DU SOLLST NICHT TÖTEN !

Satanische Verse?

DU SOLLST NICHT TÖTEN !

– so steht es
in den Gesetzbüchern der Religionen
und Gesellschaften.

Hältst du dich daran?

„NATÜRLICH!“- sagen alle,

…die das ohnehin nie vor hatten
– oder einfach zu feige sind…? –
ohne zu merken, dass „natürlich“
fast die einzige Bekräftigung für diesen Sachverhalt ist die NICHT trifft!

…oder die einfach keine Gelegenheit dazu hatten!

Dort steht der Satz: wie in Stein gehauen.

Wo habt ihr die Gebrauchsanweisung dazu gefunden?

Steckte sie in einer Felsritze am Berg Sinai?

Gerade noch rechtzeitig gefunden, ehe
das viele Blut, das dort wie überall geflossen ist
sie unlesbar gemacht hätte?

Gut gemacht! Was steht darin?

„Du darfst nicht töten, ES SEI DENN….!

Die Menschheitsgeschichte
ist eine einzige Blutspur
von Kain und Abel
über die Nibelungen,
Kolonisationen und Inquisitionstribunale, totale Kriege

bis zu Nine-Eleven.

Ein einzelner
eherner
Satz
und
Myriaden von Gründen trotzdem zu

TÖTEN.

Vielleicht…
schmuggelte Mephisto
den Satz in das Gesetz
um seine Klientel daran zu erinnern:

„…ich könnte eigentlich mal wieder…!

Copyright 2009, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger

 

Bücher allein in fremden Wohnungen

Geschichten über Bücher und andere angeblich tote Gegenstände

(1)

Ich fand den Aufenthalt in fremden Wohnungen schon immer irgendwie aufregend – wohlgemerkt, wenn man sich dort alleine aufhält, ohne den Wohnungseigner..

Die ersten Male, wenn man das erfährt – vielleicht weil man beim Nachbarn die Blumen in dessen Urlaub gießt oder die Katze füttert – ist da eine starke Befangenheit, fast ein Kribbeln. Man bewegt sich nahe am Bruch eines Tabus, aber legitim – im Allerheiligsten, dem „Castle“ eines anderen Menschen.

Die Befangenheit kommt auch daher, dass man die Aura des Wohnungseigners innerhalb dessen vier eigenen Wänden gewissermaßen zu spüren meint.

Das hat mich immer veranlasst, die vereinbarten Hilfsdienste auf kürzestem Wege zu erledigen – ohne unnötiges Herumschweifen in diesem fremden Lebensraum, was isch als Verletzung einer Intimsphäre empfand. An der Entdeckung verstümmelter Leichen in Tiefkühltruhen bin ich nicht im geringsten interessiert.

Mit einer einzigen Ausnahme: offene Bücherregale ziehen mich unwiderstehlich an!

Das ist wie eine Sucht. Die Buchrücken durchzuschauen – natürlich ist auch dies eine unbestreitbare Form der Indiskretion. Obwohl es sicher sehr leichtfertig wäre, daraus allzu sichere Rückschlüsse auf den Wohnungseigentümer ziehen zu wollen.

Sind die Bücher ererbt, die Titel nicht selbst zusammengestellt? Reste einer früheren Lebensgemeinschaft? Hat der Bewohner sie überhaupt gelesen?

Über zwei bemerkenswerte Begegnungen mit Büchern in dieser Situation möchte ich hier berichten.

(2)

Da war ein Buch, das ich in der Wohnung meines Sohnes in Berlin auf dem Schreibtisch liegen sah – und natürlich sofort darin zu lesen begann:

Max Goldt : Der Karpfen auf dem Sims. (22 Prosatexte)

Ich schlage es auf: die erste Geschichte heißt „Mein Nachbar und der Zynismus“. Ich suche das Inhaltsverzeichnis auf: auch da finde ich keine Geschichte über den Karpfen auf dem Sims… Aha – toller Marketing-Gag, jetzt muss ich, selbst wenn mir die erste Geschichte nicht gefallen sollte, alle „Prosatexte“ lesen, wenn ich erfahren will, wie der Karpfen auf den Sims kommt oder was er da macht oder ob der Sims etwa innerhalb oder außerhalb eines Gebäudes ist oder ob der SIMS eigentlich etwas ganz Anderes, Neu-Angesagtes ist, so wie SMS oder ein Sams mit einer Email-Adresse!

