Die tägliche Kolumne – 19 – Kann man mehr machen, als die Armut zu verwalten?

Ich habe schon vor Jahren mehrfach über Armut geschrieben:

Verbunden mit eigenen Erlebnissen: hier,

als historische Betrachtung: hier,

als böse Glosse: hier,

und im Grunde auch hier (Verteilungskampf) unter dem Eindruck einer „Regierungsbildungskrise“ in der über ein halbes Jahr mal wieder gar nichts passierte.

Das alles war im Jahr 2017 – und seitdem sind die Verhältnisse zur Lösung dieser Probleme eher schlechter geworden … außer dass man jetzt gerade (nach 6 Jahren) die vorgeschlagene Mindeststeuer für Unternehmen weltweit vereinbart hat – da wird es jetzt spannend zu sehen, ob das Gesetz gut gemacht ist und dann auch funktioniert bzw. Wirkung hat. Leider sieht man allerorten zu viel Symbolpolitik.

Nochmal zurück zur Armuts-Quote (die bewussten 16%) hierzulande:

Ich muss mir erst noch Detailinformationen dazu beschaffen – aber ich gehe mal davon aus, dass alle „normal“ (also ohne goldenen Nachttopf unter dem Bett) Studierenden und Auszubildenden dazu gehören. Das sind in diesem Lebensabschnitt überwiegend „Arme“ im Sinne der 30%-Armutsgrenze. Also statistisch betrachtet. Aber die haben nach meinem Kenntnisstand nur ein (wirklich!) großes Grundproblem: den Wohnungsmangel und die Mietpreise. Aber die Schwierigkeit ÜBERHAUPT einen geeigneten Wohnraum zum Studieren nahe der Uni zu finden ist das Grundproblem – und das ist auch schon Jahrzehnte alt. Hier müsste hauptsächlich das Problem des bezahlbaren Studierenden-Wohnraums (ja, ich Weiß: anscheinend auch der massenhafte psychosoziale Betreuungsbedarf!) gelöst werden – und nicht ein pauschales „Armutsproblem“.

Reckt da schon wieder das Ungeheuer namens „fehlende Effizienz“ einen seiner vielen Köpfe hoch?

Genauso gibt es am anderen Ende der menschlichen Lebensspanne ein ganz spezifisches Armutsproblem: bei der Altersrente. Unser aus dem Ruder laufende Rentensystem hat ebenfalls hauptsächlich ein Effizienzproblem (und zusätzlich das der Wiedervereinigung und der Explosion des Niedriglohn-Sektors). Dabei hat auch die Segnung der älteren (wichtigen!) Wählergenerationen durch mehrere Schübe von „Mütterrenten“ das Problem nicht gelöst sondern eher verschärft.

Zwischen Ausbildung/Studium und Rente ist bekanntlich die Situation der alleinerziehenden Mütter als Risiko von Kinder-Armut bekannt – auch dies eine spezielle eingrenzbare Situation, die besonders adressiert werden muss.

Durch das Fluten der sozialen Umverteilungssysteme mit pauschalen Maßnahmen werden wir die Probleme der tatsächlich existierenden Armut nicht lösen.

Ich wünsche einen schönen Sonntag!

Herzlich

Der Brandenburger Tor

© Herbert Börger, 19.11.2023

Das fängt ja gut an – 269 – Demographie und Rente

Wacht auf – Ihr Jungen: Rente ist Eure Zukunft!

Wird das Rentensystem weiterhin zwischen den Fronten der Klientel-Politik vermurkst?

Kein Mensch kann wirksam in die Zukunft blicken – das liegt, wie immer wieder betont werden muss, daran, dass die betrachteten Dinge in der Zukunft liegen. Besonders unsicher sind wirtschaftliche Zukunftsprognosen.

Diese Feststellung entläßt aber die politischen Eliten nicht aus der Pflicht, wenigstens zu VERSUCHEN, einigermaßen solide Entwürfe für die Zukunft zu machen und auf deren Basis solide Staatsfinanzen, Sozialkassen etc. in die Zukunft fortzuschreiben – verbunden mit allfälligen Korrekturen, wenn nach einigen Jahren ein Teil der Zukunft Vergangenheit geworden ist.

Die Einflüsse  auf die zukünftigen Entwicklungen sind komplex – deswegen gibt es bei uns einen großen Bereich staatlich finanzierter aber absolut FREIER Wissenschaft für die Volkswirtschaftlichen, sozialen und weltwirtschaftlichen Erkenntnisbereiche, die man braucht um in die Zukunft zu planen. Eine der wichtigsten und wertvollsten Grundlagen ist die Demografie!

Die Wissenschaften taten und tun meistens sehr brav ihren Job, da im Fortschreiben der Erkenntnisse ja das Versprechen liegt, dass die Wissenschaftler auch zukünftig einen sicheren und freien Arbeitsplatz haben (solange der nicht von KI bedroht wird….). Außerdem kann man dadurch, dass man sich besonders anstrengt zu Ruhm und Ehre kommen (und vielleicht zu Nebeneinkünften in der Versicherungswirtschaft – aber das ist ein anderes Thema….).

