Das fängt ja gut an – 318 – Klimagipfel geht auch ohne Merkel und Trump!

So kann man den Ruf eines Landes auch gut ruinieren – und Macron nebenbei noch ein Bein stellen!

Obwohl ich Angela Merkel – wegen der (schon immer) völlig fehlenden Agenda für dieses Land – nie gewählt habe, habe ich sie bisher im Außenverhältnis unseres Landes immer respektiert – sie zeigte da oft Haltung und wurde auch von den Gesprächspartnern … respektiert.

Ob das unter den gegenwärtigen Bedingungen unbedingt so bleibt? Ich habe große Zweifel! Der Aufbau einer solchen Reputation dauert zehn Jahre… einreißen kann man das Gebäude in zehn Monaten – vielleicht sogar in zehn Wochen!

Angela Merkel steht vor der größten Herausforderung ihrer Laufbahn, seit sie Parteivorsitzende wurde, indem sie gegenüber dem gestürzten Riesen Kohl die nötige Haltung entwickelte. Seit dem 24.9.17 ist nichts mehr so, wie es war – gemessen an dieser Situation wirkt sie antriebslos, völlig Ideen-los dahin-treibend. Anscheinend wird sie nur von einer fixen Idee beherrscht: es muss alles wieder werden wie es war – Hauptsache ich regiere! Es wäre eine grandiose Chance gewesen, in dieser Lage – gleichzeitig umgeben von einer immer schwieriger werdenden Welt-Situation – Stärke, Initiative oder Brillanz zu zeigen. Es gibt einen brillanten Partner im wichtigsten Partnerland (F) der händeringend um Deutschland wirbt, weil er alleine viel zu schwach für seine Ideen ist (und die beschränken sich nicht nur auf Europa und Klima!). Das alles ist dabei an ihr und uns vorbei zu rauschen und zu verpuffen wie ein nasser Sylvester-Kracher!

Angela Merkel ist nach wie vor Bundeskanzlerin – sie hätte unbestreitbar das Heft des Handelns in der Hand: aber sie hängt wie ein nasser Lappen auf der Wäscheleine. Ich fange nun an, wirklich böse zu werden.

Ich will gar nicht von den Koalitionsverhandlungen selbst reden, in denen sie zugelassen hat, dass ein politischer Geisterfahrer wie Dobrindt die Szene für die Union vor den TV-Kameras dominieren durfte! Ich will auch nicht von der EU reden, in der sich gerade dramatisches abspielt – ohne dass Merkel Führung zeigt: als Folge tanzen einige Osteuropäische Staaten der EU auf der Nase herum, indem sie intern die Kernidee Europas abschaffen…

Ich will nur einige Beispiele (alle in ganz kurzer zeitlichen Folge geschehen) nennen, worin sich die fortschreitende Führungs-Erosion zeigt:

Beispiel 1: Glyphosat-Votum von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt. Eklatanter kann man den Verlust an Führungsschwäche gegenüber einer rotzfrech agierenden „Schwester CSU“ wirklich nicht demonstrieren.

Beispiel 2: Weltklima-Gipfel Bonn. Vor dem Hintergrund der Trump-Aggression gegen das Pariser Abkommen, lässt Merkel das gerade sehr starke Momentum in diesem Thema vorbei plätschern, weil sie ja leider gerade nicht kann. (Ich bin anderer Meinung: sie hätte in einer solchen Frage gekonnt…) Dieser Klimagipfel im eigenen Land hat das erste starke Zeichen für die Merkel-Dämmerung gesetzt und wird auch im Ausland so wahrgenommen.

Beispiel 3: Macron startet eine leidenschaftliche Initiative für Europa – die, wir wissen es alle, natürlich dann in eine realistische Handlungs-Offensive überleitet werden müßte, die ich aber als ein Geschenk an Deutschland wahrnehme. Nun: stärker als mit Ignorieren kann man einen solchen Impuls eines Partners kaum desavouieren! Ich will mal einen Vergleich aus dem täglichen Leben machen: Sie haben zum 20. Hochzeitstag Ihrer Frau 40 rote Rosen geschenkt und wollen mit ihr ausgehen – und sie sagt: och, da hab ich aber meinen Kaffeeklatsch mit meinen Cousinen….

Beispiel 4: Macron veranstaltet den außerordentlichen Klimagipfel in Paris – Merkel entsendet die von ihrem Minister Schmidt ungestraft desavouierte Umweltministerin Hendrix (sorry Frau Hendrix – Sie sind Klasse!): mehr Verachtung kann man nicht zeigen! Die in- und ausländische Presse titelt: „Für Macron geht Klimagipfel auch ohne Merkel und Trump!“ Großartig – hiermit ist Merkel auf der Weltbühne sichtbar im „Lager Trump“ angekommen…

Fazit: man kann sagen, dass Angela Merkel dabei ist, sich selbst abzuschaffen!

Die einzige positive Deutung, die mir einfällt (die ist aber satirisch!) wäre die, das sie dem netten Herrn Macron auch mal die Chance geben will, die lästige Führungsrolle in Europa zu übernehmen – der ist ja auch noch jung, Leider stellt sie ihm aber in Wirklichkeit ein Bein nach dem anderen,

Die gegenwärtige politische Situation ist weder innen noch außen ein Terrain für eine antriebsschwache Regentin, die es sich gerne beim Regieren weiter gemütlich machen möchte!

Herbert Börger

Copyright Der Brandenburger Tor, Berlin, 13. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 319 – Microprozessor Natives

Wir sind die „Microprocessor-Natives“!

Junge Leute ab Jahrgang 1980 (lt. Urs Gasser) werden heute gerne als „Digital Natives“ bezeichnet, weil sie mit der digitalen Kommunikation und dem Internet aufgewachsen sind. Ich persönlich würde diese Geburtsjahr-Grenze allerdings eher auf 1990 setzen, da das iPhone ja erst 2007 eingeführt wurde …

Alles davor sind also analoge Ur-Menschen, die gerade aus ihren Höhlen gekrochen waren, in denen gerade mal ein Telefon und ein Fax-Gerät standen?

Weit gefehlt! Diese Interpretation des Erfahrungshorizonts mit Digital-Technik bei älteren Menschen bedarf dringend einer Korrektur! Ich bin Jahrgang 1945 – und oute mich hiermit als „Microprocessor-Native“ = „µP-Native„. Microprozessor-Native sind sozusagen die Hard-Core-Variante des digital immigrierten Menschen: wir mussten anfangs noch direkt mit den Maschinen sprechen, um die „Segnungen“ der Digitaltechnologie zu nutzen.

Zunächst mussten wir uns alle 2-3 Jahre auf völlig veränderter Hardware, Schnittstellen, Übertragungsprotokolle, Peripherien und natürlich auch Betriebssysteme einstellen – wobei es anfangs nicht einmal Betriebssysteme gab, sondern in Programmsprachen wie Fortran, Algol oder Basic gearbeitet wurde. Wir hatten keine Ahnung, wohin die Reise gehen würde… Mit der rasend schnellen Entwicklung der Prozessorstrukturen änderten sich Hardware, Software und Bedienungs-Schnittstellen komplett, da damit stets völlig neue Möglichkeiten entstanden. Die Anwendungen änderten sich dramatisch. Die Arbeitsweise änderte sich – und alle ca. 10 Jahre auch die Form der Kommunikation mit dem Computer und mit der Umwelt. 1981 formulierte Moore die Prognose (oder Regel), dass sich alle 2 Jahre die Integrationsdichte der µPs verdoppelt. Eine kluge Schätzung… Bisher hat sich die Industrie ganz gut daran gehalten, aber es ist kein Gesetz… Marc-Uwe Kling beschreibt das in Qualityland als eine „selbst-erfüllende Prophezeiung“, was es vielleicht sehr gut trifft. Die Rechen-Geschwindigkeiten stiegen auch enorm – was aber nur Einfluß auf die „Möglichkeiten“ der Maschinen hat und nicht die Arbeitsweise per se veränderte.

Mein 1-Platinen-Heimcomputer Sinclair Z81 von 1981 hatte 1 MIPS (Millionen Instruktionen per Sekunde) – derzeit liegen wir im gehobenen PC-Sektor mit Einzel-Prozessor bei >200.000 MIPS… wobei MIPS als 8-bit-Instruktion definiert ist und gemessen wird. Ein 32bit-Prozessor ist daher in der Praxis eigentlich noch 10.000 mal schneller.

