Das fängt ja gut an – 257 – Polen

Polen – die hohe Kunst der Politik ist gefordert!

… aber ein toter Esel als Außenminister?

Polen ist aus deutscher Sicht ein politisches Sorgenkind unserer Tage:

es gibt zwei politische Konfliktzonen:

– Polen – Deutschland und

– Polen – Europäische Union.

Da beide Länder ja EU-Mitglieder sind, überlagern sich beide Konflikte!

Polen gehört geographisch zu Mitteleuropa, zählte vor 1989 zu den Satellitenstaaten der Sowjetunion im Rahmen des Warschauer Paktes und hat sich nach 1989 nach Westeuropa orientiert. Es trat 1999 der NATO bei und wurde schon 2004 Mitglied der EU (sechstgrößtes Land bzgl. Bevölkerung mit knapp 38 Mio Einwohnern). Polen hat ein ausgeprägtes demographisches Problem. Die Bevölkerung könnte bis 2050 auf 33 Mio absinken mit entsprechend starkem Anstieg des Median-Alters. 2011 bezeichneten sich fast 96% der Bewohner als ethnische Polen – es gibt keine nennenswerte Zuwanderung – die ist auch von der derzeitigen Regierung nicht gewollt –  dagegen gibt es noch immer viel Auswanderung. Es sollen 20 Mio. Polen derzeit im Ausland leben…

Um Polen zu verstehen, ist es nicht nur sehr nützlich, seine ungewöhnliche Geschichte zu kennen – es ist unverzichtbar.

Polens Lage erwies sich über Jahrhunderte als existenziell schwierig in der Kontakt-Zone zunächst dreier (Österreich-Ungarn – Russland – Preussen) Machtzentren – gefolgt von Teilung und fast völliger Auslöschung am Ende des 18. Jh.

Nach der Neu-Gründung Polens 1918/19 wurde es aber nicht besser: Polen lag nun zwischen einem expansionshungrigen Deutschland und der riesigen Sowjetunion – was eine erneute Auslöschung im 2. Weltkrieg (Hitler-Stalin-Pakt) und auf der Landkarte verschobene Neugründung danach zur Folge hatte.

Eine der Folgen dieser ungewöhnlich unglücklichen Geschichte ist auch die verspätete Industrialisierung Polens!

Eine solche Geschichte ist eine große Hypothek – zumal dies begleitet war von Umsiedlungen, Vertreibungen, mehrfachen Massakern der Führungs- und Intelligenz-Schicht, Ermordung von ca. 5,75 Mio. Polen durch Nazis und dt. Wehrmacht sowie Massenmorden durch die sowjetische Armee am Ende des Krieges (Katyn).

Darüberhinaus ist es offensichtlich von Bedeutung, dass trotz ca. 45 Jahren kommunistischer Herrschaft und Beherrschung (durch die ehem. Sowjetunion) die Bevölkerung Polens auch heute noch zu 85% der katholischen Kirche angehört und diese zu mehr als der Hälfte auch praktizierende Katholiken sein sollen. Diese Situation scheint einen Konservativismus in der Lebenseinstellung und ein obrigkeitsorientiertes Denken einer Bevölkerungsmehrheit zu begünstigen.

Eine Besonderheit der polnischen Geschichte unmittelbar vor 1989 ist auch, dass dort mit der  Solidarnosc-Bewegung (Gewerkschaft) ein Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft bereits teil-legitimiert seit 1980 (Aufstand auf den Danziger Werften) schwelte. Diese nach der „Solidarität“ benannte Bewegung zerfiel allerdings sehr schnell nach dem Sturz des Kommunismus im Lande. (Von 10 Mio. Mitgliedern aus allen Schichten und Richtungen der Gesellschaft fiel die Mitgliederzahl der Gewerkschaft auf ca. 400.000). Solidarnoscs ist nach wie vor ein „Mythos“ in Polen, auf den sich merkwürdigerweise alle Politiker berufen, auch wenn sie in völlig unterschiedliche Richtungen streben. Tatsächlich sind alle heutige Parteien aus Solidarnosc hervorgegangen – wohl mit Ausnahme der kleinen kommunistischen Rest-Gruppe – aber es waren ja sogar ursprünglich 1 Mio. Mitglieder der Vereinigten Arbeiterpartei auch Mitglied bei Solidarnoc …

Es wurde auch die kommunistische Herrschaftszeit nach deren Ende möglicherweise nicht angemessen aufgearbeitet … mit Spätfolgen in der gegenwärtigen Situation. Von außen gesehen scheint sich in der polnischen Gesellschaft heute eine Vielzahl von Mikro-Konflikten aufzutürmen.

