Das fängt ja gut an – 360 – Glaube und Philosophie

 

Zwei Aphorismen zum Reformationstag (31.10.):

Ludwig Feuerbach sah aufgrund der Bedeutung Luthers für unsere spirituelle Kultur einen Bedarf, Luthers Denken philosophisch zu interpretieren.

Aus Luthers Formulierung:

Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ (Martin Luther, Das Wesen des Christentums) – und anderen ähnlichen Sätzen,

leitete er die philosophische Deutung ab, bzw. „schiebt Luther in den Mund“:

Gott ist eine leere Tafel, auf der nichts weiter steht, als was du selbst darauf geschrieben. (Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers) – und leitete aus Luthers Erläuterungen die These ab:  wenn Gott ein Mensch ist, dann ist auch der Mensch Gott.

Da aber Luthers Gedankengebäude nicht Bestandteil einer philosophischen Schule sind, muss die Deutung dieser Gedanken im Sinne einer philosophischen Disziplin auf unauflösliche Widersprüche stoßen: Glaube und Philosophie sind „inkommensurable“ Disziplinen – man kann keine von Ihnen mit den Methoden der anderen analysieren.

Luthers Gedanken wurden nicht erst rund 300 Jahre später fehlgedeutet. Schon zu seinen Lebzeiten löste seine Auffassung von „Der Freiheit eines Christenmenschen“ große und sehr tragische Missverständnisse aus: das blutige Geschehen der Bauernkriege!

Da heute die Macht des Glaubens in der Gesellschaft eine wesentlich geringere ist als zu Zeiten Luthers, besteht allerdings kein sehr großer Bedarf mehr, die Glaubenswelt und die Zivilgesellschaft in einen einheitlichen Kontext zu zwängen. Das bewegt sich heute mehr auf der Ebene des Individuums.

Heute sind religös-gläubige Menschen in Deutschland weitgehend in völlig friedlicher Koexistenz mit un-religiösen Menschen oder gar Atheisten… Dabei finde ich aus meiner eigenen Sicht den Begriff Atheismus unpassend, da er im allgemeinen mit einer streng-materialistischen Weltauffassung zusammen gesehen wird.

Für mich würde ich den Begriff „Humanismus“ wählen – einer spirituellen, dem Menschen zugewande Weltauffassung. Auch diese entstand in Luthers Zeit und zwar als Kern-Prozess der Aufklärung. Den Super-Star ders Humanismus – Erasmus von Rotterdam – konnte Luther nicht als „Mitstreiter“ für seine religiöse Sache gewinnen!

So schließt sich quasi ein Kreis – und nicht nur dieser! Gerade heute und gerade in Deutschland, sind mehr als nur zarte Strömungen zu finden, die die durch Luther provozierte (und durch die Gegen-Reformation nur noch verschärfte) Spaltung des christlichen Glaubens zu überwinden. Dieser kann ich – auch als Humanist – nur viel Glück wünschen.

Bild des Tages: Aufleuchtendes Vergehen… (Mehr Fotos von mir auf www.fotosaurier.de oder auf flickr unter „Herbert Börger“)

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Herbert Börger, Berlin, 31. Oktober 2017

Das fängt ja gut an – 361 – Raus aus der Blase

Ich will nicht in einer Blase leben…

… aber das ist gar nicht so leicht.

Hierzu muss man drei Parameter seines Lebensraumes optimieren:

  • Informationsquellen
  • Info-Zeit ist Lebenszeit
  • Der Dialog ist der Weg aus der Blase
  1. Viele verschiedene Informationsquellen laufend „scannen“. In erste Linie Zeitungen/Publikationen zu denen man Vertrauen aufgebaut hat. Bei mir ist das eine sehr sorgfältig ausgewählte unabhängige regionale Tageszeitung täglich, dazu an einzelnen Wochentagen mal andere (überregionale) Tageszeitungen und regelmäßig zwei völlig verschiedene Wochenzeitungen. Wichtig ist dabei, dass die Zeitungen ALLE aus verschiedenen Verlagshäusern stammen!
  2. Informations-Beschaffungs-Zeit ist Lebenszeit: das ist genau genommen das EIGENTLICHE Problem. Wenn die Zeit für die Informationsbeschaffung einen bestimmten Prozentsatz der verfügbaren Lebenszeit übersteigt, entstehen Frust und Konflikte im privaten Umfeld! Die Lösung dieses Problems liegt in dem unter 3. beschriebenen Verfahren!
  3. Der laufende Austausch und Dialog in einer Personengruppe, in der ein hoher Grad des Vertrauens und Wohlwollens besteht (z.B. in einer abgeschirmten Gruppe eines Messenger-Dienstes). Ideal ist sogar, wenn die Gruppenmitglieder NICHT völlig gleiche Lebens-Situationen und Lebensziele haben! Also eher nicht NUR die Mütter aus einer Kleinkind-Krabbelgruppe (aber AUCH) – nicht NUR die Rentner von der Parkbank (aber AUCH) – nicht NUR alles Physiker (aber AUCH)…. Die Mischung macht’s! Da kann man sich dann Bälle zuspielen, Fundstücke teilen, Ideen anreißen und einen Diskurs anstoßen, der immer schon (seit Plato) mehr bringt als das isolierte Grübeln!

Vor allem aber auch: …immer wieder auf Webseiten der „Gegenseite“ oder von Verschwörungstheoretikern gehen. Wir wollen nicht nur nicht in einer Blase leben, sondern auch nicht in einem Elfenbeinturm! Wir wollen VERSTEHE, worüber wir reden!

