Das fängt ja gut an – 335 – Regierungsverweigerung und Wahlkostenerstattung

Satire oder Realtät? Man muss den Akteuren zu Gute halten, dass jedes „erste Mal“ verwirrend ist: zum ersten Mal will niemand das Land regieren – außer Angela Merkel!

Im Willy-Brandt-Haus spielte sich gestern eine unglaubliche Szene ab:

„Martin, Du kannst doch jetzt von uns nicht verlangen, dass wir doch regieren! Wir hatten ja erwartet, dass der Frank-Walter  Dir den Kopf wäscht – aber doch nicht gleich das Gehirn!“

„Doch – es muss sein! Frank-Walter …äh, der Bundespräsident hat gesagt, bei Regierungsverweigerung bekommen wir bei der Neuwahl keine Wahlkampfkostenerstattung.“

„Na, dann machen wir eben nix – dann brauchen wir uns hinterher auch nicht zu rechtfertigen, dass wir nicht regieren wollen.“

„Ja, aber stellt Euch vor: wir bekämen ohne ein Plakat, ohne einen Auftritt von mir bei der Neuwahl ein besseres Ergebnis als vorher!?“

Aphorismus des Tages: „Wahl – Kannst Du nicht allen gefallen durch deine Tat und Dein Kunstwerk, mach es wenigen recht; vielen gefallen ist schlimm.“ (Friedrich von Schiller, dt. Dichter, 1759 – 1805)

Bild des Tages: Die Engel bringen mit den Posaunen von Jericho die Mauern des Willy-Brandt-Hauses zum Einsturz…

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Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 25. November 2017

Das fängt ja gut an – 348 – Noch mehr hart arbeitende Menschen!

Noch mehr hart arbeitende Menschen!

Täglich tauchen im Diskurs neue hart arbeitende Minderheiten auf, die man bisher noch nicht ausreichend gewürdigt hat!

Im Nachgang zu meiner gestrigen Analyse, möchte ich daher heute zwei weitere vorstellen.

Erstensdie Drogenhändler im Görlitzer Park (Görli) und am Kotbusser Tor (Kotti) in Berlin:

Im grün-regierten Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain wurde kürzlich eine Ausstellung vorgestellt, die sich mit den Schicksalen der Drogendealer am Ort beschäftigt.

Aus der offiziellen Presseerklärung dazu springt einem folgender Satz ins Auge:

Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Widerstände arbeiten Drogenverkäufer unerschrocken und tapfer im öffentlichen Raum.“ (= Aphorismus des Tages)

Ergänzend kann man lesen, dass eben diese meist schwarzen Flüchtlinge dort zufällig herumstehen – zwischen den hereindrängenden Drogen und den 10-jährigen Kindern, die durch den Park zur Schule gehen – sodass den Schwarzen eben nichts anderes übrig bleibt, als da den Dealer zu geben … Pflichtbewusst sind die und damit als Migranten in Deutschland schon fast integriert! (Satire!)

Wer sich drum kümmert, weiß, dass die Bürgermeisterin Monika Herrmann (Die Grünen, seit 2013) sich selbstverständlich nicht mit dieser Situation abfinden will und sehr wohl weiß, wovon sie redet: nämlich, dass die Dealer vor Ort nur das Ende und schwächste (austauschbare) Glied einer hoch organisierten kriminellen Kette sind. Und inzwischen wurde auch mit (hochgelobtem) Park-Management einiges erreicht. Herrmann weist wohl zu Recht darauf hin, dass ohne entsprechende Unterstützung des Bundeslandes Berlin in dem Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain (Bevölkerungszahl vergleichbar mit Augsburg) alleine das Problem nicht gelöst werden kann.

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, wenn man vorhersagt, dass dieser eine oben zitierte Satz von diesem lokalen Ereignis – auf ewig – im Netz-Gedächtnis haften bleiben wird. Zumal er so gut zu grüner Fundamental-Ideologie passt, die im Bezirk Kreuzberg eine Heimat hat.

Zweitens – Gerne wird der Umstand des „hart arbeitens“ auch dadurch umschrieben, dass jemand sehr-sehr-viel arbeitet, besonders wenn es um die Umschreibung des eigenen Arbeitseinsatzes geht:

Der regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, ist in der Stadt mit ungeheuer vielen Problemen konfrontiert – und in der Folge mit einer Diskussion, ob er den damit verbundenen Anforderungen gerecht wird.