Von einem irgend gearteten gesellschaftlichen Konsens sind Bevölkerung und politische Eliten in Polen heute sehr weit entfernt. Die Bevölkerung ist gespalten und die etwas größere Hälfte unterstützt offensichtlich den rechtspopulistischen-nationalistischen Kurs der „PIS“ unter Kaczyński und ist an einem politisch liberalen Klima im Lande nicht interessiert. Und die Rechtspopulisten feuern die Spaltung nach Kräften an!

Aber es darf nicht übersehen werden, dass es einen sehr großen politisch liberal denkenden (und EU-freundlichen!) Bevölkerungsteil gibt!

Es ist schwer zu erkennen, wie diese Bevölkerungsgruppen miteinander versöhnt werden könnten. Die PIS agiert extrem aggressiv. Die aggressive außenpolitische Haltung gegenüber Deutschland und der EU ist allerdings vorwiegend massive Symbolpolitik aus innenpolitischen Zielen: „Seht wie unser armes geschundenes Land von Gegnern umzingelt ist: von der EU, die uns mit Fördergeldern überschüttet und dafür politische Korrektheit verlangt und mit der der Verräter Tusk paktiert, von Deutschland, das mit über 25% unseres Außenhandels ein Rückgrat unserer Wirtschaft ist aber dafür alles bestimmen will!“ (Ironie) Und dann die (in Polen nicht existenten) Flüchtlinge: Kaczyński soll (Zitat laut Wikipedia) diese Menschen als Träger von Krankheiten und Ungeziefer verunglimpft haben: wobei beides „diesen Menschen“ nicht schade … Töne, die in den Ohren eines Deutschen meiner Generation alarmierend klingen!

Ebenfalls Bestandteil dieser nach innen gerichteten Symbolpolitik ist das Eingehen auf den von Trump zum Nutzen der US-Wirtschaft eingefädelte Deal für das Patriot-Raketenabwehrsystem. Die Regierung will über 8 Mrd. für ein Raketenabwehrsystem („Patriot“) ausgeben, dessen Nutzen für Polen nicht zu erkennen ist (und an dessen Wirksamkeit große Zweifel bestehen….)! Das gefällt Präsident Trump sehr – und die polnische Regierung kann sich als Beschützer des Landes inszenieren.

Um mit Partnern wie Polen (+Ungarn + Tschechien) in Europa erfolgreich Außen- und Europapolitik aus deutscher Sicht zu gestalten, braucht es eine kluge und sensible – aber auch entschlossene! – Führung in der Außenpolitik, die im Kanzleramt natürlich gleichzeitig mit getragen werden muss. Aber das Außenamt ist als Schaltstelle des aufwändigen diplomatischen Corps eben das wichtigste Instrument, um fein abgestimmt und nicht immer im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu agieren, in dem meist eher recht einfach gestrickte „Symbolpolitik“ vorgeführt wird …

Daher meine These Nr. 1: der Außenminister und das Außenamt haben heute mehr denn je allergrößte Bedeutung und erfordern hohe Fähigkeiten der Verantwortlichen! Die Behauptung, man könne da auch einen toten Esel als Außenminister hinstellen, denn das würde keinen Unterschied machen, ist ziemlich schlechtes Kabarett – und schadet der Sache! Wir wollen frei leben und unsere Meinung jederzeit sagen – aber wir wollen auch klug regiert werden. Es ist ja Polen nur einer der delikaten Schauplätze um uns herum! Hinzu kommen Türkei und USA als weitere wirklich große Herausforderungen (mit dem nahen Osten und Nordkorea als ohnehin konstanten Groß-Krisen!).

These Nr. 2 ist aber: diese Politische Herausforderung, in der Polen nur ein Beispiel ist – aber ein wichtiges! – erfordert nicht nur Feingefühl – Samtpfoten sind hier völlig fehl am Platze! Die (28 – 3 Visegrad)-EU-Staaten müssen in diesen Themen entschlossen und bestimmt auftreten, ohne sich von den aufstrebenden Autokraten unnötig provozieren zu lassen. Aber halbstarke Vollmitglieder dürfen mit Vertragsverletzungen nicht durch kommen. Sonst würde die EU sich selbst demontieren.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 14. Februar 2018