fehleinschätzung der Welt ist, dass die Bürger unserer und vieler anderen Demokratien für die Ausübung ihrer Demokratenrolle entweder zu ungebildet oder zu dumm sind – und es wird nichts besser dadurch, dass man sich einredet, dass man aufgrund unserer „Werte“ nicht mehr Bildung schaffen konnte, denn unsere Werte sind: Freizeit, Spaß, Genuss!

Während dessen erhalten die Bürger mancher großer Autokratien eine konsequente Grundbildung, garniert mit einem riesigen Sahnehäubchen Propaganda. (Plus riesigen Boni für die Machteliten.) Es ist ein Menschenbild, das den Möglichkeiten des menschlichen Geistes nicht im geringsten gerecht wird – ein zynisches Menschenbild, das den Menschen für auf Machterhalt gerichtete Ziele deformiert.

Aber: es ist (derzeit) erfolgreicher – während wir es hochmütig und geringschätzig beurteilen.

Ich fürchte, unsere hedonistische und euphemistische Gesellschaft, die Realpolitik-Ansätze sanktioniert („Werte first!“) und ihren Bürgern nicht einmal mehr die mindesten Solidaritäts-Pflichten abverlangt, wird bald – ohne Kurskorrektur – in einen abwärts gerichtete Entwicklung eintreten, die schwer zu stoppen sein wird. (Oder: ist sie das nicht schon?)

Ich meine, wir sollten mit den Solidaritäts-Pflichten, PLUS bildungspolitischer Wende, anfangen – und uns ehrlich machen bezüglich der militärischen „Verteidigungsfähigkeit“ des Landes. Ich glaube nicht, dass ein Land wie die BRD es sich finanziell leisten kann, die eigene Verteidigung – auch unter Bündnis-Aspekten – einer Dienstleistung-Armee anzuvertrauen. Immer mehr 100-Milliarden-Pakete für die Ausstattung zu schnüren nützt nichts, wenn niemand da ist, der die Bestellungen ausschreiben kann …

Die ersten 100 Milliarden werden für den Wiederaufbau der Wehrerfassungsämter und der ganzen Wehrpflichtigen- und Ersatzdienst-Struktur gebraucht, die ein hochgehypter Adeliger als Verteidigungsminister in den 4 Wochen vor seinem Rücktritt unwidersprochen in die Tonne getreten hat!

Morgen mehr zu den Solidaritätspflichten!

Herzlich

Der Brandenburger Tor

Herbert Börger, 28.11.2023