Die größte Gefahr, in eine Blase hineinzurutschen, liegt in der BEQUEMLICHKEIT! Gemütlich ist das Leben außerhalb der Blasen nicht – aber man wird belohnt, durch ein lebendiges, farbenfrohes geistiges Leben. (Eigentlich auch schon ein Aphorismus?)

Viel Spaß beim Blasen-Aufstechen! (Schon Kinder haben daran eine Riesen-Freude… bei Seifenblasen und Luftballons!)

Aphorismus des Tages:

   Er:   >Wenn es das WEIB nicht gegeben hätte, säßen wir heute noch im Paradies!        Sie: >Wer ist .. „wir“?< (Der Brandenburger Tor)

Meine Vermutung: ich glaube hier sitzt „Er“ in einer Blase…

Bild des Tages: …sehr viele Blasen! (mehr Bilder von mir auf meinem Foto-Blog www.fotosaurier.de oder auf flickr undte „Herbert Börger“)

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Herbert Börger, Berlin, 30. Oktober 2017

Das fängt ja gut an – 362 – Wem gehört die Stadt 1

Wem gehört die Stadt?

Im Zusammenhang der Themen, in denen dieses Schlagwort immer wieder auftaucht, zum Beispiel

  • Rekonstruktion Potsdam (Fachhochschule, Garnisonskirche)
  • Stadtschloß und Kreuz auf dem Humboldforum Berlin
  • Kiez-Gentrifizierung in Berlin

ist diese Frage – fast immer – falsch gestellt – und muss zwangsläufig den Diskurs in die Irre führen, wenn die Streitenden, diesem Leitfaden folgen, etwa mit „… wir holen uns UNSERE Stadt zurück“.

Die Frage müsste heißen: Wie wollen die (nämlich: ALLE), die in dieser Stadt leben, den städtischen Raum gestalten, welche Ziele verfolgen sie – und welche Konsequenzen haben die jeweiligen Maßnahmen.

Zugegeben: eine schrecklich komplizierte Aufgabe – leider ist sie es auch! Aber wenn man sich dieser Aufgabe verweigert, hat das gravierende Konsequenzen.

Bild: Potsdam, am 1.6.2017

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Ich habe mich nach unserem Zuzug nach Berlin sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt – siehe auch schon mein Beitrag in diesem Blog vom 12.06.2017 (https://der-brandenburger-tor.de/?p=84das-kreuz-mit-dem-kreuz-auf-dem-humboldt-forum).

Hier ist kein ausreichender Platz für dieses komplexe Thema. In einer weiteren Kolumne werde ich in der kommenden Woche ausführlich meine Eindrücke zu dem Thema in Potsdam und Berlin schildern.

Für den Augenblick imöchte ich folgendes Statment voraus schicken:

Natürlich können und sollen die Leute mit ihrem Geld machen was sie wollen.

Aber: ich erlaube mir die Frage, warum die großzügigen Spender damit einen Potsdam-Hochglanz-Themenpark fördern (der die Bevölkerung zwangsläufig spaltet), anstatt der Gemeinschaft Mittel (und Gedanken) zur Verfügung zu stellen, die helfen können zu verhindern , dass diese Gesellschaft immer weiter auseinander driftet und so anfällig für Extremismus und Ideologien wird… und mit denen die Gemeinschaft dann frei bestimmen kann, wie sie die Mittel einsetzt – ohne Vorgaben.

Digitale Pest:

Es ist nicht so, dass mir heute keine digitale Pest begegnet wäre – aber Sonntags rege ich mich grundsätzlich darüber nicht auf. Gestern habe ich gelernt, was digitale Trolle (im Internet) sind – und werde mich morgen darüber aufregen! – und übermorgen dann über  die Trolle in der deutschen Politik!

Bild der Woche: Pflanzen als Netzwerker (mit Hilfe der Baldachin-Spinne)

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Aphorismus des Tages:

Dass wir Menschen so oft den Zufall preisen, legt nahe, dass unsere sorgfältigen Pläne wohl nur den Lauf der Dinge stören! (Der Brandenburger Tor – frei nach Berthold Brecht…)

Herbert Börger, Berlin, 29. Oktober 2017

Das fängt ja gut an – 363 – Digitale Pest: Bewertungen & eine Start-Up-Glosse

Die Digitale Pest:

Eine der schlimmsten Geißeln des Netzes und der Geschäftswelt 2.0 sind die Bewertungen!

Das fing mal harmlos an: ist auch verständlich, dass viele wissen wollen, mit welchen Hotels, Restaurants und Lampenläden andere schon zufrieden waren – und wenn nicht, warum. So weit so gut.

Heute scheint die Bewertung das Haupt-Ziel jeder Transaktion zu sein. Meine Autowerkstatt bombardiert mich nach jedem Reifenwechsel mit mehreren abgestuften Mahnungen, dass ich noch keine Bewertung hinterlassen habe. Die scheinen dafür extra eine Abteilung zu unterhalten (wahrscheinlich heißt das Monstrum: KUNDENZUFRIEDENHEIT…?). Ich fühle mich belästigt – werde ich demnächst noch moralisch unter Druck gesetzt? Nicht-bewerten – das tut man nicht!

Hier einmal zum mit-schreiben: wenn ich mich nicht beschwere, dann war das o.k. – oder seid ihr Kleinkinder, die ich für ihr Kastanien-Männchen loben soll?

Und liebe Hotel-Portale: sollte ich auf ein Hotel stoßen, das so wunderbar, schöngelegen und dabei noch preiswert ist, in dem mich wunderbare Menschen als Inhaber oder Mitrbeiter verwöhnen – dann werde ich das selbstverständlich für mich behalten und nicht hinausposaunen, so dass bei meiner nächsten Reise dort garantiert alles schon ausgebucht ist! Für wie blöd haltet ihr mich eigentlich. Wieviele Bewertungen gibt es, die aus den selben Motiven wie von mir oben genannt – oder gar einfach aus Lust am Chaos – bewusst völlig unangemessen bewerten?

