Die tägliche Kolumne – 8 – Die Getriebenen 1

Nun ist es wieder geschehen:

Eine Politiker-Runde hat sich von allen (vernünftigen) Regeln, die sonst für Gremiensitzungen oder gar das Arbeitsrecht bestehen könnten, befreit und bis in den frühen Morgen durchgetagt.

Der Chef der Veranstaltung – Kanzler Olaf Scholz –  hatte das  Ergebnis der Veranstaltung (sog. „Flüchtlingsgipfel“, owohl kein einziger Flüchtling dabei war …) morgens vor der Presse als „historisch“ bezeichnet. Dies hatte ich zunächst der Tatsache zugeordnet, dass ihm während der Nachtsitzung kein Ministerpräsident temporär von der Fahne gegangen war (wie Angela Merkel seinerzeit der legendäre Horst Seehofer). Am Ergebnis kann es ja nicht gelegen haben …

Dann fiel mir ein, was ich wenige Tage zuvor gelesen hatte: bei Schlafentzug wird im Gehirn viel Dopamin ausgeschüttet (richtig: hat mit Doping zu tun!), das legendäre Glückshormon – und das ist eben in der Lage, die Teilnehmer am Schlafentzug zu euphorisieren! Einschränkend muss man anmerken, dass die Forschungsergebnisse nicht an Kanzlern/Ministerpräsidenten ermittelt wurden, sondern an Mäusen und irgendwelchen anderen Wirbeltieren …

Andererseits muss man bedenken, dass die Mäuse ja voraussichtlich nicht – wie unsere Politiker – zusätzlich von Populismus getrieben sind, eine Vorerkrankung, die nach meiner Vorstellung doch die Bereitschaft des Organismus zum demonstrativen Ausschütten von Dopamin erhöhen könnte.

Interessant war im Zusammenhang zu den eingangs erwähnten Regeln und Vorschriften eine Beobachtung, die ich zufällig gestern gerade unabhängig von diesen Ereignissen machen durfte:

Ich brachte ein Paket zu einer DHL-Packstation, vor der zufällig gerade ein Paketwagen hielt. Das ist manchmal eine schöne Gelegenheit, das Paket mit weniger Stress am Scanner der Station los zu werden. Nicht so in diesem Falle! Die beiden Mitarbeiter konnten das Paket leider nicht entgegen nehmen, da ihr Scanner gerade zentral zur Einhaltung der Pausenzeiten in den Pausenmodus geschaltet und daher nicht benutzbar war!

Ist das nicht eine großartige Fürsorge des Arbeitgebers? So frage ich Sie als Bürger dieses Landes: wollen Sie, dass der „Scholzomat“ auch so eine Pausen-Zwangssteuerung bekommt? (Wer weiß, was der sonst unter Dopamin-Einfluss demnächst noch alles als historisch verkünden wird?)

Nein, Sie können hier im Gegensatz zu anderen journalistischen On-Line-Formaten nicht wirklich abstimmen … ich halte sowas nämlich für populistischen Journalismus-Schwachsinn.

Morgen dann etwas Ernstes zu den getriebenen Politikern …

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08.11.2023, Herbert Börger

Das fängt ja gut an – 320 – Berliner Stadt-Spitzen – Lesebühnen

Berliner Stadt-Spitzen

Ich kenne kaum jemanden, der kein ambivalentes Verhältnis zu einem Stadt-Moloch wie Berlin hat. In Berlin ist alles besonders starkt ausgeprägt: das Positive wie das Negative.

Der Anteil der Menschen, die eine positve Grundeinstellung trotz Mängeln und Anzeichen von Chaos im öffentlichen Raum haben, scheint dennoch sehr hoch zu sein. Das kann vielleicht auch so bleiben, solange die Lebensbedingungen für fast alle, die sich mit der riesigen Stadt arrangieren wollen, erträglich bleiben (z.B. Mieten!).

Wenn es so (noch oder wieder) etwas wie ein typisches „Berliner Miljöh“ in diesem babylonischen Stadtgemisch geben sollte (?), dann müßte es sich in kulturellen Elementen zum Ausdruck bringen, vielleicht sogar zu einem Ausdruck drängen… Das kann aber sicher nicht in dem Angebot etablierter Sprech- oder Musik-Bühnen bestehen, die sich auf „internationalem Niveau“ bewegen – ebenso wenig in der Präsenz von „Sterne-Restaurants“! Hier ist – außer bei der Garderobenfrau – sicher nicht viel Berliner Lebensgefühl aufzuspüren… Ich habe auch große Zweifel, ob man die so viel gepriesene „Klub-Szene“ dazu zählen kann…

Ich bin noch nicht lange genug hier, um das nachhaltig beschreiben zu können. Ich will dem nachspüren und dabei werde ich hier in diese neue Rubrik „Stadt-Spitzen“ kleine Erlebnisse, Momente und Erkenntnisse erzählen, die für mich speziell Berliner Impressionen sind.

Berliner Stadt-Spitzen 1:

Es gibt zwei kreative literarische Phänomene, die nachweislich in den 1990er Jahren für Deutschland ihren Anfang hier in Berlin genommen haben:

  • Poetry Slam (Berlin 1994 Wolf Hogekamp)
  • Lesebühnen (Berlin 1989 ff: Mittwochsfazit/Salbader – Dr. Seltsams Frühschoppen)

Poetry Slam („Demokratisierter Literatur-Wettbewerb“ mit festen Regeln) entstand 1986 in Chicago – sprang schnell nach Europa und Japan über. Heute soll der deutschsprachige Sektor der weltweit größte sein mit derzeit lt. Wikipedia ca. 300 regelmäßigen Veranstaltungsreihen.

Im Gegensatz dazu ist die Veranstaltungsform der Lesebühne in Berlin entstanden und wohl weitgehend auf den deutschsprachigen Raum begrenzt. Hier hat der Gründungsort Berlin immer noch eine überwältigende Dominanz: in der Wikipedia-Liste der deitschen Lesebühnen stehen 40 in Berlin – mit München und Hannover mit je 4 auf dem nächsten Platz…

Auf Lesebühnen gibt es keinen Wettbewerb aber trotzdem individuelle, feste Regeln. Meist gibt es eine feste lokale Autorengruppe mit einem wechselnden Gast. Oft wöchentliche Termine (mit Sommer-/Winter-Pausen), manchmal mit der Regel, dass alle Texte neu/unveröffentlicht sein müssen.

Aus beiden Metiers sind über die Jahrzehnte auch schon überregional publizierende Autoren mit hohem Bekanntheitsgrad hervorgegangen wie zum Beispiel Horst Evers (Lesebühne Frühschoppen) oder Marc-Uwe Kling (Poetry Slam – dt. Meisterschaft 2006/07).

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 11. Dezember 2017