Ich lese trotzdem die erste Geschichte. Dann schlage ich das Buch zu und stelle fest: das Buch hat seinen Titel verändert ! – es heißt jetzt:

„Der Krapfen auf dem Sims“ (immer noch 22 Prosatexte – aber auch ein Krapfen ist im Inhaltsverzeichnis nicht zu finden…)

Auf dem Titelbild ist eine sitzende Katze abgebildet (so eine Nordafrikanische mit großen dünnen Ohren und schmalem Gesicht…) Ihr Gesichtsausdruck ist undurchdringlich. Hat sie den Karpfen gefressen? Wie ist sie auf den Sims gekommen? Wer wird nun aber den Krapfen essen?

Die Katze wird es sicher nicht preisgeben.

Sonst hat sich anscheinend nichts verändert.

Aber vielleicht muss ich jetzt die Geschichte noch mal lesen und werde feststellen, dass sie jetzt ganz anders geht – oder anders endet.

Vielleicht werde ich dann nie mehr ein anderes Buch lesen können, weil die Geschichten in dem Buch, und dessen Titel, sich ständig ändern, wenn ich eine davon gelesen habe.

Das ist ein Verhalten der Wirklichkeit, das einem Physiker nicht wirklich fremd ist. Eine Literatur-Unschärferelation…

Der Untertitel wäre dann aber irreführend: es wären dann eigentlich unendlich viele Geschichten! Ein Anschlag auf mein zukünftiges Leben und auf die Buchindustrie: denn ich würde nie mehr ein anderes Buch brauchen … so wie es mal vor über 400 Jahren mit der Bibel war… Buch der Bücher…

Nur wenn das Buch durch das viele Lesen schließlich zerfallen wäre, müsste ich es wieder neu kaufen, wenn das überhaupt möglich wäre, da ja dann keiner mehr weiß, wie der Titel wirklich lautet. Vielleicht ist es aber auch egal, welchen Titel ich kaufe – alle Bücher sind sowieso immer nur dasselbe eine Buch mit unendlich vielen Geschichten….?

Mir wird schwindlig und ich lege das Buch zurück auf den Tisch. Dabei fällt mir auf, dass der untere Seitenanschnitt des Buches einen Stempelabdruck trägt:

„Preisred. Mängel-Exemplar“.

Aha!

(3)

Dem geerbten Kleiderschrank fehlt ein Fuß, der durch einen Stapel von Büchern ersetzt wird.

Ich nehme eines der Bücher aus den Stapel: der Kleiderschrank neigt sich sofort bedrohlich, als sei er von dem Wohnungsbesitzer mit der Rache gegen einen eventuellen Bücherdieb beauftragt, was er sehr ernst zu nehmen scheint!

Der Titel lautete: „Simplify your Life!“ Ich kannte das Buch schon…

Ich habe diesen Titel ursprünglich als Bedrohung empfunden (etwa wie: Erschießen Sie den Pianisten!) – bis ich hineingelesen hatte….

…und es bald wutschnaubend in die Ecke feuerte – wieder mal so eine tragisch-absichtliche Lesertäuschung durch den Verlag. Der Autor hatte es sicher mit dem ehrlich gemeinten Titel „Simplify my life!“ eingereicht: gemeint als aufrichtige Aufforderung an die potentiellen Käufer des Buches, für den Lebensunterhalt des Autors zu sorgen…!

Ein Zettel steckte in diesem Schrankstützen-Exemplar auf Seite 15 (soweit bin ich darin nie gekommen).

Auf dem Zettel stand:

– Butter

– Milch

– Zwieback

– Oliven

Es scheint, dass die Zettel in den Büchern mehr über den Wohnungsbesitzer aussagen als die Bücher selbst!

(Ich darf nicht vergessen, den Wohnungsbesitzer nach dem Rezept zu fragen – interessant!)

Copyright 2007, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger

Bücher finden und lesen

(Über die Bedeutung von Bücherschränken und Dachböden für ein Nachkriegs-Kind.)

Die Situation des Lesens ist hochgradig intim. Apostrophiert durch zwei Buchdeckel – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – leben Autor und Leser eine Weile im Blickkontakt und die Gedanken und Bilder zweier Menschen verweben sich miteinander auf unvorhersehbare und einmalige Weise.