Vielleicht die Krönung des Metiers sind Bewertungen von Arztpraxen und Kliniken durch „Patienten“ – die noch nicht einmal nachweisen müssen, dass sie Patienten waren oder sind. Jedem Mobbing und Fake wird dort Tür und Tor geöffnet. Als Patient wollen Sie wissen, ob der Arzt/ die Ärztin FACHLICH kompetent ist – nicht ob er/sie einfühlsam auf Sie eingegangen ist. Da findet sich bei einer Praxis jede Einstufung zwischen Menschenschänder und Gott-gleichem-Wesen! Das kann im schlimmsten Falle existenzgefährdend sein … Irreführend ist es sowieso. „Ich war gestern in der Praxis – und bin immer noch nicht gesund!“

Zum Ausklang nun noch eine schöne Episode aus dem analogen Leben: in der letzten Ferienwohnung, die wir auf Usedom bewohnten, lag noch ein Gästebuch – und es hatte sogar noch Eintragungen aus jüngerer Zeit. Unfaßbar: #AnalogLebt !

Heute aber mal ein Gast-Beitrag zum Thema:

Unternehmens-Gründung („Start-Ups“) in Deutschland!

Bitte unbedingt lesen: unfassbar komisch – aber unfassbar wahr!

von Autor: Henning Börger

Wenn tatsächlich mal einer es wagt, aus der Uni „auszugründen“, dann steht am ersten Arbeitstag vor dem neu geschaffenen Standort bereits ein Heer aus Lakaien von: IHK, BG, GEZ, Gewerbeamt, Feuerinspektoren, Schornsteinfeger und das Finanzamt hat schon mal einen auf Grundlage der Investitionen ermittelten Vorauszahlungsbescheid in deinem Briefkasten hinterlegt.

Wenn du dann zum ersten mal die Tür zu deiner Firma aufgeschlossen hast, musst du in deiner 5 Mann-Klitsche erst mal einen Feuerwehrmann und zwei Ersthelfer ausbilden lassen, ein ausgeklügeltes Netz von Feuerlöschern installieren, sämtliche Büromöbel auf den Stand der Arbeitschutzverordnung von dann und wann bringen, einen Anwohnerparkausweis kaufen, obwohl du mit der Straßenbahn kommst, am besten gleich selbst einen Betriebsrat gründen, um nicht am nächsten Tag in der Lokal-Zeitung zu stehen.

Außerdem musst du ja den Hausmeister, der sich auch um deine Büros kümmert, zu einem Managementseminar anmelden! Noch ehe du dazu kommst, deinen ersten Kaffe zu trinken, klingelt bereits der zweite Vertreter für Kaffe Automaten und Zubehör, glücklicherweise kannst du nicht öffnen, weil du schon dabei bist den Außendienstmitarbeiter von Würth abzuwimmeln.

Den ersten Kaffee musst du dir dann leider mit der Frau teilen, die irgendwie bei dir reingekommen ist und dir gerade ein Seminar über Arbeitsschutzkleider- und Betriebshygieneverordnung anhängt. Schließlich haben wir ja alle Tuberkulose und leben in Slums. Die Frau beneidest du übrigens, weil du dir nie und nimmer einen so adretten Hosenanzug leisten könntest, wie sie ihn trägt und auch der Dienstwagen und das von ihr verwendete Arbeitsmaterial eindeutig darauf hindeuten, dass sie mehr verdient, als du jemals mit deiner Klitsche einnehmen wirst.

Wenn du dann abends, zu spät zum Essen, aber noch früh genug, um dir anzuhören, dass deine Frau, dein Mann, deine Freundin, deine Kinder dein Hund o.Ä. auch noch da sind und Bedürfnisse haben, durchschnaufen willst, stehen schon mal der Obmann der Ortsfeuerwehr, der Leiter des Ortsverbandes der CDU, eine Praktikantin der Diakonie und – wenn es ganz dumm läuft – der Bürgermeister mit Blumen, Kuchen und einem Stapel von Spendenformularen vor deiner Tür.

Wenn die alle abgefertigt sind und du betäubt von all diesen Eindrücken im Flur an der Wand lehnst und deine Schläfen reibst, in der Hoffnung, den Kopfschmerz, den dir das alles bereitet, loszuwerden, wenn du da also so lehnst, dann fällt dir plötzlich siedend heiß ein, dass du seit einer Stunde auf diesem sehr wichtigen Elternabend in der Schule deiner Tochter sein müsstest… aber das ist jetzt irgendwie eine andere Geschichte.

Mein Kommentar zum vorstehenden Gastbeitrag:

Diese unwesentlich überspitzte Darstellung der Start-Up-Leiden durch meinen Sohn Henning sagt in der Konsequenz eines:

Gründerzentren („Inkubatoren“) sind das Wichtigste, was man auf politischer Ebene zur Förderung der (jungen) Gründerszene leisten kann! Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Und noch eines: jedem Gründer-Team sollte ein erfahrener Controller an die Seite gestellt werden! Im ländlichen Raum ist beides besonders schwer zu finden! Hier müssen Bund, Länder und Kommunen UNBEDINGT mehr investieren.

Nicht jeder will und kann dafür nach Berlin gehen!