Wir „µP-Natives“ haben als Anwender in den Anfängen ständig vieles von Grund auf neu lernen – und auch verstehen müssen, was in den Kästen vor sich geht… und haben uns nicht beschwert. Der „Digital Native“ rückt ja erst in Bild dieser ganzen Entwicklung, nachdem grafische und haptische Benutzerschnittstellen in einen Milliarden-Massenmarkt eintraten, während sich der Nutzer nicht mehr die geringsten Vorstellungen davon machen muss, was in den Black-Boxes vor sich geht.

Damit man die Bedeutung und Rasanz der ab 1971 aufkeimenden Mikroprozessor-Technologie beurteilen kann, liste ich hier meine digitale Autobiographie auf:

1968: ich bin 22 Jahre alt, im 3. Semester Physik an der TU Clausthal mache ich ein EDV-Praktikum an der ZUSE 3 – Kommunikation mit der Maschine über Fortran mittels Lochkarteneingabe (also off-line). Der vorbereitete Lochkartenstapel wurde im Rechenzentrum abgegeben – am nächsten Tag erhielt ich den Ausdruck des Ergebnisses… wenn das Programm o.k. war – sonst einen Fehlerbericht… nächste Schleife (1 weiterer Tag). Ich vermute, dass der Prozessor meines Kaffe-Vollautomaten zig-fach schneller und leistungsfähiger ist als es dieses Ding war, das mehrere Räume mit Klimaanlage beanspruchte! Stellen Sie sich vor, sie müßten Lochkarten perforieren um Ihren Kaffee zu bekommen – und bekämen den dann morgen…

1970: Während der Diplomarbeit (mit HiWi-Stelle) am Institut für Metallphysik der RWTH Aachen benutzen wir einen HP Tischrechner (9100) mit Magnetkarten-Speichermedium. (Es wäre lächerlich, hier von RAM-Größen zu sprechen… anfangs konnten wir nur 216 Programmzeilen eingeben – da lernte man ein Programm auf die letzte Zeile auszuquetschen! Später erweitert auf 500 Programmzeilen beim HP 9820.) Programmierung per FORTRAN-ähnlichem „HPL-Basic“. Grafiken konnten bereits farbig auf einem Plotter ausgegeben werden. HP hatte damals ein Quasi-Monopol auf derartige wissenschaftliche Arbeitsplatz-Rechner. Preis anfangs ca. DM 15.000,–. Diskrete Elektronik – noch ohne Mikroprozessor!

1971: zunächst unbemerkt von mir, wird der Mikroprozessor erfunden! (Intel 4004).

1972: Der wissenschftlich-technische Taschenrechner HP 35 kommt auf den Markt — und kostet anfangs DM 2.000,–. Wir bekommen alle leuchtende Augen! Als der Preis ein halbes Jahr später auf DM 800,– gesenkt wird, gehe ich zu Karstadt, nehme einen Verbraucher-Kredit auf und kaufe den HP 35. Ihr glaiubt nicht, was das für ein cooles Gefühl war, dieses Teil in einer am Gürtel zun tragenden Tasche dabei zu haben. Und es wurde benutzt, dass die Tasten rauchten! Bis vor 1-2 Jahren hatte ich den noch und er lief auch immer noch am Netzgerät! Dann verschwand er leider bei 2 Umzügen… Nun habe ich mit den „Nachbau“ HP 35s besorgt, wegen der Nostalgie und der UPN… „umgekehrte polnische Notation“. Der Begriff „Taschenrechner“ wird dem Gerät allerdings nicht gerecht: angemessener ist der durchaus damals übliche Begriff „elektronischer Rechenschieber“, denn er hat das mechanische Pendant tatsächlich binnen kürzester Zeit vom Markt gefegt – nachdem TI die Preise drastisch gedrückt hatte! (P.S.: Das Gerät war ein Spleen von Mr. Hewlett! Die Marktstudie VOR Markteinführung des HP 35 hatte ergeben, dass das ein FLOP werden würde – keine nennenswerte Stückzahlen wurden erwartet!)

1973: Ich arbeite in der Industrie – in der Anwendungstechnik machen wir alle technischen Berechnungen mit dem programmierbaren Taschenrechner HP 65 (mit Magnetstreifenleser).

1976: An einer Prüfanstalt mit Forschungsbereich installiere ich an einem Tischrechner HP 9815 (mit IEC-Bus-Schnittstelle) eine ganze Reihe von Meßwerterfassungen – z.T. On-line über ein schnelles digitales Voltmeter, teils über einen Transientenrecorder (für Stoßversuche). Der Festspeicher ist jetzt so groß (2000 Programmzeilen), dass man sich bei der Programmierung nicht mehr so quälen muss. Es gibt erstmals ein Bandlaufwerk! Zeitgleich kommt der erste „PC“ von Apple heraus . Der ist aber in Deutschland eher selten anzutreffen – kurz danach kommt der Commodore 64 auf den Markt – sowas heißt in Deutschland aber dann noch „Heimcomputer„. Der Begriff „PC“ wird erst 1981 geprägt werden. Wir zogen gerade zwei noch-nicht-digital-native Kinder groß und konnten uns so etwas privat nicht leisten. Ich habe zwischendurch nur mal mit dem ca. 150 DM teuren Sinclair Z81 Homecomputer (nur Folientastatur – Anschluß an TV – 8 kB RAM (!) – aus England beschafft) „gespielt“ – einen wirklichen Nutzen hatte das Ding nicht. Zu diesem Zeitpunkt erschließt IBM den Markt der „Personal Computer“ mit dem IBM-PC – in Konkurrenz zu dem seit 1976 von einer Garagenfirma entwickelten Apple-PC. Wie dieser Kampf David gegen Goliath ausgehen würde, hatte damals sicher niemand erwartet.

1983: Den nächsten großen Schritt gibt es dann für mich ab 1983 mit dem Eintritt in die Welt von Apple-Computern im Büro-Bereich. Wir bauten damals bei Firma Freudenberg die erste 3D-CAD-Gruppe auf. Der neue IT-Leiter der Firma kam aus USA mit den neuesten Technologien an Bord. Er überließ mir seine „LISA“ – den ersten Apple-Computer mit dem von XEROX entwickelten grafischen Benutzersystem mit MAUS! Die Lisa hatte damals DM 20.000 gekostet, war ca. 1 MIPS schnell und hatte 256 kB RAM und 2 MB Festplattenspeicher. Damit gehöre ich wahrscheinlich zu einer relativ kleinen Gruppe frühester Mac-User…

Der Nachfolger der Lisa hieß dann „Macintosh“ – und mit der 512 kb-Version statteten wir alle Büro-Arbeitsplätze aus. 3D-CAD wurde auf Graphic-Workstations (in unserem Falle Sun) bewältigt – mit „sagenhaften“ 10 MIPS plus Grafikkarte, die einen eigenen, schnellen Prozessor benutzte. Ein derartiger Arbeitplatz (ohne Server) lag locker bei 125.000 DM! Während des Aufbaus eines Rotations-Körpers konnte man getrost Kaffee holen gehen…

Danach ging es rasant weiter in der Rechen- und Kommunikationsgeschwindigkeit (Peripherie) – und das ermöglichte schließlich die Gesamtheit der Prozesse, die wir heute unter „Digitalisierung“ verstehen, und die sich seit dem sagenhaften Aufstieg des World Wide Web zum Rückgrat der Globalisierung entwickelte. Digitalisierung und Globalisierung gehören untrennbar zusammen!

Damit ist klar: µP-Native und Digital-Native sind zwei völlig verschiedene Paar Stiefel!

Wir – die µP-Natives, sind die tapfer-tragischen Ritter von der traurigen Gestalt, die sich noch mit den immer rasender rotierenden Flügeln der Prozessorentwicklung geschlagen haben; Ihr – die Digital Natives, die mit Wischen und Tippen ein mächtiges weltumspannendes System von Informationen und Geschäftsvorgängen beherrschen… oder von ihm beherrscht werdet? Noch wissen wir nicht, wie es für Euch (und damit für uns alle!) ausgehen wird. Werdet ihn mit den unglaublichen Möglichkeiten fertig werden – oder angesichts dieser in einer Handlungsblockade erstarren?

