Das fängt ja gut an – 322 – perverser Machtmißbrauch

Was hat Helmut Kohl mit Harvey Weinstein zu tun? … Nichts!

Was hat die Causa Kohl („Bimbes – Schwarze Kassen“) mit der Causa Weinstein („#MeeToo“) zu tun? … Alles!

Vor vier Tagen schrieb ich hier meine Reaktion auf die Causa Kohl nach dem Film „Bimbes – Dies schwarzen Kassen des Helmut Kohl“ auf.                                                         ( https://der-brandenburger-tor.de/?p=4233)

Kurz darauf habe ich den ZEIT-Artikel vom 25.10.17 „Die Macht des Dinosauriers“ gelesen, in dem umfangreiche Erkenntnisse und Details zur Causa Weinstein berichtet werden.

Auch zu diesen Vorgängen habe ich vor einiger Zeit ( https://der-brandenburger-tor.de/?p=2171 ) bereits hier Vermutungen über gesellschaftliche Zusammenhänge formuliert, die darauf basierten, dass ja offensichtlich fast ALLES, was unter #MeeToo jetzt öffentlich an die Oberfläche kam, im Umfeld des Täters und der Opfer BEKANNT war! Ich schrieb:

In erheblichem Umfang saßen/sitzen große Gesellschaftskreise in der Sexismus-Falle und schützen im Normalfall den Täter und nicht die Opfer. Warum ist das so? Opportunismus? Doppelmoral? Faszination durch jene, die sich nicht an Moral und Gesetz halten „müssen“, weil sie Ruhm und Macht – dafür aber keine Hemmungen haben?“

Nach dem Studium des ZEIT-Artikels schoben sich für mich die Muster beider Vorgänge bei Kohl (Macht im Staate) und Weinstein (Macht im Beruf/Unternehmen) plötzlich passgenau übereinander: hier geht es wirklich um exakt dieselben Mechanismen im Teufelskreis von Macht und Abhängigkeiten!

Im ZEIT-Artikel war Bezug genommen auf ein bereits 1998 (fr.) bzw. 1999 (dt.) erschienenes Buch der Psychologin Marie-France Hirigoyen. Deutscher Titel: „Die Masken der Niedertracht“ (Untertitel: Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann). Ich habe mir das Buch sofort beschafft. Die Autorin dieser Studie kann die Vorgänge um Weinstein oder Kohl nicht gekannt haben – dennoch liest sie sich mit dem heutigen Wissen so, als ob sie genau über diese schreiben würde:

(Zitat Hirigoyen, Die Masken der Niedertracht)

… Die gesamte Gesellschaft ist betroffen, sobald es um die Macht geht. Von jeher gab es Menschen ohne Skrupel, berechnend, manipulierend, für die der Zweck die Mittel heiligt. Aber die gegenwärtige Häufung perverser Handlungen in Familien und Unternehmen ist ein Symptom des Individualismus, der unsere Gesellschaft beherrscht. In einem System, das nach dem Gesetz des Stärkeren, des Gerisseneren funktioniert, sind die Perversen Könige. Wenn der Erfolg der oberste Wert ist, erscheint Redlichkeit als Schwäche und Perversität als Gewitztheit.

… Zahlreiche leitende Persönlichkeiten und Staatsmänner, die doch Vorbilder für die Jugend sein sollten, scheren sich nicht um Moral, wenn es darum geht, sich einen Rivalen vom Halse zu schaffen oder sich an der Macht zu halten. So manche mißbrauchen ihre Vorrechte, wenden psychischen Druck an, berufen sich auf die Staatsräson oder die militärische Geheimhaltungspflicht, um ihr Privatleben abzuschirmen. Andere bereichern sich durch trickreiche Kriminalität: Unterschlagung gesellschaftlichen Vermögens, Betrug oder Steuerhinterziehung. Bestechung ist an der Tagesordnung. … Wird diese Perversion nicht deutlich angeprangert, breitet sie sich heimlich aus durch Einschüchterung, Angst und Manipulation. Denn um jemand psychisch zu vereinnahmen genügt es, ihn zum Lügen zu verführen oder zur Bloßstellung anderer, was ihn zum Komplizen des perversen Vorganges macht. Das ist die Grundlage des Funktionierens der Mafia oder der totalitären Regime.