Bild des Tages: (Wer mehr Bilder von mir sehen möchte kann dies auf meinem Foto-Blog www.fotosaurier.de tun oder auf flickr bei „Herbert Börger“)

Hartriegel

Aphorismus des Tages:

„Heute wurde noch keine Sau durchs Dorf getrieben? Dann muss in der Welt etwas wichtiges passiert sein!“ (Der Brandenburger Tor)

Herbert Börger – Berlin, 28.10.2017

Das fängt ja gut an – 364 – Die Stadt, die Armut und ich

Digitale Alltagswunder:

Kürzlich gab ich eine neue Adresse in meinem Mobiltelefon ein, die sich um zwei Ecken direkt in meiner Nachbarschaft befand. Der Adress-Browser zeigt dann zu dieser Adress auch gleich eine kleine, aber stark vergrößerte Karte mit einem Marker bei der neuen Anschrift und einem Marker bei meiner eigenen Adresse. Dort fiel mir ein kleines blaues Zeichen direkt neben unserem Haus auf. Eine blaue Scheibe mit einem weißen Pkw-Piktogramm darin. Bei noch stärkerem Einzoomen erschien dazu die Beschriftung „parkendes Auto“.

Ich war ehrlich sehr überrascht: dieses i-Dings unterhält hinter meinem Rücken Kontakte mit anderen toten Gegenständen und weiß auch noch was die „machen“ – und ich hatte keine Ahnung davon! Es ist offensichtlich bereits autonom. Will ich das?

Scheinbar bereits eine schwache Vorahnung von „QualityLand“.

Die Stadt – die Armut – und ich …

Die beiden wirklich großen „Seuchen“, von denen alle Großstädte (wie Berlin) befallen werden, sind Kriminalität und offensichtliche Armut. Zwischen beiden gibt es eine Grauzone der Überschneidung.

Die Armut gebiert einige extrem unangenehme Erscheinungen, wie das Betteln auf Straßen, und im ÖPNV. Es kann echte Armut als Hintergrund haben, aber auch von Banden organisiert sein (wie das Betteln in ländlichen Gebieten von Haustür zu Haustür grundsätzlich von Banden organisiert ist). Wer davon nichts ahnt: nochmal die „Drei Groschen Oper“ ansehen…

Ich gebe in Berlin (oder anderswo) grundsätzlich keinem Bettler etwas – aber den Obdachlosen-Zeitungs-Verkäufern, die vor dem Supermarkt stehen oder durch U- oder S-Bahn wandern, gebe ich grundsätzlich etwas – meist ohne die Zeitung mitzunehmen. Ich weiß, dass sie diese Zeitungen beim Zeitungs-Vertrieb vorher kaufen müssen (ich glaube für 40 Cents – der Verkaufspreis beträgt 1,20 Euro). Das ist ein richtiges „Geschäftsmodell“ – und sie brauchen das Geld wirklich. … und ich kann es mir wirklich leisten, einige Male in der Woche diesen Obolus zu spenden.

Vor einer Woche fuhr ich zu meinem Zahnarzt am Nollendorfplatz.

In der S46 saß ich im Fahrradabteil. Nach dem Halt in Neukölln baute sich ein junger Mann in der Mitte des Waggons auf und sagte sein Sprüchlein auf, mit dem er den kleinen Stapel der Obdachlosen-Zeitung „Motz“ anbot.

An diesem Tag lief die Begegnung mit dem Zeitungsverkäufer folgendermaßen ab:

Nachdem er seinen Spruch aufgesagt hatte, blickte der junge Mann nach rechts in den weiter von mir entfernten Waggon-Bereich und wartete kurz ab – niemand rührte sich. Dann wendete er sich dem Fahrradabteil zu, in dem ich saß – keine Reaktion. Ich winkte ihn heran und gab ihm wie üblich meine 2 Euro – ohne eine Zeitung zu beanspruchen.

Plötzlich kamen von allen Seiten Handzeichen und vier weitere Fahrgäste spendeten unmittelbar nach mir, auch zwei aus dem anderen Waggonbereich, aus dem vorher kein Zeichen gekommen war.

Der Schluss aus dieser Beobachtung liegt nahe: ich hatte durch meine Aktion bei denen, die ohnehin noch mit Zweifeln rangen, ob sie nicht doch spenden sollten, eine Lawine losgetreten. Ich war überrascht – und ein bißchen zufrieden.

Die Botschaft: wenn Sie gerne helfen möchten – nur zu: es könnte sein, dass sie noch einen „Multiplikator“ auslösen!

Zur Belohnung tat es anschließend beim Zahnarzt wirklich gar nicht weh!

Allerdings ringe ich seitdem immer noch mit dem Gedanken, ob ich nicht doch in Zukunft die Zeitung mitnehmen sollte… Weiter oben habe ich ja gerade noch gelobt, dass diese Zeitungsverkäufer ein richtiges Geschäftsmodell betreiben. Durch die Spende ohne Abnahme der Zeitung degradiere ich sie ja meinerseits auf das Niveau der Bettler, denen ich eigentlich aus Prinzip nichts geben will!

Sicher wird man mit solchen anekdotenhaften Randepisoden dem ernsten Problem der (echten) Armut nicht gerecht… Ich will daher noch nachsetzen, dass ich glaube, dass das Problem „Armut“ in unser Gesellschaft lösbar IST und auch gelöst werden SOLLTE! Nicht gelingen wird das durch schablonenhaften Streit zwischen Parteien, sondern durch Konsensbildung auf Basis gesicherter, anerkannter Referenzwerte und Daten.

Wenn die immer und überall wiederholten Tatsachen, dass ca. 80% der Kinder, die unter der sog. Armutsgrenze leben, bei alleinerziehenden Eltern leben, dann wäre das ein Ansatzpunkt: worauf warten wir noch? (Sorry, ich vergaß: wir warten auf das Ende des Wahlkampfes in Niedersachsen, auf die „Einigung“ zwischen CDU und CSU und nun noch sehr lange auf die Befindlichkeitsauslotung zwischen den Alphatierchen von vier Parteien! Und dann?)

