Die tägliche Kolumne – 16 – Die Annahme des besten Falles …

… als Grundlage des Bundeshaushaltes wirkt nicht vertrauensbildend.

Wenn der Kanzler nach der Niederlage vor dem Verfassungsgericht sinngemäß verkündet:

„Wir sind anderer Meinung – aber wir werden uns netterweise dran halten.“

… dann müssen wir ihn daran erinnern, dass Deutschland sonst kein Rechtsstaat wäre.

Das eigentlich (das Vertrauen) Erschütternde ist aber eben die offensichtliche Tatsache, dass die Regierung keinen echten „Plan B“ in der Schublade liegen hatte! Man tritt wie ertappte Schüler vor die Öffentlichkeit und nicht wie eine professionell und entschlossen handelnde Regierung.

Die Regierung verläßt sich blind auf das Eintreten des besten Falles (siehe: Das fängt ja gut an – 313 – Annahme des besten Falles. Die Kölner sagen „Es ist doch noch immer gut gegangen!“ – an diesem Debakel sind sie aber ausnahmsweise nicht schuld …) und mir fällt leider in der Kürze auch nichts ein, was Gutes an der Schlechten Situation sein könnte … außer dass grundloser Optimismus zukünftig weniger beliebt wird – und nicht nur beim Haushalt. Die schwierige demografische Entwicklung und die Klimakrise rollen sichtbar seit 50-60 Jahren auf uns zu – und alle Regierungen scheinen auf ein Wunder zu hoffen.

Herr Scholz: als wir gestern abend zur Tram gingen dräute eine riesige Schwarze Wolkenwand in Richtung unserer geplanten Fahrt. Da hatten wir einen Regenschirm dabei und – wir haben ihn dann in diesem Falle doch nicht gebraucht …

Nun ja – das Verfassungsgericht beschimpft man wohl besser nicht, höchstens die Schuldenbremse … ein bisschen. Aber die hat man ja selbst in die Verfassung geschrieben. Da muss dann jetzt das Klima warten und die Wirtschaft selber mit der Transformation zurecht kommen.

Wenn dies eine Glosse wäre, würde ich jetzt schreiben: das Gehalt des Bundeskanzlers sollte deutlich erhöht werden, denn er macht jetzt den Job der Opposition und der Klimakleber gleich mit! … und die dunkelste Zeit des Jahres rollt auch gerade auf uns zu.

Auch kann ich leider nicht rufen: „Um Himmels Willen! Wen soll ich denn nun bei der Nächsten Wahl wählen?“ – weil ich nicht an Gott glaube. Vielleicht überlege ich mir das mit dem Glauben doch noch mal: es ist einfacher!

Nie verzagen, lieber Leser!

Herzlich

Der Brandenburger Tor

© Herbert Börger, 16.11.2023

 

Das fängt ja gut an – 313 – Annahme des besten Falles.

ICE-Ankunft Südkreuz: eine Minute zu früh!

Was mache ich jetzt mit der geschenkten Minute? Geduld! Ohne die kurze Vorgeschichte wird dies nicht verständlich…

Auf der neuen ICE-Schnellfahrstrecke Nürnberg Berlin hatte es seit der Eröffnung am 10.12. häufig Probleme gegeben. Unser Jüngster Sohn war sogar am ersten Betriebs-Tag mit dem ICE in Erfurt „gestrandet“… Meine Hinfahrt Berlin – Erlangen am 14.12. war auch noch ein bischen „ruckelig“ gewesen, aber ohne nennenswerte Verspätung abgelaufen.

Heute, am 18.12. gehe ich die Rückfahrt von Erlangen nach Berlin daher immer noch mit leisen Bedenken an. Aber siehe da: eine Bilderbuchfahrt. Und wie schon am Anfang des Textes zu lesen, komme ich mit einer Minute „Verfrühung“ am Südkreuz an.

Mit diesem Schwung im Rücken lasse ich mich von der Rolltreppe zum S-Bahnhof-Niveau hinauf katapultieren. Oben angekommen läuft direkt vor meiner Nase die S46 in den Bahnsteig ein. Im Hochgefühl einer als völlig verdient empfundenen ÖPNV-Glücks-Strähne rausche ich in den S-Bahn-Waggon und lasse mich in den nächsten freien Sitz fallen.

Es dauert 2-4 Stationen, bis ich wieder in der Realität ankomme und mein Bewusstsein zu registrieren beginnt, dass die Stationen, die wir augenblicklich durchlaufen, nicht den eigentlich zu erwartenden entsprechen. Am Heidelberger Platz ist mir schließlich schlagartig klar: der Zug fährt in die falsche Richtung – nach „Westend“ … Ich springe noch rechtzeitig aus dem Waggon auf den zugigen Perron. Nun bin ich auch bereit zuzugeben, dass nicht der Zug in die falsche Richtung gefahren ist – sondern ich in den falschen Zug EINGESTIEGEN bin. Auf MEINER S46 hätte „Königswusterhausen“ stehen müssen. Damit ich die niederschmetternde Erkenntnis zur genüge auskosten kann, ist der nächste Gegenzug verspätet – und dieser Bahnsteig wirklich besonders zugig.

Fazit: aus der einen geschenkten Minute habe ich 30 verlorene Minuten gemacht….

