Haben Pflanzen ein Bewusstsein?

Haben Pflanzen ein Bewusstsein?

Gleich vorweg die Antwort: „Ja, da bin ich mir heute subjektiv sicher!“ – Vor 20 Jahren habe ich es vermutet. Heute ist da schon eine Art von Gewissheit: worin die besteht werde ich unten beschreiben.

Der erste Schritt in einem solchen Thema muss immer der zur Begriffs-Klärung sein: also die Definition

Was ist Bewusstsein?„.

Da könnte man jetzt einige tausend Jahre Philosophie-Geschichte (und Religionen) und 200 Jahre Naturwissenschafts-Geschichte durchforsten – und säße da mit dutzenden teilweise stark divergierender Definitionen – je nach Zeitalter und Sachgebiet.  Man kann sich bei Wikipedia einen ganz guten Überblick verschaffen, der allerdings dann wieder mit einer großen Zahl von Begriffen gespickt ist, die jeweils wiederum eigener Definitionen bedürfen! Das kann eine durchaus wochenlange Recherchen-Reise durch Fachveröffentlichungen auslösen.

Am Ende treffen Philosophie und Naturwissenschaft (Biologie, Hirnforschung, Neurophysiologie, Psychologie, Kognitionswissenschaft) immer wieder zusammen, denn wir sind heute immer noch (weit?) davon entfernt, das Phänomen des Bewusstseins, speziell Ich-Bewusstseins, rein naturwissenschaftlich zu erklären. Aber auch die Philosophie ist noch nicht so weit.

Ich finde, dass die Partnerschaft von Philosophie und Naturwissenschaft gerade an dieser Schnittstelle sinnvoll ist: denn beide Bereiche haben eine gemeinsame „Mutter“: die Logik! Wer der jeweilige Vater ist, ist – wie so oft – umstritten…

Generell kann man aber sagen: stets ist im Zusammenhang mit „Bewusstsein“ die Rede von Geist, Denken, mentalen Prozessen, Gehirn – unabhängig davon, welches Modell eines Bewusstseins verhandelt wird. In diesem Sinne einer Bewusstseins-Definition, die ein Gehirn und neurophysiologische Systeme voraussetzt, können Pflanzen und also auch Bäume wohl kein Bewusstsein haben, denn sie haben kein Gehirn und kein Nervensystem (?). Es gab Pflanzen-Forscher, die aufgrund der Befunde mit der Existenz von elektrischen Potentialen und Informationsprozessen in pflanzlichen Strukturen angefangen hatten von einer Neurologie der Pflanzen zu sprechen. Das erwies sich aber nicht als sinnvoll und wurde glücklicherweise wieder fallen gelassen. Da wären man wieder im Bereich einer Metapher.

Aber: ist nicht die Begrenzung der Existenz eines Bewusstseins inclusive reflektierter Ich-Bewusstheit auf lebendige Systeme, die ein Gehirn benötigen um diese Leistung zu erbringen (also Menschen und höhere Tiere) auch eben wieder eine „Vermenschlichung“ dieser Leistungen (Antropomorphismus)? Verursacht durch den Umstand, dass wir – der sich selbst denkende Mensch – ein Gehirn haben. Aber ist ein „Gehirn“ eine notwendige Bedingung dafür, dass einem System ein Bewusstsein zugeschrieben wird? Nach meinem Verständnis ist es das nicht.

Für die Frage der reflektierenden Selbst-Bewusstheit des Menschen gibt es bis heute keine in sich schlüssige philosophische Lösung. Jeder noch so weit reichende Lösungsansatz des Leib-Seele-Problems ( oder Körper/Geist) eröffnet bisher am Schluss wieder ein neues ungelöstes (unlösbares?) Problem. Einer der vielleicht interessanteste neuere Lösungsansatz im Bereich der Philosophie ist der von Hedda Hassel Mørch, der dem Bereich des Panpsychismus nahe steht (eine-loesung-fuer-das-harte-problem-des-bewusstseins-15397757.html).

Ich bin nicht kompetent genug, um tiefer in diesen Forschungsbereich einzutauchen oder gar einzelne Fortschritte zu bewerten – es gibt eine Fülle ganz ausgezeichneter Publikationen dazu.

Anstatt dessen möchte ich den Denkansatz weiter verfolgen, ob das Phänomen der reflektierten Ich-Bewusstheit tatsächlich auf Lebewesen mit Gehirnen und Nervensystemen beschränkt werden muss (oder sogar auf „Lebewesen“ schlechthin…)?