Dazu das noch:

Wie bei den Kinder-Rechten, fehlen den Armen natürlich die Lobbyisten, was bekanntlich besonders dramatische Folgen hat, wenn die Merkmale „Kind“ und „Arm“ zusammentreffen. Es sind jene aber nicht die besten Anwälte der Armen, deren Geschäftsmodell (oder Ideologie) auf der Existenz der Armen beruht! Fast trivial (und fast schon ein Aphorismus…).

In diesem Zusammenhang habe ich kürzlich interessiert aufgehorcht, als Herr Gysi in einer Runde erklärte, er würde gerne, wenn alle sozialen Probleme gelöst wären, seine Partei auflösen.

Dies war bei genauerer Betrachtung eine sehr geschickte Bemerkung: weil sie vice versa indirekt den anderen Parteien unterstellt, dass immer zuerst die Existenz der Partei zu sichern sei – und man dann nur herausfinden muss, welche Flagge zu hissen ist, damit die Partei so mächtig wie möglich wird.

(Oder: welchen Wein füllen wir in die alten Schläuche?)

Ein wirklich kluger Mann, der…

Bild des Tages: (Wer mehr Bilder von mir sehen möchte kann dies auf meinem Foto-Blog www.fotosaurier.de tun oder auf flickr bei „Herbert Börger“

RegenLaterne

Aphorismus des Tages: … dies ist mein absoluter Lieblings-Aphorismus:

„Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ (Ludwig Feuerbach, dt. Philosoph 1804-1872).

Diesen Aphorismus las ich zum ersten Mal auf dem großen Gedenkstein, der auf dem Rechenberg in Nürnberg (dort lebte er bis zu seinem Tode) für Feuerbach errichtet ist. Ich konnte es erst kaum glauben. Wir wohnten direkt neben dem Rechenberg in den 1990er Jahren. Das war damals noch das alte Denkmal (ein sehr breiter, einfacher Quader mit sehr große Schrift) von 1930, das nach dem 2.Weltkrieg wieder errichtet worden war. Es wurde 2004 durch ein aufwändiger geformtes Denkmal ersetzt. … und stets gab es darum erhebliche Querelen.

Herbert Börger, Berlin 27.10.2017

Das fängt ja gut an – 365 – Ein täglicher Blog-Beitrag

Das Abenteuer beginnt: ein täglicher Blog-Beitrag unter dem Titel „Das fängt ja gut an“ – begrenzt auf genau ein Jahr.

Der Blog-Titel könnte dreierlei wiederspiegeln: er erscheint morgens, er könnte satirisch gemeint sein, er könnte Optimismus ausdrücken … (falls möglich)

Dies ist der erste Beitrag. Er trägt die Nummer 365. Die Folgebeiträge werden rückwärts gezählt:

… ein Jahr im Count-Down.

Ziel ist der Blog-Beitrag Nr. 1 am 25. Oktober 2018 = ZERO

Mit heute 72 Jahren ist das der Modus, in dem ich mich ohnehin fühle – allerdings ist das ein Count-Down mit unbekanntem Zeitpunkt für „ZERO“.

Zunächst einmal habe ich nach der 71 mit 72 ein völlig neues „Zahlengefühl“: von einer Primzahl zu einer Faktoren-Zerlegbarkeit, die ich als „basic“ empfinde (siehe Titel-Bild: 72 = 2 hoch 3 mal 3 hoch 2 … hübsch, oder?). Aha, denken Sie: so ein Nerd… vielleicht – Physiker halt!

Ich halte das Vorhaben, einen täglichen Blog zu schreiben für … ja, sagen wir ruhig zumindest für ambitioniert. Man wird sehen, ob ich dem gerecht werden kann. Die absteigende Serien-Zahl soll mir helfen, das Ende dieses Vorhabens näher rücken zu sehen. Trost: mit zunehmender Zahl der gelebten Jahre im Rucksack, hat man festgestellt, dass diese immer schneller vorbei gehen sollen. Ich habe dafür einmal folgendes Bild gefunden:

„Altern: Du sitzt in einem Zug und schaust aus dem Fenster – und die Landschaft fliegt immer schneller vorbei… immer schneller.“

Inzwischen fliegt sie so schnell, dass man nicht einmal die Zeit zu haben glaubt zu sagen: Augenblick, verweile doch – du bist…

Was ist der Augenblick? Wir machen ihn uns immer nur als (jüngste) Vergangenheit bewußt – das Bewusstsein zieht sich wie ein Kondensstreifen hinter uns her. (Aphorismus des Tages)

Angeregt wurde ich zu dem Projekt durch den täglichen Online-Blog von Christoph Amend vom Zeit-Magazin. Der liefert täglich viele Anregungen dafür, was man sich von außen zu sich nach innen hereinziehen könnte – informativ und anregend… schnelle Lektüre. Eine sehr persönliche „Amend-Auswahl“ – oder teilweise: weiter gereichte Empfehlungen.

Meine Idee: ein Blog, der von innen nach außen funktioniert:  also kurz und knapp MEINE aktuellen Ideen und Gedanken, meine Weltsicht „frisch vom Tag“ hinausschicken an die Welt sowie vielleicht auch mal ein Gastbeitrag.

– Dazu: ein „Foto des Tages“, das möglichst aus der laufenden Woche stammt – wie dieses:

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– Sowie: ein täglicher Aphorismus (s.o.).

Der Brandenburger Tor wünscht (hoffentlich) anregende Lektüre.

Ihr Herbert Börger – aus Berlin am 26. Oktober 2017

Moment mal….. Herr Martenstein!

Man(N) sollte den Dingen schon auf den Grund gehen!

