Das fängt ja gut an – 261 – SPD

Was ist nur mit meinen Jungs los? …

… ein Schundroman aus der Hauptstadt

Oben auf dem Dach des Willy-Brandt-Hauses: die in die Jahre gekommene Tante SPD sitzt auf dem Gitterträger, der wie das Rostrum einer römischen Galeere in den Hauptstadthimmel ragt, und kuschelt sich an die schlapp herunter hängende rote Fahne. Es war wieder so ein Tag, an dem es über Berlin kaum hell geworden war als schon wieder die ersten dämmerungsgeschalteten Lampen an gingen. Sie fror in ihrem kurz gewordenen 20,5%-Kittelchen. Eigentlich müsste sie ja längst wieder durch Straßen da unten streifen und sich den Menschen anbieten, aber das war augenblicklich sehr frustrierend: so ein junger Schnösel war da in den letzten Tagen aufgetaucht und hatte alle weg geangelt, die ihr möglichst noch den letzten Rest geben wollten – unerhört! Potentielle Wähler, die ihr wohl wollten, fand sie da unten gerade keine mehr…

Außerdem musste sie den Punkt hier oben auf den Dach des Hauses bewachen: denn Kultur-Moni schlich sicher gerade wieder mit einer Millionenspende für ein vergoldetes Kreuz durch die Stadt . Und dieses war eines der letzten säkularen Gebäude der Stadt, auf dem noch kein Kreuz prangte! Fröstelnd zerrte sie an ihrem immer kürzer werdenden Kittel

Schnitt: tief in den Katakomben des Willy-Brandt-Hauses!

Ein bärtiger Mann steht gebeugt vor einem winzig kleinen Waschbecken und wäscht sich seit geraumer Zeit die Hände. Er seift und schrubbt – und schrubbt und seift wieder! „Damit werde ich meine Ehre wieder herstellen“ murmelt er. Er blickt auf seine strahlend sauberen Hände, von denen das kristallklare Wasser abperlt. Er richtet sich auf und blickt in den Spiegel, über dem eine nackte Glühbirne herab hängt und ihn blendet. Er aber hat den Eindruck, dass es seine eigene Erscheinung ist, die ihn blendet. Sein Oberkörper strafft sich. „Damit werde ich wieder vor sie alle hin treten und verkünden, in welche Richtung ich nun gradlinig wie immer gehen werde. Damit will, nein, muss ich alle überzeugen. Großherzig gebe ich dieses größte aller Ämter, das mir anvertraut war, zurück und ziehe mich bescheiden auf die Güter des Außenministeriums zurück.“ Zufrieden und geradlinig blickt er in den Spiegel.

Da dreht sich rasselnd ein Schlüssel im Schloss – die schwere Tür hinter ihm öffnet sich knarzend, schwere Schritte nähern sich, ein riesiger Schatten fällt auf die Gestalt vor dem Spiegel und eine Stimme sagt: „Bist Du bereit? Du weisst ja, was Du zu sagen hast? Und keine Mätzchen!“ Der Mann vor dem Spiegel sackt in sich zusammen – und sagt mit tonloser Stimme: „Ja, Freund Gabriel…“ So hatte er sich das Ende seiner strahlend begonnenen Laufbahn nicht vorgestellt: ein einfacher Bundestagsabgeordneter… was würde Würselen von ihm denken? Und sein arbeitsloser Freund?

Schnitt: wieder auf dem Dach des Willy-Brandt-Hauses.

Das kurze Kittelchen der alternden Meinungsdirne SPD wird ständig kürzer. Sie versucht sich an Erinnerungen aus besseren Zeiten zu wärmen – aber die sind so lange her, davon gehen kaum noch wärmende Strahlen aus. Sie war nicht immer so dünn und ausgezehrt gewesen. Schon nicht mehr jung war sie doch noch eine füllige Schönheit gewesen. Aber in den letzten 30 Jahren ging alles schief. Natürlich war es dumm von ihr gewesen, etwas mit einem eigenen Kind anzufangen, dem ungestümen, damals schon regierungsunwilligen Buben Ernst – dem sie dann ein Kind gebar und das sie an ihrer einst so prallen Brust nährte und der – das undankbare Balg! – sie auszehrte und ihr den ersten entscheidenden Vitalitätsschwund beibrachte. Hatte sie damals versäumt ihren Kindern beizubringen, was Solidarität wirklich bedeutet? Vermutlich… Ja, und Anstand hatten die auch nicht mehr: kurze Zeit später vereinigte der Bankert sich mit einer heimatlos gewordenen aber eben sehr vermögenden Ost-Partei, die im Grunde eine Erbfeindin war, die ihr im Osten schon vorher einmal den Garaus gemacht hatte…

Und heute? Balgen sich die Jungs auf offener Straße, machen sich gegenseitig vergiftete Geschenke und verschieben Posten nach Gutsherren-Art.

