Das fängt ja gut an – 326 – Scheinriese Helmut Kohl

Helmut Kohl und BIMBES – Sechzehn Jahre lang war er Regierungschef – im Modus des permanenten VERFASSUNGSBRUCHES.

Da muss man als deutscher Bürger erst mal Luft schnappen. Dabei habe ich ihn nie gewählt – wie muss das die erst treffen, die Helmut Kohl mit ihrer Stimme so lange im Amt gehalten hatten?! Ein Scheinriese hat das politische System Deutschlands jahrzehntelang nach Gutsherrenart düpiert – und ihr habt seinen Leichnam neulich noch symbolträchtig über den Rhein gefahren. Das erinnerte mich damals an die „Niebelungentreue“ der Deutschen – nicht zuletzt wegen des Ortes des Landganges für die Leiche …. Gestern abend, nach diesem Film „Bimbes – die schwarzen Kassen des Helmut Kohl“ in der ARD, schoss dieses Bild wieder bei mir hoch: und es passt sogar noch besser als ich dachte. Wikipedia liefert folgende Formulierung: „Niebelungentreue beschreibt eine Form bedingungsloser, emotionaler und potenziell verhängnisvoller Treue“.

Ich bin heute früh – sehr früh – mit dem Bild von Kohls alters-starrer Maske aufgewacht. Es überschnitt sich auch immer wieder mit dem Bild der alters-starren Maske von Brauchitschs. Sind dies die Gesichter von Menschen, deren Leben in großen Strecken eine – nicht eingestandene! – Lüge war?

Seit sieben Uhr sitze ich am Computer und versuche festzustellen, ob es sich bei den gesehen/gehörten Ungeheuerlichkeiten um eine „Kampagne des linksversifften Staatsfunkes“ handeln könnte – wie es jetzt aus den üblichen Kanälen sofort wieder schallen wird. Es gibt aber keine Anzeichen dafür – und ich bin auch heute noch immer so naiv, dass ich einem Menschen wie Norbert Blüm wirklich für ehrlich halte. Das entspringt natürlich der Hoffnung, dass es irgendwo in der politischen Landschaft immer noch einen Menschen mit einem Funken von Anstand geben möge….

Also nehmen wir das ernst, was dieser Film uns sagt!

Die Aussage des Filmes ist in drei erschütternden Sätzen zusammengefaßt: Der Flick-Konzern (in der Person von Herrn von Brauchitsch) hat Helmut Kohl zum CDU-Vorsitzenden und zum Kanzler gemacht. (Man könnte auch sagen: er war gekauft!) Kohl hat in seinen hohen politischen Ämtern UNUNTERBROCHEN die Verfassung gebrochen (und gelogen und veruntreut). Am Ende hat  Helmut Kohl praktisch jeden, der ihn auf diesem kriminellen Wege unterstützt hat, übelst düpiert. (Wenn man das betrachtet, sieht man seine private Alters-Bilanz bezüglich Ehefrau und Kindern in einem völlig neuen Licht. Er WAR anscheinend so!) Von Brauchitsch war wohl extrem verbittert: da hatte er sich nun „seinen eigenen Kanzler gemacht“ – und der hat ihn nicht amnestiert, obwohl er gekonnt hätte…

Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass die Kohlsche CDU nicht die einzige Akteurin dieser Spenden-Skandale um Flick war – auch FDP-Politiker waren seinerzeit massiv betroffen – landeten aber vor Gericht oder mussten zurücktreten. KOHL ist nie in die Nähe eines Gerichtverfahrens gekommen – man kann es im Rückblichk kaum für möglich halten.

Sicher: es war immerhin so viel bekannt geworden, dass die CDU ihm den Ehrenvorsitz aberkennen musste. (Es muss ihn unglaublich getroffen haben!) Aber es waren alles Bruchstücke des Ganzen – dessen ungeheure Wucht erst erkennbar wird durch das bisher fehlende Bindeglied aus den Aussagen des Herrn May.

Angela Merkel wird sich vermutlich selbst fragen – oder fragen lassen müssen – ob sie damals wirklich genug zur Aufklärung der Causa Helmut Kohl in der CDU getan hat.

16 Jahre lang ein „gekaufter Kanzler“ ohne jedes Unrechtsbewußtsein – das, liebes Deutschland, musst Du jetzt erst einmal verkraften!

