Das fängt ja gut an – 242 – Die Herxheimer Hitler-Glocke

Eine Pfälzische Affäre – die Herxheimer Hitler-Glocke

Herxheim am Berg (800 Einw.) liegt auf der Höhe von Oggersheim-Ludwigshafen-Mannheim an der Pfälzer Weinstraße.

Nun ist das Dorf in aller Munde zum derzeit ohnehin sensiblen Thema „Erinnerungskultur“ – und ein Bürgermeister ist bereits darüber gestürzt (er sagte sinngemäß, dass nicht alles schlecht gewesen sei, was Hitler angestoßen habe …), der Nachfolger wurde angezeigt, weil er meinte, die Glocke solle als Mahnmal läuten, dass „nicht nur Juden Opfer gewesen seien, sondern auch viele Deutsche“ … (Harry Nutt: erneute Ausbürgerung der deutschen Juden im 21. Jh.)

Im letzten Jahr wurde bekannt, dass im Kirchturm seit 1934 eine sogenannte Hitler-Glocke hängt (Gravur: „Alles für’s Vaterland – Adolf Hitler“) – von der Gemeinde wenige Monate nach seiner Machtergreifung zu Ehren A.H.’s dort aufgehängt.

Der Gemeinderat bestätigte nun mit 10:3 Stimmen, dass die Glocke da hängen bleiben solle! Er lieferte auch einen kruden Beitrag zur Erinnerungskultur dazu.

Die Verwunderung bundesweit ist wohl deshalb so groß, weil die meisten die Pfälzer nicht richtig kennen – dabei wurden sie 16 Jahre lang von einem regiert: Helmut Kohl (aus dem keine 10 km entfernten Oggersheim) …

Hätte es irgendeine rechtliche Handhabe gegeben, dass eine Institution sagen hätte können „Hängt das Ding ab!“ – sie hätten die Glocke abgehängt. Aber so: „Die sagen wir sollen die Glock‘ abhängen! Das wollen wir nochmal sehen!“ Außerdem ist das nur eine noch von drei Hitler-Glocken bundesweit: wir sind berühmt!

Die Pfälzer sind als Völkchen zwischen Frankreich und Deutschland so oft hin und her geschubst worden – da regt sich eher mal Widerstand: egal worum es geht. Nun ja – ohne irgend jemanden persönlich zu kennen schließe ich aus den verbalen Auslassungen der lokalen Führungs-Persönlichkeiten, dass möglicherweise der liebe Gott zwar dort örtlich prächtige Rebstöcke gedeihen ließ, aber vergessen hat Hirn regnen zu lassen … was nicht gegen die Pfälzer im Allgemeinen gilt, die Unmengen großer Geister und wirklich lupenreiner Demokraten hervorgebracht haben (was letzteres nicht unbedingt für Helmut „Bimbes“ Kohl gilt – der aber soviel Selbsterkenntnis besaß, von der Gnade seiner späten Geburt zu sprechen).

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 28. Februar 2018

Nachtrag: Wenn sie geschäftstüchtige sein wollten, könnten die Herxheimer nun kleine Hitler-Glocken-Repliken im 3D-Druck herstellen lassen und an die zu erwartenden NPD/AfD-Pilgerer absetzen – als „Mahn-Souvenir“: innen wird die Mini-Glocke graviert: „Nicht nachmachen!“

 

Das fängt ja gut an – 252 – Heimat 3

Was ist Heimat?

… lassen wir uns das von Politikern erklären?

Jetzt aber im Ernst:

„Heimat“ ist erst einmal nur ein Wort. Oder eine Metapher.

Man kann das Wort mit beliebigen Inhalten füllen – was Heimat wirklich für jeden einzelnen von uns ist, das ist in uns selbst drin. Man braucht uns dazu eigentlich nicht zu belehren – vor allem Politiker nicht, die das Thema instrumentalisieren, um uns Inhalte zu vermitteln, die mit dem Thema gar nichts zu tun haben.

Repräsentiert Heimat einen Ort? Ist es Synonym für „zu Hause“, bayerisch: „Dahoam“? Oder ist es mehr als das? Synonym für Geburtsort? Verkörpert es Geschichte? Repräsentiert es Tatkraft und Gemeinschaft? Und was sind seine Symbole? Bauwerke? Bräuche? Schnelles Internet?

Ich kann das Wort mit Emotionen verbinden – oder eben mit Gerümpel anfüllen – wie ein „Heimatmuseum“, wo alles gleichzeitig weggesperrt und vorgezeigt wird, was man nicht mehr bei sich zu Hause haben will.

In der Biographie jedes einzelnen Menschen spielt die Heimat eine wechselhafte Rolle. Ein sehr typischer Verlauf ist der folgende: bis zum Alter von etwa 12/13 Jahren stellt die engere Umgebung eine traditionell beschützende und überschaubare Welt dar, die dem Erfahrungshorizont des Kindes angemessen ist. Danach will der Jugendliche seinen Horizont erweitern und hinausblicken in die „weite Welt“: daran hindert ihn jetzt das eng-begrenzte Nest, in dem er aufwuchs und Kräfte entwickelte. Er beginnt die Heimat als etwas zu hassen, das ihn beschränkt. In der Folge strebt der Mensch zur Volljährigkeit da hinaus – wenn ihm das gelingt, wird er seine in der Heimat (und Familie) gewonnenen Kräfte „draußen“ erproben. Rückblickend auf die Heimat wird (meistens) der Hass verschwinden und er wird sich vor allem lustig machen über diese kleine Welt dort. Hat der Mensch so um 35 schließlich sein Leben gefunden und eingerichtet, wird er wieder anfangen milde und wohlwollend auf den „Hort seiner Kindheit“ zurück zu blicken – oder auch nicht… denn es gibt Heimat-Räume, in denen so Schreckliches passiert ist, dass die rückwärts gewandte Verklärung nicht mehr möglich ist (entweder für den Einzelnen oder die Gesellschaft).

Eine solche Schreckens-Heimat kann nur durch rigorose „Aufarbeitung“ der Schrecken wieder neu errichtet werden. Das können aber nur die Menschen, die dort lebten oder noch leben – da kann kein Politiker helfen.

Das Wort „Heimat“ POLITISCH mit Emotionen aufzuladen ist entweder dumm oder verantwortungslos. Als nächstes wird dann das Wort „Vaterland“ für das Staatswesen eingeführt?

Indem ich das Etikett „Heimat“ auf gesetzgeberische, verwaltungstechnische oder wirtschaftliche Zusammenhänge und Inhalte klebe, ziele ich auf die Zustimmung bestimmter Wählerkreise. Bestenfalls klebe ich dabei das Etikett nur auf etwas, was ich pflichtschuldig SOWIESO tun sollte und muss – benutze also eine Leerformel (a = a) um Wählerstimmen zu binden. Dann klingt das so wie in das Motto, das das Ministerium MHKBG NRW dem Teilbereich „Heimat“ vorangestellt hat: „Nordrhein-Westfalen bietet uns allen eine lebenswerte Heimat im Herzen Europas. Weltoffenheit und Toleranz, Verantwortungsgefühl und Gemeinsinn schaffen einen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt – ob in den großen Städten oder in den ländlichen Regionen.“ Das geschah durch die neue CDU-geführte Regierung Laschet wohl weitgehend unbemerkt vom Rest der Republik außerhalb NRWs.