Seltsamer Einfluss von Äußerlichkeiten und Haptischem auf das Lesegefühl: Deckelgestaltung, Schnitt, Papiergriff oder wie sich das Lesebändchen anfühlt – so es  das gibt…

Nicht nur, dass unterschiedliche Bilder und Welten aufsteigen, wenn jeweils zwei Menschen „Die Leiden des jungen Werther“ lesen… Selbst wenn ich dasselbe Buch vier Mal mit Jahren oder Jahrzehnten Abstand lese – entsteht jedes mal eine andere Welt im Kopf!

„Du schlägst nie zweimal dasselbe Buch auf!“

Das Verhältnis von Leser und Autor ist während dieser Begegnung, die prosaisch „Lesen“ genannt wird, so persönlich, dass es noch nicht einmal die Etikette verletzen kann, wenn der Leser auf dem Klo sitzt! Und Du, lieber Leser, hast keine Ahnung, wo ich dies gerade schreibe… lassen wir das.

Als Kind habe ich jedes Buch als etwas Mystisches empfunden – zumal jedes Buch, gemessen an meiner gerade erworbenen Lesegeschwindigkeit, eine unendliche Geschichte zu sein schien… Die Bücher meines Erfahrungshorizontes waren allerdings auch danach: nein, keine Bibeln!

Diese Bücher waren zumeist alt und standen im Bücherschrank meines Vaters, der sie auch schon alt gekauft hatte (oder ihnen „Asyl“ gegeben hatte – und „vergessen“ sie zurückzugeben…).

Und sie standen nicht willfährig in offenen, Staub anziehenden Regalen, sondern hinter Türen – mit Schlössern darin!

Und wenn man sie herausnahm und aufschlug, fand man unverständliche (oder gar unlesbare, da sütterlinsche) handschriftliche Einträge auf einem der säurevergilbten Vorsatzblätter – da steht etwa: „Gerda Beute, 1929“ in der Chronik der Sperlingsgasse (162. Auflage). Gruß an Gerda!

Bücher haben keine Beine und keine Flügel – allenfalls schwimmen könnten sie, was dem anschließenden Zwecke des Gelesenwerdens allerdings nicht besonders zuträglich ist. Sicher haben Bücher aber eine Seele. Deshalb brennen sie gut – und wenn sie keine Seele hätten, wäre es sinnlos, Bücher zu verbrennen… jedenfalls aus der Sicht der Brandstifter.

Was eine Seele hat – aber keine Beine – das will gefunden werden.

Und deshalb ist oder war das Finden der Bücher ein Mythos an sich… bevor man sich entschlossen hat, sie einfach „on-line“ zu bestellen.

Aber davor wurden die Bücher, die nicht im Bücherschrank meines Vaters standen, auf Dachböden  bei Großeltern und Tanten gefunden. (Wieso schreibe ich „Tanten“? Tatsächlich: es gab keine Onkel! Schicksal der ersten Weltkrieg-2-Nachkriegsgeneration… Allerdings – doch: einen Onkel gab es – damals wohl jünger als ich heute bin. War Kumpel gewesen im Harzer Bergbau und saß immer mit einer Decke über den Knien da und siechte (daher kein Soldat geworden) letal an der Staublunge dahin – ketten-rauchend in einem Luftkurort!

Diese „Dachbodenbücher“ waren das mystischste überhaupt.

Sicher ist Michael Endes Erfolg mit der „Unendlichen Geschichte“ auch mit der Auftakt- und Rahmenhandlung des Dachboden-Fundbuches zu verbinden – ein Schlüsselreiz für unsere Generation, und Bücher kommen zunächst schließlich durch die Hände von Erwachsenen in Kinderhände!

Man muss sich wirklich Gedanken über seine Enkel machen.

Welche Chance – verglichen mit einem seit Jahrzehnten fast unberührten Dachboden – hat man beim Surfen im Internet? Bleibt schließlich nur der „Dachbodenfund“ bei Ebay? Aber den bekommt man ohne den Dachboden geliefert – und ohne das „Finde-Erlebnis“…

Mindestens genauso prägend und mystisch wie der „Fund“ an sich waren da doch die Gerüche und visuellen Reize: ein schmaler Lichtstreifen hat den Weg zwischen zwei Dachpfannen ins Halbdunkel gefunden und lässt Myriaden von Staubpartikeln wie Spiralnebel kreisen – im Dachboden eines Fachwerkhauses, das unmittelbar nach dem 30-jährigen Krieg gebaut wurde …

Welches Kribbeln in der Magengrube!