Werden die Digital-Natives, konfrontiert mit den Versuchungen und Schrecken einer virtuellen Realität voller Sex, Crime, Horror, Fantasy und Sofort-Kaufanreizen, noch moralische Maximen folgen können? Werden sie schlimmstenfalls in eine Angst-Starre verfallen? Wem oder was werden sie folgen, um ihre Haltung in dieser Welt zu entwickeln?

Sollten wir uns nicht alle mit diesen Fragen sehr intensiv befassen – GEMEINSAM?

Eines scheint mir sicher zu sein: einer Generation, die eine Welt ohne WWW nicht kennt, müssen wir helfen zu lernen, dass wirklich SOZIALE Bindungen nur F2F entstehen können!

Herbert Börger

Copyright Der Brandenburger Tor, Berlin, 12. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 320 – Berliner Stadt-Spitzen – Lesebühnen

Berliner Stadt-Spitzen

Ich kenne kaum jemanden, der kein ambivalentes Verhältnis zu einem Stadt-Moloch wie Berlin hat. In Berlin ist alles besonders starkt ausgeprägt: das Positive wie das Negative.

Der Anteil der Menschen, die eine positve Grundeinstellung trotz Mängeln und Anzeichen von Chaos im öffentlichen Raum haben, scheint dennoch sehr hoch zu sein. Das kann vielleicht auch so bleiben, solange die Lebensbedingungen für fast alle, die sich mit der riesigen Stadt arrangieren wollen, erträglich bleiben (z.B. Mieten!).

Wenn es so (noch oder wieder) etwas wie ein typisches „Berliner Miljöh“ in diesem babylonischen Stadtgemisch geben sollte (?), dann müßte es sich in kulturellen Elementen zum Ausdruck bringen, vielleicht sogar zu einem Ausdruck drängen… Das kann aber sicher nicht in dem Angebot etablierter Sprech- oder Musik-Bühnen bestehen, die sich auf „internationalem Niveau“ bewegen – ebenso wenig in der Präsenz von „Sterne-Restaurants“! Hier ist – außer bei der Garderobenfrau – sicher nicht viel Berliner Lebensgefühl aufzuspüren… Ich habe auch große Zweifel, ob man die so viel gepriesene „Klub-Szene“ dazu zählen kann…

Ich bin noch nicht lange genug hier, um das nachhaltig beschreiben zu können. Ich will dem nachspüren und dabei werde ich hier in diese neue Rubrik „Stadt-Spitzen“ kleine Erlebnisse, Momente und Erkenntnisse erzählen, die für mich speziell Berliner Impressionen sind.

Berliner Stadt-Spitzen 1:

Es gibt zwei kreative literarische Phänomene, die nachweislich in den 1990er Jahren für Deutschland ihren Anfang hier in Berlin genommen haben:

  • Poetry Slam (Berlin 1994 Wolf Hogekamp)
  • Lesebühnen (Berlin 1989 ff: Mittwochsfazit/Salbader – Dr. Seltsams Frühschoppen)

Poetry Slam („Demokratisierter Literatur-Wettbewerb“ mit festen Regeln) entstand 1986 in Chicago – sprang schnell nach Europa und Japan über. Heute soll der deutschsprachige Sektor der weltweit größte sein mit derzeit lt. Wikipedia ca. 300 regelmäßigen Veranstaltungsreihen.

Im Gegensatz dazu ist die Veranstaltungsform der Lesebühne in Berlin entstanden und wohl weitgehend auf den deutschsprachigen Raum begrenzt. Hier hat der Gründungsort Berlin immer noch eine überwältigende Dominanz: in der Wikipedia-Liste der deitschen Lesebühnen stehen 40 in Berlin – mit München und Hannover mit je 4 auf dem nächsten Platz…

Auf Lesebühnen gibt es keinen Wettbewerb aber trotzdem individuelle, feste Regeln. Meist gibt es eine feste lokale Autorengruppe mit einem wechselnden Gast. Oft wöchentliche Termine (mit Sommer-/Winter-Pausen), manchmal mit der Regel, dass alle Texte neu/unveröffentlicht sein müssen.

Aus beiden Metiers sind über die Jahrzehnte auch schon überregional publizierende Autoren mit hohem Bekanntheitsgrad hervorgegangen wie zum Beispiel Horst Evers (Lesebühne Frühschoppen) oder Marc-Uwe Kling (Poetry Slam – dt. Meisterschaft 2006/07).

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 11. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 322 – perverser Machtmißbrauch

Was hat Helmut Kohl mit Harvey Weinstein zu tun? … Nichts!

Was hat die Causa Kohl („Bimbes – Schwarze Kassen“) mit der Causa Weinstein („#MeeToo“) zu tun? … Alles!

Vor vier Tagen schrieb ich hier meine Reaktion auf die Causa Kohl nach dem Film „Bimbes – Dies schwarzen Kassen des Helmut Kohl“ auf.                                                         ( https://der-brandenburger-tor.de/?p=4233)

Kurz darauf habe ich den ZEIT-Artikel vom 25.10.17 „Die Macht des Dinosauriers“ gelesen, in dem umfangreiche Erkenntnisse und Details zur Causa Weinstein berichtet werden.

Auch zu diesen Vorgängen habe ich vor einiger Zeit ( https://der-brandenburger-tor.de/?p=2171 ) bereits hier Vermutungen über gesellschaftliche Zusammenhänge formuliert, die darauf basierten, dass ja offensichtlich fast ALLES, was unter #MeeToo jetzt öffentlich an die Oberfläche kam, im Umfeld des Täters und der Opfer BEKANNT war! Ich schrieb:

In erheblichem Umfang saßen/sitzen große Gesellschaftskreise in der Sexismus-Falle und schützen im Normalfall den Täter und nicht die Opfer. Warum ist das so? Opportunismus? Doppelmoral? Faszination durch jene, die sich nicht an Moral und Gesetz halten „müssen“, weil sie Ruhm und Macht – dafür aber keine Hemmungen haben?“

Nach dem Studium des ZEIT-Artikels schoben sich für mich die Muster beider Vorgänge bei Kohl (Macht im Staate) und Weinstein (Macht im Beruf/Unternehmen) plötzlich passgenau übereinander: hier geht es wirklich um exakt dieselben Mechanismen im Teufelskreis von Macht und Abhängigkeiten!

Im ZEIT-Artikel war Bezug genommen auf ein bereits 1998 (fr.) bzw. 1999 (dt.) erschienenes Buch der Psychologin Marie-France Hirigoyen. Deutscher Titel: „Die Masken der Niedertracht“ (Untertitel: Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann). Ich habe mir das Buch sofort beschafft. Die Autorin dieser Studie kann die Vorgänge um Weinstein oder Kohl nicht gekannt haben – dennoch liest sie sich mit dem heutigen Wissen so, als ob sie genau über diese schreiben würde:

(Zitat Hirigoyen, Die Masken der Niedertracht)

… Die gesamte Gesellschaft ist betroffen, sobald es um die Macht geht. Von jeher gab es Menschen ohne Skrupel, berechnend, manipulierend, für die der Zweck die Mittel heiligt. Aber die gegenwärtige Häufung perverser Handlungen in Familien und Unternehmen ist ein Symptom des Individualismus, der unsere Gesellschaft beherrscht. In einem System, das nach dem Gesetz des Stärkeren, des Gerisseneren funktioniert, sind die Perversen Könige. Wenn der Erfolg der oberste Wert ist, erscheint Redlichkeit als Schwäche und Perversität als Gewitztheit.

… Zahlreiche leitende Persönlichkeiten und Staatsmänner, die doch Vorbilder für die Jugend sein sollten, scheren sich nicht um Moral, wenn es darum geht, sich einen Rivalen vom Halse zu schaffen oder sich an der Macht zu halten. So manche mißbrauchen ihre Vorrechte, wenden psychischen Druck an, berufen sich auf die Staatsräson oder die militärische Geheimhaltungspflicht, um ihr Privatleben abzuschirmen. Andere bereichern sich durch trickreiche Kriminalität: Unterschlagung gesellschaftlichen Vermögens, Betrug oder Steuerhinterziehung. Bestechung ist an der Tagesordnung. … Wird diese Perversion nicht deutlich angeprangert, breitet sie sich heimlich aus durch Einschüchterung, Angst und Manipulation. Denn um jemand psychisch zu vereinnahmen genügt es, ihn zum Lügen zu verführen oder zur Bloßstellung anderer, was ihn zum Komplizen des perversen Vorganges macht. Das ist die Grundlage des Funktionierens der Mafia oder der totalitären Regime.

Hirigoyen gezeichnet es als den „perversen Machtmißbrauch“ und die Täter als Perverse, weil sie reihenweise an sich neutrale gesellschaftliche Prozesse pervertieren. Dabei handelt es sich um völlig aus dem Ruder gelaufene Ergebnisse eines überbordenden Individualismus!

Diese Analyse bestätigte mich endgültig in der Auffassung, dass wir es bei den Fällen Kohl/Weinstein mit dem selben Phänomen zu tun haben: einem perversen Narzissmus! Man könnte ja auch eine fast unendliche Reihe von weiteren Fällen hinzufügen: Dominique Strauss-Kahn, Trump, Dieselskandal etc. …

Das wirklich Großartige an Hirigoyens Arbeit aber ist, dass sie es nicht mit der Analyse bewenden läßt: sie stellt auch Lösungs-/Heilungs-Möglichkeiten (für die Opfer) dar. Sie analysiert auch die Gesetzeslage in verschiedenen Ländern. Es wird Zeit, dass solche Stimmen ernster genommen werden.

Für mich ergibt sich derzeit das Bild, das das Prizip der „Compliance„, das ja eigentlich in Unternehmen und Staatsorganen die Erscheinungen wie Betrug, Bestechung und Gesetzesverstöße verhindern sollte, in einem starren, teilweise die Prozesse sogar lähmenden Formalismus versandet ist – aber in der heutigen Form den perversen Machtmißbrauch nicht stoppen kann.

Wir sollten uns also in der #MeeToo-Debatte nicht auf das Thema Sexismus alleine fokussieren! Wir brauchen einen Diskurs über perversen Machtmißbrauch in allen gesellschaftlichen Bereichen!

Aphorismus des Tages: „Die Ersetzung der Macht des Einzelnen durch die der Gemeinschaft ist der entscheidende kulturelle Schritt. Sein Wesen besteht darin, daß sich die Mitglieder der Gemeinschaft in ihren Befriedigungsmöglichkeiten beschränken, während der Einzelne solche Schranken nicht kannte.“ (Sigmud Freud, 1856 – 1939, österreichischer Neurologe und Erfinder der Psychoanalyse)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 9. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 323 – Heide Simonis

Die Sexismus-Debatte gibt es schon sehr lange – auch wenn sie augenblicklich wohl auf einen bishrigen Höhepunkt zusteuert – „aus gegebenem Anlass“ wie es immer so schön heißt!

Ich erinnerte mich in diesem Zusammenhang an eine Debatte, die als Sexismus-Thema von einer Frau losgetreten wurde – von einer in „ihrer Zeit“ tatsächlich „herrschenden Frau“: Heide Simonis. Von 1993 – 2005 Ministerpräsidentin von Schleswig Holstein (SPD). Eine beliebte MP, eine sehr starke Persönlichkeit mit sehr selbstbewusstem Auftreten und Eigenarten, die die Presse sehr gerne stilisierte – etwa ihre Handtaschen, eine etwas burschikose Art. Wegen beiden Markenzeichen wurde sie durchaus mit Maggie Thatcher verglichen. Sie konnte es sich damals leisten, die Vorsitzenden der SPD-Bundespartei als „unsere Jungs“ zu titulieren.

Sie fiel dann bei der Ministerpräsidenten-Wahl im Parlament 2005 durch – was sie als „Dolchstoß“ empfand und die Legende bildete, das könne nur ein Mann gewesen sein – dabei sind die betreffenden Abstimmungen im Landtag geheim – es konnte genauso eine Frau gewesen sein.

2009 wurde dann Christine Lieberknecht in einem ähnlich dramatischen Vorgang schließlich zur MP von Thüringen gewählt – allerdings wirklich gewählt! Und mit vielen Stimmen der Opposition – damals noch gegen Ramelow. Für Heide Simonis rührte dieser Vorgang trotzdem offensichtlich an Ihr von 2005 her stammendes Trauma der eigenen Wahlniederlage und sie verkündete aus heiterem Himmel öffentlich: „Sie hassen uns wirklich!“ Sie meinte: die Männer … allgemein.

Der verbale Ausbruch dieser Frau, die immer wunderbar austeilen konnte, veranlasste mich zu einer Glosse („Heide Simonis deckt Verschwoerung auf„), die ich gerade in diesen Blog gestellt habe:

Heide Simonis deckt Verschwoerung auf

Ob ein Mann heute noch eine derartige Glosse zu diesem Thema schreiben würde?

Schreiben sie mir Ihre Meinung.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 8. Dezember 2017

 

 

 

 

Das fängt ja gut an – 325 – Hier gehören wir hin

Vor gut neun Monaten sind meine Frau und ich nach Berlin gezogen. Ein Zeitraum, von dem man weiß, dass darin etwas wachsen kann… Vom Dorf in die Millionen-Haupt-Stadt!

Vorher haben wir auf einem Dorf (ca. 950 Einwohner) in West-Mittelfranken gewohnt. Sind wir zum „Ruhestand“ vor einer vorgezognen Grabes-Ruhe auf dem Land in die Großstadt geflohen? Nein, so war es nicht.

Es war ein skurril-existenzielles Erlebnis, das uns mit 70/71 Jahren endgültig den Mut zu diesem Schritt verlieh. Davor gab es nur „Ideen“. Vorher sollte ich sagen, dass unsere Mütter (meine und meiner Frau) in Sachsen-Anhalt geboren und aufgewachsen sind. Dadurch sind wir als Kinder durch eine Großeltern-Welt in Mitteldeutschland (wie die korrekte Bezeichnung heißt) geprägt. Politische Systeme dieser Epoche spielen bei der emotionalen Erfassung eines Standortes bei Kindern/jungen Erwachsenen absolut keine Rolle (wenn man sie in Ruhe läßt)!

Wir waren dabei, den ganzen Großraum Berlin nach einem möglichen Standort für uns zu beschnuppern und gingen gerade durch Köpenick. Schritten Arm-in-Arm ober diese typischen Bürgersteige mit den kleinquadratig gepflasterten Mittelwegen, die durch die Wurzeln der Straßenbäume einen leichten, unkalkulierbaren „Wellenschlag“ erhalten. Da sagten wir gleichzeitig: hier gehören wir hin! Sie werden es kaum glauben – wir selbst müssen uns immer wieder gegenseitig versichern, dass es so war.

Gesagt – getan: danach waren wir wild entschlossen und haben im Südosten Berlins unsere Zelte aufgeschlagen – allerdings schon in einem festen Gebäude … Eine Stunde mit ÖPNV zum Pariser Platz (und egal ob ehemaliges West- oder Ost-Berlin – danke RINGBAHN!).

Vorläufiges Fazit nach neun Monaten?

Wieder sollte ich vorausschicken, dass in der Region in Franken, die wir verlassen haben, nicht unsere Wurzeln lagen. Wir haben die normale Biografie einer Ende der 60er gegründeten Kleinfamilie, mit auf das Studium fern der „Heimat“ folgendem Umzug der Familie zunächst im Durchschnitt alle 7 Jahre. Dann bedingt durch Unternehmensgründung ein längerer Aufenthalt in Franken. Die Kinder sind längst aus dem Haus – dann gegen Alter 70 schließlich wird der geplante Ruhestand angepeilt.

Eine „Heimat“ zu definieren ist da fast unmöglich. Die Lebensmittelpunkte der Eltern haben sich längst verflüchtigt – Jugendfreunde/Schul-/Studienfreunde/Berufskontakte: alle weit über das Land verstreut. Erste „Einschläge“ sind schon näher gekommen.

Das Fazit nach 9 Monaten ist überwältigend positiv. Das Hierhergehör-Gefühl hat sich vertieft und verfestigt. So fühlt sich Leben an.

Danke Berlin. Du bist real gelebtes Chaos auf allen Ebenen – oft bis zur Unerträglichkeit – überlagert von einer fast natürlich wirkenden entspannten Selbstverständlichkeit.

