Nach-Wahl-Wehen – 2006 / 2025

Den folgenden Text habe ich im Jahr 2006 nach einer Kommunal-Wahl in Heidelberg geschrieben. Heute stellte ich fest, dass er anscheinend universelle Gültigkeit beanspruchen kann – und will ihn deshalb der Nachwelt nicht vorenthalten.

Gerade gestern – genau sieben Tage nach der BTW25 – stellte ich fest, dass straßauf-straßab alle Laternen noch mit Wahlplakaten geschmückt sind. Weit überwiegend sind es BLAUE. Von jener Partei, die behauptet genau zu wissen, was die Menschen sich wünschen. Sie haben erspürt: „…bitte lasst uns eure Konterfeis noch eine Weile genießen!“

Aber auch andere: so sah ich eine große Verkehrsinsel vollgestopft mit drei Riesen-Aufstellerplakaten mit Abbildern von Personen, die in der Führung ihrer Parteien in der beworbenen Zukunft alle erklärtermaßen keine Rolle mehr spielen wollen!

daher … siehe folgend! (Besonders bemerkenswert fand ich im Nachhinein das Postskriptum …)

Nach-Wahl-Wehen

Schadenfreude ist mir fremd!

Ehrlich!

Ich fühle wirklich mit den Politikern

nach so einer Wahl…

Das ist schließlich eine heikle Prozedur:

Nicht zu vergleichen mit einer Prüfung

im Schul- oder Berufsleben 

– wenn man

die versäbelt hat, 

weiß man meist schon, warum!

Aber das Urteil des Wählers

hat oft mehr mit dem Orakel von Delphi zu tun

als mit einer objektiven Benotung

der Politiker-Leistung!

Da hat sich einer brav in der

Regierungsverantwortung abgerackert –

Und wird vom Wähler abgewatscht,

er weiß nicht wofür?!

Allerdings: er oder seine Partei 

bekommt auch gleichzeitig ein 

Geschenk vom Wähler:

sie dürfen jetzt raus finden,

was sie das nächste Mal 

besser machen können

(ob’s hilft?).

Nun lecken sie ihre Wunden gemeinsam,

was sie wieder näher zusammen bringt

und vielleicht auch stärkt … oder auch nicht.

Da hat einer insgeheim selbst festgestellt,

dass er im Wahlkampf eine 

miserable Figur gemacht hat –

und wird vom Wähler mit dem

Siegeslorbeer beschenkt!

Die arme Sau!

Erschreckt stellt er fest,

Schluss mit dem Schwätzen –

Jetzt müssen wir regieren…

Und wendet sich nahtlos dem Kampf um die Posten zu.

Aber auch wir Wähler

bekommen mit der Wahlnacht ein Geschenk:

wir dürfen uns in den kommenden Tagen

die Plakat-Ruinen des vorangegangenen

Wahlkampfes ansehen.

Ein satirischer Genuss,

manchmal sogar eine Gaudi

im Wissen um das Ergebnis !

Die Sprüche und Posen

bekommen im Lichte der Resultate

oft eine völlig neue, unbeabsichtigte Bedeutung.

Dass die Betroffenen (meist die Verlierer) 

die Plakate dennoch

tage- und wochenlang

hängen lassen

zeugt vom Instinktverlust des Menschen:

Viele Tiere markieren ihr Revier

(meist mit Urin)

sorgen aber ansonsten dafür, dass Ihr

aktueller Standpunkt nicht so leicht

aufgespürt werden kann

(indem sie ihren Kot vergraben).

Wahlplakate sind erst der „Urin“, 

nach der Wahlnacht aber der „Kot“ 

der PolitikerInnen/Parteien:

sie sollten ihn noch am Wahlabend

vergraben!

Sollte ich einmal eine Partei gründen

(bitte halten Sie mich davon ab!)

werde ich als 

Paragraph eins 

in’s Statut schreiben:

„Alle Wahlplakate sind 

noch in der Wahlnacht

zu entfernen – 

100% !“

Danach darf gefeiert / Wunden geleckt werden. 

P.S:

Ich wünsche mir auch ein Geschenk vom Wähler:

Er möge seine Watschen-Wahltaktik 

bitte insofern überdenken,

dass nicht am Ende der Tage

die politische Klasse nur noch

aus opportunistischen Arschlöchern besteht.

Die Demokratie hält viel aus,

aber daran würde sie am Ende zugrunde gehen.

Copyright Herbert Börger, Heidelberg, 2006

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