Dort fand sich auch ein praktikabler Heimkurs für das Schreibmaschine-Schreiben… und praktischer weise stand die uralte aber intakte Remington direkt daneben! Diesem Umstand verdanke ich die Fähigkeit des 10-Finger Blindschreibens seit meiner Jugend.

Ein riesiger Stapel von Lore-Romanen sichert vierzehn Ferientage, abgetaucht in Trivial-Literatur. Danach hatte man nie wieder ein Defizit auf diesem Gebiet! Abgehakt!

Ein wundersamer Weise dort Jahrzehnte überdauerter, mehrere Stapel umfassender Bestand an Lichtfreunde-, FKK- und Erotik-Heften der Elterngeneration (schwarz-weiss-Fotos!) half wieder andere Defizite überwinden.

Hier fand und verschlang ich die ersten deutschen „Zukunfts-Romane“ von Hans Dominik, die schon damals keiner mehr kannte!

Das Chemielabor meines Vaters stand noch so eingerichtet da, wie der es zuletzt mit 17 oder 18 benutzt hatte.

Und dann der Sensationsfund: ein Weltkrieg-2-Stahlhelm, durchschlagen von einem Geschoss! Dieser erweist sich bei seinem Vorzeigen als Schlüssel zu bisher unerhörten Erzählungen des Vaters. Er hatte diese zertrümmerte, jetzt nutzlose Schutzausrüstung „aus dem Felde“ durch die Gefangenschaft bis nach Hause geschleppt, weil er damals nur deshalb noch lebte, weil er ihn nicht auf dem Kopf hatte, sondern am Koppel hängend, weshalb Kugel oder Granatsplitter ihm nicht die Gedärme durchfurchen konnte.

Aber zu schnell versiegte dieser Geschichten-Quell wieder. Die Kerle wollten oder konnten nichts vom Krieg (und der Nazi-Herrschaft) erzählen. Auch nicht der Vater-Großvater, der noch als Hufschmied dem Kaiser im 1. Waltkrieg „diente“, und für dieses Gewerbe an dessen Ende mit 43 Jahren schon alt war.

Nehmen wir einmal an, dass sie entweder uns oder sich selbst durch das Nicht-Erzählen schützen wollten … vermutlich doch eher sich selbst. Später hätte ich die Mauer des Schweigens sicher noch hartnäckig zu durchbrechen versucht – aber diese Chance wurde durch den frühen Tod des Vaters zunichte gemacht.

In meiner Kindheit und Jugend gab es nur zwei Gattungen überlebender Kriegsteilnehmer: diese Schweiger, zu denen Vater und Großvater gehörten, und jene, die ausschließlich vom Krieg erzählten. Die hatten danach nichts mehr erlebt – es war ihre „schönste Zeit“ im Leben.

Der Großvater sprach auch sonst fast nie oder wenig. Jedenfalls nicht über Politik und den Krieg. Auch nicht darüber, wie viel Vermögen ihn zwei Inflationen resp. Währungsreformen gekostet hatten. Möglicherweise hatte ihm, der zwei Weltkriege überlebte und schließlich mit 92 starb, der Verlust von Söhnen und Schwiegersöhnen den Mund verschlossen.

Blieben uns nur die Dachböden mit ihren rätselhaften Chiffren vergangener Existenzen und Zeiten.

Irgendwann sind dann (fast) alle Dachböden durchstöbert…

Diese Phase wurde für mich später abgelöst durch den Aufenthalt in Antiquariaten. Sind das die Dachböden unserer offiziellen Schriftkultur – auch wenn sie im angelsächsischen Bereich meist eher im Souterrain zu finden sind?

Die Stille, die einem durch das rascheln einzelner Buchseiten erst bewusst wird, und der Geruch der alten Bücher hat als Erlebnis Drogen-Status!