Ich fasse kurz und grob einige Dinge zusammen, die die Wissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten über die Pflanzen herausgefunden hat:

Pflanzen haben ein System der Wahrnehmung („Sinne oder Sensoren“), mit denen sie Reize Ihre Umwelt (Schwerkraft, Licht, Nährstoffe, Berührung, bestimmte Gase, Angriff von Schädlingen) erfahren. Diese Sinne wirken nicht nur global sondern auch richtungsabhängig. Beim Baum nehmen wir bevorzugt den überirdischen Teil der Pflanze wahr – deshalb unterschätzen wir das Wurzelsystem, das wahrscheinlich den „wichtigeren“ Teil der Bäume darstellt.

Die wichtigste Einschränkung, der Pflanzen/Bäume gegenüber Mensch/Tier unterliegen, ist die Ortsfestigkeit. Jedenfalls bezüglich des Individuums – über die Stufe der Fortpflanzung kann sich die ART sehr wohl über große räumliche Bereiche „ausbreiten“. Aber wegen Nahrungsmangel oder Schädlingsangriff den Platz verlassen kann die Pflanze auf dem Festland nicht. (Im Gewässer/Meer ist diese Einschränkung möglicherweise nicht vollständig gültig …?)

Pflanzen können auf die Reize ihrer Umwelt reagieren und können dabei zielgerichtet agieren! Sie können ihren Wuchs in der Folge der Reizwahrnehmung in bestimmten Teilen der Pflanze in bestimmte Richtungen lenken, in anderen Bereichen den Wuchs ganz einstellen. Viele Pflanzen können sich als unmittelbare Folge der Reize bewegen: dem Sonnenlauf folgen, Blütenblätter entsprechend der Helligkeit schließen, nach Berührung schließen. Sie können den Wuchs global dem Nährstoffangebot, CO2-Konzentration oder äußeren Kräften anpassen. Pflanzen können bei Schädlingsangriff lokal den plötzlichen Zelltod einleiten, um dem Schädling unmittelbar lokal die Nahrung zu entziehen! Planzen können gasförmige Stoffe emittieren (bekanntestes Gas ist Ethylen), um zu kommunizieren, „Abwehrstoffe“ gegen Fressfeinde in Blätter transportieren und dort anreichern.

Anscheinend kommunizieren Bäume auch miteinander über die Wurzelgeflechte und sollen dazu auch Pilzgeflechte (die größten Pflanzen auf dieser Erde überhaupt!) in Symbiose mit nutzen. (Ich vermute, dass die „Gegenleistung“ in der „Beschattung des Bodens“ und damit der Schutz vor Erosion und Austrocknung ist – vielleicht aber auch ein Tribut mit Stoffen, die man nur mit Blattgrün herstellen kann …

Die Zeitskala von Baum-Leben und Baum-Erfahrungen ist eher „langsam“. Allerdings reagieren die Blätter von Mimose und Venus-Fliegenfalle im Sekundenbereich und ebenfalls die offensichtlich sensibelsten Spitzen der Wurzelenden reagieren auf Reize binnen Sekunden. Schon Darwin vermutete, dass ein eventuelles „Gehirn der Pflanzen“ dort in den vitalen Wurzel-Enden liegen könnte – ein Forscher schrieb: „Er hatte mal wieder recht!“

Ganz sicher auch: Pflanzen ist „Zeit“ als Qualität bewusst! Der Laubbaum weiß,  wann er die Blätter abwerfen muss – und jede Pflanze weiß, wann sie nach dem Winter wieder austreiben darf – und irrt sich nur bei extremen Wetter-Kapriolen.

Betrachten wir abschließend noch die äußere Erscheinung – die geometrische Form und Struktur des Baumes: wir – als bevorzugt visuell betrachtende menschlicher Beobachter können an einem weitgehend erwachsenen Baum – ganz gleich wo und unter welchen Umständen er aufgewachsen ist – die Art sofort an dieser äußeren Form erkennen, die der Baum sich selbst durch seinen Wuchs gibt: Pappel, Weide, Linde oder Eiche etc. Daraus folgt, dass der Baum ein genetisches „Selbstbild“ hat, das als ein Haupt-Parameter die Wachstums-Vorgänge zielgerichtet vorantreibt – durch eine Vielzahl von Standort-, Umwelt- und Zeit-Einflüssen wird er dann ein spezielles Individuum dieser Art. Als solches muss er aber ein System besitzen, das das Ergebnis der Wachstumsvorgänge mit dem Selbstbild vergleicht, um das angestrebte Ziel, eine Pappel oder eine Linde zu werden, zu erreichen, ohne sich im Spiegel ansehen zu können. Darüberhinaus besitzt er Strategien, sich nach Windbruch selbst zu „reparieren“.