Berlin ist – jetzt aus der Nähe betrachtet – ein eigenes Universum mit einer extrem starken Vitalität (im positiven wie im negativen). In obersten politisch-gesellschaftlichen Ebnen wabern die ständigen Diskurse und Geplänkel zweier Regierungen, auf unterster Kiez-Ebene tobt manchmal der Straßenkampf um jedes Haus! Das ist eine pralle Wirklichkeit, die man gar nicht erfinden könnte – ein veritabler Humus für Kultur in ständigem Wandel.

Die „Stadt“ hat seit der Wiedervereinigung anscheinend eine enorm starke Selbstbezogenheit entwickelt. Wenn man hier lebt, rücken nach relativ kurzer Zeit, andere Bereiche Deutschlands weit weg. Man ist manchmal überrascht, wenn man sich bewußt macht, dass es auch noch andere Orte außer Berlin gibt – die zusammen 86% von Deutschland ausmachen. Gefühlt ist das umgekehrt…! Das ist nach wenigen Monaten Neu-Berlinertum wirklich ein Beweis für eine starke Sogwirkung, die das Monster-Gebilde „Hauptstadt“ ausübt. Es besitzt ein völlig ungerechtfertigtes, übersteigertes Selbstbewusstsein – ist aber aber trotzden rätselhafterweise sehr sympathisch.

Ich habe dich noch nicht verstanden, Berlin. Gib mir mal 9 Jahre dazu!

Aphorismus des Tages: „Berlin ist mehr als ein Weltteil als eine Stadt.“ (Jean Paul, 1763 – 1825), deutscher Dichter – und kurioserweise war er Gymnasial-Lehrer in der Kreisstadt unseres vor Berlin letzten Lebensmittelpunktes in Mittelfranken (Neustadt an der Aisch).

Bild des Tages: „Sightseeing“ mit ÖPNV – aus dem Bus 100 am Lustgarten.

ÖPNV_Sightseeing_Bus100

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 6. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 326 – Scheinriese Helmut Kohl

Helmut Kohl und BIMBES – Sechzehn Jahre lang war er Regierungschef – im Modus des permanenten VERFASSUNGSBRUCHES.

Da muss man als deutscher Bürger erst mal Luft schnappen. Dabei habe ich ihn nie gewählt – wie muss das die erst treffen, die Helmut Kohl mit ihrer Stimme so lange im Amt gehalten hatten?! Ein Scheinriese hat das politische System Deutschlands jahrzehntelang nach Gutsherrenart düpiert – und ihr habt seinen Leichnam neulich noch symbolträchtig über den Rhein gefahren. Das erinnerte mich damals an die „Niebelungentreue“ der Deutschen – nicht zuletzt wegen des Ortes des Landganges für die Leiche …. Gestern abend, nach diesem Film „Bimbes – die schwarzen Kassen des Helmut Kohl“ in der ARD, schoss dieses Bild wieder bei mir hoch: und es passt sogar noch besser als ich dachte. Wikipedia liefert folgende Formulierung: „Niebelungentreue beschreibt eine Form bedingungsloser, emotionaler und potenziell verhängnisvoller Treue“.

Ich bin heute früh – sehr früh – mit dem Bild von Kohls alters-starrer Maske aufgewacht. Es überschnitt sich auch immer wieder mit dem Bild der alters-starren Maske von Brauchitschs. Sind dies die Gesichter von Menschen, deren Leben in großen Strecken eine – nicht eingestandene! – Lüge war?

Seit sieben Uhr sitze ich am Computer und versuche festzustellen, ob es sich bei den gesehen/gehörten Ungeheuerlichkeiten um eine „Kampagne des linksversifften Staatsfunkes“ handeln könnte – wie es jetzt aus den üblichen Kanälen sofort wieder schallen wird. Es gibt aber keine Anzeichen dafür – und ich bin auch heute noch immer so naiv, dass ich einem Menschen wie Norbert Blüm wirklich für ehrlich halte. Das entspringt natürlich der Hoffnung, dass es irgendwo in der politischen Landschaft immer noch einen Menschen mit einem Funken von Anstand geben möge….

Also nehmen wir das ernst, was dieser Film uns sagt!

Die Aussage des Filmes ist in drei erschütternden Sätzen zusammengefaßt: Der Flick-Konzern (in der Person von Herrn von Brauchitsch) hat Helmut Kohl zum CDU-Vorsitzenden und zum Kanzler gemacht. (Man könnte auch sagen: er war gekauft!) Kohl hat in seinen hohen politischen Ämtern UNUNTERBROCHEN die Verfassung gebrochen (und gelogen und veruntreut). Am Ende hat  Helmut Kohl praktisch jeden, der ihn auf diesem kriminellen Wege unterstützt hat, übelst düpiert. (Wenn man das betrachtet, sieht man seine private Alters-Bilanz bezüglich Ehefrau und Kindern in einem völlig neuen Licht. Er WAR anscheinend so!) Von Brauchitsch war wohl extrem verbittert: da hatte er sich nun „seinen eigenen Kanzler gemacht“ – und der hat ihn nicht amnestiert, obwohl er gekonnt hätte…

Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass die Kohlsche CDU nicht die einzige Akteurin dieser Spenden-Skandale um Flick war – auch FDP-Politiker waren seinerzeit massiv betroffen – landeten aber vor Gericht oder mussten zurücktreten. KOHL ist nie in die Nähe eines Gerichtverfahrens gekommen – man kann es im Rückblichk kaum für möglich halten.

Sicher: es war immerhin so viel bekannt geworden, dass die CDU ihm den Ehrenvorsitz aberkennen musste. (Es muss ihn unglaublich getroffen haben!) Aber es waren alles Bruchstücke des Ganzen – dessen ungeheure Wucht erst erkennbar wird durch das bisher fehlende Bindeglied aus den Aussagen des Herrn May.

Angela Merkel wird sich vermutlich selbst fragen – oder fragen lassen müssen – ob sie damals wirklich genug zur Aufklärung der Causa Helmut Kohl in der CDU getan hat.

16 Jahre lang ein „gekaufter Kanzler“ ohne jedes Unrechtsbewußtsein – das, liebes Deutschland, musst Du jetzt erst einmal verkraften!

Ich komme zurück zu Norbert Blüm, der in diesem Film erscheint, wie er Spenden-Listen vorliest – und offensichtlich erschüttert ist. (Sein Gesicht sagt: „Das war mein Verein!?“) Aber er wiederholt auch trotzdem das alte Mantra des „großen Politikers Kohl – des Kanzlers der Einheit“.

Da ist ein durch und durch gerissener, gekaufter Politiker: und wir sollen WIRKLICH sein gesamtes Handeln um die deutsche Einheit als INTEGER voraussetzen? Dazu bin ich nicht bereit. Aus den dargestellten Zusammenhängen wird erkennbar, dass Kohl genau 1989 extrem in die Enge getrieben war in Bezug auf seine Machenschaften. Da war die deutsche Einheit für Kohl so etwas wie das „Drachenblut, das Siegfried unverletzlich machte“ – womit wir wieder bei den Nibelungen und der Pfalz wären. Kohls Lindenblatt hat aber zu seinen Lebzeiten niemand gefunden.

Bild des Tages: (Malus – Out of focus) Kennen Sie das, wenn sie sich völlig entspannen – und dann noch die offenen Augen auf „unfokussiert“ stellen, wie das vielleicht im Schlaf ist: dann kommen nach einiger Zeit unerwartete Gedanken und Assoziationen … vielleicht auch solche, wie man das neue deutsche TRAUMA HELMUT KOHL überwinden könnte!

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Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 5. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 327 – „Projekt“ Europa

„EUROPA ist für Deutschland ein wichtiges Projekt“ – das ist der Politiker/Talkshowgäste-Sprech, der mich ganz tief drinnen aufregt! Warum?

Das politische EUROPA, also die Europäische Union, ist kein PROJEKT!

Die EU ist ein Rechtsraum, eine gelebte Realität – seit Jahrzehnten. Wer auch immer dieses Un-Wort „Projekt“ in Bezug auf die EU in den Mund nimmt, macht sich indirekt mit-schuldig an der Stärkung nationalistischer Tendenzen. Denken und Sprechen von Menschen sind sehr eng miteinander verbunden – in beiden Richtungen. (Die Wissenschaft ist gerade dabei, die Zusammenhänge im Gehirn zu erforschen, aufgrund derer das Denken das Sprechen – aber auch das Sprechen das Denken beeinflußt.)

Alle, die ständig von einem „Projekt“ reden, besorgen die Sache der „EU-Leugner“ (ja, die Assoziation ist beabsichtigt!). Das Wort impliziert, dass die EU eine vage Phantasie sein könnte, ein Versuch, etwas Noch-Nicht-Existentes, das man auch wieder abstoßen kann. Das ist falsch. Hier werden die Schalter im Gehirn falsch umgelegt – in der Folge dieser Fehlschaltungen wird gerade etwas Großartiges beschädigt – wenn nicht gar zerstört! Wenn Sie dauernd davon reden, dass etwas zur Disposition steht, können sie zusehen, wie es in den Köpfen der Menschen „zerbröselt“. Und welche Alternative/Lösung bietet sich den Menschen sofort bereitwillig an? Der alte, häßliche Nationalstaat hebt sein Haupt und drückt die orientierungslos taumelnden an seine Brust – und stößt sie in die nächste Katastrophe!

Genug der Emotionen… Zur Sache: Alle Staaten und Regionen, die sich zusammen getan haben, haben kulturell und wirtschaftlich davon profitiert. Der Wohlstand ist überall gewachsen. Ländliche und unterentwickelte Regionen sind in allen Staaten gezielt wirtschaftlich entwickelt worden (auch in Deutschland! Auch in Bayern!). Aus meiner Sicht ist die kulturelle Komponente noch viel wichtiger – weil nur der friedliche, kulturelle Austausch auf Dauer zum gegenseitigen Verstehen und Akzeptieren führen kann. Hier hat man manches in den letzten 10 Jahren anscheinend auch wieder aus dem Blick verloren. Was ist aus dem deutsch-französischen Schüler- und Studentenaustausch geworden? Sozusagen dem Rückrat der Europäischen Versöhnung und Befriedung nach dem 2. Weltkrieg! Nichts führt sicherer und anhaltender zu Frieden zwischen Menschen, als das gemeinsame Bildungs-Erlebnis.

In mehreren Realisierungs-Stufen der Europäischen IDEE, die dabei zur REALITÄT wurde, sind Fehler passiert. Es ist ja von Menschen gemacht. Wenn sie die Fehler kennen, können die Menschen sie in ihrem Handeln berücksichtigen.

Der größte Fehler wird vermutlich die Einführung einer gemeinsamen Währung gewesen sein – ohne die Grundlage echter politische Einheit und ohne gemeinsame Finanzverwaltung. Eine Rückabwicklung der Währungsunion nach 16+ Jahren birgt vermutlich heute nicht kalkulierbare Risiken. Wie können die Fehler, die dadurch passiert sind – wie die Überforderung der südeuropäischen Staaten durch den starken EURO – anders kompensiert werden, als dass es einen echten Finanzausgleich zwischen denen und den vom starken Euro massiv profitierenden Ländern gibt?! Die BRD ist in ihrem Föderalismus ja dem Euroland nicht unähnlich. Seit vielen Jahrzehnten gibt es ganz selbstverständlich hierzulande den solidarischen Finanzausgleich zwischen den Regionen und Ländern! Mit großem Erfolg. Ein Ausgleich, der ständig neu bewertet und weiterentwickelt wird. Denn entgegen dem zur Schau getragenen Landes-Nationalismus (z.B. der Bayern) wird damit den Schwächeren kein Bett gemacht, in dem sie es sich gemütlich machen. Länder die früher schwach waren, sind dadurch stark geworden – Bayern selbst ist das beste Beispiel dafür! Die Menschen hierzulande wissen heute nicht mehr, wie es im Bayerischen Wald (und nicht nur da!) kurz nach dem Krieg ausgesehen hat. Ich bin auch im sog. „Zonenrandgebiet“ aufgewachsen: Ohne den solidarischen Ausgleich innerhalb der BRD (und später auch der EU!) wären die Menschen dort damals genauso dramatisch weggezogen, wie später aus Mecklenburg-Vorpommern!

Selbstverständlich wird man bei Beibehaltung des EURO nicht um einen europäischen Finanzausgleich herum kommen. Es ist ja lächerlich: den gibt es ja längst! Man darf das Wort in Deutschland nur nicht in den Mund nehmen… und das ist absurd.

Frankreich ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Wort, die Idee, die grundlegende Überzeugung die politische Stimmung radikal verändern kann. Vor zwei Jahren haben alle erwartet, dass der FN und EU-Gegnerin Marine le Pen immer stärker werden wird, und damit Frankreich ebenfalls in die Rige der EU-Austrittskandidaten „aufrückt“. Gleichzeitig war das alte System politischer Eliten quasi in sich zusammengebrochen – Verwesungsgeruch schwebte über den einst mächtigen Parteien – zum Nutzen der Rechtspopulisten.

Dann tritt Macron auf und fegt binnen weniger Monate kurz vor einer entscheidenden Wahl die alten, verrotteten Parteien weg und sammelt die politische Elite hinter sich als eine neue Bewegung. Und er gewinnt – zunächst. Heute ist von den Rechtspopulisten in Frankreich (hier) nicht mehr viel zu hören – sie zerfleischen sich vermutlich bei der Aufarbeitung ihres Absturzes… Aber Vorsicht: noch ist dort nichts in trockenen Tüchern! Die großen Hoffnungen müssen erst noch mit der Wirklichkeit erfüllt werden – und die eng nach außen abgeschotteten gesellschaftlichen Eliten in Frankreich, die ein Teil des eigentlichen Problems sind, gibt es noch immer. Frankreich braucht Deutschland – und selbstverständlich braucht auch Deutschland Frankreich!

Während wir uns über Macron freuen, sollten wir nicht den fatalen Fehler begehen ihn zur „EU-Lichtgestalt“ zu einem Messias oder St. Macron zu stilisieren. Genau das beschädigt einen Hoffnungsträger – immer! (Die Assoziation ist beabsichtigt…)

Unsere politische Klasse sollte mit ihm eine kluge Realpolitik machen, die den Nationalisten und Identitären den Wind aus den Segeln nimmt.

Wenn Sie Politiker oder Journalist sind: stellen Sie unbedingt jeden Tag auf Neue klar, dass Europa eine Realität ist, was sie für uns bedeutet, und was diese Realität noch in Zukunft für Chancen für uns alle birgt. Und machen sie sich und anderen klar, was es bedeutet, wenn wir diese hohe Gut leichtfertig aufs Spiel setzen.

Sie tun das schon? Warum reden Sie dann dauernd von einem PROJEKT?

Bild des Tages: Reflex eines Nachkriegskindes (Jahrgang 1945)? Immer wenn ich Wolkenformationen sehe, die – wie auf diesem Bild – eilig über uns hinweg ziehen, denke ich an Europa. Das ist seit meiner frühen Jugend so: ich denke an einen Kontinent, der von Machtmißbrauch und Kriegen über Jahrhunderte geschunden wurde. Ich denke daran, dass viele Stunden vorher schon ein Hirte auf den Pyrenäen, ein Weinbauer in der Bourgogne oder ein Student in Köln zum Himmel geblickt hat und diese Wolkenformation gesehen hat (was nur eine Metapher ist…). Ich sehe dabei diese Wolken über ein Europa ohne Grenzen und im Frieden ziehen – wie ich es in der Mitte meines Lebens schließlich erleben durfte. Heute mischen sich Sorgen in meine Gedanken, wenn ich zu den dahin eilenden Gebilden schaue, die nur kondensierte Wassertröpfchen sind… und sich um keine Grenze scheren müssen.

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Das fängt ja gut an – 329 – BER-Fertigstellungstermin

„Mal eben einen Flughafen bauen …?“ Wird in BERLIN erstmals eine Sisyphus-Arbeit zuende gebracht…? … dann wäre es ja eigentlich keine gewesen!