Und da stehen sie dann alle – Seele an Seele – die noch gefunden werden wollen…

 

Copyright 2006, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger

Ratgeber: Wie man sich einem Morgenmuffel nähert

Erhalten kleine Geschenke wirklich die Freundschaft?

So müssen sich die Entdecker ferner Länder gefühlt haben, wenn sie dort erstmals den einheimischen „Wilden“ begegnet sind:

Man geht einen – an sich lieben – Menschen wecken, der ein ausgeprägter Morgenmuffel ist.

Es ist weniger die Angst, es könnten einem Pantoffel oder Schlimmeres um die Ohren fliegen (vielleicht, weil man in einem Albtraum des Muffels in der letzten Nacht fremd gegangen ist oder andere Verbrechen begangen hat) …

…nein, es ist mehr die Erwartung des nackten Grauens als Mischung aus schlechter Laune, Klage über zu wenig Schlaf, ja – auch schlimme Träume! – und überhaupt nur übelste Erwartungen an den neuen Tag, die einem entgegen prallen und vorhersehbar den Tag total vermasseln wird.

Wenn sich der Morgenmuffel schließlich nach Ablassen aller Negativ-Emotionen aus dem Tal heraus gewälzt hat und am frühen Nachmittag langsam zur Höchstform aufläuft und zwitschert wie eine Heidenlerche, haben mich die Nachwirkungen des Erlebten bereits in tiefste Depressionen gestürzt … und außerdem bin ich jetzt hunde-müde!

Also was tun, um die morgendliche Stimmungs-Katastrophe abzumildern?

Wie im oben erwähnten Falle der Begegnung mit den Eingeborenen ist es sinnvoll, ein kleines Geschenk mit zu bringen!

Bewährt hat sich eine Tasse frisch gebrühten, duftenden Kaffees: das kann der Muffel gleich riechen auch wenn er um diese Tageszeit noch nichts sieht…

(Aber ja nicht die abgestandene Brühe kredenzen, die du dir um 6 Uhr gekocht hast, als du den Tag noch in vollen Zügen genießen konntest…)

Nachrichten über das Wetter sind jetzt klug abzuwägen!

Wenn es schon den dritten Tag hintereinander regnet, ist das jetzt keine Nachricht. Höchstens bei maulwurfartigen Existenzen könnte man fallen lassen, dass es draußen ganz wunderbar noch Gartenerde rieche.

Auch Meldungen über strahlenden Sonnenschein und blauen Himmel sind eher mit Vorsicht zu behandeln, da dieses Bild dem Muffel sein augenblickliches Elend noch drastischer vor Augen führt.

Bringt man die Tageszeitung mit, sollte man die vorher einscannen und problematische Artikel redaktionell bearbeitet und neu ausgedruckt haben!

Etwa:

– SPD jubelt: CDU verlor mehr Stimmen als sie selbst (natürlich ohne zu erwähnen von welchem Niveau der jeweilig Absturz erfolgte!)

oder:

– Klimakatastrophe für uns kein Thema! Merkel sagt: da gehen wir einfach nicht hin…

Wie bitte? In Ihrer Zeitung steht das schon so?

Bei allem guten Willen fragt man sich schon manchmal, wieso eigentlich in ehelichen und eheähnlichen Lebensgemeinschaften ausschließlich Morgen-Muffel und Morgen-Jubler aufeinander treffen?

Na gut – ich muss zugeben, dass ich nicht weiß, was passiert, wenn ein Morgen-Jubler auf jemanden trifft, der morgens noch bessere Laune hat, als er selbst!

Da könnte es durchaus Mechanismen geben, mit denen die Evolution solche Fälle längst völlig eliminiert hat…. oder?

 

Copyright 2009, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger

Tête à Tête mit Frau Jura…

(Motto: Mein nächster Level muss Kaffee sein!)

Ich liebe diese spätabendlichen Dialoge:

jetzt bräuchte ich eigentlich nur einen Kaffe – der Kaffeemaschine ist aber langweilig. Sie wünscht unterhalten zu werden.

Sie ist ein Vollautomat und heißt Frau Jura.

Soweit mir bekannt, bin ich der Einzige, mit dem sie ihr launiges Spiel treibt… soll ich mich geschmeichelt fühlen?

Als ich den roten Stand-by-Knopf drücke merke ich sofort, was los ist: anstatt „Heizt auf“ oder „Bereit“ sagt sie: „Tablette einwerfen“.