Die politischen Eliten sind verpflichtet, in erster Linie die sachlichen Erkenntnisse der Wissenschaft – und nicht etwa ideologische Modelle – in verantwortliches politisches Handeln umzusetzen. Bei den politischen Entscheidungsprozessen können dann Gestaltungselemente und Priorisierungen einfließen, die versuchen dürfen, einen gewollten Gestaltungs-Einfluss auf die zukünftigen Entwicklungen im sozialen, wirtschaftlichen oder klimapolitischen Bereich zu nehmen.

Allerdings ist es die oberste Pflicht der politischen Eliten, die Erkenntnisse der Wissenschaften als Grundlage der Gestaltungsprozesse unter den Aspekten eines gesellschaftlichen Konsenses (z.B.Solidarität) einzusetzen. Wer sind die politischen Eliten? Das sind im Prinzip alle, die ihren Lebensunterhalt im Bereich der vier „Gewalten“ verdienen: Exekutive, Legislative, Judikative und Presse/Medien. Die politische Elite ist verpflichtet, jedem Bürger des Staates die wissenschaftlichen Erkenntnisse verständlich zugänglich zu machen, da ja der einzelne Bürger – Sie und ich – die „Moleküle“ des gesellschaftlichen Konsenses sind! Nach unserer Verfassung haben die politischen Parteien in ihrer Verankerung in dieser Gesellschaft bei diesem Prozess eine besondere Verantwortung.

Dieser Forderung werden die politischen Eliten – voran die Regierung – derzeit aber nicht gerecht: es wird „auf Sicht gefahren“ – man hat Beiträge und Renten der kommenden 7  Jahre (!) im Blick… müßte aber ein Konzept für 30 – 60 – 90 Jahre haben (1-2-3 Generationen)… und dies auch offen legen (wobei so ein Konzept für die Renten bekanntermaßen sowohl aus besser vorhersehbaren als auch weniger gut vorhersehbaren Komponenten besteht!). Aber dieser Versuch wird überhaupt nicht gemacht – anstatt dessen wird bei den gegenwärtigen Koalitionsverhandlungen wieder nur an kurzzeitigen Effekten gebastelt. Tatsächlich wird dem Wähler etwas „versprochen“, was ziemlich genau der Prognose für 7 Jahre entspricht (und was bis auf die gegenfinanzierende Einnahmenseite sehr genau der Wirklichkeit entsprechen wird…) Sieben Jahre! Dabei wird das Defizit des Denken und Handelns sogar „hellsichtig“ eingeräumt – gleichzeitig mit einem blind und populistisch motivierten Eingriff in die Rentenformel wird VERSPROCHEN, dass DANN aber eine Rentenkommission mit Vertretern von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Wissenschaft eingerichtet werden soll, um für die nächste Generation voraus zu planen…

Jetzt-immerhin-doch-schon!?

Warum arbeitet man dann nicht jetzt schon mit der Kommission daran, ehe man die Rentenformel schon wieder aus Klientel- oder Interessen-getriebener Motivation (quasi-Dauerwahlkampf) antastet?

Vermutlich weil man schon ahnen kann: mit ein paar Feigenblatt-Wissenschaftlern (ohne Macht!) wird die Wissenschaft ja sowieso wieder gegen die Interessenvertreter untergehen?

Die gegenwärtigen Vorgänge erinnern mich doch stark an die Erfahrungen der letzten 40-50 Jahre, deren Zeuge ich sein durfte: Ende der 60er Jahre wurde nicht nur die Begrenztheit der Welt-Ressourcen erstmals politisch bewusst gemacht – um dann für Jahrzehnte ignoriert zu werden! – es wurden auch erste GESICHERTE Prognosen der Demografie für das nächste halbe Jahrhundert erarbeitet – die inzwischen alle eingetroffen sind und allen Regierungen seitdem mahnend vorlagen. Die darin vorhergesagte „Alterung der Gesellschaft“ oder „Umkehrung der Bevölkerungspyramide“ ist EINES der Grundelemente für viele gegenwärtige Probleme – und nicht nur des Rentensystems (besonders eines solchen, wie unseres, das von der Hand in den Mund lebt…. d.h. dass das Kapital für die zukünftigen Renten laufend „verdient“ werden muss – durch Einzahlungen der jüngeren Hälfte der Bevölkerung!).

Aber das sind nicht die einzigen Auswirkungen der „Überalterung“: Gesundheitssystem, Wohnungsbedarf, Schulen, ÖPNV… es gibt praktisch nichts in unserer Gesellschaft, das durch diese Veränderungen nicht beeinflusst wird.

… und trotzdem wurden die gesicherten demographischen Erkenntnisse von den politischen Eliten jahrzehntelang ignoriert! Bis es tatsächlich nicht mehr anders ging, da man auf die akute Situation reagieren musste. Rente mit 67 ist eines der prominentesten Beispiele der notwendigen Reaktionen – solange aufgeschoben, bis IRGENDEINE Regierung diesen schwarzen Peter haben musste (Ironie: es war die sozialdemokratisch geführte…). Bis heute dominieren immer noch  die Klientel-Schlachten das Thema: Interessen der privaten Versicherungswirtschaft hier – sozialpolitische Wunschvorstellung da! Die SACHE bleibt weiterhin auf der Strecke!

Der derzeit verhandelte „Kompromiss“ für das Rentensystem ist ein höchst ärgerliches Feigenblatt – ich empfehle der jüngeren Hälfte der Bevölkerung endlich aufzustehen und sich für die eigenen Interessen zu engagieren!

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 1. Februar 2018