Die Abenteuer des Victor Lustig
oder: Der Mann, der den Eiffelturm verkaufte!
Ein Live-Hörspiel der Lauscherlounge
(Premiere 27.09.2019 in der ufaFabrik, Berlin)
Dies ist der Versuch einer Hörspiel-Kritik (meiner ersten). Sie wird völlig objektiv und frei von jedem Interessenskonflikt verfasst, obwohl – nein: WEIL einer der Autoren und Sprecher der Hauptfigur (Victor Lustig) mein Sohn ist: Ich beurteile meine Kinder stets gnadenlos kritisch, sachlich und emotionslos…
Was war das gestern Abend?
- ein Zeit-Drohnen-Flug durch die ersten Lebens-Jahrzehnte eine Mannes, genauer gesagt: eines Hochstaplers und Betrügers aus Passion?
- Ein Spaziergang über/durch die Salons, Boulevards, Casinos und … am verrückten, überdrehten Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika?
- Eine präziser Meisterkurs für Hochstapelei und Betrug?
Es war: alles drei!
Zum dritten Punkt muss ich klar feststellen: die 18 EUR für den Preis der Eintrittskarte waren für jemanden, der auf dem Gebiet des Hochstapelns Fortbildungsbedarf hat, eine lächerlich geringe Investition, aus der er im Handumdrehen einen zig-tausendfachen Profit machen kann – wenn er will. Für meine Frau und mich muss ich sagen, dass man nach einer erheblichen gelebten Lebensspanne einiges davon wußte – aus eigener, leidvoller passiver Erfahrung! Aber immerhin: es war auch für uns immer noch beeindruckend aufgrund der großartig systematischen und didaktisch geschickten Methodik. Man bedenke, dass man hier an einem lehrreichen Abend etwas lernen konnte, für das man sonst ein halbes Jahrhundert eigenes Lebens einsetzen muss!
Der mittlere Punkt offenbarte ein ganz großes Genuss-Erlebnis: der Zuhörer stehe alle paar Minuten wechselnd plötzlich als „Beobachter“ in einem Ballsaal, Salon, auf einem Boulevard, in einem Restaurant etc.: um mich herum spannt sich der jeweilige Raum mit unterschiedlicher Weite und Akustik auf – die Dialoge sind auf die natürlichste Weise darin eingebettet. Ich schreibeb ganz bewußt „Beobachter“ – obwohl es ja ein Hörspiel ist – denn mit jeder Szene, die dort akustisch vor uns aufgeblättert wird, projiziert das Gehirn munter und farbenfroh die Bilder der jeweiligen Situation, und es (das Gehirn) schein großen Spaß daran zu haben!
Um diese Erfahrung richtig einzuordnen, will ich kurz beschreiben, womit man als Besucher des Ereignisses „real“ konfrontiert ist:
wir sitzen in einem ganz normalen Theatersaal mit gut 200 Plätzen auf bequemen Stühlen. Die breite Bühne ist völlig schwarz gehalten. An der Hinterwand die Stühle für die Sprecher, an der Bühnen-Rampe die Lesepulte mit Leselampen für die Sprecher.
Rechts davon die beiden Musiker, Schlagzeug und Keyboards.
Links von den Sprechern „haust“ der Geräuschemacher in einem auf den ersten Blick chaotisch wirkenden Gerümpel… das aber tatsächlich eine hoch effizient organisierte Geräuschmaschine darstellt, deren größte Kunst darin besteht, mit so minimalem Bewegungsaufwand zu arbeiten, dass der auf die Story konzentrierte Zuhörer diese Aktivitäten überhaupt nicht wahrnimmt.
Und schließlich stehen die Sprecher direkt vor uns – in aller ihrer mitmenschlichen Normalität: ohne Kostüme und ohne „Maske“. Nichts lenkt unser Gehirn davon ab, den Verlauf der Geschichte selbst prachtvoll zu illustrieren.
Interessant wäre es, zu vergleichen, welche Kosten die Produktion derselben Story in einem Film verursachen würde, im Vergleich zu den Kosten dieser Live-Hörspiel-Produktion. Dabei ist nicht einmal gesichert, dass die Visualisierung, die der Regisseur im Film erzeugt, alle Zuschauer gleichermaßen beglücken würde, wie es die individuelle Visualisierungs-Leistung des jeweiligen Gehirnes im Hörspiel tut.
Gestern Abend war alles aufeinander abgestimmt: ein hervorragendes, professionelles Sprecher-Team, perfekt aufeinander abgestimmte Ebenen von Sprache, Geräusch und (last-but-not-least) Musik – und eine wirklich gute Story.
Bleibt mir, den erste Punkt zu hinterfragen: der Begriff „Drohnen-Flug“ durch die Lebensgeschichte des Victor Lustig gibt mein Erlebnis dieser Performance wieder. So flott und stimmig wie diese Geschichte erzählt wird, kann man nur zu einem Schluss kommen: hier waren mit dem Autoren-Duo zwei Dramaturgie-Freaks am Werk! Dieser „Zeit-Drohnen-Flug entrollt ein lückenloses Panorama, das uns mit der erschütternden Erkenntnis zurück läßt: dass wir alle irgend wie auch Victor Lustig sind…
Kleine Bagatell-Fehler erhöhen nur den Eindruck des perfekten Werkes: die richtige Zuordnung von Magnetpolen kann man für zukünftige Performances leicht korrigieren… und die von Elmar Börger nicht wahrgenommene ausgestreckte Hand von Oliver Rohrbeck ging prima als „Running-Gag“ durch!
Weiter so…
Copyright Herbert Börger, Berlin, 28. September 2019
Der Brandenburger Tor