Sie scheinen ja ein großer Experte für den ostdeutschen Toast zu sein. Ihrem Text fehlt allerdings die Ausgewogenheit in bezug auf die Westdeutschen Dosenravioli!

Diese Dosenravioli können nämlich eine faszinierende Geschichte westdeutscher Nachkriegs-Sozialisierung erzählen.

Stellen Sie sich den Autor dieser Zeilen vor – 17 Jahre jung: er hütet während eines Ferien-Jobs in Hamburg-Rissen das Häuschen von Großonkel/-tante. Tolle Sache – wenn da nicht das Problem mit der Ernährung wäre… „Essen gehen“ oder „Snack kaufen“ war uns 1963 noch nicht als Ernährungsmethode in die Gene geschrieben. Also: Dosenravioli beschafft. Warm machen? Dose in einen großen Topf mit heißem Wasser gesetzt – und warten. (Immerhin: nicht direkt auf die Gasflamme gestellt!) Hunger! Jetzt kommt der Moment: der Dosenöffner wird angesetzt – ein Schlag…. und die ziegelrote, verführerisch duftende Raviolisoße verteilt sich explosionsartig auf die Wände der kleinen Küche!

Den Rest der Geschichte habe ich offensichtlich verdrängt. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich damals noch nicht Physiker war, nicht mal werden wollte… weiß auch nicht, ob ich es wegen dieses Ereignisses dann geworden bin.

Festzuhalten ist: ich konnte mit 17 Jahren nicht kochen – nicht mal Dosenravioli konnte ich heiß machen. Mein Vater konnte auch nicht kochen – der hat nicht mal Kaffee gekocht. ABER: meine drei Söhne sind schon in jungen Jahren quasi Sterne-Köche gewesen… jedenfallso im Vergleich zu mir damals! Und das haben sie nicht von mir.

Verantwortlich dafür, das alle unsere Söhne kochen können, ist deren Mutter/meine Frau. Also hat ein kleiner Teil der Menschheit einen Riesen-Schritt gemacht, durch die Kreuzung zweier völlig verschiedener ja fremder Rassen: eine Frau mit einem Mann.

Spannende Frage: hat die neuere Sozialisierungsgeschichte der Ostdeutschen Menschen ähnliche Höhepunkte zu verzeichnen? Können die „neuen Söhne“ dort jetzt auch kochen? Dann dürfte sich das Thema des Toasts ganz von alleine erledigen, ohne dass jemand auf die Straße geht – nicht mal zum Fertig-Snacks holen. Es sei denn, diese Gesellschaft würde sich hartnäckig gegen die Überfremdung (durch Frauen, die wirklich was zu sagen haben) widersetzen…

Übrigens: nur ein gerösteter Toast füllt immer auch die Marmeladenseite!

Gespannt auuf Ihre Rechtfertigung verbleibt

Ihr

Brandenburger Tor

P.S.: Ach ja – noch was: „Ein Toast auf die tapferen Ostdeutschen, die nach fast 50 Jahren ideologischer Regelmentierung (2 Systeme, die sich nur in der Unfreiheit für das Volk einig waren) unermüdlich auf dem langen Marsch in die Demokratie gemacht haben – ohne sich in der Demokratie gleich der Einfachheit halber selbst zum Volk zu erklären.“

Bei Illner auf der Wahlkampf-Intensiv-Station!

Frau Illner stellt als Domina drei Politiker auf einen Hundetrainings-Platz und wirft ihnen Stöckchen zu….

… die sie binnen Sekunden apportieren müssen.

(Sende-Format :“Illner intensiv“ vom 5.-8-9-2017)

Das ergab auch überraschende Ergebnisse – denn nicht jeder greift in der Hektik gleich in die richtige Schublade!

Interessant!

Aber ist eine solche Dressur-Schau förderlich für den politischen Diskurs?

Fragwürdig.

Herrn Sonneborn hätte sowas einfallen können, um den Parteien-Routine-Sprech satirisch zu entlarven – aber der ist jetzt ja leider Partei….

Aber Satire-Sendungen haben wir bei den Öffentlichen inzwischen wirklich genug!

Der Brandenburger Tor

Tegel – ein klassischer Merkel-Coup

Ja, wieder einmal so ein typischer Merkel-Moment:

fast beiläufig und unspektakulär, spricht sich die Kanzlerin gegen Tegel-Offenhaltung aus, ohne sich gegen die Offenhaltung von Tegel „in Stellung“ zu bringen…

Wenn die eigene CDU-Couleur vor Ort die Grundrechenarten nicht beherrscht – „Mutti“ jedenfalls KANN rechnen: ca. 300.000 Tegel-Betroffene stehen maximal der Hälfte BER-Betroffener gegenüber. Da die direkt betroffenen  auch noch Beeinflusser von NICHT-Betroffenen sind, liegt die Gesamtzahl der Gruppe noch viel höher. Und zwar unabhängig von Landesgrenzen: es ist Bundestags-Wahlkampf!

Folglich stellt sich die Amtsinhaberin „BUNDES-CDU“ gleichzeitig auf die Seite des Rechtes – wie auch die der größeren Zahl der Betroffenen.

Dass es längere Zeit so ausgemacht galt, dass der Volksentscheid zugunsten der Tegel-Offenhaltung ausgehen sollte, ist einfach nicht plausibel. Dass die Berliner CDU umgefallen ist, sobald sie Gegenwind in ihrer Halung verspürte, spricht nicht von solider Grundhaltung. Aber es wird bei der Bundestagswahl nicht viel schaden, da die Bundes-Parteivorsitzende ja das wieder repariert hat. Somit wird das Thema der Bundes-CDU nicht schaden, der Bundes-SPD trotz der geraden Haltung der Landes-SPD aber auch nicht nützen.