In der Berliner Morgenpost wurde er kürzlich gefragt: „Wir fragen nach, weil Sie ja zusätzliche Aufgaben übernehmen wollen. Sie sind Regierender Bürgermeister und SPD-Landeschef, streben einen Beisitzer-Posten im Bundesvorstand an und sind jetzt für ein Jahr Bundesratspräsident.“ (es wäre hinzuzufügen, dass Michael Müller auch in Personalunion Senator für Wissenschaft und Forschung ist und bis März 17 Aufsichtsratsvorsitzender des BER war – sowie dass er neuerdings Vorschläge für Grundeinkommen verfasst…)

Antwort Michael Müller: Ich habe immer viel gearbeitet. Mein Tag ist 14 bis 16 Stunden lang.  Man muss Prioritäten setzen und dann im Kalender neu gewichten.

Wir wollen nicht kleinlich sein: wahrscheinlich meinte er mit dieser Stunden-Angabe den ARBEITSTAG…

… oder hat er wirklich kürzere Tage und dies ist sein Trick: mit 14-Stunden-Tagen ist er uns 10 Stunden pro Tag voraus – lebt daher bereits in der Mitte des Jahres 2020 und weiß daher, das diese Probleme, von denen alle sprechen, längst gelöst sind …?

Na dann: arbeiten Sie bitte weiter so hart, Herr Müller! Oder schlafen sie einfach mal länger – und denken über zeitnahe Lösungen nach…

Bild des Tages: Hart arbeitender reg. Bürgermeister Michael Müller spricht auf dem March for Science am 22.4.2017 bei der Abschlußkundgebung vor dem Brandenbaurger Tor.

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Herbert Börger

Der Brandenburger Tor, 12. November 2017

Das fängt ja gut an – 350 – Digitale „Brutpflege“

Digitale „Brutpflege“

Hier bringe ich zwei Erfahrungen meines Lebens zusammen, die ca. 50 Jahre auseinander liegen.

Erste Episode: „Liebe Mutti, lieber Vati…“:

Ich las gerade – nach Jahrzehnten – in einem sehr dicken Stoß sauber abgehefteter Briefe, die ich an meine Eltern 1965-1967 geschrieben habe. Das war während meiner Bundeswehrzeit. Sehr-sehr-viele Briefe! Manchmal alle paar Tage abgeschickt, manchmal mit einem Monat Pause – abhängig von der augenblicklichen Situation. Kurze, nüchterne Nachrichten – häufig aber auch sehr detaillierte Schilderungen meiner körperlichen, gesundheitlichen, ernährungstechnischen, gedanklichen und gefühlsmäßigen Lebensumstände (einschließlich Wetterbericht…).

Meine Eltern händigten mir die sauber archivierten Lebenszeichen danch aus – es war ja auch eine Art Tagebuch.

Das Einrücken zum Militär stellte für meine Eltern den großen „disruptiven“ Lebens-Schock dar: plötzlich im Nest alleine! Wie abgeschnitten. Meine ältere Schwester war schon früher aus dem Haus gegangen – danach hatten die Eltern aber noch mich… Mit meinem Weggang (schlagartig ohne Übergang) begannen dann aber die Ablösungs-Schmerzen in voller Heftigkeit.

Dieser Prozess ist in (fast) allen Familien gut bekannt – und Kind und Mutter gehen meist sehr klug damit um: die Mutter „darf“ dann für einige Zeit bei Bedarf das Kind kontaktieren. Es ist ja ein heftiges aber eben allmächlich abklingendes Phänomen.

Damals gab es die heutigen Kommunikationsmöglichkeiten noch nicht – also schrieb ich sehr häufig Briefe nach Hause – die übrigens fast immer am Folgetag schon da waren! Dahinter stand deutlich erkennbar das Ziel, meiner Mutter die Situation etwas zu erleichtern.

Woher weiß ich dass die Briefe so schnell waren? Unter meinem Brief-Datum oben rechts war fast immer das durch meinen Vater handschriftlich vermerkte Eingangsdatum zu finden… für mich ein Indiz, dass auch er von der Situation betroffener war, als damals ein Vater zugegeben hätte.

SCHNITT – dieser Tage im Hier:

Die Ablösungsphase ist bei uns zu Hause nun schon länger her – auch beim letzten Nachzögling schon weit über zehn Jahre. Zu dem Zeitpunkt war das Mittel der Kommunikation überwiegend die inzwischen billig gewordene Telefonie.

