– oder: „Wie die Welt beinahe gerettet worden wäre…“
(Eine wahre Krankenbett-Geschichte.)
Stundenlang da-liegen und dösen unter dem Einfluss der ersten Antibiotikum-Dosis…
Es ist früh morgens.
Der Kopf, der sich mit gewisser Berechtigung einbildet Kommandozentrale zu sein, taucht aus der Tiefsee verworrener Träume und Halluzinationen langsam an die Oberfläche.
Aus dem diffusen Wabern milchiger Schwaden beginnen sich zwei Projekte mit zarten Konturen heraus zu bilden:
1. aufstehen und pinkeln gehen!
2. das dazu nutzen, um Papier und Stift zu holen, um sofort aufzuschreiben, wie die Welt gerettet werden kann!
Denn genau das hatte sich hinter den wabernden Schleiern im Döse-Zustand von Infekt und Medikamentenwirkung ganz selbständig herausgebildet: eine absolut geniale Lösung, wie die Wellt zu retten sein würde!
Früher hätte man das eine Erleuchtung oder einen messianischen Auftrag genannt – ein höheres Wesen hat sich meiner als Medium bedient!
„Jacques d’Arc – postmodern“.
Die Notwendigkeit, dieses schnellstens schriftlich festzuhalten, erlangte sofort noch höhere Dringlichkeit als der Harndrang!
Ich erneuerte meinen Befehl an die unteren Extremitäten:
Aufstehen – aber sofort!
Keine Reaktion… nur das rechte Knie lässt sich vernehmen: „Wir haben keine Lust, es ist gerade mal wirklich gemütlich hier.“
Und tatsächlich spüre ich, wie sich die Kniekehlen tiefer in die Matratze kuscheln.
Also wiegele ich ab: „Ihr habt recht, ich finde es hier augenblicklich auch ausgesprochen angenehm, aber erstens terrorisiert mich der Quälgeist Blase und zweitens haben wir einen messianischen Auftrag!“
Darauf das rechte Knie: „Typisch: vor zwei Stunden haben wir dich in die Küche geschleppt, damit du etwas trinken kannst, sonst müsstest du jetzt nicht pullern … und was den Auftrag betrifft, nimm’s mir nicht übel, aber bis du was zum Schreiben hast, hast du längst vergessen, wie du die Welt retten wolltest!“
Vor lauter Überraschung entfuhr mir ein taktisch unkluges „Stimmt!“ – tatsächlich wusste ich jetzt schon nicht mehr, wie meine geniale Rettungsidee für die Welt funktioniert hatte.
Daher erließ ich an die Kommandozentrale den Geheim-Befehl, sie solle organisieren, dass zukünftig Stift und Papier am Bett liegen. Schließlich kann die Rettung der Welt nicht davon abhängig sein, ob meine Knie mir gehorchen oder nicht.
Ich beschloss nun, auf den kooperativen Führungsstil umzuschwenken:
„O.k., Jungs, wenn ich pinkeln war, mache ich uns ein Brötchen und esse das. Von dem frischen Blutzucker haben alle was!“
Worauf sich der alte Griesgram von Darm vernehmen ließ: „Und ich muss den ganzen Scheiß dann wieder entsorgen…“
Jetzt reichte es: „Habt ihr vergessen, wer hier der Chef ist?!“ brüllte ich.
Unter dem leisen Murren von allen Seiten hörte ich ganz deutlich das linke Knie wispern: „Gaa-nich ignorieren, Leute!“
Es ist ein bisschen doof – selbst für ein Knie – und fällt auf jede Anstiftung zur Arbeitsverweigerung rein….
Ich beschloss, diesen Fall von Renitenz nun meinerseits zu ignorieren, gab aber doch der Kommandozentrale den Auftrag, sich den Fall von Befehlsverweigerung zu merken. Man würde das dann zu gegebener Zeit zu würdigen wissen, z.B. wenn ich einmal entscheiden müsste, ob das linke oder das rechte Bein abgenommen werden sollte ( …ich hörte mich schon sagen: „…das Linke, aber über dem Knie!“).