So wird sowohl in Bayern als auch NRW das „Heimat-Ressort“ angefüllt aus einem Sammelsurium von Zuständigkeiten, die es alle woanders schon gab. Und ein Minister macht es in Personalunion. Eigentlich Wurscht. Was mich stört: dieser Prozess des willkürlichen verwaltungstechnischen Umorganisieren bereits existierender Abläufe ändert nichts an der Sache – aber verursacht KOSTEN! Das ist mir als Staatsbürger und Steuerzahler ärgerlich – HEIMAT als teures politische ETIKETT!

Und das jetzt auch noch auf Bundesebene? Das Thema „Heimat“ ist wirklich auf allen drei Verwaltungsebenen (Kommune – Land – Bund) „auszuschlachten“? Bürger wehrt Euch gegen diese Verschwendung Eurer Steuern! (Ihr bezahlt hier den CSU-Wahlkampf LTW18 doppelt!!!)

Schlimmstenfalls wird das Wort Heimat für Ideologie mißbraucht – auch das liegt nahe, wenn ich es politisiere. Man sollte sich aber nicht wundern, wenn es dann in einem Sinne ausgeschlachtet wird, den man eigentlich nicht wollte  – nachdem man geholfen hatte es politisch „salonfähig“ zu machen: so sehe ich heute die AfD-ler süffisant grinsend neben der Debatte stehen, die CSU, CDU und Grüne über die „Heimat“ lostreten und jeder von ihnen mit seinen eigenen halsbrecherischen Floskeln füllt! Alle glauben, dass sie durch das „Besetzen des politischen Terrains Heimat“ den Ideologen den Wind aus den Segeln nehmen können. Ich befürchte aber, dass das Gegenteil eintreten wird: sie machen die Schlagworte salonfähig, die dann die rechtspopulistischen Ideologen für ihre Zwecke ausschlachten können!

Politische Stilblüte des Tages:

Ministerin Scharrenbach (Ministerium MHKBG NRW):

„Das Christentum ist keine ausgrenzende Religion. Unser Grundgesetz, das die Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von Glaube, Geschlecht und Ethnie verkündet, basiert fundamental auf dem Christentum. Daraus ergibt sich, dass wir auch Gotteshäuser anderer Konfessionen unterstützen. Unsere Stiftung Heimat empfiehlt als Sehenswürdigkeiten etwa den Hindu-Tempel in Hamm oder die Moschee in Duisburg. Die Heimat stiftenden Traditionen anderer nicht auszugrenzen, ist ein Bestandteil der christlichen Tradition.“ (Zitat aus einem Interview mit der WELT, 15.10.2017)

Kommentar der WELT hierzu: Ina Scharrenbach (CDU) ist ein klarer Kopf.

Wenn dies ein „klarer Kopf“ gesagt hat – dann gute Nacht, lieber Springer-Verlag! Also doch ein verkapptes Konfessions-Ministerium, evangelikal hinterfüttert?

Aber dazu demnächst mehr… das Thema läßt mich nicht los.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 18. Februar 2018

 

 

Das fängt ja gut an – 253 – Heimat 2

Was ist Heimat –

… und braucht man dafür ein Ministerium?

Angesichts der jetzt drohenden Schaffung eines „Heimatministeriums“ flammen überall Kommentare und Diskussionen auf: was ist eigentlich Heimat? Die Debattanten sind sich dabei keineswegs einig: selbst wenn man die Satiren und Glossen abzieht bleibt ein Sammelsurium von Deutungen übrig, das von verschwurbelt bis zu absurd und ratlos reicht.

Es scheinen aber nicht alle zu merken, dass sie sich hier mit einer Nonsens-Aktion der CSU einen Diskurs aufdrängen lassen, den wir nicht brauchen.

Die GroKo-Koalitionsverhandlungen nach der BTW17 waren extrem schwierig für alle Beteiligten. Deutschland hat – wie alle anderen Gesellschaften weltweit – eine Menge großer gegenwärtiger und in die Zukunft weisender Aufgabenstellungen!

Als alle Verhandler mit Streichhölzern zwischen den Augenliedern versuchten ihren Job zu machen, schälte Horst Seehofer erst Mandarinen und ging dann ins Bett, kam einige Stunden später erfrischt zurück und hatte die Lösung: mir egal was ihr da rein schreibt: ich bekomme das Heimatministerium – dann läuft die Landtagswahl in Bayern korrekt! (Warum bin ich immer versucht „Heimatmuseum“ zu schreiben?)

Und so kam es – Durchbruch dank Dadaismus

Wozu soll sich ein Seehofer über Wesentliches quälen – wozu werden alle die jungen, frischen Abgeordneten bezahlt, die noch was werden wollen – wenn wir es ihnen erlauben?

Es hätte aus Sicht dieser „jungen dynamischen“ Abgeordneten eher ein „Digitalisierungsministerium“ angestanden? Völliger Quark – wahltaktisch gesehen. Der Begriff „Digitalisierung“ macht Angst – so wie die Begriffe „Flüchtlinge“ oder „Ungleichheit“. HEIMAT – das ist was Schönes, Beruhigendes – da kann man sich einkuscheln. Das ist rückwärts-gewendet – die schönste Form des Populismus.

Sorry, dies ist eine bittere Glosse geworden – morgen WIRKLICH ein paar ernste Worte zu „Heimat“ aus meiner Sicht – ohne Politik. Es wird sich vermutlich herausstellen, dass Heimat dort ist, wo „Politik“ etwas ganz natürliches ist: eine Form des GEMEIN-SINNS.

Muss man sich nicht unbedingt kaputt machen lassen von Seehofer & Friends.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 17. Februar 2018

 

 

Das fängt ja gut an – 254 – Heimat 1

Danke für die Heimat! … oder doch lieber für Nix?

Ich habe mir das mit dem „Koalitionsvertrag“ noch einmal sehr genau durch den Kopf gehen lassen. Schon sehr frühzeitig hatte ich meine Präferenz für die Minderheitsregierung geäußert. Meine Argumente sind durch die Verhandlungen und ihr Ergebnis klar bestätigt worden. Wir hätten eine Stärkung unseres repräsentativ-demokratischen Systems sehr nötig gehabt – anstatt dessen wurde von wenigen Elite-Repräsentanten der eigentlichen Repräsentanten etwas aus-geschachert, das – wenn’s so käme – das Mammut-Parlament in den nächsten 3,5 Jahren bis zum nächsten Wahlkampf abzunicken hätte. Habe ich mir dafür die Mühe gemacht an einem herbstlichen Sonntagmorgen zur BTW17 ins Wahllokal zu schlappen?

Wenn man sich das zuvor beschriebene Bild deutlich macht, wird einem auch schlagartig klar, weshalb die Präsenz der Abgeordneten im „hohen Haus“ schon lange so extrem dürftig ist… Das ist kein Gag – diese Schlussfolgerung ist mir bitter ernst. Bedenke man, dass die Steigerung des Bundeshaushaltes (2017 = 327 Mrd. EUR) um 42 Mrd. (=ca. +13% !!!) damit „versprochen = beschlossen“ wäre, mehrheitlich abzunicken von 709 Abgeordneten. Wozu sollte ich als Abgeordneter dann noch in die Aussprache gehen. Der/die Fraktionsvorsitzende wird schon Bescheid sagen wer für die Abstimmung unbedingt gebraucht wird.