Was den Volksentscheid betrifft: die Mehrheitsbetroffenen bringen sich gerade in Stellung: aus meiner Sicht wäre es unlogisch, dass sich die Mehrheit der Nicht-Betroffenen gegen die Rechtslage und für die Minderheit der Betroffenen entscheidet. Denn: wenn es eines Tages einmal sie selbst betrifft, möchten sie auch, dass das Recht gilt!

Der Autor dieses Textes gehört keiner Partei an und wohnt im Einflugbereich von Schönefeld/BER.

P.S.: Lesen Sie auch meine Glosse von 2009 – in diesem Blog unter „Angela Merkel macht einer Jüngeren Platz„.

Der Brandenburger Tor, 30.08.2017

Ist das Kunst, oder kann das weg?

  • zwei Tage auf der Documenta 14

In Kassel ist die Documenta allgegenwärtig – die Litfaßsäulen-Provokation im ersten Bild zeigt eindrucksvoll, wie Kreativität weitere Kreativität befeuern kann: das Plakat gehört zur Documenta-begleitenden Werbeaktion eines Mobilfunk-Anbieters – nicht etwa zu einer Bürgerinitiative gegen die Documenta. Gemeint ist, dass die Nutzung der Kommunikationsdienste kinderleicht sei…..

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Bild 1: Litfaßsäule auf der Wilhelmshöher Allee in Kassel

„Ist das Kunst – oder kann das weg?“ haben wir uns zwei Tage lang in Kassel gefragt. Wir: Drei Naturwissenschaftler (Physiker/Mathematiker/Ingenieure), ein Mediziner, ein Jurist – Abiturjahrgang 1965. Zum Teil mit Ehefrauen.

Vorweg zum „Hauptdarsteller“ – nämlich der Stadt Kassel: die wirkt trotz (oder wegen?…) der weitgehenden Abwesenheit von Schönheit der Innenstadt außerordentlich sympathisch – ich muss aber bekennen, dass ich durch die Dreingabe eines (durchgehend) strahlenden Spätsommerwetters als heftig korrumpiert gelten muß. Ich kann nur jedem empfehlen, sich neben der Documenta auch die „Knaller“ zu genehmigen, die die Stadt selbst „unten“ und „oben“ einrahmen: Karls-Aue und Schlosspark mit Wasserspielen.

Wir preisen noch heute den in unserer Gruppe, der die Idee hatte: lasst es uns unter der Woche machen – die Meisten sind ja im Ruhestand. Das ist wohl der Grund, weshalb in diesem Bericht die Schau so entspannt erscheint und nicht über Massenandrang und lange Schlangen geklagt wird. Dennoch war es – für Dienstag/Mittwoch – überall sehr gut besucht! War ja auch noch Ferienzeit.

Ich habe versucht, möglichst unvoreingenommen dort aufzutreffen – dennoch ist es aufgrund der Prominenz der Documenta schwierig, völlig ohne Vorabinformationen und Meinungsbilder dort anzukommen: selbst wenn man am ersten Tag hinginge, würde man bei uns als Feuilleton-Leser schon die Meinungen selbsternannter Kunst-Richter kennen… darunter solche, die schon vorab die Documenta14 zum krachendsten Ausstellungsscheitern des Jahrhunderts kürten (Oliver Heilwagen, 10.6.2017) *).

Vorab: letzteres (krachend gescheitert) ist die Documenta14 NICHT.

Sie ist mindestens so interessant wie die Vorgänger – und hat Anlass zu sehr viel Auseinandersetzung und Erörterung gegeben – beides ist in meinen Augen ein positives Resultat für eine Ausstellung von Gegenwartskunst.

Für mich hatte die Documenta 14 drei Schichten:

erste Schicht: Die (meist größeren) Arbeiten, oft im Außenbereich, die einen gesellschaftlichen Fokus haben und Documenta-Halle und alte Haupt-Post.

zweite Schicht: Die Ausstellung im Fridericianum, die eine Sammlung von Gegenwartskunst aus Athen darstellt (Museum EMST, das wegen Geldmangels nicht eröffnet werden kann…).

dritte Schicht: Die älteren Kunstwerke im Außenbereich, die die Stadt Kassel bei den jeweiligen Documentas angekauft hatte.

zur Schicht 1:

Dies ist der Bereich der Arbeiten, die viel Kritik ausgelöst hat mit den Schlagworten dies sei „Kunst als Waffe“, Ideologie und Agit-Prop-Provokation, selbstgefällige und Überhebliche Schau einer Weltverbesserungs-Armee. Und immer wieder das Schlagwort von der „politisierten“ Documenta.

Zunächst möchte ich oberlehrerhaft, wie ich bin, darauf hinweisen, dass

  1. der Begriff „politisch“ aus meiner Sicht grundsätzlich verfehlt ist: viele Künstler haben sich mit gesellschaftsrelevanten Themen auseinandergesetzt – mit Ihren jeweiligen Mitteln – und wurden wohl auch vom Kurator dazu ausdrücklich ermuntert. Kunst darf und soll das, wobei im Einzelnen zu fragen wäre, ob das Thema gegenwärtig wirklich relevant ist.
  2. es vorkommen kann, dass ein Künstler die Ursachen für ein ihm persönlich schwer erträgliches Problem auf unserer Welt so extrem verkürzt wahrnimmt, dass diese Darstellung an der Wirklichkeit (einschließlich Ursache und Wirkung) massiv vorbei geht. Hier ist sicher „Auschwitz on the beach“ nur die Spitze des Eisberges. Aber alles andere dürften wir aushalten…

Ich selbst bekenne, dass ich wirklich genervt bin, von Kunstwerken, die ich als „Holzhammer-Aktionen“ bezeichne: weder neu noch originell noch irgendwie hilfreich. Bestes Beispiel aus meiner Sicht: der Schriftzug auf den Fridericianum „BEINGSAFEISSCARY“ (being-safe-is-scary).

