Das fängt ja gut an – 349 – „hart arbeitende Menschen“

Wer sind diese hart arbeitenden Menschen?

Wenn ich sagen sollte, was mich am politischen Diskurs derzeit wirklich NERVT, so würde ich sagen:

der „hart-arbeitende-Menschen-Sprech“!

Diese Floskel schießt den hart arbeitenden Politikern automatisiert aus dem Mund – ohne einen Umweg über den bei Bedarf vorschaltbaren DENKPROZESS. Aber hier besteht meistens kein Bedarf: denn die Floskel will leider eigentlich nichts über andere Menschen verkünden – sondern über den Sprecher selbst. Seht: ich sorge mich um diese … seht: ich denke sozial … seht: ich bin AUTHENTISCH.

Der Kontext läßt stets erahnen, dass wohl jene gemeint sind, die – anstatt ihrem Vergnügen oder dem Laster des Müßigganges anzuhängen, einer geregelten Tätigkeit nachgehen, dafür mäßig entlohnt werden (von einer auskömmlichen Rente gar nicht zu reden), sich um ihre Familie kümmern und nicht straffällig werden. Dies scheint eine besondere, erwähnens- und schützenswerte Kaste in unserem Lande zu sein.

Selten wird auch einmal Genaueres verraten, dann aber häufig:

  • gerne vor allem die Krankenschwestern/pfleger, Krankenwagen- oder Busfahrer/innen, Müllwerker, Paketzusteller, Polizisten und Räume oder Menschen Pflegende. Also vor allem abhängig Beschäftigte, die – wenn sie klug sind – in Gewerkschaften organisiert sind, die sich hauptamtlich darum kümmern, dass sie angemessen entlohnt werden.

Ganz selten oder eher nicht erkennbar sind in diesem Zusammenhang des „Hart-Arbeitens“ gemeint:

  • die Lehrer/innen (meines Wissens der schwerste und wichtigste Beruf der Welt… er soll schließlich aus einer fast formlosen Masse den einzigen Rohstoff raffinieren, den unser Land besitzt!),
  • die Soldaten/innen, die Journalisten/innen, die Wissenschaftler und Ärzte und viele andere Berufe im öffentlichen Dienst. Über jede dieser Gruppen könnte ich locker ein bis zwei Seiten schreiben: über ihre gesellschaftliche Bedeutung, die hohen Anforderungen und die schlechten Bedingungen, unter denen sie diese erfüllen müssen.

Anscheinend eher nicht gemeint ist bei Anwendung der unsäglichen hart-arbeiten-Floskel jene riesige Gruppe, die für die Gesellschaft deshalb eine immense Bedeutung hat, weil Sie völlig auf eigenes wirtschaftliches Risiko, ohne Garantien von Dritten Leistungen bereitstellen, die für das ganze Land unverzichtbar ist:

  • selbständige Handwerker,  Landwirte, niedergelassene Ärzte, selbständige Dienstleister und Einzelhändler, freie Schauspieler und Künstler, kleine Selbständige von der Physiotherapeutischen oder Psychologischen Praxis bis zum Ingenieurbüro, kleine und mittlere Unternehmer (KMU) inclusive Start-Ups, die alle zwangsläufig „hart arbeiten“, weil Ihnen permanent ein finanzielles Fallbeil über dem Nacken schwebt. Dafür stellen sie das gößte Kontingent an Arbeitsplätzen in unserem Land bereit! (Habe ich jemanden vergessen? Prostituierte zählen zu Dienstleistern!)

Schließlich gibt es da noch eine Gruppe, die ohne jeden Zweifel extrem hart arbeiten:

  • Die Menschen in höheren Führungs-Ebenen („Manager“) in Politik, Industrie, Banken, Handel und Logistik – (allgemein als „Wirtschaft“ bezeichnet). Diese werden zwar finanziell gut entschädigt, tragen aber stets ein hohes temporäres persönliches Risiko.

Wenn ich das alles zusammenzähle und die Jungen Leute in Ausbildung und die Rentner/Pensionäre von der Gesamtmenge der Bevölkerung abziehe, komme ich wahrscheinlich locker auf 93-95% hart arbeitender Menschen in Deutschland!

Hier oben steht in etwa die „Denkschleife“ skizziert, von der ich ganz oben beklagte, dass der Benutzer des „hart-arbeiten-Sprechs“ sie vermieden hat.

Dies zeigt die Lächerlichkeit des Habitus, sich zum Fürsprecher einer „Klientel der hart arbeitenden Menschen“ zu machen … im Gegensatz zu einer hypothetischen nicht-hart-arbeitenden Gruppe.

Bitte: macht doch einfach Euren Job als Politiker für alle Menschen und erfindet keine Menschengruppen, für die Ihr – dem heutigen Tage zum Anlaß – den Sankt Martin machen könnt. Ich weiß: es ist kompliziert: also … arbeitet bitte hart dran!

Aphorismus des Tages: „Arbeite klug, nicht hart.“ (Dr. Gregory House)

Bild des Tages: Erinnerung – zum „Durchhalten“ – sie kommen ja wieder …

Pfauen_Cosmea_2017

Herbert Börger

Der Brandenburger Tor, Berlin, 11.11.2017