Die tägliche Kolumne – 20 – Deutsche Außenpolitik in der Sackgasse?

Heute morgen hat mich eine kurze Meldung im Nachgang zum Kurz-Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan (vorgestern in Berlin) aus dem Takt meiner üblichen Kolumnen-Gedankengänge gebracht:

Der türkische Präsident äußerte sich im Nachgang zu seinem Besuch in Deutschland über seine Gesprächspartner (Bundespräsident und Bundeskanzler) dahingehend (Zitat dpa-Meldung), dass er in der deutschen Regierung „imperialistische Kreuzfahrerstrukturen“ gesehen habe, und zwar ausdrücklich auch bezogen auf die Personen, die er in Berlin getroffen habe.

Das ist nun zusätzlich eingebettet in eine Inszenierung um den Staatsbesuch, bei der Erdogan direkt vorher Hamas als Befreiungsorganisation und Israel als Terrorstaat bezeichnete, unmittelbar danach dies jetzt ebenso explizit sagte – und nur während des Besuches in Berlin drum herum redete.

Wenn ich als Staatspräsident einer (verbündeten) ausländischen Macht die erklärtermaßen werteorientierte Außenpolitik eines anderen Staates lächerlich machen wollte, würde ich genauso vorgehen …

Hat die deutsche Bundesregierung und der Bundespräsident (der ein ehemaliger Außenminister unseres Staates ist) noch irgend einen Rest von Autorität bei der Türkei? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der türkische Außenminister unter vier Augen Frau Baerbock DIES diplomatisch erklären kann. Und das hat auch Auswirkungen auf den Respekt, den unsere Außen-Politik in der Welt genießt.

Dies ist eine erschütternde Bilanz für die Außenpolitik der BRD.

Der Brandenburger Tor

© Herbert Börger, 20.11.2023

 

Die tägliche Kolumne – 2 – Chapeau, Herr Habeck

Meine Idee für diese tägliche Kurzkolumne war unter anderem getragen von der Hoffnung, tagespolitische Themen weitestgehend zu vermeiden. Bei tagespolitischem Bezug fehlt zwangsläufig ja die angemessene Tiefe für ein Thema. Das gelingt offenbar nicht immer:

Gestern Abend 01.11.2023 (heute Nacht) verfolgten wir eine weitere super-anstrengende Gesprächsrunde bei Markus Lanz, die sich um den Hamas-Israel-Konflikt drehte. Dies war die vielleicht gelungenste Runde bei Lanz überhaupt – jemals … (?)

Aber ich berichte hier nicht primär über die Sendung als solche, die erstaunlicherweise sogar ein greifbares „Fazit“ hinterließ: ALLE politisch verantwortlichen haben derzeit die Pflicht, mit Einsatz aller diplomatischen Mittel ein Ausweiten des Konfliktes zu verhindern! (Ja, da geistert ein früher Spruch von Scholl-Latour über die politischen Risiken der Nahostregion durch  den Raum!)

Aber darum geht es mir im Moment nicht.

Markus Lanz gab der jüdischen Autorin Deborah Feldmann (Nachfahrin einer Holocaust-Überlebenden) extrem viel Raum um ihre humanistisch-pazifistisch geprägte Sicht sehr empathisch darzustellen, die zusammenfassend sagt, dass derzeit die Juden „selektiv“ geschützt werden, den Palästinensern derselbe menschenrechtliche Schutz verweigert wird (unter anderem auch von der deutschen Regierung).

Vizekanzler Habek war aus Berlin zugeschaltet. Selten habe ich einen Politiker – Minister und Vizekanzler zumal – in einer so schwierigen Situation auf offener Bühne gesehen. Wie Habek unmittelbar darauf als Mensch und Amtsinhaber antwortete, war eine rhetorisch-inhaltliche Meisterleistung zwischen glaubwürdiger Empathie und entschlossener und nachvollziehbarer Einordnung der Situation für die deutsche Politik.

Habek ist mit einem derartigen Auftritt einer der respektabelsten und ministrabelsten Politiker des Landes derzeit – auch wenn ich die Vorgänge unter ihm in seinem eigentlichen Amt oft leider kritisieren muss.

Zurück zur Sache: in der Runde saß auch die Konfliktforscherin Florence Gaub, die empfahl, aus vergleichbaren weltpolitischen Konstellationen zu lernen, in denen eine rein militärische Lösung nie möglich war. Dies sei die Stunde der Diplomatie, um noch viel größeres Unheil zu verhüten.

Auch in diesem Sinne (nämlich der Stunde der Diplomatie) äußerte sich Habeck mahnend, dass er viel größere Gefahren am Horizont sehe als nur den lokalen Konflikt um Gaza. (Zitat:“Der Zug fährt derzeit in eine ganz andere Richtung!“)

Noch ein Nachsatz zum  Pazifismus-Verständnis von Frau Feldmann:

Sie bestritt, eine Pazifistin zu sein, und wollte dies plausibel dadurch machen, dass sie wisse, dass britische Soldaten angreifen und deutsche Soldaten töten mussten, um schließlich das deutsche Vernichtungslager Bergen-Belsen zu befreien, wodurch ihre Urgroßmutter vor der Ermordung im Rahmend er „Endlösung der Juden“ gerettet wurde. Sie konnte allerdings den Widerspruch dazu nicht auflösen, dass sie den israelischen Staat dazu auffordert, der Hamas quasi die andere Wange zu zeigen, d.h. auf den Gegenschlag zu verzichten.

Die Tragik besteht ganz offensichtlich darin, dass der gegenwärtig hoch-explosive Konflikt weder durch eine militärische Auslöschung der Hamas, noch durch einen einseitigen Waffenstillstand seitens Israel zu lösen sein wird.

Das ist immerhin eine respektable Erkenntnis aus 45 Minuten Talkshow … oder hatte jemand erwarte, dass hier die LÖSUNG des Konflikts gefunden würde?

P.S.: Etwas gewundert hat mich die Sprachbildung bei Frau Feldmann – nämlich es werden Israelis (Juden) „selektiv“ geschützt … Wird hier schon wieder jemand selektiert?

Copyright Der Brandenburger Tor

Herbert Börger, 2.11.2023