„Was soll nur aus mir werden?“ murmelt die alte Frau auf dem Dach des Willy-Brandt-Hauses und schmiegt sich fröstelnd an den Fahnenmast, den sie fest entschlossen ist gegen Kultur-Moni zu verteidigen – ihre letzte Mission?

Herbert Börger

Der Brandenburger Tor, Berlin, 10. Februar 2018

Das fängt ja gut an – 271 – Martin Schulz (2)

Was treibt diese Menschen – was treibt diesen Mann?

Ich kenne den Mann nicht persönlich – aber ich beobachte ihn. Er interessiert mich. Ich interessiere mich für ihn nicht aus persönlichen Gründen, sondern betrachte ihn als einen gerade herausragenden Mitspieler in der „göttlichen Komödie“ (sage ich als Atheist…). Der Mann heißt Martin Schulz.

So kann ich mich als an-Sport-an-sich-Uninteressierter auch sehr für Leistungssportler bzw. deren Mannschaften interessieren: wie gehen die mit Sieg und Niederlage um? Wie funktioniert das „System“, in dem sie sich bewegen? Wieviel Einfluß haben sie darauf, was mit Ihnen geschehen ist oder noch geschieht oder werden sie nur von innen oder außen getrieben? Das sind Themen, aus denen ein begnadeter Autor einen Roman macht – ich schreibe ein kleines Essay darüber.

Ich bleibe hier bei der großen Arena der Politik – also den politischen Eliten und dem großen, kaum durchschaubaren Räderwerk des demokratischen Systems  hinter ihnen. Dieses System wird letztlich an seiner „Basis“ auf unseren Schultern getragen: auf Ihrer und meiner Schulter! In dem, was ich beschreibe, stütze ich mich auf einige Lebensjahrzehnte Beobachtung von Politiker-Laufbahnen.

Die Mitspieler in diesem Räderwerk in der Elite oder in der großen Arena sind „Menschen wie Du und ich“. Wie auch wir in unserem Lebensumfeld, finden Sie dort nach einiger Eingewöhnung ihre „Rolle“. Von da an ist bei fast allen die Rolle und das Rollenverhalten gesetzt. Eine wirkliche Veränderung findet danach praktisch nicht mehr statt: wie denn auch – entweder ist Wahlkampf, Eroberung eines Amtes (von dessen Inhalten man eben noch keine Ahnung hatte), Sonnen in Erfolg und Zustimmung, Krise oder Rechtfertigungsdrama.

In diesem ewigen Kreislauf hat sich noch keine Persönlichkeit „entwickelt“ – eher wird sie korrumpiert. Wenn mal eine „Wandlung“ stattfindet, dann steht eine disruptive (ich liebe dieses Wort!) Erfahrung dahinter wie Krankheit oder andere persönliche Katastrophen. Wandlungen gibt es manchmal auch nach dem Eintritt ins Greisenalter oder in den Zustand völliger Machtlosigkeit (oder beidem) – aber nicht „im laufenden Betrieb“.

Man kann als ganz normaler Mensch ohne spektakuläre Eigenschaften vom Ortsverein an der Basis einer Partei hinauf klettern an die Spitzen des Staates. Allerdings braucht man ein paar Talente – neben dem Machtwillen. Damit meine ich nicht nur jenen Willen zur Ausübung persönlicher Macht (Alpha-Wesen). Auch die Person, der es zu 100% um eine Sache oder Idee geht, brauch Machtwillen, um diese Idee umsetzen zu können!

Wer an die Spitze der politischen Elite strebt, muss einige (nicht alle) Grundfähigkeiten besitzen, die er wie eine Art Werkzeugkasten mit sich herum trägt: ein akzeptables Erscheinungsbild, gute rhetorische Fähigkeiten, eine nachvollziehbare Erzählung von den Zielen, Intelligenz und Standfestigkeit (Belastbarkeit) – und die ganz spezielle Gabe, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu sagen oder zu tun. Man muss die nicht alle gleichzeitig perfekt verkörpern – aber in einigen dieser Disziplinen sollte man schon beeindrucken können. Beispiel: Angela Merkel: Rhetorik: 3-, eigene Erzählung: 5 … und trotzdem seit drei Legislaturperioden Bundeskanzlerin (Belastbarkeit: 1+++)!

Da gehört eben noch eine andere nicht direkt sichtbare Ebene dazu: zum Beispiel der Rückhalt in der Organisation, die man vertritt und die einen tragen muss (man nennt das auch Hausmacht) – wenn die stark ausgeprägt ist (wie bei Angela Merkel) ersetzt das vollständig die eigene Erzählung, weil das Parteiprogramm ja schon da ist. Es gibt auch unterschiedliche Schwerpunkte dieser Kompetenzen für Spitzenpolitiker für die Bereiche Parlament (Legislative) und Regierung (Exekutive).