Ich komme zurück zu Norbert Blüm, der in diesem Film erscheint, wie er Spenden-Listen vorliest – und offensichtlich erschüttert ist. (Sein Gesicht sagt: „Das war mein Verein!?“) Aber er wiederholt auch trotzdem das alte Mantra des „großen Politikers Kohl – des Kanzlers der Einheit“.

Da ist ein durch und durch gerissener, gekaufter Politiker: und wir sollen WIRKLICH sein gesamtes Handeln um die deutsche Einheit als INTEGER voraussetzen? Dazu bin ich nicht bereit. Aus den dargestellten Zusammenhängen wird erkennbar, dass Kohl genau 1989 extrem in die Enge getrieben war in Bezug auf seine Machenschaften. Da war die deutsche Einheit für Kohl so etwas wie das „Drachenblut, das Siegfried unverletzlich machte“ – womit wir wieder bei den Nibelungen und der Pfalz wären. Kohls Lindenblatt hat aber zu seinen Lebzeiten niemand gefunden.

Bild des Tages: (Malus – Out of focus) Kennen Sie das, wenn sie sich völlig entspannen – und dann noch die offenen Augen auf „unfokussiert“ stellen, wie das vielleicht im Schlaf ist: dann kommen nach einiger Zeit unerwartete Gedanken und Assoziationen … vielleicht auch solche, wie man das neue deutsche TRAUMA HELMUT KOHL überwinden könnte!

MalusOutOfFocus2

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 5. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 327 – „Projekt“ Europa

„EUROPA ist für Deutschland ein wichtiges Projekt“ – das ist der Politiker/Talkshowgäste-Sprech, der mich ganz tief drinnen aufregt! Warum?

Das politische EUROPA, also die Europäische Union, ist kein PROJEKT!

Die EU ist ein Rechtsraum, eine gelebte Realität – seit Jahrzehnten. Wer auch immer dieses Un-Wort „Projekt“ in Bezug auf die EU in den Mund nimmt, macht sich indirekt mit-schuldig an der Stärkung nationalistischer Tendenzen. Denken und Sprechen von Menschen sind sehr eng miteinander verbunden – in beiden Richtungen. (Die Wissenschaft ist gerade dabei, die Zusammenhänge im Gehirn zu erforschen, aufgrund derer das Denken das Sprechen – aber auch das Sprechen das Denken beeinflußt.)

Alle, die ständig von einem „Projekt“ reden, besorgen die Sache der „EU-Leugner“ (ja, die Assoziation ist beabsichtigt!). Das Wort impliziert, dass die EU eine vage Phantasie sein könnte, ein Versuch, etwas Noch-Nicht-Existentes, das man auch wieder abstoßen kann. Das ist falsch. Hier werden die Schalter im Gehirn falsch umgelegt – in der Folge dieser Fehlschaltungen wird gerade etwas Großartiges beschädigt – wenn nicht gar zerstört! Wenn Sie dauernd davon reden, dass etwas zur Disposition steht, können sie zusehen, wie es in den Köpfen der Menschen „zerbröselt“. Und welche Alternative/Lösung bietet sich den Menschen sofort bereitwillig an? Der alte, häßliche Nationalstaat hebt sein Haupt und drückt die orientierungslos taumelnden an seine Brust – und stößt sie in die nächste Katastrophe!

Genug der Emotionen… Zur Sache: Alle Staaten und Regionen, die sich zusammen getan haben, haben kulturell und wirtschaftlich davon profitiert. Der Wohlstand ist überall gewachsen. Ländliche und unterentwickelte Regionen sind in allen Staaten gezielt wirtschaftlich entwickelt worden (auch in Deutschland! Auch in Bayern!). Aus meiner Sicht ist die kulturelle Komponente noch viel wichtiger – weil nur der friedliche, kulturelle Austausch auf Dauer zum gegenseitigen Verstehen und Akzeptieren führen kann. Hier hat man manches in den letzten 10 Jahren anscheinend auch wieder aus dem Blick verloren. Was ist aus dem deutsch-französischen Schüler- und Studentenaustausch geworden? Sozusagen dem Rückrat der Europäischen Versöhnung und Befriedung nach dem 2. Weltkrieg! Nichts führt sicherer und anhaltender zu Frieden zwischen Menschen, als das gemeinsame Bildungs-Erlebnis.