Der jüngste Sohn hat inzwischen für die ganze Familie eine Nachrichten-Gruppe (und auch bilaterale Kanäle zwischen einzelnen Mitgliedern) auf einem Messenger-Dienst eingerichtet – auf dem seit über einem Jahr ein sehr intensiver Austausch zwischen allen Familienmitgliedern läuft. Stark fluktuierend: mal nur wenige Worte, ein Satz  hingeworfen dann mal Seitenlange Ergüsse und ebensolange Erwiederungen. Wir empfinden das als eine wundervolle Möglichkeit, Nähe auf VIRTUELLEM Wege herzustellen. Man braucht auch bei den Nachrichten nicht hinzusehen, wer der Absender ist: man erkennt es sofort an der Ausdrucksweise.

Es ist tatsächlich so etwas wie ein neue NEST geworden, jedenfalls aus unserer Eltern-Sicht. Das Internet kann also tatsächlich helfen, das uralte Problem der Ablösung besser zu lösen.

Als meine Frau und ich gestern nach einem Streifzug durch den Berlin-Dschungel nach Haus kamen, stellte ich fest: seit mehr als 2 Tagen keine Nachricht auf dem Messenger – von keinem einzigen Nestbewohner nur das kleinste Wort! Seit über 48 Stunden! Einzelne noch länger…?

Es veranlasste mich einen kleinen besorgten Rund-Ruf zu senden: tja – Väter allein im Nest.. äh.. Netz?

Anstatt eines Aphorismus:

Dem ja so gängigen „Internet-Bashing“ (auf das www-Netz einprügeln), dem ich hier auch bereits wiederholt unter dem Stichwort „Digitale Pest“ gefrönt habe, möchte ich gerechterweise jene „Wunder“ gegenüber stellen, die unser „Leben in Zeiten des WWWbereichert haben! Da gibt es eben in dem Bereich Eltern-Kinder eben nicht nur die vielen lustigen und slapstick-artigen Momente (ausgelöst durch die Tapsigkeit der Älteren lauf diesem Terrain) sondern echte emotionale Aspekte – s.o.

Bild des Tages:

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Herbert Börger

Der Brandenburger Tor, Berlin, 10. November 2017

Das fängt ja gut an – 354 – 10 Gründe NICHT Bürgermeister von Berlin zu werden

Haben Sie sich auch schon einmal überlegt, dass es schön wäre, regierendes Oberhaupt einer so tollen Stadt wie Berlin zu sein?

10 Gründe, warum Sie nicht der/die richtige regierende Bürgermeister/in für Berlin wären:

  1. Sie sind in Berlin geboren, haben noch nie woanders gelebt oder gearbeitet
  2. Sie sind über zwei Drittel Ihres Lebens Mitglied der Berliner SPD
  3. Sie haben Wowereit jahrelang beim Regieren zugeschaut und werden von ihm protegiert
  4. Sie kommen doch ganz nett rüber
  5. Sie laden sich immer noch mehr Ämter auf, von denen keines Spaß macht
  6. Sie haben keine Ahnung von Luftfahrt, aber sind Aufsichtsrat eines seit 5 Jahren nicht eröffneten Flughafens
  7. Sie hören einen Parteifreund über Grundeinkommen faseln – und tun das sofort auch (haben aber keinen eigenen Plan)
  8. Die Menschen erzählen sich nicht mal mehr Witze über Sie
  9. Die Menschen erzählen sich Witze über Sie und fallen sich dann in die Arme und weinen
  10. Die Menschen sagen: ist doch egal, wer da oben sitzt… und das finden Sie auch.

Aphorismus des Tages: „Erkenne Dich selbst!“ (Thales von Milet)

Bild des Tages: Erinnerung

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Copyright 2017, Herbert Börger, Der Brandenburger Tor

Moment mal….. Herr Martenstein!

Man(N) sollte den Dingen schon auf den Grund gehen!

Sie scheinen ja ein großer Experte für den ostdeutschen Toast zu sein. Ihrem Text fehlt allerdings die Ausgewogenheit in bezug auf die Westdeutschen Dosenravioli!

Diese Dosenravioli können nämlich eine faszinierende Geschichte westdeutscher Nachkriegs-Sozialisierung erzählen.

Stellen Sie sich den Autor dieser Zeilen vor – 17 Jahre jung: er hütet während eines Ferien-Jobs in Hamburg-Rissen das Häuschen von Großonkel/-tante. Tolle Sache – wenn da nicht das Problem mit der Ernährung wäre… „Essen gehen“ oder „Snack kaufen“ war uns 1963 noch nicht als Ernährungsmethode in die Gene geschrieben. Also: Dosenravioli beschafft. Warm machen? Dose in einen großen Topf mit heißem Wasser gesetzt – und warten. (Immerhin: nicht direkt auf die Gasflamme gestellt!) Hunger! Jetzt kommt der Moment: der Dosenöffner wird angesetzt – ein Schlag…. und die ziegelrote, verführerisch duftende Raviolisoße verteilt sich explosionsartig auf die Wände der kleinen Küche!