In den grünen Pflanzenbestandteilen läuft schließlich – nicht zu vergessen – einer der genialsten Prozesse (Photosynthese) in diesem Kosmos ab, mit dem aus Licht-Photonen (Energie) und unbegrenzt verfügbarem Gas (CO2) die Grund-Substanz – also Materie – gebildet wird. Ein so erfolgreicher Prozess, dass es mit seiner Hilfe den Pflanzen über mehrere hundert Millionen Jahre gelungen ist, einen ganzen Planeten zu umhüllen – nicht zu vergessen: einschließlich der gewaltigen pflanzlichen Masse in den Meeren.

Man könnte postulieren, dass jede einzelne nachweisbare Ursache-Wirkung-Paarung in der Pflanze für sich eine „fest verdrahtete“ Funktion ist und nach diesem festen Schema abläuft – fertig! Wasser, C02 + Photosynthese und Nährstoff: Baum wächst und treibt Zweige und Blätter. Schwerkraft: bewirkt die Haupt-Wuchsrichtung – Licht fällt auf den Baum: es bestimmt die Wuchsrichtung im Detail und die Form der Ast-Krone. Wie ein Automat?

Sie haben es registriert: ich schrieb ganz oben nicht, dass ich „glaube“, dass Bäume ein Bewusstsein haben. Das Bewusstsein der Bäume existiert – oder existiert nicht … das kann man nicht in die Bäume „hinein-glauben“. Glauben ist etwas für Denk-Faule (ich bin eher denk-hyperaktiv). „Glaube“ ist bei mir reserviert für die Beziehung zu anderen Menschen, Freunden, Kindern – da erfüllt er seinen Zweck als stabiles Skelett in einem Wackelpudding von weichen Relationen in denen man nichts bewiesen kann oder will. Ich glaube, dass meine Freunde mich nicht hintergehen werden, ich glaube, dass meine Kinder ihren Weg im Leben finden und gehen werden… Aber sonst ist der Glaube bei mir in einer Garage geparkt und ich bemühe mich um sachlich begründbares  WISSEN und MEINUNG.

Ich habe auch kein „esoterisches“ Verhältnis zu Bäumen – ich finde es o.k., wenn jemand Bäume umarmt. Es kann sein, dass die körperliche Nähe zu einer Pflanze, in die man eine „Persönlichkeit“ imaginieren kann, dem Menschen gut tut, der dies tut. Ich bezweifle aber sehr, dass es dabei zu einer beiderseitigen „Beziehung“ kommt … Befeuert vom Bereich der menschlichen Emotionen und sachfremder Imagination entfaltet sich hier der Sektor der „Antropomorphismen“: in diesen versucht der Mensch das betrachtete Objekt oder Lebewesen in typisch menschlichen Kategorien zu erfassen und einzuhegen. Am Ende dieser Imaginationskette stehen dann Geschichten (nicht erst bei Disney… auch schon in alten Mythen!), in denen Tiere und Pflanzen nicht nur untereinander sondern auch mit Menschen kommunizieren.

Antropomorphismen sind auch ein stark genutzter Weg, den populärwissenschaftlich Publikationen benutzen um erfolgreich zu sein: ich schrieb bereits kürzlich über die Welt jener Schriften, die sich des „Geheimen Lebens der …“ bedienen, um Leser zu erreichen.

Weder mit ausgeklügeltesten Experimenten noch durch theoretische Logik-Schlüsse alleine läßt sich entscheiden, ob Fplanzen/Bäume ein Bewusstsein haben, solange der Begriff des „Bewusstseins“ nicht klarer definiert ist … Allenfalls der zweifelsfreie Nachweis der Existenz eines „Gehirns“ in Pflanzen könnte dies obsolet machen und zugunsten des vorhandenen Bewusstseins entscheiden.

Bis dies geleistet ist, erlaube ich mir die MEINUNG zu haben, dass Pflanzen sehr wohl ein Bewusstsein haben – und das fühlt sich richtig gut an!

Aphorismus der Tages: „Wissen plus Meinung = HALTUNG.“ (Der Brandenburger Tor)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 2. Februar 2018

 

Das fängt ja gut an – 273 – Das geheime Leben der …

Warnhinweise: „Das geheime Leben der …“

oder: Die große Pest der schrecklichen Vereinfacher (Simplificateurs terribles!).