In mehreren Realisierungs-Stufen der Europäischen IDEE, die dabei zur REALITÄT wurde, sind Fehler passiert. Es ist ja von Menschen gemacht. Wenn sie die Fehler kennen, können die Menschen sie in ihrem Handeln berücksichtigen.

Der größte Fehler wird vermutlich die Einführung einer gemeinsamen Währung gewesen sein – ohne die Grundlage echter politische Einheit und ohne gemeinsame Finanzverwaltung. Eine Rückabwicklung der Währungsunion nach 16+ Jahren birgt vermutlich heute nicht kalkulierbare Risiken. Wie können die Fehler, die dadurch passiert sind – wie die Überforderung der südeuropäischen Staaten durch den starken EURO – anders kompensiert werden, als dass es einen echten Finanzausgleich zwischen denen und den vom starken Euro massiv profitierenden Ländern gibt?! Die BRD ist in ihrem Föderalismus ja dem Euroland nicht unähnlich. Seit vielen Jahrzehnten gibt es ganz selbstverständlich hierzulande den solidarischen Finanzausgleich zwischen den Regionen und Ländern! Mit großem Erfolg. Ein Ausgleich, der ständig neu bewertet und weiterentwickelt wird. Denn entgegen dem zur Schau getragenen Landes-Nationalismus (z.B. der Bayern) wird damit den Schwächeren kein Bett gemacht, in dem sie es sich gemütlich machen. Länder die früher schwach waren, sind dadurch stark geworden – Bayern selbst ist das beste Beispiel dafür! Die Menschen hierzulande wissen heute nicht mehr, wie es im Bayerischen Wald (und nicht nur da!) kurz nach dem Krieg ausgesehen hat. Ich bin auch im sog. „Zonenrandgebiet“ aufgewachsen: Ohne den solidarischen Ausgleich innerhalb der BRD (und später auch der EU!) wären die Menschen dort damals genauso dramatisch weggezogen, wie später aus Mecklenburg-Vorpommern!

Selbstverständlich wird man bei Beibehaltung des EURO nicht um einen europäischen Finanzausgleich herum kommen. Es ist ja lächerlich: den gibt es ja längst! Man darf das Wort in Deutschland nur nicht in den Mund nehmen… und das ist absurd.

Frankreich ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Wort, die Idee, die grundlegende Überzeugung die politische Stimmung radikal verändern kann. Vor zwei Jahren haben alle erwartet, dass der FN und EU-Gegnerin Marine le Pen immer stärker werden wird, und damit Frankreich ebenfalls in die Rige der EU-Austrittskandidaten „aufrückt“. Gleichzeitig war das alte System politischer Eliten quasi in sich zusammengebrochen – Verwesungsgeruch schwebte über den einst mächtigen Parteien – zum Nutzen der Rechtspopulisten.

Dann tritt Macron auf und fegt binnen weniger Monate kurz vor einer entscheidenden Wahl die alten, verrotteten Parteien weg und sammelt die politische Elite hinter sich als eine neue Bewegung. Und er gewinnt – zunächst. Heute ist von den Rechtspopulisten in Frankreich (hier) nicht mehr viel zu hören – sie zerfleischen sich vermutlich bei der Aufarbeitung ihres Absturzes… Aber Vorsicht: noch ist dort nichts in trockenen Tüchern! Die großen Hoffnungen müssen erst noch mit der Wirklichkeit erfüllt werden – und die eng nach außen abgeschotteten gesellschaftlichen Eliten in Frankreich, die ein Teil des eigentlichen Problems sind, gibt es noch immer. Frankreich braucht Deutschland – und selbstverständlich braucht auch Deutschland Frankreich!

Während wir uns über Macron freuen, sollten wir nicht den fatalen Fehler begehen ihn zur „EU-Lichtgestalt“ zu einem Messias oder St. Macron zu stilisieren. Genau das beschädigt einen Hoffnungsträger – immer! (Die Assoziation ist beabsichtigt…)

Unsere politische Klasse sollte mit ihm eine kluge Realpolitik machen, die den Nationalisten und Identitären den Wind aus den Segeln nimmt.

Wenn Sie Politiker oder Journalist sind: stellen Sie unbedingt jeden Tag auf Neue klar, dass Europa eine Realität ist, was sie für uns bedeutet, und was diese Realität noch in Zukunft für Chancen für uns alle birgt. Und machen sie sich und anderen klar, was es bedeutet, wenn wir diese hohe Gut leichtfertig aufs Spiel setzen.

Sie tun das schon? Warum reden Sie dann dauernd von einem PROJEKT?

Bild des Tages: Reflex eines Nachkriegskindes (Jahrgang 1945)? Immer wenn ich Wolkenformationen sehe, die – wie auf diesem Bild – eilig über uns hinweg ziehen, denke ich an Europa. Das ist seit meiner frühen Jugend so: ich denke an einen Kontinent, der von Machtmißbrauch und Kriegen über Jahrhunderte geschunden wurde. Ich denke daran, dass viele Stunden vorher schon ein Hirte auf den Pyrenäen, ein Weinbauer in der Bourgogne oder ein Student in Köln zum Himmel geblickt hat und diese Wolkenformation gesehen hat (was nur eine Metapher ist…). Ich sehe dabei diese Wolken über ein Europa ohne Grenzen und im Frieden ziehen – wie ich es in der Mitte meines Lebens schließlich erleben durfte. Heute mischen sich Sorgen in meine Gedanken, wenn ich zu den dahin eilenden Gebilden schaue, die nur kondensierte Wassertröpfchen sind… und sich um keine Grenze scheren müssen.

Wolkenschlachtschiff1

Das fängt ja gut an – 328 – Minderheitsregierung – die 2te

Zwei GUTE Gründe für eine Minderheitsregierung. Dies ist Ihre persönliche Chance – Martin Schulz!

Bevor ich diese Gründe nenne, möchte ich jene Gründe in Erinnerung bringen, die gegen die Neuauflage der Großen Koalition und gegen Neuwahlen sprechen – vor allem aus Sicht der SPD.

Neuwahlen sind von allen Optionen (und eigentlich ist es ja auch keine echte Option, sondern das muss „hingetrickst“ werden…) die schlechteste: Wie „zurück auf Los“ bei Monopoly! Wieder Wahlkampf, wieder diese inhaltsarmen, reduzierten Sprüche von allen Seiten … Monatelang wieder keine konkrete Politik nach Innen oder Außen – und danach würde in wenigen Wochen schon wieder der Bayerische Wahlkampf beginnen! Dies ist der einzige Punkt, in dem unsere sonst so kluge Verfassung keine Vorsorge getroffen hat: dieses Land ist auch so schon fast ständig im Wahlkampfmodus. Das ist eine Katastrophe für die reale Politik… Neuwahlen wären die „Höchststrafe“ für die Bürger – das hat das Land nicht verdient!

Für Martin Schulz persönlich würde dies eine sehr schwierige Situation bedeuten: es würde sich für die SPD – und zuerst natürlich für ihn selbst – wieder die Frage nach dem Kanzlerkandidaten stellen: will/soll er sich wieder hinstellen und so tun als sei er fest davon überzeugt, dass die SPD „stärkste Kraft“ wird? Martin Schulz genießt mein kritisches Wohlwollen: diese Situation hat er nicht verdient. Das Groteske daran wäre: auch für Angela Merkel und die CDU stellt sich eigentlich genau dieselbe Frage… Um so mehr wundert mich, dass sie Neuwahlen ausdrücklich „nicht fürchtet“.

Bei einer erneuten Großen Koalition würde sich die SPD als „Mehrheitsbeschaffer“ trotz anfänglich starker Verhandlungsposition schon alleine dadurch selbst düpieren, dass sie genau das tut, was Angela Merkel will … und kann! – und dass sie die Chance der besseren Option nicht genutzt hat: Angela Merkel in eine Minderheitsregierung zu zwingen – die ihr anscheinend nicht liegt.

Grund eins für die Minderheitsregierung:

Endlich würde der Bürger einmal erfahren, was es heißt, wenn die politischen Prozesse „real time“ zwischen allen politischen Kräften statt finden – dreieinhalb Jahre lang … anstatt dass nach einem mehrwöchigen „Armdrücken“ für vorher ausgefeilschte Ergebnisse möglichst geräuschlos „durchregiert“ wird. Das ist aber die Königinnen-Disziplin der Kanzlerin und der Grund dafür, dass in dem Koalitions-Modell neben ihr alle zum Politzwerg schrumpfen. Das wollen die Menschen nicht mehr! Ein früherer-größerer hätte zur Minderheitsregierung vielleicht gesagt: mehr Demokratie wagen! Anstrengend für die politischen Eliten – aber damit würde deren Image wieder im Wert steigen, wenn gute Arbeit transparenter gemacht wird. Damit könnten die Verkrustungen der Lager-Politik in der BRD aufgebrochen werden.