Nun schwangen sich problemlos beide Beine aus dem Bett, lediglich die Halswirbel krachten laut, als sich der Oberkörper folgend aufrichtete.
„Jetzt fangt ihr auch noch an!“ herrschte ich die sofort an, fest entschlossen, jeden Widerstand ohne lange Diskussionen im Keine zu ersticken.
„Man wird ja wohl noch seine Befindlichkeit Ausdruck verleihen dürfen!“ tönte es im typischen nörgelig-blasierten Halswirbel-Ton.
„Nix da! Ihr verleiht nichts! Außerdem habt ihr als Träger der Kommandozentrale weder Mitsprache- noch Streikrecht! Ihr seid quasi Beamte! Eure ständigen Befindlichkeiten sind mir schon lange ein Dorn im Nacken!“
Jetzt war erst einmal Ruhe – als stummen, passiven Protest machte sich allerdings jedes Organ und jedes Glied so schwer, wie es irgend konnte. Mit der Wirkung, dass ich mich zur Erledigung des Nötigsten durch das Haus schleppte und auf kürzestem Wege wieder ins Bett – nicht ohne für Schreibzeug zu sorgen.
Leider behielt das rechte Knie recht: die Lösung, wie die Welt zu retten sei, ist mir nicht mehr eingefallen – aber auf jeden Fall besteht Hoffnung: wenn ich wieder einmal einen messianischen Auftrag bekommen sollte, liegen nun immer Stift und Papier am Bett…… und hier steht nun leider nur die Geschichte, wie die Welt beinahe gerettet worden wäre … Pech gehabt!
Eines ist mir dabei allerdings doch noch in den Sinn gekommen:
Wenn nun manche von den anderen, die solche Aufträge bekommen hatten, ähnliche Probleme hatten…. und ich glaube, Jeanne d’Arc konnte vermutlich noch nicht einmal schreiben…
Stellen Sie sich einmal vor: all die Propheten, Jesus, Jeanne d’Arc – sie alle hatten wie ich vergessen, wie ihr Auftrag gelautet hatte!
Die haben sich – durchdrungen von dem messianischen Auftrag – nicht so leicht aus der Verantwortung stehlen können wie ich das heute getan habe – das hat man früher schon wesentlich ernster genommen!
Also fiel ihnen dann schon irgendwas wieder ein, worin der Auftrag bestanden haben musste….
So fiel Jesus ein, dass er seinen Feinden vergeben könnte…!
Jeanne d’Arc ging hin und besiegte mit einem total desolaten französischen Heer die Engländer!
… und wieder ein anderer ging hin und wurde mit dem 1. FC Nürnberg deutscher Fußball-Meister.
Gedankt hat es Ihnen in allen Fällen niemand – allerdings spricht man noch heute über sie!
Ich war mir aber dann doch noch etwas zu jung dafür, um auf diese Weise in die Geschichte einzugehen….
Außerdem war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich die Welt überhaupt retten wollte!
Hätte das höhere Wesen es überhaupt nötig, einen im Fieberwahn delirierenden Siechen wie mich zu seinem Medium zu benutzen, um die Welt zu retten?
Warum hat es die Welt nicht einfach selber gerettet und mich in Ruhe meine Lungenentzündung auskurieren lasen?
Auf diese Fragen fand ich aber keine Antwort mehr, denn ich hatte mich schon wieder in größten Einverständnis mit allen meinen Gliedmaßen genüsslich in die Matratze gekuschelt und dämmerte auf Heilung hoffend dahin.
Postscriptum: Dies ist die erste kleine Geschichte, die plötzlich von irgendwo aus dem Off in mich hinein fuhr und in meine Schreibfeder drängte. Nichts von dem, das darin steht ist „ausgedacht“ – ohnehin ist es nur die reine Wahrheit und eigentlich schreibe ich nicht, sondern es schreibt mich …
Copyright 2009 – Der Brandenburger Tor, Herbert Börger