Nach 25 Jahren Terrorismus-Debatte möchte ich zu dieser falsch-verkürzten Arbeit nur sagen: 4-minus, setzen… Aber: So what….

Dafür habe ich viele sehr eindrucksvolle Arbeiten gefunden, wie den Parthenon der Bücher, den Obelisk auf dem Königsplatz, die Abwasser-Rohre, das Marmorzelt, den Vorhang aus Rentierschädeln, die große Videoprojektion mit Masken/Gesichtern in der Haupt-Post etc.

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Richtig ist es, das alles zu diskutieren, in Frage zu stellen… aber ohne das Zusammentreffen mit dem Kunstwerk hätte man sich vielleicht manche Fragen nicht gestellt…?

zur Schicht 2:

Die Athener Sammlung besteht nicht nur aus aktueller Gegenwartskunst, sondern berücksichtigt vor allem griechische Künstler, mehrere Jahrzehnte zurückreichend. Etwas, was wir hier in Westeuropa meist nicht zu sehen bekommen – aber meines Erachtens auch ein guter Schritt (solidarisch?), eine Sammlung auszustellen, die in Athen aus Mangel an Geld nicht gezeigt werden kann. Teilweise wirklich beeindruckend, zum Beispiel gleich im Eingang die Projektion der „fließenden Mosaike“ auf die Besucher, was überraschende Effekte in Wechselwirkung mit unseren Körpern mit sich brachte – hier wurde auch viel gelacht, was in Museen für Gegenwartskunst eher Seltenheitswert besitzt.

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zur Schicht 3:

Hier erkennt man zunehmend, dass diese Methode für die Stadt Kassel ein großer Gewinn ist – und man kann nach einigen Jahren beim Wiedersehen mit den Kunstwerken prüfen, was sie uns heute sagen. Ich habe jedenfalls über etliche Lebensjahrzehnte festgestellt, dass sich die Beziehung zu Kunstwerken entwickelt und ändert. Sie bilden quasi einen Kontext parallel zum eigenen Leben.

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Zum Schluß eine Bemerkung zu den „ChoristenInnen“ – also den offiziellen „Documenta-Führenden“:

160 Fachleute waren dazu verpflichtet worden, organisierte „private“ Führungen waren deshalb „verboten“.

Das Bild des „Choristen“ habe ich ehrlich gesagt nicht wirklich verstanden: hier liegt ein Widerspruch vor – das einzelne Mitglied des Chors für sich ist eigentlich … nichts, es sei denn, er sei außerdem „Solist“. Oder sollte der Führende mit den zu führenden einen Chor bilden? Sei’s drum!

Wir hatten für gut 2 Stunden eine solche offizielle „Choristin“, die mit uns in sehr lebhaften Gesprächen einen Chor bildete – also doch!

Das hat sie nach einhelliger Meinung sehr gut gemacht!

Nun ja: wenn man eine Gruppe so intelligenter und gebildeter Menschen führen darf….

Berlin, 28.08.2017

Herbert Börger (kein Kunst-Experte)

P.S.: *)

Auf eine Dokumenta-Kritik – nämlich jene „vernichtende“ von von Oliver Heilwagen vor Beginn der Kasseler Schau veröffentlichte – möchte ich noch kurz zurückkommen.

Herr Heilwagen scheint ja wirklich alles zu wissen und steht auch über allem… Vor allem erhebt er sich weit über Kassel. Ich habe nachgesehen, derzeit ist er Berliner. Seine herablassenden Äußerungen über Kassel im Zusammenhang mit der Dokumenta scheinen aber darauf hinzuweisen, dass er die traumatischen Erlebnisse einer Jugend in Kassel darin verarbeitet….

Zitat aus „documenta 14“ auf Internet-Portal „Kunst+Film“:

…. „Dagegen war Kassel stets geruhsame Residenz- und später Beamtenstadt. Sie hat trotz bedeutender Kunstschätze kein eigenes kulturelles Profil entwickelt; ab 1955 wurde sie rein zufällig zum Standort der weltgrößten Ausstellung zeitgenössischer Kunst.

Kassel als neutrale Kulisse

Diese Mittelmäßigkeit hat Vorteile. In den 1970/80er Jahren wurde Kassel gern als Testgebiet zur Markteinführung neuer Produkte genutzt, weil es statistisch so nah am bundesdeutschen Durchschnitt lag. Für den Kunstbetrieb war und ist die Stadt eine erstklassige, da neutrale Kulisse: Sie bietet eine passable Infrastruktur, ansonsten stört sie nicht weiter. Universität und Kunsthochschule liefern Talente und billige Hilfskräfte, alle anderen halten sich raus.

Bis zur Jahrtausendwende war den meisten Einwohnern die Karawane komischer Kunst-Vögel, die alle fünf Jahre in die Stadt einfiel, völlig schnuppe; heutzutage interessiert sie am ehesten, an fast einer Million Ausstellungs-Besuchern mitzuverdienen.“….

Zitat Ende.

Die Stadt, die die größte zeitgenössische Kunstschau weltweit stemmt, bei deren Namen JEDER sofort an die DOCUMENTA denkt – hat kein eigenes kulturelles Profil entwickelt?

Ach ja: ist ja nur Kulisse…

Dabei kommt Kassel noch glimpflich weg – verglichen mit dem, was Heilwagen über Herrn Szymczyk auzsschüttet!