Den Rest der Geschichte habe ich offensichtlich verdrängt. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich damals noch nicht Physiker war, nicht mal werden wollte… weiß auch nicht, ob ich es wegen dieses Ereignisses dann geworden bin.

Festzuhalten ist: ich konnte mit 17 Jahren nicht kochen – nicht mal Dosenravioli konnte ich heiß machen. Mein Vater konnte auch nicht kochen – der hat nicht mal Kaffee gekocht. ABER: meine drei Söhne sind schon in jungen Jahren quasi Sterne-Köche gewesen… jedenfallso im Vergleich zu mir damals! Und das haben sie nicht von mir.

Verantwortlich dafür, das alle unsere Söhne kochen können, ist deren Mutter/meine Frau. Also hat ein kleiner Teil der Menschheit einen Riesen-Schritt gemacht, durch die Kreuzung zweier völlig verschiedener ja fremder Rassen: eine Frau mit einem Mann.

Spannende Frage: hat die neuere Sozialisierungsgeschichte der Ostdeutschen Menschen ähnliche Höhepunkte zu verzeichnen? Können die „neuen Söhne“ dort jetzt auch kochen? Dann dürfte sich das Thema des Toasts ganz von alleine erledigen, ohne dass jemand auf die Straße geht – nicht mal zum Fertig-Snacks holen. Es sei denn, diese Gesellschaft würde sich hartnäckig gegen die Überfremdung (durch Frauen, die wirklich was zu sagen haben) widersetzen…

Übrigens: nur ein gerösteter Toast füllt immer auch die Marmeladenseite!

Gespannt auuf Ihre Rechtfertigung verbleibt

Ihr

Brandenburger Tor

P.S.: Ach ja – noch was: „Ein Toast auf die tapferen Ostdeutschen, die nach fast 50 Jahren ideologischer Regelmentierung (2 Systeme, die sich nur in der Unfreiheit für das Volk einig waren) unermüdlich auf dem langen Marsch in die Demokratie gemacht haben – ohne sich in der Demokratie gleich der Einfachheit halber selbst zum Volk zu erklären.“

Weniger ist mehr…

Oder: Ja, mach‘ nur einen Plan!

Haben Sie auch diese schreckliche Angst, etwas zu verpassen?

Wie schon unwidersprochen bei Brecht zu erfahren war: funktionieren alle unsere Pläne nicht – zumindest die, die den Kern unseres Lebens und Daseins betreffen.

Wer berichtet, dass er seine geistig-physische Entwicklung über Jahrzehnte nahtlos und erfolgreich geplant hat, der lügt – oder hat nicht begriffen, dass er geschmeidig die Zufälle des Lebens oder äußere Einflüsse umgedeutet hat zu seinem eigenen weisen Ratschluss.

So rumpeln wir durch die Wechselfälle unserer  Existenz und basteln uns einen Lebenslauf nach eigener Herrlichkeit …

Dabei sind wir nicht einmal in der Lage, vorherzusehen, wohin uns unser vermeintlicher Plan führen kann.

Man müsste….

… man müsste in alle jene Theaterstücke gegangen sein, die man sich Wochen vorher fest vorgenommen hatte zu besuchen – und dann vergaß die Karten zu besorgen oder den Termin einzutragen bis die Zeitung schrieb: morgen ist es! Aber da kannst Du jetzt nicht….

… man müsste in alle jene Konzerte gegangen sein, in denen nach jahrelangem Warten endlich der hoch geschätzte Interpret auftrat mit einem beglückenden Programm – als man vom Tagestrubel fortgerissen doch zu spät dran war und natürlich keine Karten bekam! Danach bejubelte selbstverständlich die Kritik das Konzert als Jahrhundertereignis – und was hättest Du Deinen Enkeln alles erzählen können … kannste aber nicht!

Würde es aber uns wirklich weiter bringen, wenn wir stets dank minutiöser Kontrolle unsere Pläne realisieren würden?

Man könnte…

… sich (wenigstens gedanklich) in eine Lage versetzen, in der man sowieso kein Theaterstück, kein Konzert und keine Lesung… kein Kabarett und keinen Kinofilm besuchen könnte – weil man kein Geld dafür hätte… oder weil man in der Antarktis verloren gegangen ist.

Was passiert dann?

Du kannst nichts verpassen, also fehlt Dir auch nichts.