Ich erwidere:

– Frau Jura, ich nehme keine Medikamente und die einzige Droge, die mich gerade interessiert, sollen Sie mir jetzt liefern: einen guten, starken Kaffee. Das ist doch Ihre Spezialität, oder?

Das hätte ich nicht sagen sollen, denn Spitzen mag sie als Schweizerin gar nicht.

Also legt sie los:

– Kaffeesatz leeren!

Ich ahnte es schon: als ich die Kaffeesatz-Schublade aufziehe, blickt mich gähnende Leere an. Ich schließe sie wieder. Aber so billig komme ich nicht davon:

– Tablett reinigen!

kommandiert sie.

Ich ziehe das Tablett heraus: auch das ist blitze-blank. Kein Wunder, denn heute Nachmittag sah ich noch Herrn Reimann in der Küche stehen und es reinigen. Hat sie den etwa auch schon am Wickel?

Aber die einzige Chance, jetzt noch an einen Kaffee zu kommen, liegt darin, ihr zu Willen zu sein. Also tue ich es – und reinige das Tablett umständlich bis in den letzten Winkel.

Als ich es wieder einschiebe wird offenbar, dass auch Frau Jura – gelegentlich – Fehler macht, denn nun herrscht sie mich an:

– Kaffeesatz leeren!

– Das hatten wir schon, reklamiere ich und spüre dabei, dass ich Oberwasser bekomme und ich lege nach:

– Übrigens: als neulich jemand den Tresterbehälter mit dem Kaffeesatz zusammen in den Müll geworfen hat – wo war da Ihre Meldung „Der Tresterbehälter gehört nicht in den Müll!“ ?

Hatte ich sie jetzt etwas in die Enge getrieben? Jedenfalls meldete sie in sachlichem Ton „Reinigen“ – der weiße Knopf leuchtete auf… Ich drücke folgsam den Reinigungs-Knopf und mir schießt durchs Hirn: das ist doch ein abgekartetes Spiel.  Warum muss ich den Reinigungs-Knopf überhaupt drücken, wenn das Drücken des Reinigungs-Knopfes ohnehin die einzige mögliche Alternative – d.h. gar keine Alternative! – auf diese Meldung ist.

Als ob sie sich ertappt fühlt, verfällt sie jetzt in eine infantile Phase:

anstatt die Kaffeedüse zu reinigen, pullert sie im Inneren auf das frisch gereinigte Tablett und ordnet an:

– Tablett reinigen!

Irgendwie erinnert mich die Situation an die ersten Computerspiele meiner Kinder vor 20 Jahren: man musste eine ganz bestimmte Aktion wählen, um auf den nächsten Level zu kommen, wobei die Wahl meist nicht logisch zu erklären war.

Mein nächster Level musste nun KAFFEE heißen!

Frau Juras Vorwurf:

– Sie lieben mich nicht!

ignorierte ich nun kühn und drehte einfach das Wahlrad.

Und siehe da – sie bot mir an:

– mild-normal-stark-extra…

als ob nichts gewesen sei !

Sie servierte mir einen extra-starken Kaffee – und das kann sie wirklich gut!

Ich sagte:

– Frau Jura, sie machen den besten Kaffee der Welt!

und sie hauchte mit errötender Digitalschrift:

– Danke !

 

Copyright 2009, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger

Traum einer Schraube

Jede – auch noch so klitzekleine – Schraube hat einen großen Traum:

Einmal im Leben in einen Hosenaufschlag zu fallen!

Dabei ist dieser Wunsch bei den allerkleinsten Schrauben vielleicht noch viel dringender als bei den großen, deren Bedeutung sofort ins Auge springt – klar: die muss was halten, sehr eindrucksvoll…

Aber die kleinsten: sie bekommen ihre größte Bedeutung durch – Abwesenheit.

Schwupps – die zierliche M3-Schraube entkommt

dem grob-fingerigen Griff und fällt…..

Wohin?

Drei Techniker rutschen auf dem Bauch über den Werkstattboden:

es war die letzte ihrer Größe gewesen!

Wäre nicht das glückliche Kichern aus dem Hosenaufschlag gedrungen…

sie würden sie noch heute suchen!

 

Copyright 2009, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger