Das fängt ja gut an – 298 – Bertrand Russel

Blicken wir voraus! Was wünsche ich mir für das Jahr 2018?

Nein – vorgenommen habe ich mir für dieses neue Jahr noch nichts – ich bewege mich ohnehin ständig am „Limit“ – jedenfalls für einen Ruheständler. Obwohl … da gibt es schon einen Plan: in 10 Tagen im Spaziertempo einmal rund um Berlin wandern (mit Boot, zu Fuß, per Fahrrad) – so eine Art „Oldie-Triathlon“ … aber darauf komme ich im Frühjahr wieder zurück.

Meine Wünsche für das Jahr (es sind dieselben wie jedes Jahr!) sind wirklich unbescheiden!

Da meine Wunschvorstellungen nicht ganz neu sind, kann ich sie auch gleich in die Worte eines anderen Menschen kleiden:

„Die Welt, die ich mir wünsche, wäre frei vom Gift  der Feindschaft verschiedener Gruppen und imstande zu erkennen, dass das allgemeine Glück eher durch Zusammenarbeit als durch Zank erreicht werden kann. Ich hätte gerne eine Welt, in der das Ziel der Erziehung geistige Freiheit wäre und nicht darin bestünde, den Geist der Jugend in eine Rüstung zu zwängen, die ihn das ganze Leben lang vor den Pfeilen objektiver Beweise schützen soll. Die Welt braucht offene Herzen und geistige Aufgeschlossenheit, und das erreichen wir nicht durch starre Systeme, mögen sie nun alt oder neu sein.“

Ich habe dem heute nichts hinzuzufügen – aber auch nichts wegzulassen …

Diese Sätze hat Bertrand Russell im Jahr 1963 geschrieben – im Alter von 91 Jahren (er starb mit 97 Jahren). Es sind die Schlußsätze in dem Vorwort zur deutschen Ausgabe von „Why I am Not a Christian and other essays on religion and related subjects“ (1956, Hrsg. Paul Edwards) – deutscher Titel „Warum ich kein Christ bin“ 1963 im Szczesny Verlag.

Der titelgebende Vortrag wurde von Russell bereits 1927 gehalten.

Ich behaupte, dass dieser Vortrag (zusammen mit den anderen, etwas jüngeren Aufsätzen in diesem Buch) meine Generation sehr stark geprägt hat – auch wenn vielleicht viele sich heute nicht mehr bewußt sind, welche Rolle Russells Schriften am Anfang ihrer geistigen Entwicklung gespielt hat.

Ich empfehle jedem heute unbedingt dies wieder zu lesen. (Nach wie vor erhältlich…)

Bertrand Russel, geboren und gestorben in Wales („3. Earl Russel“), war ein britischer Philosoph – allerdings ursprünglich Mathematiker und Logiker – und galt als der „letzte Universalgelehrte“ Europas. Er war Inhaber von Lehrstühlen für Philosophie und Mathematik an den berühmtesten Universitäten der Welt. 1950 erhielt er den Literatur-Nobelpreis! Man versteht das, wenn man seine wunderbar klare Sprache kennt, in der er das Grenzgebiet Philosopie/Religion erklärt. Im Kern sitzt da vor allem der Logiker drin!

In dem obigen Zitat spricht Russell vom „Gift der Feindschaft“. Russel hat dieses Gift gekannt und erlebt wie vielleicht wenige Wissenschaftler vor und nach ihm. In meiner Ausgabe ist am Schluß als Anhang Paul Edwards Beschreibung „Wie Bertrand Russell daran gehindert wurde, am City College von New York zu lehren“. (Er hat dann anstatt dessen in Harvard gelehrt…)

In diesem Text vergleicht Edwards Russells Situation in USA mit der von Sokrates im antiken Griechenland. Russell musste dann (1940) nicht – wie Sokrates – den Schierlingsbecher leeren, hat sich aber sicher vom „Gift der Feindschaft“ überschwemmt gefunden – u.a. mit den Methoden der übelsten Verleumdung!

Tatsächlich haben fanatische religiöse Eiferer – zentral im Richteramt! – mit juristischen Tricks eine ursprünglich einstimmig ergangene Berufung Russels an der Hochschule in New York rückgangig gemacht. Wenn man dieses heute liest, hat man ein massives deja-vu-Erlebnis: und auch damals ist die gesamte seriöse Wissenschafts-Welt der USA dagegen massiv aufgestanden – vergleichbar der weltweiten „March-for-Science-Bewegung“ heute.

Schon 1956 schrieb Paul Edwards dazu, dass die damalige Situation der religiösen Intoleranz in USA schlimmer sei, als es 1940 Russell erlebt hatte. Und ich glaube, dass die Situation heute wiederum wesentlich gravierender ist als 1956.

Bertrand Russels Wunsch ist nun bereits 91 Jahre alt – und steht immer noch ganz oben auf meiner Wunschliste: es gibt also noch viel zu tun!

Packen wir es an! Wissend, dass der Wunsch sich auch im Jahr 2018 wieder nicht vollständig erfüllen lassen wird.

Aphorismus des Tages: „Die Angst ist die Mutter der Grausamkeit, und es ist deshalb kein Wunder, dass Grausamkeit und Religion Hand in Hand gehen, weil beide aus der Angst entspringen.“ (Bertrand Russel, 1872 – 1970, britischer Mathematiker, Logiker, Philosoph)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 02. Januar 2018