Der Geschäftsführer der FBB, Engelbert Lütke Daldrup, kündigte an, dass er am 15.12.2017 einen „unternehmerisch verantwortbarenTermin für die Fertigstellung des neuen Flughafen-Terminals „Berlin Brandenburg“ (vulgo BER genannt) nennen wird. Unternehmerisch verantwortlich? Ja, was denn sonst, Herr Daldrup? Leider muss ich sagen, dass mich die BETONUNG dieses Zusatzes zum Terminus „TERMIN“ hellhörig, ja misstrauisch gemacht hat. Zumal es wie ein Mantra alle paar Tage genau in diesem Wortlaut erneuert wird…

Ich würde gerne wissen, ob ihn schon einmal jemand aus Aufsichtsrat, Politik (zu dumm: das ist ja dasselbe!) oder Medien gefragt hat, was er damit sagen will. Bevor ich darauf zurück komme, habe ich noch ein paar andere Fragen:

Ich denke, dass sich nicht nur in Berlin häufig Bürger die Frage stellen: „Gibt es in diesem Land irgend jemanden, der tatsächlich weiß, welchen Stand das meist kurz „BER“ genannte Bauprojekt auf den Feldern südlich von Schönefeld in Brandenburg hat? Und gibt es folglich jemanden, der konkret beurteilen kann wie man von A (Baustelle) zu B (bestimmungsgemäßer Gebrauch = planmäßig startende und landende Flugzeuge) kommen kann?

Wir sprechen, wohlgemerkt, von einem Bauvorhaben – nämlich von dem um die Jahrtausendwende geplanten Passagierterminal für den irgendwann mal EINZIGEN Hauptstadtflughafen FBB, das jetzt ca. sechseinhalb Jahre hinter seiner Fertigstellung liegt – aber noch nicht fertiggestellt IST. Es gibt per heute noch nicht einmal einen TERMIN für die Fertigstellung resp. Eröffnung (was nicht dasselbe ist…).

Einer sollte eigentlich wissen, wie man von A nach B kommt: der Vorsitzende der Geschäftsleitung der FBB. Es scheint allerdings gesichert zu sein, dass mehrere Vorgänger des jetzigen GF Engelbert Lütke Daldrup zu keinem Zeitpunkt wussten, wie der Stand des Projektes wirklich ist. (Sonst hätte man ja jemanden gefeuert, der dann sein geheimes Wissen für immer mitgenommen hätte…?)

Am häufigsten hörte man in den letzten Jahren die Formulierung: das sei eine extrem komplexe Aufgabenstellung. Da trifft es sich gut, dass man:

  1. … eine extrem komplexe Unternehmens-Struktur für die Berliner Flughäfen gefunden hat: drei etwa gleichgewichtige (?) aber unterschiedlich reiche (!) Gesellschafter betreiben einerseits zwei alte Flughäfen (Tegel und Schönefeld) und bauen dazu einen neuen Großflughafen. Die Gesellschafter sind politische Körperschaften des öffentlichen Rechtes. Damit ist gewährleistet, dass nicht die besten sachlichen Entscheidungen für den zukünftigen Flughafen und sein Umfeld getroffen werden, sondern jeweils der politischen Macht- und Interessenstruktur gemäße Kompromisse dem Unternehmen als Bürde auferlegt werden. (Das begann schon mit der Standortentscheidung! – von den Gerüchten, die sich darum ranken, will ich gar nicht reden);
  2. … Planung und Bau des neuen Flughafens, in die Hände von Verwaltungs-Organisationen und  deren Fachleute gelegt hat … Kein Kommentar! Ja, die Grunderkenntnis über diesen Fehler ist heute sicher vorhanden. Daldrup sagt – die Ausbau-Stufen des FBB bis zum Jahr 2040 auf 55 Mio. Passagiere werden von einem „Generalunternehmer“ durchgeführt werden (auf der Basis der existierenden Planfeststellung (?)). Ich halte diese Ankündigung für kühn und zumindest extrem optimistisch: ein Generalunternehmer soll gefunden werden, der mit Festpreis und festem Termin neue Funktions-Gebäude zwischen das zuvor von Dilettanten gebaute Grundbauwerk fein säuberlich und problemlos einfügt und anschließt? Dabei werden tausende Schnittstellen zum „Altbau“ aktiviert werden müssen – und alles mit einem vorgegebenen Platzangebot, ohne wirkliche Gestaltungs- und Optimierungmöglichkeiten? Meine Einschätzung dazu ist, dass man kein Bauunternehmen dafür finden wird, das sich als Generalunternehmer dafür bereit finden wird. (Am meisten staune ich dabei, dass man angibt, die Kosten für diesen Ausbau jetzt schon zu kennen – nach 2-3 Monaten „Blitzplanung“ neben der gewaltigen Arbeit, den Flughafen überhaupt gebacken zu bekommen.)
  3. … einen Geldgeber für das ganze Abenteuer hat, der immer weiter unbegrenzt Geld bereitstell – ohne dass man ihn auch nur fragen muss: nämlich uns, die Bürger und Steuerzahler!

Es gibt noch einen weiteren Zusatz zu Herrn Daldrups Ankündigung: der lautet: „dass der Termin, der am 15.12. bekannt gegeben werden wird, ohne Puffer geplant sein wird.“

Für ein großes, komplexes Projekt wie dieses ist das nur eine andere Formulierung dafür, dass der verkündete Termin nicht eingehalten werden wird!

Mir dämmert langsam, was „unternehmerisch verantwortbar“ heißen könnte: es wird ein Termin genannt, mit dessen Nennung die FBB nicht gleich Insolvenz anmeden muss. Das würde bedeuten: die Geschäftsführung braucht eigentlich von einer hypothetischen Eröffnung nur rückwärts auf Basis des vorhandenen Budgets zu rechnen, so dass das verfügbare Geld gerade noch reicht … Dann muss man noch eine Runde Schattenboxen auf politischer Ebene veranstalten, bis die Gesellschafter das Budget wieder erhöht haben – dann kann der Termin durch „unvorhersehbare“ Ereignisse wieder weiter nach hinten rutschen. Es könnte auch sein, dass der Termin durch die Rechtslage am Flughafen Tegel beeinflusst sein wird – denn dort muss nach einem bestimmten Termin ein Aufwand in Milliardenhöhe für den Schallschutz getrieben werden!

Alle diese immer weiter aus Steuermitteln (vom ungefragten Bürger) fließenden Mittel werden gleichzeitig landauf landab für sehr wichtige andere politische Projekte fehlen!

In schwer zu deutenden Metaphern zu sprechen, scheint eine Spezialität des gegenwärtigen Flughafenchefs zu sein. So sagte er zum Thema der Funktion der 78.000 Sprinkler-Düsen:

„Das ist eine Sisyphos-Arbeit“. Bis Ende des Jahres werde sie abgeschlossen. – Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/28240342 ©2017

Wie jedem halbwegs gebildeten Bürger bekannt ist, wird Sisyphus (oder …phos) seine Arbeit, den Stein auf den Berg hinauf zu rollen, NIE beenden …

Hierzu fällt mir das folgende Zitat ein:

Aphorismus des Tages: „Nicht Sisyphus vom Stein, sondern den Stein von Sisyphus befreien. Eine revolutionäre Tat.“ (Siegbert Latzel, *1931, deutscher Germanist und Philosoph)

Bild des Tages: Na denn… tschüß – bis nächstes Jahr! Nein: damit gemeint ist nicht der Flughafen, sondern nur diese Montbretie! Vergehen… und immer wieder strahlend auftreten!

30.November

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, 2. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 330 – Poetry Slam

Waren Sie schon mal bei einem Poetry Slam? (Meine Schätzung: 65% sagen jetzt ja…)

Für mich war es gestern DAS ERSTE MAL beim 7. Poetry Slam Adlershof, Berlin, veranstaltet von Meinhardt Medien im Erwin-Schrödinger-Zentrum. Slam Master: Felix Römer. Es war ein kleiner Saal zu 2/3 gefüllt mit gut 100 Zuhörern.

Da mir also der Vergleichsmaßstab fehlt, liegt auf der Hand, dass dies keine „Kritik“ der Veranstaltung oder der Autoren und Lyrik-Inhalte sein kann – es ist ein Erlebnisbericht!

Fünf Poetry Slammer waren vorher eingeladen – die Regeln kannten die gut, denn sie haben es offensichtlich nicht zum ersten Mal gemacht: obwohl die Vortragszeiten nicht gestoppt wurden, kam es nicht zu Längen. Es gab kein Programm zur Veranstaltung, und ich kannte keinen der Slammer. Daher ließ ich mir die Namen der Teilnehmer hinterher von Herrn Römer geben. Erst später habe ich recherchiert. So bin ich völlig unbedarft und unbeeinflußt dort hin gegangen – Das war gut so!

Ich dachte erst: nur fünf Slammer? Bisschen mickrig das Programm, mit 5 Minuten je Vortrag … Ich war halt Newbie! Hinterher war ich froh darüber – Mehr Teilnehmer hätten mein Gehirn kaum verkraftet.