Was haben wir bekommen? Ein Paket von Versprechungen, Hoffnungen und Ankündigungen, das die Chef-Verhandler kurzfristig jetzt (Mitgliederentscheid) und in den nächsten 6 Monaten brauchen, um ihre Macht zu sichern (z.B. das Ergebnis der Bayer. Landtagswahl im Herbst 2018). Nicht enthalten ist in dem Konzept, was in den nächsten 3,5 Jahren wirklich passieren könnte – in Deutschland und weltweit.

Was haben wir konkret bekommen? Mehrausgaben im Etat von 42 Mrd. EUR – mit der Gießkanne verteilt, so dass in keinem einzigen Bereich ein „Durchbruch“ erreicht werden kann – sowie ein nagelneues Heimatministerium für die BRD

Danke – dann doch eher für nix.

Morgen dann bringe ich Vorschläge, was das „Heimatministerium“ (wenn es schon da sein würde) mir bringen sollte – außer der CSU die Landtagswahl zu gewinnen….

Einen Wunsch habe ich aber noch: ich möchte noch zu meinen Lebzeiten (also sputet Euch!) eine Legislaturperiode erleben, die ohne Koalitionsvertrag startet und in der das Parlament echt demokratisch aushandelt, was gemacht werden soll – 3,5 Jahre lang! Dann würden wir wieder wissen (oder auch nicht) was die repräsentative Demokratie wirklich leisten kann! Ich persönlich traue ihr viel zu.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 16. Februar 2018

 

Das fängt ja gut an – 256 – Schweben

Haben Sie schon einmal geschwebt?

(Ja, ich war auch unsicher – klingt komisch: es heißt „geschwebt haben“ (Duden), da ich den statisch-schwebenden Zustand meine … Wenn man irgendwohin schwebt, heißt das „sind geschwebt“, aber das meine ich hier nicht.)

Damit Sie diesen Text durchstehen: am Ende verrate ich eine Methode, mit der auch Sie in der Lage sind ein GEFÜHL zu erzeugen, als ob Ihr Körper schwebte – ohne Hilfsmittel und ohne Lizenzgebühr!

Wir sind alle ein „Opfer“ der Schwerkraft, die uns auf die Oberfläche des Planeten fesselt. Unser Körper hat ein kompliziertes globales System von Sensoren, die uns unsere Lage und Orientierung im Raum mitteilen sowie ohne Beteiligung bewusster Prozesse auch feststellt und meldet, ob diese Lage „stabil“ ist oder ob der Bewegungsapparat zur Korrektur der Lage tätig werden sollte – was auch weitgehend unbewusst abläuft.

Einen Astronauten würde ich die Frage selbstverständlich nicht stellen. Der schwebt permanent „am Arbeitsplatz“. Wir anderen müssen uns damit begnügen, vom 10m-Brett zu springen oder vom Turm in das Bungee-Seil… Oder man springe aus dem Flugzeug – am besten mit einem Fallschirm ausgerüstet … Letzteres habe ich noch nicht gemacht – tippe aber darauf, dass es wieder ein ganz anderes „Gefühl“ ist als das statisch-schwerelose Schweben, da die Aerodynamik-Kräfte der Luft bei hoher Geschwindigkeit im Fallen sich der Schwebeerfahrung wohl stark überlagern dürften.

Auch der Astronaut „fällt“ übrigens eigentlich mit der Raumstation um ihn herum im freien Fall zur Erde – nur durch die hohe Bahngeschwindigkeit beim Umkreisen der Erde wirkt eine gleich große Fliehkraft sowohl auf das Raumschiff als auch ihn, so dass er konstant in der „Schwebe“ bleibt … und er ruht relativ zum Raumschiff in der künstlichen Atmosphäre. Das ist grundsätzlich anders, wenn ich in 10.000 Metern Höhe im Flugzeug sitzend über der Erde zu „schweben“ scheine: denn hier schwebe nicht ICH, sondern ich sitze im Flugzeug. Nur das Flugzeug wird durch den aerodynamischen Strömungsauftrieb (der Ballon durch den Auftrieb der heißen Luft) „in der Schwebe“ gehalten – diese Kraft wirkt nur auf das Flugzeug, nicht auf meinen Körper. Also meldet mein Gesäß die Schwerkraft an mein Kognitions-System.

Wir alle können, da wir spezifisch ein kleines bisschen „leichter“ als Wasser sind, statisch schweben wenn wir ins Wasser steigen, auf dem Rücken liegen oder „schnorcheln“ (hohe Salzkonzentration steigert das Erlebnis…). Es ist aber nicht direkt vergleichbar mit dem Zustand des Astronauten, denn immer noch wirkt die Schwerkraft auf unsere inneren Organe, obwohl der gesamte Körper ruhend schwebt. Die Kraft, die uns im Wasser in der Schwebe hält, ist die Auftriebskraft (entsprechend dem Gewicht des Wassers, das wir verdrängen). Die Schwerkraft-Sensoren der Körperoberfläche sind „ausgetrickst“, da sich die Auftriebskraft auf die ganze Körperoberfläche verteilt. Die Wirkung dieses Schwebens auf unsere Sinne ist trotzdem bereits überwältigend – wenn ich die Wahl habe zwischen einem echten Weltraumflug für € 500.000,00 und einer halben Stunde Treiben auf dem konzentrieren Salz-Sole-See der Therme (für € 1,50 Aufpreis) wähle ich regelmäßig das letztere. Als ich erstmals aus dem Sole-Pool zurück kam, sagte meine Frau: „Du leuchtest ja!“

In den letzten beiden Abschnitten (Weltraum und „Totes Meer“) ging es um „scheinbares Schweben“ unseres menschlichen Körpers, das durch knallhart regierende physikalische Gesetze erklärbar ist. Beide beschriebenen Situationen sind aber durchaus potentiell lebensgefährlich: im Weltraum verständlicherweise durch einen enormen Technik-Aufwand für die Lebenserhaltung eines Menschen in einer absolut lebensfeindlichen Umgebung (das könnte auch mal versagen….), in der konzentrierten Salzlake ist darauf zu achten, dass diese Flüssigkeit keinesfalls in die Lunge gerät… meist bleibt es aber bei korrodierten Schmuckstücken und Uhren.

Nun komme ich zum Bereich des paranormalen Schwebens – der sogenannten  „Levitation“ – und zwar dem Bereich, in dem der Mensch angeblich über eigene „antigravitationale Fähigkeiten“ ohne Nutzung bekannter physikalischer Kräfte verfügt. (Nicht gemeint ist der Bereich der Illusionen und Zauberkunststücke des Unterhaltungs-Genres!)

Da die meisten von Ihnen – wie ich – leider noch nie Zeuge solch eines Ereignisses geworden sind, kann es sich per se nur um eine extrem selten auftretende Fähigkeit handeln. Daher sind wir alle auf Berichte angewiesen, die es über solche Personen und Erscheinungen in der Vergangenheit gibt.

Hier ist es nicht allzu verwunderlich, dass die vorhandenen Berichte überwiegend dem Bereich der Religionen entstammen. Lt. Wikipedia besitzt alleine die katholische Kirche hunderte Heilige mit Levitations-Fähigkeiten – allen voran der Hl. Guiseppe di Copertino, den man schon eher anbinden musste, damit er mal nicht entschwebte …

Aber auch die gesamte Christenheit huldigt einem Jesus, der seine Antigravitations-Fähigkeiten durch das Schreiten über das Wasser demonstrierte – nun ja: als Sohn Gottes eher kein Kunststück … (Der Glaube ermöglicht noch ganz andere Sachen!)

Im 19. Jahrhundert erregte ein nicht-religiös einzuordnender Fall sehr großes Aufsehen: Daniel Dunglas Home (1833–1886) schwebte regelmäßig herum und wurde wegen der behaupteten Psychokinese offensichtlich nie eines Betruges überführt. Wohl aber wurde er wegen seiner Geisterstimmen-Séancen wenigstens einmal wegen Betruges verurteilt.

Ich werde keinerlei Argumentation ausführen, wie der Mann (als einer von tausenden Illusionisten weltweit im 19. Jahrhundert!) das gemacht haben könnte. Ich finde das Erstaunlichste daran ist, dass es anscheinend so viele Menschen tatsächlich geglaubt haben. Unterhaltend war es ganz sicher …

Anstatt dessen möchte ich folgenden Gedanken darlegen:

Es ist eine attraktive Option, sich frei durch die Lüfte bewegen zu können. (Sie existiert auch in unserem Unter-Bewusstsein, denn wir haben wohl alle schon einmal geträumt, dass wir fliegen!)

Um diese Option auf Basis tierischer Entwicklungsstufen zu realisieren, hat sich „die Evolution“ der Mühe unterzogen, ultraleichte Tierkörper zu entwickeln und Flügel zu gestalten, um  den Insekten-, Vogel- und auch Säugetier-Körpern aerodynamischen Auftrieb zu verleihen, der sie zum Schweben und Fliegen befähigt. Das ist eine enorme evolutorische Anstrengung im Sinne von Leichtbau und Energie-Effizienz!

Gäbe es die postulierte (sehr attraktive!) physische Fähigkeit der sogenannten Psychokinese, was die Existenz einer Antigravitations-Kraft mit Hilfe des sog. „Willens“ (Seele?) bedingt, in einem plumpen, schweren Säugetier-Körper (plus Gehirn), so hätte sicher die Evolution über hunderte von Millionen Jahren daraus etwas gemacht … und dann stände es uns allen heute zur Verfügung. Ob das das Leben einfacher machen würde, wage ich zu bezweifeln! Der Satz „Ich schei…. auf dich“ bekäme jedenfalls eine ganz neue, konkrete Bedeutung!

Deswegen möchte ich auch nicht den merkwürdigen Zufall erörtern, dass alle, die berichtsmäßig der psychokinetischen Levitation fähig waren, von Beruf entweder Mönch oder Schausteller waren … Eigentlich schade: einem Luftfahrtingenieur hätte es die Möglichkeit gegeben, ohne Risiko für Leib und Leben Testflüge „schwerer als Luft“ durchzuführen (Pech für Lilienthal, dem es am Willen dazu nachweislich nicht gefehlt hat!).

Nun aber zur Einlösung meines oben gemachten Versprechens: ich berichte, wie ich in wachem Zustand die Empfindung herstelle, als ob mein eigener Körper in der Luft schwebt.

Bitte erwarten Sie nicht, dass das wie das Einschalten einer Glühlampe (oder LED) funktioniert. Es ist mehr wie das Feuer machen ohne Streichhölzer und Feuerzeug – aber weniger anstrengend: ich musste mich über Wochen an das endgültige Ergebnis herantasten – ohne allerdings vorher zu wissen, was mich da erwartete, also dass ich „schweben“ würde… Es war ein Zufallsfund – entdeckt bei meiner morgendlichen Gymnastik.

Ich würde das in die Kategorie der „absichtslosen Autosuggestion“ einstufen. Ich bin gespannt, was ein Kognitions-Wissenschaftler dazu sagen wird.

Also: ich liege auf dem Rücken und es ist die Ruheposition zwischen (teils anstrengenden) Gymnastik-Übungen: Rückenlage mit Beinen ausgestreckt eng nebeneinander. Ich lege beide flachen Hände (Innenseite nach unten) auf meine Hüften (dabei macht es keinen Unterschied ob eine der Hüften künstlich ist …), so dass die Mittelfinger genau in den Leisten liegen. Dann ziehe ich die Ellenbogen ca. 10 cm nach außen – die Oberarme ruhen jetzt entspannt mit den Ellenbogen auf der Unterlage, die nicht zu hart sein sollte, und die Hände liegen nun nur noch mit dem Eigengewicht auf den Hüften – alle Muskeln sind total entspannt. Sie spüren dieses Eigengewicht – die Sensoren Ihrer Haut melden es, aber sie drücken die Hand keinesfalls mit ihren Muskeln auf die Hüfte. Das ist wichtig und erfordert ein bisschen Übung.

Jetzt spüre ich praktisch sofort, dass die Fingerspitzen und bald auch die ganzen Finger warm und immer wärmer werden: dieser Zustand stellt sich ohne „Üben“ stets praktisch unmittelbar ein und ich empfinde ihn als angenehm und er entspannt mich noch weiter.

Jetzt „absichtslos“ so liegen bleiben – die Gedanken treiben lassen oder an nichts denken (was schwierig ist). Nachdem ich eine Weile „dahin getrieben bin“ stelle ich überrascht fest, dass ich die Kontaktfläche zwischen den Händen und der Hüfte nicht mehr spüre. Ich nehme meine Körperoberfläche jetzt so wahr, als ob die Hände „angewachsen“ wären: statt dem Kontakt Hand-Hüfte spüre ich nur noch die Oberfläche des Handrückens – ich kann das so visualisieren, als seien jetzt meine Arme wie der Henkel einer Tasse… Es ist sehr angenehm, und ich käme jetzt nicht auf die Idee, die Hände von den Hüften wegzunehmen – da gibt es ja keine Trenn-stelle mehr! Das ist zusammengewachsen!

Dieser Zustand ist von mir schon sehr bald, ohne eine Absicht, erreicht worden und stellt sich immer etwa binnen etwa einer halben Minute ein. Wegen des Bildes vom „Anwachsen“ der Hände, nenne ich die Übung bis hierher „Kurzschluss“. Die Kontakt-Sensoren von Handinnenseiten und Hüften melden meinem Bewusstsein NICHTS mehr.

Aus dieser Situation lasse ich mich weiter treiben. Ab und zu schlafe ich dann aber auch wieder ein … Normalerweise beende ich die Übung dann nach gefühlt ca. 2 Minuten und mache weiter in meinem Gymnastikprogramm.

Nach einigen Monaten Praxis damit, erlebte ich dann aber schließlich, dass die Kontakt-Sensorik meiner gesamten Körper-Rückseite keinen Kontakt mehr meldete – und nun stellte sich das Gefühl des freien Schwebens für den gesamten Körper ein. Das ist einfach großartig. Ich kann es jederzeit beenden – und kehre  tiefen-entspannt zurück. Keinesfalls aber „denke“ ich dabei: „Na hoffentlich schwebe ich bald!“… dann funktioniert es sicher nicht.

Das geht nicht unbedingt jeden Tag – aber immer öfter.

Probieren Sie es aus – ich gebe allerdings eine Garantie nur für die erste Stufe, den „Kurzschluss“ …

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 15. Februar 2018

 

 

 

 

Das fängt ja gut an – 255 – Offener Brief an Dieter Nuhr (Alice Salomon Hochschule (4))

Brief an Herrn Nuhr

Betr.: Alice Salomon Hochschule – Avenidas

Lieber Herr Nuhr!

Ich komme zurück auf die letzte Sendung von „Nuhr im Ersten“. Das ist doch schön, oder? Jetzt wissen Sie definitiv, dass es wenigstens einer gesehen hat – ja, und meine Frau hat es auch gesehen… also schon zwei!

Wir sind „old-school“-Kabarett-Konsumenten… wir haben die „Insulaner“ noch im Radio gehört und sind zum Ruhestand extra nach Berlin gezogen, um uns mal „zufällig mitten aufm Kurfürsten Damm zu treffen“. Und meine Frau hadert heute noch damit, dass sie bei Dieter Hildebrandt (MLuSG) im Aegi-Theater in Hannover eingeschlafen ist, weil wir sie vorher den ganzen Tag über die Luftfahrtschau geschleift hatten…. das muss 1969 gewesen sein. Aber ich schweife ab!

Was mich bekümmert ist, dass auch mit der schier unfassbaren Masse der derzeitigen Kabarett- & Comedy-Welle die Welt nicht besser wird, aber sogar manche Staaten extra Kabarett-kompatible Präsidenten einstellen, damit das Land auch ja 365 Tage im Jahr „on air“ ist! (Ich geb zu, dass mir da die USA vorschwebten, aber Türkei und Polen holen kräftig auf…)

Was wollte ich noch? Ach ja ihre letzte Sendung. Und ja: der Anlass ist ERNST:

Ich sah sofort, was jetzt kommen würde: das Bild von der ASH-Fassade taucht auf – mit dem Gedicht Avenidas.

Alle – aber auch alle haben es schon gebracht: nachdem alle regionalen und überregionalen Medien es seit Monaten durch hatten (überregional durch die FAZ am 29.8.2017 losgetreten), kulturelle Institutionen mit hoher Autorität auf die ASH eingedroschen haben (PEN, Grütters) rollte die Nummer nun durch alle kabarettistischen Sendeplätze (Welke – Ehring …) und jetzt ganz zum Schluß auch noch NUHR! Und alle haben ganz offensichtlich NICHT wirklich selbst recherchiert – nur nachgeplappert was alle-alle als Urteil gefällt haben: „doofe Studentinnen maßen sich das Urteil des Sexismus gegen hohe Kunst und unverdächtige Lyrik an“.

Und jetzt Dieter Nuhr! Der hoch-geschätzte originelle – der die Dinge oft aus einem neuen Blickwinkel betrachtet. Wird er originell sein? Hat ER recherchiert?

Die Antwort: NEIN!

Ich hörte es schon daran, wie sie den Namen „Alice Salomon Hochschule“ zelebriert haben – hier wird ein scharfrichterliches Urteil a la Nuhr folgen. Und sie machten kurzen Prozess. Wissen Sie, wie viele „Nachdichtungen“ der „Avenidas“ es aus diesem Anlass schon gegeben hat? – und ihre war echt nicht die witzigste…. Und Sie setzen noch eins drauf und bringen den Zusammenhang mit #MeeToo ! Das Begehren des ASH-ASTA ist aber vom Frühjahr 2016! Kurz: ich war sehr-sehr enttäuscht.

Da sitzt nun Herr Nuhr, der Scharfsinnige, der Anti-Mainstream-Nuhr auf einem Ross mit Bild-Zeitung, PEN-Vorsitzendem (Zensur!), Monika Grütters (Freiheit-der-Kunst!) und hinter all den Nachbetern ganz hinten noch er – als vorläufig letzter… Nuhr als Epigone von Bildzeitung und Grütters… ich fasse es nicht.

Ja, die Bild-Zeitung sitzt ganz vorne auf dem Ross mit einer Meisterleistung der Recherchen-Kunst, nachdem die FAZ schon wunderbar vorgelegt hatte: durch ein Interview des Rektors der Hochschule (was so ist wie: Hans hat eine Fensterscheibe eingeschmissen – die nicht betroffene Nachbarin geht zu Hans‘ Eltern und fragt die, warum Hans das wohl getan hat? Der ASTA der ASH wurde nicht gefragt.) Der Rektor war derjenige, der (meines Wissens) ohne demokratischen Prozess das Gedicht an die Fassade gebracht hat.

Die Informationen, die ein objektiveres Bild der Sache ermöglichen, sind alle seit Oktober 2017 leicht zugänglich. Kurz nachdem am 28.08.17 der Shit-Storm gegen die ASH losbrach, hatte die ASH eine umfangreiche und detaillierte Dokumentation aller Publikationen im Zusammenhang mit dem Thema angelegt – und es erschien eine ausführliche und kluge Stellungnahme der Prorektorin der ASH, in der klargestellt wird, dass der ASTA dem Gedicht keinen Sexismus vorwirft.

Wissen Sie, was meine eigene Reaktion am 30.8.17 war, als ich von der Causa aus der Berliner Zeitung erfuhr? Ich dacht: „Geht’s noch? Das ist doch bestimmt eine <Trigger Warning>-Forderung unserer verzärtelten Hochschuljugend.“ Das Gedicht „Avenidas“ fand und finde ich sehr schön als solches. Und ich habe in die Tiefe gehend recherchiert, weil Trigger Warnigs ein Thema ist, das mich sehr berührt – und dies nun vor meiner Haustür! Dann habe ich das Thema eine Weile sacken lassen.

Mein Recherchen-Ergebnis: keine Trigger-Warnings, keine überzogene Political Correctness, keine Zensur, keine bedrohte Freiheit der Kunst… Es geht hier um einen KONTEXT.

Dazu habe ich in meinem Blog einen ersten Text veröffentlicht

Das fängt ja gut an – 306

Nachdem das Ergebnis des internen demokratischen Prozesses in der ASH vorlag einen zweiten Text:

Das fängt ja gut an – 274

Hiermit folgt nun meine dritte Stellungnahme in meinem Blog – dies ist ein offener Brief an Sie.

Falls Sie keine Lust haben, die Texte in meinem Blog zu lesen – hier eine Kurzfassung:

Um die Studierenden in der ASH zu verstehen, muss man sich in ihre Lage in die Hochschule hinein versetzen! Dort lernen sie um später überwiegend als Lehrer und Erzieher in der Gesellschaft eine wichtig Funktion auszuüben – und das kann ein tougher Job sein…. Die Studentinnen sehen sich nicht als die „Blumen“ und die auf dem Boulevard flanierenden Frauen, die dort gehen, um bewundert zu werden (was an sich in Ordnung gehen würde). Sie werden aus der ASH raus gehen und hoffen, dass sie da draussen respektiert werden für das, was sie individuell TUN, nicht als das was sie anonym SIND. Ihre Meinung ist: Das Gedicht aus dem Jahr 1951 eines heute 94-jährigen Dichters  passt im Kontext nicht an dieses Haus.

Nur durch den Perspektiv-Wechsel kann man dies erkennen. Das habe ich versucht und frage mich, warum NIEMAND sonst sich diese Mühe gemacht hat (Frau Grütters zum Beispiel hat ihren Amtssitz fast vor den Toren der Hochschule).

Nach all dem war ich zu der Meinung gelangt, dass das Begehren des ASH-ASTA legitim ist und ja auch demokratisch bestätigt wurde.

Sie haben hier mit einfachsten Mitteln Ihren Vorteil gesucht und geholfen, dem Ruf der ASH zu schaden.

Ich würde mich freuen, wenn ich Sie davon überzeugen konnte, dass Sie hier falsch lagen….

Ich finde wohlmeinende Bürger sollten sich überlegen, wie der Schaden repariert werden kann.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 16. Februar 2018

 

 

Das fängt ja gut an – 257 – Polen

Polen – die hohe Kunst der Politik ist gefordert!

… aber ein toter Esel als Außenminister?

Polen ist aus deutscher Sicht ein politisches Sorgenkind unserer Tage:

es gibt zwei politische Konfliktzonen:

– Polen – Deutschland und

– Polen – Europäische Union.

Da beide Länder ja EU-Mitglieder sind, überlagern sich beide Konflikte!

Polen gehört geographisch zu Mitteleuropa, zählte vor 1989 zu den Satellitenstaaten der Sowjetunion im Rahmen des Warschauer Paktes und hat sich nach 1989 nach Westeuropa orientiert. Es trat 1999 der NATO bei und wurde schon 2004 Mitglied der EU (sechstgrößtes Land bzgl. Bevölkerung mit knapp 38 Mio Einwohnern). Polen hat ein ausgeprägtes demographisches Problem. Die Bevölkerung könnte bis 2050 auf 33 Mio absinken mit entsprechend starkem Anstieg des Median-Alters. 2011 bezeichneten sich fast 96% der Bewohner als ethnische Polen – es gibt keine nennenswerte Zuwanderung – die ist auch von der derzeitigen Regierung nicht gewollt –  dagegen gibt es noch immer viel Auswanderung. Es sollen 20 Mio. Polen derzeit im Ausland leben…

Um Polen zu verstehen, ist es nicht nur sehr nützlich, seine ungewöhnliche Geschichte zu kennen – es ist unverzichtbar.

Polens Lage erwies sich über Jahrhunderte als existenziell schwierig in der Kontakt-Zone zunächst dreier (Österreich-Ungarn – Russland – Preussen) Machtzentren – gefolgt von Teilung und fast völliger Auslöschung am Ende des 18. Jh.

Nach der Neu-Gründung Polens 1918/19 wurde es aber nicht besser: Polen lag nun zwischen einem expansionshungrigen Deutschland und der riesigen Sowjetunion – was eine erneute Auslöschung im 2. Weltkrieg (Hitler-Stalin-Pakt) und auf der Landkarte verschobene Neugründung danach zur Folge hatte.

Eine der Folgen dieser ungewöhnlich unglücklichen Geschichte ist auch die verspätete Industrialisierung Polens!

Eine solche Geschichte ist eine große Hypothek – zumal dies begleitet war von Umsiedlungen, Vertreibungen, mehrfachen Massakern der Führungs- und Intelligenz-Schicht, Ermordung von ca. 5,75 Mio. Polen durch Nazis und dt. Wehrmacht sowie Massenmorden durch die sowjetische Armee am Ende des Krieges (Katyn).

Darüberhinaus ist es offensichtlich von Bedeutung, dass trotz ca. 45 Jahren kommunistischer Herrschaft und Beherrschung (durch die ehem. Sowjetunion) die Bevölkerung Polens auch heute noch zu 85% der katholischen Kirche angehört und diese zu mehr als der Hälfte auch praktizierende Katholiken sein sollen. Diese Situation scheint einen Konservativismus in der Lebenseinstellung und ein obrigkeitsorientiertes Denken einer Bevölkerungsmehrheit zu begünstigen.

Eine Besonderheit der polnischen Geschichte unmittelbar vor 1989 ist auch, dass dort mit der  Solidarnosc-Bewegung (Gewerkschaft) ein Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft bereits teil-legitimiert seit 1980 (Aufstand auf den Danziger Werften) schwelte. Diese nach der „Solidarität“ benannte Bewegung zerfiel allerdings sehr schnell nach dem Sturz des Kommunismus im Lande. (Von 10 Mio. Mitgliedern aus allen Schichten und Richtungen der Gesellschaft fiel die Mitgliederzahl der Gewerkschaft auf ca. 400.000). Solidarnoscs ist nach wie vor ein „Mythos“ in Polen, auf den sich merkwürdigerweise alle Politiker berufen, auch wenn sie in völlig unterschiedliche Richtungen streben. Tatsächlich sind alle heutige Parteien aus Solidarnosc hervorgegangen – wohl mit Ausnahme der kleinen kommunistischen Rest-Gruppe – aber es waren ja sogar ursprünglich 1 Mio. Mitglieder der Vereinigten Arbeiterpartei auch Mitglied bei Solidarnoc …

Es wurde auch die kommunistische Herrschaftszeit nach deren Ende möglicherweise nicht angemessen aufgearbeitet … mit Spätfolgen in der gegenwärtigen Situation. Von außen gesehen scheint sich in der polnischen Gesellschaft heute eine Vielzahl von Mikro-Konflikten aufzutürmen.

Von einem irgend gearteten gesellschaftlichen Konsens sind Bevölkerung und politische Eliten in Polen heute sehr weit entfernt. Die Bevölkerung ist gespalten und die etwas größere Hälfte unterstützt offensichtlich den rechtspopulistischen-nationalistischen Kurs der „PIS“ unter Kaczyński und ist an einem politisch liberalen Klima im Lande nicht interessiert. Und die Rechtspopulisten feuern die Spaltung nach Kräften an!

Aber es darf nicht übersehen werden, dass es einen sehr großen politisch liberal denkenden (und EU-freundlichen!) Bevölkerungsteil gibt!

Es ist schwer zu erkennen, wie diese Bevölkerungsgruppen miteinander versöhnt werden könnten. Die PIS agiert extrem aggressiv. Die aggressive außenpolitische Haltung gegenüber Deutschland und der EU ist allerdings vorwiegend massive Symbolpolitik aus innenpolitischen Zielen: „Seht wie unser armes geschundenes Land von Gegnern umzingelt ist: von der EU, die uns mit Fördergeldern überschüttet und dafür politische Korrektheit verlangt und mit der der Verräter Tusk paktiert, von Deutschland, das mit über 25% unseres Außenhandels ein Rückgrat unserer Wirtschaft ist aber dafür alles bestimmen will!“ (Ironie) Und dann die (in Polen nicht existenten) Flüchtlinge: Kaczyński soll (Zitat laut Wikipedia) diese Menschen als Träger von Krankheiten und Ungeziefer verunglimpft haben: wobei beides „diesen Menschen“ nicht schade … Töne, die in den Ohren eines Deutschen meiner Generation alarmierend klingen!

Ebenfalls Bestandteil dieser nach innen gerichteten Symbolpolitik ist das Eingehen auf den von Trump zum Nutzen der US-Wirtschaft eingefädelte Deal für das Patriot-Raketenabwehrsystem. Die Regierung will über 8 Mrd. für ein Raketenabwehrsystem („Patriot“) ausgeben, dessen Nutzen für Polen nicht zu erkennen ist (und an dessen Wirksamkeit große Zweifel bestehen….)! Das gefällt Präsident Trump sehr – und die polnische Regierung kann sich als Beschützer des Landes inszenieren.

Um mit Partnern wie Polen (+Ungarn + Tschechien) in Europa erfolgreich Außen- und Europapolitik aus deutscher Sicht zu gestalten, braucht es eine kluge und sensible – aber auch entschlossene! – Führung in der Außenpolitik, die im Kanzleramt natürlich gleichzeitig mit getragen werden muss. Aber das Außenamt ist als Schaltstelle des aufwändigen diplomatischen Corps eben das wichtigste Instrument, um fein abgestimmt und nicht immer im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu agieren, in dem meist eher recht einfach gestrickte „Symbolpolitik“ vorgeführt wird …

Daher meine These Nr. 1: der Außenminister und das Außenamt haben heute mehr denn je allergrößte Bedeutung und erfordern hohe Fähigkeiten der Verantwortlichen! Die Behauptung, man könne da auch einen toten Esel als Außenminister hinstellen, denn das würde keinen Unterschied machen, ist ziemlich schlechtes Kabarett – und schadet der Sache! Wir wollen frei leben und unsere Meinung jederzeit sagen – aber wir wollen auch klug regiert werden. Es ist ja Polen nur einer der delikaten Schauplätze um uns herum! Hinzu kommen Türkei und USA als weitere wirklich große Herausforderungen (mit dem nahen Osten und Nordkorea als ohnehin konstanten Groß-Krisen!).

