In eigener Sache!
Warum ich den täglichen Blog „Das fängt ja gut an …“ schreibe.
Die Pointe vorweg: Ich schreibe diesen täglichen Blog hauptsächlich für meine drei Söhne. Warum? Dazu mehr weiter unten im Text.
Ich bin seit 2016 im (95-prozentigen) sogenannten Ruhestand. Auf das Arbeitsleben konnte ich mit 71 Jahren nach einem langen Workaholic-Dasein problemlos verzichten. Mir fehlt da nichts – auch nicht die „Aufmerksamkeit“, die ich aufgrund der Tatsache erfuhr, dass man in Vorgänge eingebunden war, in denen viele andere mich brauchten.
Man hat das häufig gelesen oder gehört: dass die plötzliche totale Funkstille, die eintrat, nachdem man die Grenze zur Arbeitswelt und beruflichen Verantwortung hinter sich gelassen hatte, Menschen total geschockt hat. Die hatten Schwierigkeiten, mit der Erkenntnis fertig zu werden, dass die rege Kommunikation, die gegenseitige Fokussierung und Ansprache nicht ihrer eigentlichen Person galt, sondern der Funktion und Aufgabe, die sie in dieser Arbeits-Welt verkörperten.
Was hatten sie erwartet, nachdem sie aus dem Spiel ausgeschieden waren, in dem eine große Gruppe von Menschen ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie alle zusammen einen oder mehrere Bälle ständig in der Luft halten? Dass die alle dem ausgeschiedenen immer mal wieder einen Bonus-Ball zuspielen, um ihm zu sagen: „Du fehlst uns.“?
Dieses Problem der wegbrechenden Wichtigkeit und des einknickenden Selbstbewusstseins hatte ich überhaupt nicht. Die „Funkstille“ aus dieser Welt, die ich gerade verlassen hatte, hatte ich nicht nur erwartet sondern geradezu ersehnt. Das Arbeitsleben ist zu Ende – aber nicht das Geistesleben. Da gibt es noch so vieles, was ständig auf einen großen „Stapel“ wandern und warten musste, dass ich nun endlich in Wissenschaft, Philosophie, Geschichte und Literatur erkunden will. Andere reisen nun viel – ich reise intensiv im Geist durch Zeit und Welt. Wenn ich aber dann auch noch tatsächlich reise, wird das geistige Spiel noch stärker angeregt.
Bei meinen „geistigen Reisen“ finde ich ständig neue – oder alte – interessante Ausblicke, die ich dann gerne mitteilen möchte. Ich wäre hoch erfreut, wenn sich dadurch im Laufe der Zeit ein Diskurs auch mit Freunden oder zum Thema interessierten für mich neuen Menschen entstünde. Deshalb spreche ich hier öffentlich.
Es gibt bei dem „Projekt täglicher Blog“ (zunächst für ein Jahr) auch eine starke egozentrische Komponente:
Ich wollte gerne wissen, ob ich dazu in der Lage bin.
Das ist kein Tagebuch – sondern ich versuche hier täglich einen Text aus mir heraus in die Welt zu stellen, der auch das Licht der Öffentlichkeit nicht scheuen muss! Tag-für-Tag! 7 Tage in der Woche! 365 Tage hintereinander!
Das hielt und halte ich für schwierig. Das ist es auch wirklich! Allerdings bis auf einen „Stolperer“ *) bisher leichter als gedacht. Anders ausgedrückt: es läuft fast so gut, wie ich gehofft hatte. Aber wenn ich dabei scheitere, dann scheitere ich öffentlich.
Das Haupt-Motiv für meine Blog-Tätigkeit habe ich aber zu Anfang bereits verraten: es soll darin ein Archiv meines Denkens und meiner Sichtweise auf die Welt zu meiner Zeit entstehen – für meine Söhne. Dass mir dies so wichtig ist, hat unter anderem einen Grund in der jüngeren Zeitgeschichte:
Ich bin eine Nachkriegskind – Jahrgang 1945.
In meiner Erinnerung an die Kindheit und Jugend, gab es nur zwei Sorten von Männern, die ja fast alle im Krieg gewesen waren:
- jene, die ständig von ihren Kriegserlebnissen „im Felde“ erzählten – allerdings nie über ihr Inneres,
- jene, die schwiegen – das war die weit überwiegende Mehrzahl und mein Vater gehörte dazu.
Man hat das im Laufe der Zeit von allen Seiten gehört: überall diese schweigenden Väter. Wir erfuhren in unserer Jugend nichts von ihnen, was sie genau traumatisierte hatte, wie sie zum 3. Reich gestanden hatten, wie sie den Krieg erleben, was sie heute darüber dachten. Nichts!
Ich bin froh, dass mir mein Vater wenigstens als ich 12 – 16 war vermittelt hat, welche HALTUNG er in unser gemeinsamen Gegenwart hatte, weltanschaulich, politisch, beruflich. Darüber bin ich heute noch froh – und es war sehr positiv für mich.
Aber die Vergangenheit und seine Erlebnisse lagen in einem Sarg aus Schweigen! Und dann starb mein Vater als ich 22 Jahre alt war. Das bedeutete, dass ich ihn später nicht mehr fragen konnte, was ich ganz sicher getan hätte.
Aus dieser Situation heraus weiß ich, was einem fehlt, wenn man die Welt aus der Sicht seiner Eltern nicht wirklich kennt. Ich möchte verhindern, dass es meinen Söhnen genauso geht.
Das ist mein wesentlichster Grund für diesen Blog.
Zur Erinnerung: Der tägliche Blog begann mit dem ersten Das-fängt-ja-gut-an-Text am 26.10.2017 mit der Nr. 365. Die Folgen werden rückwärts gezählt. Ich werde bis zum 25.10.2018 (Nr. 1) täglich einen Text veröffentlichen… vorausgesetzt ich selbst erreiche diesen Termin im Besitz meines klaren Verstandes.
Herbert Börger
*) Der „Stolpere“ entstand gegen Ende 2017 durch eine kurze Phase, in der mehrere Hindernisse gleichzeitig den täglichen Text verhinderten: Krankheit, Softwareprobleme mit der App und eine sehr dringende Arbeit kamen zusammen und brachten mich in Rückstand. Ich ließ dann die Texte Nr. 296 – 289 zunächst aus, die nun gerade nach und nach „nachgeliefert“ werden.
© Der Brandenburger Tor, Berlin, 4. Januar 2018