Das Publikum war auch nicht durchgehend erfahren in dem Genre – nach „Blitzumfrage“ durch den Slam Master waren auch ca. 30% erstmals beim Poetry Slam dabei – erstaunlich. Noch erstaunlicher war die Alterspyramide im Saal: die lag sehr nahe bei der statistischen Gesamtverteilung der BRD (ohne Kinder – aber die muss man sich ja zukünftig ohnehin immer mehr wegdenken…) – das hätte ich viel jünger erwartet. Aber: das Genre ist ja auch schon 25 Jahre unterwegs… Dieses Publikum hatte die heilige Aufgabe, durch Klatschen, Johlen, Trampeln über die Qualität der Dichtung abzustimmen… Der Slam Master räumte seinerseits gleich ein, dass das ein völlig sinnloser Vorgang sei. Buh war auch erlaubt – hat aber keiner gemacht! ( Aus Wikipedia weiß ich, dass es auch Slams gibt, bei denen exakt Punkte vergeben werden – oder Wäscheklammern, die bei dem/der SlammerIn angeklipst werden… das muß sehr schön aussehen!)

Der Wettbewerbsmodus ging so: 1. Durchlauf: SiegerIn aus 5 ermitteln – 2. Durchlauf: SiegerIn aus restlichen 4 ermitteln (Reihenfolge des Vortrags umgekehrt!) – 3. Durchlauf: Finale zwischen den beiden SigerInnen. Natürlich lauter verschiedene Texte!

Kurzer Überblick über die Teilnehmer:

Aron Boks war der erste, der auf die Bühne kam – und wurde schließlich der Sieger des Abends. Sehr jung, Student in Berlin. Er stammt aus dem Harz – wie ich, aber es liegt ein halbes Jahrhundert und die ehemalig Zonengrenze zwischen unseren Geburten/Geburtsorten. Text, Sprache und Performance (Bühnenpräsenz!) bilden bei ihm eine homogene Einheit – und die ist nicht die Darbietung eines Sonnyboys sondern eher dunkel eingefärbt! Ich hatte den Eindruck, dass ihm das Talent regelrecht aus allen Poren dringt und kleine Pfützen auf der Bühne hinterlässt… Seine Texte waren die einzigen, die ich hinterher als Ausdruck ergattern konnte. Sein gedruckter Text ist extrem sperrig zu lesen – aber als er die Performance vortrug – völlig frei sprechend, traf sie mich direkt ins Herz. Sehr ungewöhnlich… Was er da gestern auf der Bühne zeigte hatte nichts mit dem Video auf Youtube, „Hoffentlich Berlin“, zu tun – außer dem gleichen Text (https://youtu.be/5Wqa5DUViqk). Sie würden Ihn nach dem Video nicht wiedererkennen: er muss in der Zwischenzeit sehr hart an der Performance gearbeitet haben. Und eine tolle Gedächtnisleistung erbringt er obendrein!

VUX (eine Frau!) stand gestern schließlich im Finale gegen Aron Boks – auch Studentin, auch jung, Berlinerin. Messerscharfe Texte, war in den  Acts mit frauen- und ich-bezogenen Texten unterweg und sprachlich und emotional sehr stark. Erkennbar war sie entprechend auch der Liebling der Frauen im Saal. Sie trägt teilweise frei vor, unterstützt von Blicken in Ihren Schrifttext. Das mach die Performance allerdings weniger frei – und hat sie vielleicht auch den „Endsieg“ gekostet.

Arno Wilhelm(-Weidner) schreibt sehr originelle, witzige Texte. Seine Texte entsprachen etwa meinem Erwartung-Klischee von Poetry-Slam – es reimte sich sogar teilweise… Allerdings liest er durchgehend alles ab. Das führt dazu, dass sein Gesicht überhaupt nicht mehr zu sehen ist, wenn der Text sich unten auf dem A4-Blatt befindet. Durch die fehlende Performance kann er wohl schwer auf der Bühne gegen die „high-performance“-Slammer gewinnen. Bei seinen Texten ist es für mich genau umgekehrt zu Aron Boks: seine Texte gewinnen, wenn man sie selbst liest, gegenüber Wilhelms eigenem Vortrag erheblich! Er erklärt, dass er Sätze liebt, die mit drei Punkten beginnen – ich liebe Sätze, die mit drei Punkten enden …

Fee (die andere Frau) stellt auf der Bühne das „strahlende Leben“ dar – sie schreibt sehr originelle-witzige Texte, verbunden mit einer sehr starken gesellschaftlich Botschaft und mit einer guten Performance (und ein bisschen Gedächtnisstütze). Wenn sie jetz noch immer völlig frei sprechen würde… Sie studiert Operngesang – und baute auch einen kurzen gesanglichen „Beweis“ in ihre Performance ein! Ihr Text „Wenn schlau das neue schön wäre…“ war aus meiner Sicht vielleicht der beste/originellste Eizel-Beitrag des Abends! (Kann man auch auf Youtube sehen/hören (https://youtu.be/n-GjxhHYBqU)  – ihr Vortrag war aber gestern abend eine ganze Klasse besser als im Video!)

Wolf Hogekamp ist – wie mir Felix Römer zu-raunte – DAS Poetry-Slam-Urgestein Deutschlands. Wikipedia bestätigt das! und petzt, dass er Jahrgang 1961 ist. – Er veranstaltete die ersten Slams in Berlin ab 1994 als Vorreiter im deutschen Sprachraum. Es ist also Ehrfurcht angesagt! Und berechtigt. Er liest seine Texte ab – aber die haben es in sich… Sein zweiter Beitrag war von kaum zu überbietender Skurrilität! Und dabei hatte ich ein déjà-vu: er bewegte sich exakt im Genre, das ich bisher nur von Torsten Sträter kannte (der 5 Jahre jüngere Sträter stammt hörbar aus dem Pott – Hogekamp vom Niederrein… darin liegt der ganze Unterschied!). Ist Hogekamp das Original? Danke Meister! Dass er den Slam anscheinend nicht gewinnen wollte (?) sondern die großartigen-jungen vor gelassen hat (?), ist ihm eventuell anzurechnen…

Ich finde es gerecht, die Lyrik-Helden zuerst zu loben…. Ungerecht wäre es aber, den Slam Master ganz auszulassen. Die extrem unterschiedlichen fragilen Gebilde von Lyrik, Texten und Performance müssen unbedingt in einem Rahmen zusammengehalten werden.

Felix Römer ist nach allerhöchsten Maßstäben ein sehr-sehr guter Moderator – einer, dem das im Blut liegt. Er hatte sich gestern Abend (oder macht er das immer so?) für den Weg der „Publikumsbeschimpfung mit Fingerspitzengefühl“ bzw. „Zuckerbrot und Peitsche“ entschieden. Die auftretenden Autoren-Performer sind bei ihm die Helden – das Publikum quasi der träge, etwas beschränkte „Koloss“, aber einer der gedemütigt werden will und manipulierbar ist und dafür mildernde Umstände bekommt.

Wir – Zuhörer und Jury in einer Person – durften in solche Klatsch-Orgien ausbrechen, dass mir heute noch die Hände weh tun (das fördert aber die Durchblutung! … und für nur 10 EURO eher eine billige Therapie!) – danke, Herr Römer.

Zum Schluß bleibt noch, den mutige Gast (eigentlich Zuhörer) zu erwähnen, der sich für eine musikalische Umrahmung des Programms mit Saxofon bereit erklärt hatte, obwohl er eigentlich noch übt… Chapeau!

Heute kein Aphorismus, sondern ein Zitat über den Slam-Zuhörer (aus dem Wikipedia-Artikel):

„Der durchschnittliche Slam-Zuhörer bewertet den künstlerischen Wert eines Gedichts nicht aufgrund literarischer Qualität, sondern im Vergleich zur allgemeinen Populärkultur, die ihn umgibt. Nur mit dem Wissen ausgestattet, welche Dinge sie persönlich in anderen Bereichen ihres Lebens unterhaltsam finden, wenden die Zuhörer die gleichen Standards an, um die Bühnendichter zu bewerten.“

Joe Pettus: How to win a poetry slam
Herbert Börger
© Der Brandenburger Tor, Berlin, 01. Dezember 2017