Vor allem aber gibt es die eine sehr schwer erklärbare, komplexe „Meta-Ebene“ der Eigenschaften eines Politikers: die Glaubwürdigkeit! Glaubwürdigkeit aufbauen und erhalten wird von einer ganz besonderen Fähigkeit unterstützt: zum richtigen Zeitpunkt das richtige sagen oder tun – blitzschnell Stimmungen erfassen.

Alles das gesagt, komme ich jetzt zu Martin Schulz:

Ich habe bei ihm eine glänzende Karriere als Parlamentarier beobachtet. Die hat er – hinter sich. Er stand an der Spitze des Europäischen Parlamentes und war dort meist überzeugend und hatte einen hervorragenden Ruf und beeindruckendes „Standing“ als Parlamentspräsident. Seine Botschaft passte zu seiner Rede passte zu seiner Erscheinung. Am Ende seiner Parlamentslaufbahn erschien (für mich unerwartet plötzlich ja ungeduldig) etwas neues: ein Anspruch auf exekutive Macht für sich persönlich und sein „Narrativ“.

Sein erstes Ziel: EU-Kommissar oder gar Kommissionspräsident! Das ist er nicht geworden.

Die nächste Rolle: Retter in der Popularitäts-Krise der Bundes-SPD. Wer die SPD lange kennt, weiß, das dies ein Himmelfahrtskommando sein kann! (Das wußte auch Gabriel…) Die Partei hievt ihn mit Schwung auf das Hochseil – ohne Netz… denn er scheitert schon wieder in der Ambition eines Amtes: des Fraktionsvorsitzes!

Im Glauben an die Illusion einer hohen eigenen Popularität, startet er mit Schwung eine Kampagne – ohne eigene Erzählung (wird noch geliefert…). In der Nachlieferung der „Idee“ nach Beginn des BTW-Wahlkampfes hat er sich dann offensichtlich weitgehend auf Berater gestützt, die weitgehend auch von falschen Einschätzungen der Lage ausgingen. Er überzeugt in dieser Rolle nicht.

Spitzenkandidat der BTW17 und Parteivorsitzender: er tritt als Kanzlerkandidat mit völlig unrealistischen Ansprüchen an – und scheitert (zusammen mit seiner Partei!) krachend bei 20.5%. Das gleichzeitig heftige Scheitern von CDU/CSU mildert die Sturzfolgen – aber nicht das Prinzip des Scheiterns.

Hier hat er spontan einmal richtig reagiert – allerdings in Diktion und Timing doch nicht so ganz: mit der Ansage der Oppositions-Rolle. Die Ansage, die SPD könne sich NUR in der Opposition regenerieren ist jedoch eine aberwitzige Begründung und Erzählung! Die holt ihn heute ein – wie so vieles, das er immer wieder naiv als finale Erkenntnis verkündet hat.

Das Scheitern der Jamaika-Verhandlung ist für Angela Merkel hoch-problematisch – aber für Martin Schulz der Gau! Er ist nicht der Mann, der Angela Merkel in die Minderheitsregierung zwingen könnte. Er hat es erst gar nicht versucht.

Er hat dann verrückterweise selbst die Erzählung in die Welt gesetzt oder das zumindest geduldet, dass der Bundespräsident Steinmeier ihm wie einem Schulbuben den Kopf gewaschen hat, so dass er sich postwendend mit seiner ganzen Kraft nun für die „Große Koalition“ einsetzt.

Die „Sondierung für die GroKo“ gelingt relativ flott und gar nicht mal so schlecht: aber die alte Tante SPD zeigt Schulz nun ihre häßlichste Fratze und hilft den Jusos, Martin Schulz nun fast völlig zu demontieren: indem es fast schon als Konsens gilt, dass jemand der 20,5% erreicht hat, 100% seiner eigenen Forderungen durchbringen müsste. Nicht Schulz sondern Andrea Nahles ist es, die das Votum für Koalitionsverhandlungen rettet.

Während der jetzt gerade laufenden Koalitionsverhandlungen gelingt es dem Parteivorsitzenden nicht, die wilde öffentlichen Kakophonie aus der eigenen Partei über unzureichende Kompromisse zu stoppen. Grotesk: die erzielten Verhandlungskompromisse liegen sehr viel näher an der weit verbreiteten Akzeptanz-Schwelle der Bevölkerung als das, was „die Partei“ fordert.

Der einzige kleine Rest von Glaubwürdigkeit, den Martin Schulz jetzt noch retten könnte, läge darin, jetzt nicht als Minister in das „Kabinett Merkel 4“ einzutreten, sondern zusammen mit Andrea Nahles dieses ungeliebte Projekt außerhalb der Regierung zu begleiten.  Aber sein beharrliches Schweigen zu diesem Thema spricht Bände: er wird anscheinend auch diese Latte noch reißen!

Der Weg zur Macht ist schwierig und mit vielen Hindernissen gespickt. Wir erleben das Beispiel eines sympathischen, integren Mannes, der dafür offensichtlich nicht gemacht war und an den vielen gerissenen Hürden seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt hat.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 30. Januar 2018