Du liest keine Zeitung, siehst kein TV – also weisst Du nicht, was gelobt oder verrissen wird.

Du führt also ein Leben ohne sinnloses Bedauern, ohne sinnloses Wissen!

Dann könnte es sein…

… dass ein eigener Text, eine eigene Musik Deines Lebens in Dir aufsteigt: ein Echo, das wer weiß woher kommt…

… dass etwas auftaucht, das aus eigenen Bildern, Worten, Liedern, Gedanken zu bestehen scheint…

…. dass Du viele, vielleicht ALLE Gewissheiten verlierst, und dafür beliebig viele Möglichkeiten gewinnst, in denen Du möglicherweise etwas von Dir erkennst.

… und Du wärest für den Rest Deiner Zeit (die landläufig Leben genannt wird) frei von der Angst irgendetwas zu verpassen…

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Das oben stehende ist ein Extrakt aus der eigenen Erfahrung, als ich mich drei Jahre lang von jeglichen äußeren kulturellen Reizen ferngehalten hatte, die man landläufig „Kulturbetrieb“ nennt.

Während dieser Zeit habe ich:

  • kein Buch gelesen,
  • Kein Konzert besucht,
  • Kein Theater besucht,
  • Keine Musik-Konserve (oder Radio) gehört,
  • Nicht ferngesehen,
  • Keine Zeitung gelesen.

Was war die Folge?

Es entstanden damals weit über 100 Texte aller Art – vom Aphorismus bis hin zu einem vollständigen Theaterstück – ohne dass ich mich jemals hingesetzt hätte, um etwas zu schreiben.

Diese Texte kamen spontan irgendwoher – und da Schreiben eine Kulturtechnik ist, deren praktisch jeder Mitteleuropäer einigermassen fähig ist, lag es für mich nahe, sie aufzuschreiben.

Das Erlebnis, das ich bei mir selbst „Es schreibt mich“ nannte, habe ich damals (2009) in einer Glosse verarbeitet, die ich zur Belustigung des Lesers unter diesen Text gesetzt habe – sie hat die Form eines Briefes an einen Verleger, dem ich meine Texte zusende und ihn bitte, deren Veröffentlichung abzulehnen ….

Texte waren aber nicht das einzige: es entstanden in der Vorstellung auch Bilder, die aber nie gemalt wurden… aber in mir sind sie noch immer da. Parallel zum Schreiben auch noch zu malen ist aber ein Ding der Unmöglichkeit, solange man kein „Privatier“ ist, also folglich für den Lebensunterhalt „arbeiten“ muss….

Da ich die Kulturtechnik des Komponierens von Musik nicht beherrsche, blieben die auftauchenden Melodien und Lieder unaufgezeichnet – aber ich konnte in meiner Vorstellung jederzeit Symphonien und Konzerte von Beethoven, Dworschak, Mozart oder Schostakowitsch „ein-und aus-schalten“… und zwar in der von mir meist-geschätzten Interpretation.

Mit der Beschreibung dieser Erfahrungen will ich hier die Erkenntnis teilen:

weniger KANN mehr sein!

Die Hetze nach möglichst viel „Events“ und Orten, an denen man gewesen ist, könnte sich durchaus als  Beschränkung der eigenen Möglichkeiten erweisen.

Meine Empfehlung: mal ausprobieren!

Vielleicht gibt es ja ein „Gleichgewicht“ zwischen den Gewissheiten und den Möglichkeiten…

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ES Schreibt mich! (Glosse, 2009)

Liebe/r Verleger/in,

ich bin Ingenieur und Physiker.

Seit drei Jahren werde ich von Prosa-Texten heimgesucht (Kurzgeschichten? Essays? Glossen? – ich habe keine wirklich genaue Vorstellung, in welches Genre die gehören). Ich weiß nicht woher sie kommen. Sie sind plötzlich da – ich habe nie um diese Heimsuchung gebeten – will sagen: ich hatte nie den „Traum“ Autor zu werden.

Seitdem ich schreiben muss, weiß ich, dass der Beruf des Autors ein Albtraum ist – mit winzigen, eingestreuten Momenten des Glücks.

Diese „heimsuchenden Texte“ haben von mir verlangt, dass ich sie aufschreiben solle. Ich habe es versucht – und bin gescheitert. Ich habe die Texte angefleht, sie mögen woanders hingehen, sich einen anderen suchen, der schon schreiben kann – einen Profi. …sie hatten kein Erbarmen, sondern haben Mitverschworene geschickt: Kabarett-Texte, zum Schluss sogar Theaterstücke. Schließlich standen die  alle in einer Reihe geduldig da uns sagten: du wirst das schon irgendwie hinkriegen!

