Ernstchens erste Oper!

Meine Schwiegereltern haben meine Frau mit dem Namen Elvira gesegnet, weshalb sie seit Ur-Zeiten nur „Donna“ gerufen wird, und – nomen est omen – eine begeisterte Opernbesucherin ist.

Nur ich nenne sie Elv – und bin kein so großer Opern-Liebhaber, was ich aber bisher nicht so deutlich durchblicken ließ – geschweige denn die Tatsache , dass das mit einer Art Trauma zusammenhängt, das ich in früher Jugend erlebte.

Ich hatte die Sache auch schon fast vergessen, bis ich kürzlich, nachdem meine Mutter gestorben war, unten aus einem alten Bücherschrank neben Fotoalben und Heften mit Bildern, die wir als Kinder gemalt hatten, ein Heft fand, in dem ich als Zwölfjähriger eine Zeit lang Tagebuch geführt hatte.

Wenn Sie, lieber Leser, bereits die Geschichte „Ernstchens Schuhe“ gelesen haben, dann kennen Sie mich bereits. Ich bin Ernstchen – d.h. heute natürlich Ernst.

Dann wissen sie auch, dass meine Eltern sich immer sehr große Mühe damit gegeben haben, mich Einzelkind frühzeitig aus der Kinderwelt heraus in die Erwachsenenwelt hinein zu befördern, was nach Ansicht meines heiß geliebten Großvaters, manchmal – oder eher regelmäßig – zu „saukomischen“ (wie Opa gerne sagte) Situationen führte. Damals, in der Oper, war er auch dabei…

Nicht dass man ein Kind mit 12 Jahren nicht mit in die Oper nehmen könnte. Bei der richtigen Repertoir-Wahl, kann das sicher sogar ein idealer Einstieg in die Welt von Musik und Theater sein.

Das Folgende ist die Wiedergabe meiner eigenen Tagebuchaufzeichnung – den etwas unbeholfenen Text des 12-jährigen habe ich nachträglich etwas redigiert, um eine flüssigen Handlungsablauf zu erzeugen (den ganzen Ablauf des Bühnen-Dramas hatte ich damals verständlicherweise nicht fassen können).

Dies ist die Geschichte:

Auf der Bühne stand eine wahnsinnig aufgedonnerte Frau, die ununterbrochen spitze Schreie ausstieß. Eine Weile lang kam aber niemand, der ihr helfen wollte. Sie hatten nur direkt unter ihr eine Musikkapelle in einen Kasten eingesperrt, die angetrieben von einem langen, dünnen Mann immer lauter schepperte. Die spitzen Schreie konnte sie aber trotzdem nicht übertönen. Wahrscheinlich zahlten sie ihnen zu wenig dafür.

Endlich kam ein Mann auf die Bühne gestürmt, und ich dachte schon, der gibt ihr jetzt eine Spritze oder hält ihr wenigstens den Mund zu.

Aber er hielt vor ihr an und streckte nur seine Arme nutzlos nach ihr aus. Wahrscheinlich hatte sie einen unsichtbaren Schutzschirm um sich aufgebaut, den er nicht durchdringen konnte.

Dann fand er doch noch eine Methode, die Schreie der Frau abzustellen. indem er selbst anfing ganz unglaubliche Töne aus sich heraus zu quetschen und zu schluchzen. Es klang etwa wie Kermet der Frosch nur viel höher und zehnmal so laut.

Daraufhin schaltete die Frau plötzlich ihren Schutzschirm ab und er kam an sie heran.

Er wusste aber mit dem Vorteil nichts anzufangen, und unternahm nichts dagegen, dass sie wieder anfing diese Schreie auszustoßen. Vielleicht gefiel es ihm sogar, dass sie solche Schmerzen hatte – jedenfalls machte er wieder den Kermet und die beiden brüllten sich auf offener Bühne eine ganze Weile an.

Wenn meine Mama so schreit, macht mein Papa doch wenigstens das Fenster zu. Aber die kümmerten sich noch nicht einmal um die Kapelle, obwohl die da unten immer mehr raste und tobte.

Plötzlich waren sie aber wohl doch erschöpft, denn  das Geschrei endete. Anscheinend waren sie sich auch nicht mehr böse, denn sie fielen sich in die Arme. Das kenne ich: das machen meine Mama und mein Papa auch immer nach dem Geschrei.

Die anderen Leute in dem Opernhaus waren auch ganz erleichtert, dass das Geschrei vorbei war und klatschten deshalb wie rasend. Manche pfiffen und trampelten sogar mit den Füßen. Das dürfte ich mir mit meinen Freunden zu Hause nicht erlauben – es kam aber keiner, der ihnen die Hammelbeine lang zog….

Was dann kam, war sehr schön und ich erinnere mich noch ganz genau daran, leider war es viel zu kurz:

Ein hübsches Mädchen mit Locken und einem tollen Busen sprang auf die Bühne. Und das allerbeste: sie war barfuss, stellt euch das mal vor! Ich stehe unheimlich auf nackten Füßen bei Mädchen – und die hatte sehr schöne Füße.

Papa erklärte mir, das sei die als Schäferin verkleidete Schwester vom Kermet, aber der könne sie nicht erkennen, da er sie lange nicht gesehen hatte.

Ich fand sie aber nicht sehr verkleidet, denn eigentlich war sie überall ziemlich nackt – und der Kermet glotzte sie natürlich auch entsprechend an.  Ich würde sie garantiert jederzeit wieder erkennen, auch wenn ich sie ein paar Tage nicht gesehen hätte, vor allem an den Füßen!

Dann machte die schöne Schwester auch den Mund weit auf – aber sie schrie nicht, sondern etwas ganz Tolles passierte:

Töne sprangen wie Glasmurmeln aus ihrem Mund und dopsten von den Wänden des Saales wieder zurück. Dann ließ sie Perlenketten von Tönen an die Decke steigen und wie Seifenblasen über die Bühne schweben.

Ich war wie verzaubert – und sehr enttäuscht, als es schon sehr schnell vorbei war. Die Leute auch, denn sie klatschten nur ein bisschen.

Leider waren die Schrei-Frau und der Kermet auch auf der Bühne geblieben, und die Frau sah jetzt die Barfüssige sehr böse an, wahrscheinlich war sie neidisch, weil sie keine so schönen Murmeln aus ihrem Mund springen lassen konnte.

Und dann fing die Schrei-Frau wieder an, aber diesmal schrie sie nicht: erst gurrte sie wie eine Taube, aber dann schraubte sie sich immer höher hinauf mit der Stimme und zum Schluß war es, als hätte sie eine Laser-Schwert für Töne in ihrem Hals und sie sendete damit Blitze kreuz und quer durch den Raum, und das Ende bekam ich nicht mehr mit, denn da saß ich unten hinter der Balkonbrüstung und hielt mir die Ohren zu aber die Augen offen, um ja nicht zu verpassen, wenn die Ausgangstüre aufging, durch die ich unversehrt zu entkommen hoffte. Selbst in „Star Wars“ habe ich mich nicht so gefürchtet, und das ist eine wirklich unheimliche Geschichte!

Copyright 2009, Der Brandenburger Tor, Herbert Börger