Ich bin sicher, dass Sie vergleichbare Erlebnisse schon selbst gehabt haben. Ich nenne dies einen  typischen Fall von: „Ungerechtfertigte Annahme des besten Falles.“ oder Neu-Deutsch „Assumption of best case.“

Besonders dann, wenn alles super-glatt und „wie geschmiert“ läuft, neigen wir zu der ungerechtfertigten Annahme, dass nun alles weiter optimal läuft – und versäumen die „Sekunde des Zweifels“ einzulegen, die uns vor Fehlern schützen könnte.

Eine Reihe von positiven Ereignissen, die wir gerne so erwartet hätten (also unser „Normalfall“?) versetzt uns in ein Hochgefühl – und das möchten wir weiter gerne so auskosten … Wir übersehen dabei, dass es sich objektiv gesehen NICHT um einen Normalfall gehandelt hat sondern um den bestmöglichen Fall vieler möglicher Fälle – der aber nicht „normal“ ist.

Es ist gut, wenn man durch solch ein Bagatell-Ereignis, das man leicht noch mit Humor nehmen kann, mal wieder an diesen Mechanismus erinnert wird, denn es gibt Bereiche, in denen solche Fälle nicht mehr als lustig gelten können.

Der erste – und wohl insgesamt wichtigste Bereich – ist die naturwissenschaftliche Forschung. Für die Forschung gibt es aus diesem Grunde strenge Regeln: werden Ergebnisse gefunden, die besonders gut zu den aufgestellten Hypothesen passen, müssen alle Voraussetzungen überprüft werden, die zu diesen Meßergebnissen geführt haben und – das wichtigste überhaupt – sie können nicht als „wahr“ gelten, solange sie nicht wiederholt werden konnten – möglichst in einer anderen Forschungsgruppe.

Forscher sind allerdings auch Menschen! Hat man wunderbar zu den eigenen Hypothesen „passende“ Ergebnisse, ist manchmal der Drang, diese für „wahr“ zu halten großer als „erlaubt“. Das ist nicht immer gleich Betrug…  aber die Versuchung, andere Ergebnisse „passend zu machen“ ist manchmal anscheinend doch zu groß. Es gibt auch vereinzelt echte Betrugsfälle, die dann immer einen großen Schaden für das jeweilige Fachgebiet darstellen. JEDER derartige Versuch der Beschönigung von Forschungsergebnissen, oder gar des Betruges, fliegt irgendwann UNWEIGERLICH auf, da es in den Wissenschaften einen starken Wettbewerb der Forscher untereinander gibt.

Aus diesem Grunde werden wissenschaftliche Veröffentlichungen von neuen Ergebnissen, bevor sie in den für ihr Fachgebiet anerkannten Organen publiziert werden, von Gutachtern streng auf die „Kriterien der Wissenschaftlichkeit“ geprüft. Es sind zehn Regeln, von denen die Wiederholbarkeit eine der wichtigsten ist. Mit ausreichender krimineller Energie kann es in Einzelfällen sogar gelingen, dieses starke System zu überlisten.

Es gibt auch Fälle, in denen Forscher, im Wissen, dass den anerkannten Fachorganen die vorgelegten Erkenntnisse nicht ausreichend abgesichert erscheinen können, einen ganz anderen Weg gehen: den über Presseorgane oder populärwissenschaftliche Veröffentlichungen. Journalisten und Verlage, die um der kurzfristigen „Sensation“ willen helfen, das ausgeklügelte System der wissenschafltichen Absicherung vor einer Veröffentlichung auszuhebeln, schaden wissentlich unserer Kultur der Aufklärung!

Jeder Forscher, der – unbewusst oder bewusst – sich einer derartig gravierenden Verletzung der Wissenschaftlichkeit bei seinen Arbeiten schuldig macht oder als Gutachter einen solchen Versuch deckt oder eben nicht aufklärt, verliert seine wissenschaftliche Reputation. Diese Reputation aber ist die wichtigste Währung, in der Forschungsanstrengungen „bezahlt“ werden.

Der zweite Bereich, in dem es leider keine strengen wisenschaftlichen Regeln gibt, mit denen man eine Konstellation als zufälliges „Eintreten eines besten Falles“ entlarven kann, ist die Wirtschaft – das Geschäftsleben.

Hier sind die Fälle, in denen nach ständig steil nach oben zeigenden Unternehmens- und Markt-Zahlenreihen der schnelle und völlige Zusammenbruch folgt, keineswegs selten!

Der größte Fehler hinter den meisten dieser Fälle (wenn man nicht einem externen „GURU“ geglaubt hat) ist der, dass man die tollen steigenden Unternehmenszahlen unkritisch auf die eigenen Fähigkeiten und Erkenntnisse zurückführt, und eben deshalb glaubt, dass das immer so weiter gehen MÜSSE.

Das wäre nicht so schlimm, wenn daran nur das Schicksal dieses einen Spielers hängen würde.

Also: Augen auf, wenn es mal besonders gut zu laufen scheint!

Aphorismus des Tages: „Die Extrapolation von Erfolg und Wachstum ist der kürzeste Weg zum Scheitern.“ (Der Brandenburger Tor)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 18. Dezember 2017