These Nr. 2 ist aber: diese Politische Herausforderung, in der Polen nur ein Beispiel ist – aber ein wichtiges! – erfordert nicht nur Feingefühl – Samtpfoten sind hier völlig fehl am Platze! Die (28 – 3 Visegrad)-EU-Staaten müssen in diesen Themen entschlossen und bestimmt auftreten, ohne sich von den aufstrebenden Autokraten unnötig provozieren zu lassen. Aber halbstarke Vollmitglieder dürfen mit Vertragsverletzungen nicht durch kommen. Sonst würde die EU sich selbst demontieren.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 14. Februar 2018

 

 

 

 

 

 

 

 

Das fängt ja gut an – 258 – Generation IKEA

Die Welt aus der Sicht von IKEA

Man kann unsere Generation (Jahrgang 1945/46) alle möglichen Etiketten anheften: Nachkriegskind, 68er, Mikroprozessor-Halbstarke (nicht native) …

Ganz sicher sind wir aber auch die erste „Generation IKEA“ – aber nicht die, die nichts anderes kennt als IKEA-Möbel, sondern diejenige, für die IKEA seine Möbel erstmals und ursprünglich gemacht hatte. Wir trafen auf diese Möbel nicht von Säuglingsbeinen an, sondern im Alter um die 20 – als wir zu Hause auszogen und uns kostengünstig einrichten mussten. Das konnten wir da zweckmäßig und in einem Stil machen, mit dem wir uns demonstrativ vom Einrichtung-Stil unserer Eltern abgrenzten und außerdem für die Kosten einer früher üblichen Zimmereinrichtung eine ganze Wohnung einrichten konnten.

Nun ist das bereits eine halbes Jahrhundert her – und der Gründer dieser Firma ist vor wenigen Tagen gestorben. Rückblick auf ein „Kulturgut“ – eine Konsum-Revolution. Ich halte es durchaus für möglich, dass es heute ganze Kontinente gibt, auf denen es kein Haus ohne Billy- oder Ivar-Regale gibt! In bedeutenden Museen sind die Produkte ja schon längst angekommen.

Weltanschauung ist eine Sache des Standpunktes und der Erfahrung.

Versetzen wir uns in die Welt eines heute 12-jährigen. Er macht Reisen mit seiner Familie. Egal, wo er ankommt mit Auto, Bahn oder Flugzeug: als konstante Wegmarke wird dort der blau-gelbe IKEA-Tempel bereits da sein – als auffälliges kulturelles Baudenkmal! Alle Länder und Städte sind so aufgebaut, dass man an den Einfallstoren IKEA leicht findet: alle Autobahnen, Highways und Flughäfen sind so angelegt worden, dass sie direkt neben IKEA  liegen! Nur die Eisenbahn-Schienenwege sind viel älter, und so wusste man damals noch nicht, dass man die Bahnhöfe dort hätte bauen sollen – kann man ja noch ändern!

Dasselbe Erlebnis, wenn man das Möbelhaus betritt: die Anordnung der Waren und Wege ist überall gleich – egal ob in Berlin-Schönefeld, Chicago oder Shanghai… wie ein Naturgesetz. Kirchen sind nach dem gleichen Prinzip konstruiert! Der Gründer muss ein weiser Mann gewesen sein…

Was haben die Menschen eigentlich gemacht, ehe es IKEA gab? – fragt sich der 12-jährige IKEA-Native. (Kein Druckfehler – ich wollte nicht „Naive“ schreiben.)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 13. Februar 2018

 

 

 

 

 

Das fängt ja gut an – 260 – Kinobesuch: „ab 0 Jahre“

Das ist Körperverletzung!

… und Oma und Opa sind auch noch schuld!

Beginnen wir bei der löblichen Absicht: die jüngste Enkelin wird am nächsten Tag Geburtstag haben – die Großeltern sind aus Berlin in den Rhein-Neckar-Raum weit angereist. Damit die Mutter sich den Vorbereitungen ungestört widmen kann, hat die fachkundige Oma vorgeschlagen: „Wir gehen heute Nachmittag mit den beiden Mädels ins Kino.“ Die Mädels sind (fast) 7 und 9 Jahre alt.

Gesagt getan. Man macht sich auf den Weg zu dem Kinocenter mit 18 Kinosälen. Drei Filme „ab 0“ laufen zum besagten Zeitpunkt – die Großeltern hätten ja gerne „Paddington“ gesehen – den kennt die aufgeweckte Brut aber schon. Also bleiben wir bei den „geschrumpften Eltern“ hängen.

Die Großeltern waren sehr-sehr lange nicht mehr im Kino (dank beschaulichem Leben auf dem Lande – 50 km entfernt von jedem Mega-Kino in den letzten Jahrzehnten!). Frohgelaunt verkünde ich schon bei der Anfahrt, dass ich zu diesem Ereignis Popcorn „brauche“. Da ahnte ich noch nicht, dass die Vernichtung von überschüssigen Mais-Beständen in Form von Popcorn ja der eigentliche Zweck eines solchen Kino-Centers ist … Sobald man das Foyer betreten hat, ist das allerdings klar: das Foyer wird von Popcorn-Silos einer leistungsfähigen Verkaufsstelle beherrscht! Und tatsächlich haben wir mehr für Popcorn und Soft-Getränke gezahlt als für die Karten (die Großeltern kommen auch zum Kinder-Preis ins Kino – alles andere wäre wirtschaftlich sinnlos, denn die Finanziers müssen ja spendier-bereit bleiben!).

Oma spendiert also eine 2-Liter-Tüte Popcorn für uns vier (es gab auch 5-plus-Liter-Eimer…) und Getränke – und schon tauchen wir in die rote Plüsch-Hölle ein. Wir teilen uns mit einer anderen Familie eine mittlere Reihe – der Rest des Saales ist leer! Als wir später gehen, sehe ich, dass sich ganz oben noch eine Handvoll Leute eingefunden hatten.

Ein bisschen hatte ich mich schon gewundert: die Popcorn-Mengen konnten wir unmöglich direkt vor dem Film und innerhalb des 15-minütigen Werbevorspanns vertilgen: aber das laute Rascheln der Tüte und das krachende Kauen würde doch die Aufführung stören…? Da wusste ich eben noch nicht, dass DAS nicht unser Problem sein würde!

Der Vorhang geht auf: die wuchtige Sound-Anlage presst uns mit den ersten Tönen tief in die weichen Sessel. Ich spähe besorgt zu den Mädchen – ich kann bei denen aber keine panischen Fluchtreaktionen feststellen, wie sie in mir selbst aufkeimen. Meine Frau und ich sehen uns mit schmerzverzerrtem Gesicht an: naja wohl die Werbung? … ich stelle meine Hörgeräte um 3 Stufen herunter! Alles Folgende nahm ich also nur um -9 dB reduziert wahr, war aber am Ende völlig fertig. Die Ironie der Situation liegt darin, dass ich für den Geburtstag der jetzt Siebenjährigen einen Kopfhörer als Geschenk ausgesucht hatte – und wählte einen Kinder-Kopfhörer, der bei 85 dB abgeregelt wird, da die Gehöre der Kinder bei Belastungen darüber unwiederbringlich geschädigt werden!