Grund zwei für die Minderheitsregierung:

Das Parlament wird AUFGEWERTET, bzw. ihm kommt wieder die ihm zustehende Bedeutung zu: anstatt Absegnungs-Institutuion zu sein für zwischen den Koalitionen ausgefeilschten Lösungen, die eigentlich nicht immer alle wollten. Wir werden wieder interessantere Debatten bekommen – und mehr Abgeordnete im Plenum! Genau dies stärkt die Demokratie und schwächt ALLE populistischen Kräfte (nicht NUR die Rechten!).

Sehr geehrter Herr Schulz: nutzen Sie diese Chance – auch für sich selbst – reale Politik im Kräftespiel aller politischen Akteure in der BRD zu machen. Es könne die wichtigen politischen Themen transparent abgearbeitet werden – anstatt unter einem unter Druck ausgehandelten Koalitionsvertrag beschränkt zu agieren.

Wer jetzt kneifte, weil dann die „Gefahr“ bestünde, dass irgendwann im Spiel der politischen Kräfte einmal (zwangsläufig) die AFD mit ihm stimmen wird, der hätte diese Chance eben nicht verdient!

Da werden jene Politiker, die dieses freie Spiel der Kräfte nutzen wollen und können, sich profilieren – und es werden möglicherweise endlich wieder neue Talente sichtbar werden. Eine „ruhige Hand“ des Regierens kann nicht alles zum Stillstand bringen. Aussitzen nicht erlaubt…

Aphorismus des Tages: „Die Regierungen sind gewöhnlich nicht besser als die Regierten.“ (Samuel Smiles, 1812 – 1904, engl. Arzt und Sozialreformer)

 

Bild des Tages: Reserven – Machen Sie es in der Politik wie die Natur: vor harten Zeiten nachhaltige Reserven anlegen!

Reserven

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 3. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 329 – BER-Fertigstellungstermin

„Mal eben einen Flughafen bauen …?“ Wird in BERLIN erstmals eine Sisyphus-Arbeit zuende gebracht…? … dann wäre es ja eigentlich keine gewesen!

Der Geschäftsführer der FBB, Engelbert Lütke Daldrup, kündigte an, dass er am 15.12.2017 einen „unternehmerisch verantwortbarenTermin für die Fertigstellung des neuen Flughafen-Terminals „Berlin Brandenburg“ (vulgo BER genannt) nennen wird. Unternehmerisch verantwortlich? Ja, was denn sonst, Herr Daldrup? Leider muss ich sagen, dass mich die BETONUNG dieses Zusatzes zum Terminus „TERMIN“ hellhörig, ja misstrauisch gemacht hat. Zumal es wie ein Mantra alle paar Tage genau in diesem Wortlaut erneuert wird…

Ich würde gerne wissen, ob ihn schon einmal jemand aus Aufsichtsrat, Politik (zu dumm: das ist ja dasselbe!) oder Medien gefragt hat, was er damit sagen will. Bevor ich darauf zurück komme, habe ich noch ein paar andere Fragen:

Ich denke, dass sich nicht nur in Berlin häufig Bürger die Frage stellen: „Gibt es in diesem Land irgend jemanden, der tatsächlich weiß, welchen Stand das meist kurz „BER“ genannte Bauprojekt auf den Feldern südlich von Schönefeld in Brandenburg hat? Und gibt es folglich jemanden, der konkret beurteilen kann wie man von A (Baustelle) zu B (bestimmungsgemäßer Gebrauch = planmäßig startende und landende Flugzeuge) kommen kann?

Wir sprechen, wohlgemerkt, von einem Bauvorhaben – nämlich von dem um die Jahrtausendwende geplanten Passagierterminal für den irgendwann mal EINZIGEN Hauptstadtflughafen FBB, das jetzt ca. sechseinhalb Jahre hinter seiner Fertigstellung liegt – aber noch nicht fertiggestellt IST. Es gibt per heute noch nicht einmal einen TERMIN für die Fertigstellung resp. Eröffnung (was nicht dasselbe ist…).