Hirigoyen gezeichnet es als den „perversen Machtmißbrauch“ und die Täter als Perverse, weil sie reihenweise an sich neutrale gesellschaftliche Prozesse pervertieren. Dabei handelt es sich um völlig aus dem Ruder gelaufene Ergebnisse eines überbordenden Individualismus!

Diese Analyse bestätigte mich endgültig in der Auffassung, dass wir es bei den Fällen Kohl/Weinstein mit dem selben Phänomen zu tun haben: einem perversen Narzissmus! Man könnte ja auch eine fast unendliche Reihe von weiteren Fällen hinzufügen: Dominique Strauss-Kahn, Trump, Dieselskandal etc. …

Das wirklich Großartige an Hirigoyens Arbeit aber ist, dass sie es nicht mit der Analyse bewenden läßt: sie stellt auch Lösungs-/Heilungs-Möglichkeiten (für die Opfer) dar. Sie analysiert auch die Gesetzeslage in verschiedenen Ländern. Es wird Zeit, dass solche Stimmen ernster genommen werden.

Für mich ergibt sich derzeit das Bild, das das Prizip der „Compliance„, das ja eigentlich in Unternehmen und Staatsorganen die Erscheinungen wie Betrug, Bestechung und Gesetzesverstöße verhindern sollte, in einem starren, teilweise die Prozesse sogar lähmenden Formalismus versandet ist – aber in der heutigen Form den perversen Machtmißbrauch nicht stoppen kann.

Wir sollten uns also in der #MeeToo-Debatte nicht auf das Thema Sexismus alleine fokussieren! Wir brauchen einen Diskurs über perversen Machtmißbrauch in allen gesellschaftlichen Bereichen!

Aphorismus des Tages: „Die Ersetzung der Macht des Einzelnen durch die der Gemeinschaft ist der entscheidende kulturelle Schritt. Sein Wesen besteht darin, daß sich die Mitglieder der Gemeinschaft in ihren Befriedigungsmöglichkeiten beschränken, während der Einzelne solche Schranken nicht kannte.“ (Sigmud Freud, 1856 – 1939, österreichischer Neurologe und Erfinder der Psychoanalyse)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 9. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 331 – Achtet auf einander!

Sind wir alle TRUMPel-Tiere? Ist Mr. President vielleicht nur die Spitze des Eisberges?

Ich meine: da könnte was dran sein – und: ich bin mit dieserMeinung nicht allein.

Gestern veröffentlichte ein anderer Präsident, nämlich der von der Freien Universität in Berlin, Herr Peter-André Alt, eine Meinungs-Kolumne in der Berliner Zeitung zu diesem Thema: „Überall Narzissten.“ Er tut dies – wie immer – in einer klaren, nüchternen Spache mit präzisen Formulierungen. Obwohl er wahrscheinlich in seiner beruflichen Position weniger mit „normalen Menschen“ auf der Straße und in der S-Bahn zusammen kommt als Sie und ich, stellt er einen Hang zur absoluten Überhöhung der eigenen Ansprüche in der Gesellschaft fest. Zum Schluß ein bisschen pastoral… (Naja – er hat dafür sicher auch viel Kontakt mit den tausenden Studenten in seiner Uni… und deren Hirte ist er ja in gewisser Weise!)