Ich will es kurz machen: der Kino-Ton BLIEB währen der ganzen Filmes in der Lautstärke, die ich auf 95 bis 120 dB schätzte… in einem Film „ab 0 Jahre“.

Zum Film selbst werde ich hier nichts weiter sagen als den einen Satz, in dem der gesamte 90-minütige Inhalt vollständig zusammengefasst ist: eine Geister-und-Spuk-Kommödie im Milieu von 14-16-Jährigen im Stil eines Hochgeschwindigkeits-Action-Filmes. Als die Kids auf dem Dach der Schule in schwindelnder Höhe herumklettern, bemüßige ich mich, zu den Mädchen zu sagen: „Aber nicht nachmachen!“ und erntete einen Blick mit verdrehten Augen von der Älteren, der deutlich „Opa!“, sagte  …

Fazit: die Kinder und wir haben Unmengen von Popcorn gegessen – und dabei die Reihe eines Kinos im Stile einer Schneekanone zugemüllt! Es grenzt an ein Wunder, dass sich niemand übergeben musste …  Die Kinder waren 90 Minuten dem Geräusch eines startenden Jumbo-Jets ausgesetzt und ihren Gehirnen wurde eine aberwitzig-sinnlose Story vorgesetzt, die notdürftig von ein bisschen Dramaturgie zusammengeflickt war!

Aber wir hatten einen sehr schönen Ausflug mit den Enkel – getrübt von ein paar saftigen Schuldgefühlen der Großeltern …

Herbert Börger

Nachtrag: aber dies ist nun wirklich ernst gemeint – und sollte nicht durch den Stil der Glosse relativiert werden! Wirklich frech und ärgerlich ist die Platzierung von massiver Produkt-Werbung in diesem Film: es handelt sich im Grunde um einen sehr-sehr langen McDonald-Werbespot – im Gewand eines Kinder-Jugend-Film! Soweit ich dem Vorspann entnommen habe, wurde der Film auch von der Filmförderung mitfinanziert. Gibt es da gar keine Schamgrenze mehr?

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 11. Februar 2018

 

 

Das fängt ja gut an – 261 – SPD

Was ist nur mit meinen Jungs los? …

… ein Schundroman aus der Hauptstadt

Oben auf dem Dach des Willy-Brandt-Hauses: die in die Jahre gekommene Tante SPD sitzt auf dem Gitterträger, der wie das Rostrum einer römischen Galeere in den Hauptstadthimmel ragt, und kuschelt sich an die schlapp herunter hängende rote Fahne. Es war wieder so ein Tag, an dem es über Berlin kaum hell geworden war als schon wieder die ersten dämmerungsgeschalteten Lampen an gingen. Sie fror in ihrem kurz gewordenen 20,5%-Kittelchen. Eigentlich müsste sie ja längst wieder durch Straßen da unten streifen und sich den Menschen anbieten, aber das war augenblicklich sehr frustrierend: so ein junger Schnösel war da in den letzten Tagen aufgetaucht und hatte alle weg geangelt, die ihr möglichst noch den letzten Rest geben wollten – unerhört! Potentielle Wähler, die ihr wohl wollten, fand sie da unten gerade keine mehr…

Außerdem musste sie den Punkt hier oben auf den Dach des Hauses bewachen: denn Kultur-Moni schlich sicher gerade wieder mit einer Millionenspende für ein vergoldetes Kreuz durch die Stadt . Und dieses war eines der letzten säkularen Gebäude der Stadt, auf dem noch kein Kreuz prangte! Fröstelnd zerrte sie an ihrem immer kürzer werdenden Kittel

Schnitt: tief in den Katakomben des Willy-Brandt-Hauses!

Ein bärtiger Mann steht gebeugt vor einem winzig kleinen Waschbecken und wäscht sich seit geraumer Zeit die Hände. Er seift und schrubbt – und schrubbt und seift wieder! „Damit werde ich meine Ehre wieder herstellen“ murmelt er. Er blickt auf seine strahlend sauberen Hände, von denen das kristallklare Wasser abperlt. Er richtet sich auf und blickt in den Spiegel, über dem eine nackte Glühbirne herab hängt und ihn blendet. Er aber hat den Eindruck, dass es seine eigene Erscheinung ist, die ihn blendet. Sein Oberkörper strafft sich. „Damit werde ich wieder vor sie alle hin treten und verkünden, in welche Richtung ich nun gradlinig wie immer gehen werde. Damit will, nein, muss ich alle überzeugen. Großherzig gebe ich dieses größte aller Ämter, das mir anvertraut war, zurück und ziehe mich bescheiden auf die Güter des Außenministeriums zurück.“ Zufrieden und geradlinig blickt er in den Spiegel.

Da dreht sich rasselnd ein Schlüssel im Schloss – die schwere Tür hinter ihm öffnet sich knarzend, schwere Schritte nähern sich, ein riesiger Schatten fällt auf die Gestalt vor dem Spiegel und eine Stimme sagt: „Bist Du bereit? Du weisst ja, was Du zu sagen hast? Und keine Mätzchen!“ Der Mann vor dem Spiegel sackt in sich zusammen – und sagt mit tonloser Stimme: „Ja, Freund Gabriel…“ So hatte er sich das Ende seiner strahlend begonnenen Laufbahn nicht vorgestellt: ein einfacher Bundestagsabgeordneter… was würde Würselen von ihm denken? Und sein arbeitsloser Freund?

Schnitt: wieder auf dem Dach des Willy-Brandt-Hauses.

Das kurze Kittelchen der alternden Meinungsdirne SPD wird ständig kürzer. Sie versucht sich an Erinnerungen aus besseren Zeiten zu wärmen – aber die sind so lange her, davon gehen kaum noch wärmende Strahlen aus. Sie war nicht immer so dünn und ausgezehrt gewesen. Schon nicht mehr jung war sie doch noch eine füllige Schönheit gewesen. Aber in den letzten 30 Jahren ging alles schief. Natürlich war es dumm von ihr gewesen, etwas mit einem eigenen Kind anzufangen, dem ungestümen, damals schon regierungsunwilligen Buben Ernst – dem sie dann ein Kind gebar und das sie an ihrer einst so prallen Brust nährte und der – das undankbare Balg! – sie auszehrte und ihr den ersten entscheidenden Vitalitätsschwund beibrachte. Hatte sie damals versäumt ihren Kindern beizubringen, was Solidarität wirklich bedeutet? Vermutlich… Ja, und Anstand hatten die auch nicht mehr: kurze Zeit später vereinigte der Bankert sich mit einer heimatlos gewordenen aber eben sehr vermögenden Ost-Partei, die im Grunde eine Erbfeindin war, die ihr im Osten schon vorher einmal den Garaus gemacht hatte…

Und heute? Balgen sich die Jungs auf offener Straße, machen sich gegenseitig vergiftete Geschenke und verschieben Posten nach Gutsherren-Art.

„Was soll nur aus mir werden?“ murmelt die alte Frau auf dem Dach des Willy-Brandt-Hauses und schmiegt sich fröstelnd an den Fahnenmast, den sie fest entschlossen ist gegen Kultur-Moni zu verteidigen – ihre letzte Mission?

Herbert Börger

Der Brandenburger Tor, Berlin, 10. Februar 2018