Fragen Sie Ihre Suchmaschine nach „Das geheime Leben der….“

Sie werden finden: Pflanzen (der älteste Klassiker! ), Bäume (der Bestseller von 2015), Hunde, Katzen, Dinge, Worte, .. auch ganz OHNE Zusatz: sozusagen das geheime Leben an sich…

Wenn Sie einen solchen Buchtitel lesen, ist große Vorsicht angebracht: besser, sie nehmen geistig „die Beine in die Hand“! Jedenfalls wenn Sie ihre Lebenszeit nicht mit sinnlosen Metaphern und – im Falle der meisten pflanzliche-tierischen Themenbereichen – furchtbaren Antropomorphismen verbringen wollen (das sind Analogien zu menschlichen Verhalten/Eigenschaften für nicht-menschliche Lebensformen).

Das Problem ist: in den fraglichen Sachgebieten nicht-menschlicher Lebensformen oder Strukturen („Dinge“) wird ein durchaus relevantes Thema beackert. Allerdings ist es – wie fast immer – eigentlich komplex! Mit dem Ziel, breite Leser-Schichten populärwissenschaftlich zu durchdringen, wird die offensichtlich nicht-menschliche Wirklichkeit auf Teufel komm raus mit Antropomorphismen zugekleistert bis die Wirklichkeit nicht mehr zu erkennen ist.

Witzig ist schon alleine die Ironie, die darin liegt, dass das jeweils Beschriebene ja gar nicht „geheim“ sein kann, wenn es der Autor hier ausbreiten kann – und selbst wenn es vorher nur der Autor gekannt haben sollte, ist es nicht mehr geheim, nachdem Sie und einige hunderttausend Leser es gelesen haben werden… oder eben doch, weil das mit Metaphern zubetonierte Gebiet in Wirklichkeit dem Leser weiterhin verborgen bleibt.

Aber wieder im Ernst: Auch ich erkenne und erkenne an, dass die Autoren (wie Förster Wohlleben), die sich mit dem spektakulären populärwissenschaftlichen Mäntelchen des geheimen Lebens bekleiden, meistens (außer Aufmerksamkeit) die Empathie der Leser für das Thema wecken wollen – und das gelingt anscheinend am besten, wenn man die dem Menschen nahestehenden, seine eigenen Emotionen befeuernden Metaphern in der Beschreibung verwendet wie Sehen, Fühlen, etc.

Wenn man aber einen Haufen nicht ganz falscher Metaphern schließlich zu einem Gesamtbild verschmilzt – so kann die Wahrheit schließlich dahinter verborgen bleiben! Es resultiert mehr Missverständnis als Verständnis! Typischerweise werden dann Lawinen von Esoterik oder Verschwörungstheorien losgetreten, auch wenn der Autor selbst nicht den schritt zur Esoterik getan hat.

Die Informationen, die z.B. Förster Peter Wohlleben in seinem Buch verwendet, sind als Forschungsergebnisse in den letzen Jahrzehnten laufend veröffentlicht worden und wurden in einem GEO-Kompakt-Band (03/2014) bereits ein Jahr vor Erscheinen des Wohlleben-Buches sachlich zusammengefasst.

Abschließend komme ich zu einer Warnung vor einer dem Voranstehenden eng verwandten Kategorie der „schrecklichen Vereinfachung„: lesen Sie bitte auch keine Bücher, die vorgeben, sie könnten Ihr Leben vereinfachen – dadurch, dass Sie das Buch lesen. Das ist immer ein Missverständnis: Sie vereinfachen das Leben des Autors dadurch, dass Sie das Buch kaufen! Wenn Sie dazu beitragen wollen: kaufen Sie es eben – aber lesen Sie es nicht!

Denken Sie immer an folgendes: Das Verhalten der Menschen ist hochgradig adaptiv – und der Mensch an-sich ist faul! Wenn es ein einfacheres Leben als Ihr gegenwärtiges gäbe, wäre der Mensch schon vor 100.000 Jahren darauf gekommen: und Sie wären folglich schon so auf die Welt gekommen – ein offensichtlicher Widerspruch zur Vereinfachbarkeits-Hypothese.

Die schlichte – wenn auch erschütternde – Tatsache ist: mit der Teilung der ersten Zelle endete das „einfache Leben“. Ihr gegenwärtiges Leben ist unter den gegebenen Umständen bereits das einfachst-mögliche Leben … (Ich habe viele Jahrzehnte gebraucht, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen – und man sieht es mir an!)

Aphorismus des Tages: „Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher (als nötig).“ (Albert Einstein)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 28. Januar 2018