Ich habe sie angebettelt – hört zu: ich habe wahnsinnig viel zu tun! Ich arbeite 16 Stunden am Tag als Ingenieur und Manager. Ich bin schon 63… was soll das?

Sie hatten kein Mitleid – es wurden immer mehr. Schließlich saß ich nachts da und probierte alles mögliche aus, wie ich sie los werden konnte. Soviel hatte ich schließlich begriffen: ich würde erst Ruhe haben, wenn ich sie zu Papier gebracht hätte.

Erste kleine Ergebnisse zeitigte das Jahr 2006: Manchmal gelang ein erster Satz – dann entwickelte sich ein Rhythmus – zufällig war der Laptop nicht in der Nähe. Ich begann mit der Hand aufzuschreiben: das ging dann viel besser – der Rhythmus der Worte trieb die „Feder“, die eigentlich ein Kugelschreiber war, voran…

Am Ende war ich erschöpft, aber die Prosatexte in der Warteschlange applaudierten und riefen:

„ Na also! Geht doch! – Jetzt wir!“

Seitdem bin ich ihr Sklave. Ich habe keine Ausrede mehr – sie wissen dass ich es kann. Ich entkomme ihnen nicht mehr!

So reihte sich Prosatext an Essay an Sketch an Glosse … Gelegentlich schrieb ich die von Hand verfassten Texte dann im PC auf – überarbeitete sie dabei – las sie immer wieder – amüsierte mich köstlich über meine Kinderchen – änderte noch mal – las wieder – freute mich immer wieder aufs Neue. Eine kleine Entschädigung…

Schließlich sagten die Prosa-Texte (sie hatten das „Kolloquium im Krankenbett“ vor geschickt weil sie wussten, dass ich das besonders gerne mochte!): „Uns ist langweilig. Na gut, es kommen ab und zu neue Kollegen dazu, mit denen man sich unterhalten und austauschen kann, aber wir sind Texte! Unser Lebensinhalt ist es gelesen zu werden! Tu’ gefälligst was dafür.“

Da war meine Gelassenheit zu Ende:

„Erst kommt ihr von sonst wo her zu mir, belästigt mich, stehlt mir meine Zeit. Gut, dass ich selbst inzwischen ein bisschen Freude an euch gehabt habe, ist ein kleiner Trost. Aber eure zweifelhafte Herkunft und meine zweifelhaften Fähigkeiten, euch zum Text-Leben zu verhelfen sind schon ein wahrlich halbseidenes Duett an Voraussetzungen, euch eine größere Leserschar zu eröffnen. Ihr seid fein raus – niemand wird euch verantwortlich machen für das Desaster, obwohl ihr alleine die Urheber seid. Aber über mich wird man Kübel von Hohn und Spott ausleeren, sich dann hämisch umdrehen und dem nächsten Möchte-Gern-Autoren zuwenden, um den zu teeren und zu federn!“

Genauso lästig, wie sie von Beginn an waren, gaben sie dennoch keine Ruhe.

„Es müssen ja keine Millionen von Lesern sein – ein einziger mehr wäre immerhin schon die doppelte Zahl!“

Sie kriegten mich rum! Ich gab den ersten Text versuchsweise meiner Frau, mit dem fiesen Hintergedanken, dass die Sache dann sofort erledigt sein würde:

Immerhin ist sie meine schärfste Kritikerin in allen Lebenslagen!

Es war ein Flop: Meine schärfste Kritikerin sagte: „Ich habe schon Schlechteres gelesen!“

Schlimmer hätte es nicht kommen können. Die Texte kannten meine Frau bereits gut, da sie zwar verschlüsselt aber immerhin doch in ihnen vorkommt!

Sie schickten jetzt ihre einflussreichsten Vertreter (besagtes „Kolloqium im Krankenbett“, „Ackergaul Chronos“, „Wenn der Vogel am Morgen singt“ und „Es fährt noch ein Zug…“) als Abordnung zu mir. Sie setzten mir ein Ultimatum:

Wenn du nicht binnen zwei Monaten versucht hast einen Verleger für uns zu finden, mobilisieren wir ganze Scharen von Kollegen – besonders Herr Tourenski hat eine riesige russische Verwandtschaft – die in so großer Zahl über dich her fallen, dass du sowieso zu nichts anderem mehr kommst…!

Was sollte ich machen?

Ich sah mich also um.

Ich fand einen kleinen Verlag ganz in der Nähe, der sehr kompetent und sympathisch wirkte.