Das Schlimme ist, dass sich alle, wie sie da durch den täglichen Trubel treiben, an dieses egozentrische Verhaltensschema GEWÖHNT haben. Wenn es eng wird, schalten die meisten auf einen „Nahkampf-Modus“ um (als ob sie eine Kampfmaschine in einer Konsole wären…)  Das kann man beobachten, wenn die Dinge einen Moment lang mal anders ablaufen als sonst. Dazu möchte ich nur zwei Erlebnisse berichten, die ich vorgestern in meinem Einzelhandels-Jagdrevier in Köpenick um das Forum herum hatte:

Ich kam mit der Tram vor dem Forum an. (Die katsatrophale Verkehrs-Situation dort ist mal einen eigenen Blog-Beitrag wert! Ein Beispiel für maximales städteplanerisches Versagen!) Die Tram hatte schon mal mehrere Stop-und-Go-Anläufe gebrauch, um sich in die Haltestelle zu schieben. Endstation – alle wollen raus. ich stand vor der breiten Falt-Tür in der ersten Reihe bereit – neben mir eine junge Frau mit Einkaufstüten. Als die Türen sich endlich öffnen, wird der Ausstieg halb versperrt von einem neben der Tram vor der Ampel wartenden Pkw. Ich springe hinunter und warte neben dem Auto und gebe der Frau neben mir ein Zeichen, dass sie durchgehen soll. Sie verharrt kurz und starrt mich an und sagt: „Das ist mir ja noch nie passiert!“ Anscheinend hatte sie fest damit gerechnet, dass ich brutal vorpreschen und sie ausbremsen würde.

Kurz danach ging ich an anderer Stelle durch eine schwere Schwingtür und hielt diese dem hinter mir gehenden älteren Mann, der sein gesamtes Hab und Gut in großen Tüten mit sich zu schleppen schien, diese Tür weit auf, damit er bequem durchgehen konnte. Dieser stoppte kurz und starrte mich verblüfft an (war er misstrauisch geworden, was ich wohl im Schilde führen mochte?) – ging dann aber wortlos weiter.

Zwei winzig-kleine Tages-Momente. Mein Verhalten ist aus meiner Perspektive das normalste überhaupt! Wenn es das für die anderen Bürger, deren Weg ich zufällig kreuzte, auch normal gewesen wäre, dann hätte jeder kurz genickt und ein bisschen gelächelt – ich habe hier anscheinen aber die „Norm“ verletzt und deshalb nicht einmal dieses leise Lächeln bekommen – schade.

Ich will also dasselbe sagen, wie der FU-Präsident: achten wir doch bitte auf unsere Mitbürger, die vor, neben oder hinter uns sind – und zeigen uns dann gegenseitig die Achtung, die jeder verdient.

Dann bekommen wir vielleicht im Lauf des Tages öfters mal wieder ein kleines Lächeln…

(Ich weiß – auch ein bisschen pastoral – Wort zum Donnerstag!)

Aphorismus des Tages: heute kein Aphorismus – obwohl es zum obigen Thema sicher hunderte gäbe – sondern die Aufklärung zur Fage, die ich gestern ankündigte, Wikipedia stellen zu wollen: woher kommt „ans Eingemachte“ gehen.

Dafür ist Wikipedia nicht zuständig. Es ist eine Redewendung – und dafür gibt es den Duden sowie eine Vielzahl anderer Sprüche Portale…

Nun ja: das ist in diesem Falle ganz einfach: man darf es eben wort-wörtlich nehmen! „Das Eingemachte“ sind die Konserven/Reserven, die man für den Winter, für schlechte Zeiten angelegt hat. Und wenn man in den Keller geht, um von der planmäßig angelegten Reserve zu leben – dann geht man eben ans „Eingemachte“.

Meine Mutter hat noch kräftig im Sommer und Herbst Obst und Gemüse eingemacht.

Eine meiner Tanten hatte sogar eine Dosen-Bördel-Maschine (die benutzten Dosen wurden nicht in den Müll geworfen sondern oben am Rand rundum abgeschnitten und dann noch mehrmals verwendet – wurden dabei natürlich immer kürzer! Dazu gab es an der Bördelmaschine eine zweite Vorrichtung, die die Dosen präzise rundum mit einem Rollmesser beschneiden konnte. Alle Nachbarn kamen dazu zu meiner Tante – für jede beschnittene/Verschlossene Dose bekam meine Tante ein paar Pfennige.)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 30. November 2017