Hier war ich mir besonders sicher, dass man meine Kraut-und-Rüben-Texte nicht annehmen würde, aber  – das ist mir wichtig – einem Autor eine sehr höfliche Absage senden würde, die möglichst den Scharen von Texten, die um ihn herumlungern, nicht allzu weh tun (immerhin sind sie ja irgendwie meine Kinder!). Mit diesem Beleg in Händen werde ich dann vielleicht etwas mehr Ruhe bekommen.

In diesem Sinne überlasse ich eine Probe dieser Text-Kinderchen Ihnen hier zur Begutachtung. Sie können auch gerne mal hineinsehen, ehe Sie sie ablehnen: dagegen hätte ich nichts einzuwenden.

Wenn Sie mir noch einen anderen Verlag besonders empfehlen möchten, der meine Texte ablehnen könnte, wäre ich dankbar für jeden Hinweis.

Mit freundlichen Grüßen

Herbert Börger

— und sie werden es nicht glauben: das hat auch wirklich geklappt!

Alle Verlage haben meine Texte wie gewünscht abgelehnt – meine Ruhe ist jetzt nicht perfekt, aber das lästige Nörgeln meiner Text-Kinderchen hat doch aufgehört!

Macht Angela Merkel einer Jüngeren Platz? (Glosse, 2009)

(Reportage – 15.05.2053, Stralsund)

Wir schreiben das Wahljahr 2053 in Deutschland.

Die Öffentlichkeit bewegt nur eine einzige Frage:

Wird Angela Merkel im Herbst mit 99 Jahren noch einmal für ihre 13. Legislaturperiode als Kanzlerin antreten oder wird sie nun die „ewige Kronprinzessin“ Ursula von der Leyen ins Rennen schicken, die immerhin vier Jahre jüngere graue Eminenz der deutschen Moderations-Demokratie.

Man munkelt, dass die große alte Dame der Deutschen Politik heute ihre Entscheidung bekannt geben wird.

Es ist ein strahlender, milder Frühsommertag an der Ostsee, als sie heute früh inmitten eines unbeschreiblichen internationalen Medienrummels in Stralsund die Angela-Merkel-Universität, die „Hochschule zur Weiterentwicklung der Demokratie“ eröffnet:

„Ich kenne keine Parteien – ich kenne nur den richtigen Weg!“ rief sie den jubelnden Massen zu. Eigentlich hat sie schon zwölf Jahre lang nichts anderes mehr gesagt, aber was richtig ist, muss richtig bleiben – und eben auch gesagt werden.

Dann startete sie den Rügen-Marathon – eine ihrer ganz großen Herzensangelegenheiten! – der sich mit einem Teilnehmer-Altersdurchschnitt von 75 Jahren – und damit drei Jahre unter dem normalen Renteneintrittsalter – als ein Jungbrunnen des deutschen Breitensports bezeichnen kann.

Blicken wir, während sich die unübersehbare grau- bis weißhaarige Läufermasse in der Ferne verliert, kurz zurück auf Angela Merkels Lebenswerk.

Man muss wohl sagen: ihr Lebenswerk ist der „innere Friede“, den sie dem deutschen Volk geschenkt hat. Ein Meer von Konsens wogt heute in diesem Volk, das noch zu beginn ihrer AERA von politischen und sozialen Richtungskämpfen und Neid-Debatten aufgewühlt war.

In fester, unerschütterlicher Gangart hat sie zunächst alle Parteien überflüssig gemacht. Sie ging konsequent fortschreitend mit jeder nur nennenswerten politischen Kraft im Lande eine Koalition ein. Jede politische Partei, die die Kanzlerin an ihren Busen gedrückt hatte, versank unmittelbar danach in der völligen politischen Bedeutungslosigkeit. Das begann mit der SPD, setzte sich dann mit der FDP fort, wobei der Unterschied darin lag, dass die FDP schon vorher bedeutungslos war, aber es noch niemand gemerkt hatte…

Als dann die Grünen dasselbe Schicksal nach der Koalition mit A.M. ereilt hatte und sie Anstalten machte, die Linke zu umarmen, löste die sich in großer Panik selbst auf.

Die anderen Parteien wandelten sich einschließlich der CDU  in Stiftungen um – ebenfalls einem Vorschlag der Kanzlerin folgend – die überall im Lande emsige Denkfabriken betreiben, in denen sachlich, ruhig und objektiv Vorschläge für neue Wege der Menschheit in die Zukunft gesucht und debattiert, auch veröffentlicht, werden.

Diese Vorschläge werden dann in einer (immer noch im Gedenken an frühere Zustände) „Wahlkampf“ genannten hoch-effizienten, breiten Konsens-Debatte zu Angela Merkels Regierungsprogramm geformt, das ihr dann am Tag ihres Wahlsieges überreicht wird und das sie dann verliest.

Spannend ist stets, ob die Kanzlerin über oder unter 99,5% der Stimmen erhält.

Eine einzige der ehemaligen politischen Parteien hat nämlich diesem gesellschaftlichen Konvertierungsprozess widerstanden: die CSU!

Wenn diese unter Führung eines Ingolstädters, dessen Namen ich vergessen habe, bei den gewohnheitsmäßig immer noch abgehaltenen Wahlen über die 0,5%-Hürde kommt, erlaubt Angela Merkel ihr, eine art bayerisches Schattenkabinett zu bilden (allerdings auf eigene Kosten!).

Das tagt dann auf dem Oktoberfest in der Geisterbahn öffentlich.

Aber der Höhepunkt seiner öffentlichen Wirksamkeit kommt dann mit der Fernsehübertragung vom Nockherberg, bei der – als Ersatz für das früher übliche Singspiel mit Politiker-Verulkung – nun mehr die CSU ihr Regierungsprogramm verkündet.

Das ganze deutsche Volk wälzt sich dabei vor dem Fernseher auf dem Boden und lacht sich die Rippen aus dem Leib.

So wurde Angela Merkel zur Dauer-Moderations-Kanzlerin, was natürlich nahe legte, die Prozesse nun näher zu erforschen und auch zu lehren, die dem deutschen Volk nicht nur inneren Frieden, sondern auch die absolute innere Sicherheit gegen haben.

Überquert heute ein Terrorist die deutsche Grenze, so fällt er zwischen den deutschen Bürgern, die den ruhigen, festen Blick in die Zukunft richten, sofort mit seinem flackernden, misstrauischen Blick auf. Dies wird durch Überwachungskameras automatisch registriert und der Verdächtige umgehend aus dem Verkehr gezogen oder abgeschoben.

Weltweit besteht nun natürlich größtes Interesse an dem „deutschen Modell“ der friedlichen Existenz aller gesellschaftlichen Gruppen.

So werden 90% der Studierenden an der „AMU“ aus aller Herren Länder kommen, sogar aus der Schweiz, man glaubt es kaum.

Wer hätte vor 100 Jahren gedacht, dass die größte Hoffnung aller Völker der Welt auf Frieden einmal auf deutschem Boden liegen würde – hier in Stralsund.

Inzwischen wurden hier auf der großen Tribüne, an der die Marathonläuferinnen und -Läufer beim Einlaufen von der Umrundung der Insel Rügen geehrt werden sollen, in einer Glasvitrine die „Bundeskleinodien“ bereitgestellt – jener im Jahr 2044 eingeführte symbolische und viel billigere Ersatz für das Bundespräsidentenamt.

Das weist nun darauf hin, dass eine offizielle staatstragende Handlung hier bevorsteht!

So gut wie sicher also, dass nun Angela Merkel doch vor Ihrem hundertsten Geburtstag das Szepter an die jüngere übergeben wird!

Und da kommen auch schon die ersten Läuferinnen und Läufer in Sicht. Alle Achtung: die 95-jährige Ursula von der Leyen, die hier seit Jahren mit läuft, diesmal kommt sie als Zwölfte an! Und sie hat nicht eine Schweißperle auf der Stirn! Was für ein Grad der Fitness. Viele sagen da: 24 Jahre als Gesundheits- und Verteidigungsministerin gehen eben nicht spurlos an einer Person vorbei. Bewundernswert in der Tat!

Nun geht Angela Merkel der Jüngeren entgegen. Welches Bild: die ältere, kinderlose Frau aus dem ostdeutschen Volke überreicht der jüngeren Mutter von sieben Kindern aus der westdeutschen Polit- und Wirtschafts-Führungsschicht das Szepter. Vielleicht ist es dieser gewaltige gesellschaftliche Spannungsbogen, der zwischen diesen beiden Frauen liegt, das Geheimnis für die große Wirkung die diese Frauen in ständiger enger Zusammenarbeit entfalten konnten.

Dieser symbolische Akt nominiert sie zur nächsten Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland.

Angela Merkel zieht sich zurück – wie ich eben aus einer Übertragungsleitung höre, möchte sie nun das vor ihr liegende Alter genießen – besonders auch sich ihrem Hobby widmen, nämlich den Weinbergen, die sie drüben auf Rügen besitzt.