Einer sollte eigentlich wissen, wie man von A nach B kommt: der Vorsitzende der Geschäftsleitung der FBB. Es scheint allerdings gesichert zu sein, dass mehrere Vorgänger des jetzigen GF Engelbert Lütke Daldrup zu keinem Zeitpunkt wussten, wie der Stand des Projektes wirklich ist. (Sonst hätte man ja jemanden gefeuert, der dann sein geheimes Wissen für immer mitgenommen hätte…?)

Am häufigsten hörte man in den letzten Jahren die Formulierung: das sei eine extrem komplexe Aufgabenstellung. Da trifft es sich gut, dass man:

  1. … eine extrem komplexe Unternehmens-Struktur für die Berliner Flughäfen gefunden hat: drei etwa gleichgewichtige (?) aber unterschiedlich reiche (!) Gesellschafter betreiben einerseits zwei alte Flughäfen (Tegel und Schönefeld) und bauen dazu einen neuen Großflughafen. Die Gesellschafter sind politische Körperschaften des öffentlichen Rechtes. Damit ist gewährleistet, dass nicht die besten sachlichen Entscheidungen für den zukünftigen Flughafen und sein Umfeld getroffen werden, sondern jeweils der politischen Macht- und Interessenstruktur gemäße Kompromisse dem Unternehmen als Bürde auferlegt werden. (Das begann schon mit der Standortentscheidung! – von den Gerüchten, die sich darum ranken, will ich gar nicht reden);
  2. … Planung und Bau des neuen Flughafens, in die Hände von Verwaltungs-Organisationen und  deren Fachleute gelegt hat … Kein Kommentar! Ja, die Grunderkenntnis über diesen Fehler ist heute sicher vorhanden. Daldrup sagt – die Ausbau-Stufen des FBB bis zum Jahr 2040 auf 55 Mio. Passagiere werden von einem „Generalunternehmer“ durchgeführt werden (auf der Basis der existierenden Planfeststellung (?)). Ich halte diese Ankündigung für kühn und zumindest extrem optimistisch: ein Generalunternehmer soll gefunden werden, der mit Festpreis und festem Termin neue Funktions-Gebäude zwischen das zuvor von Dilettanten gebaute Grundbauwerk fein säuberlich und problemlos einfügt und anschließt? Dabei werden tausende Schnittstellen zum „Altbau“ aktiviert werden müssen – und alles mit einem vorgegebenen Platzangebot, ohne wirkliche Gestaltungs- und Optimierungmöglichkeiten? Meine Einschätzung dazu ist, dass man kein Bauunternehmen dafür finden wird, das sich als Generalunternehmer dafür bereit finden wird. (Am meisten staune ich dabei, dass man angibt, die Kosten für diesen Ausbau jetzt schon zu kennen – nach 2-3 Monaten „Blitzplanung“ neben der gewaltigen Arbeit, den Flughafen überhaupt gebacken zu bekommen.)
  3. … einen Geldgeber für das ganze Abenteuer hat, der immer weiter unbegrenzt Geld bereitstell – ohne dass man ihn auch nur fragen muss: nämlich uns, die Bürger und Steuerzahler!

Es gibt noch einen weiteren Zusatz zu Herrn Daldrups Ankündigung: der lautet: „dass der Termin, der am 15.12. bekannt gegeben werden wird, ohne Puffer geplant sein wird.“

Für ein großes, komplexes Projekt wie dieses ist das nur eine andere Formulierung dafür, dass der verkündete Termin nicht eingehalten werden wird!

Mir dämmert langsam, was „unternehmerisch verantwortbar“ heißen könnte: es wird ein Termin genannt, mit dessen Nennung die FBB nicht gleich Insolvenz anmeden muss. Das würde bedeuten: die Geschäftsführung braucht eigentlich von einer hypothetischen Eröffnung nur rückwärts auf Basis des vorhandenen Budgets zu rechnen, so dass das verfügbare Geld gerade noch reicht … Dann muss man noch eine Runde Schattenboxen auf politischer Ebene veranstalten, bis die Gesellschafter das Budget wieder erhöht haben – dann kann der Termin durch „unvorhersehbare“ Ereignisse wieder weiter nach hinten rutschen. Es könnte auch sein, dass der Termin durch die Rechtslage am Flughafen Tegel beeinflusst sein wird – denn dort muss nach einem bestimmten Termin ein Aufwand in Milliardenhöhe für den Schallschutz getrieben werden!

Alle diese immer weiter aus Steuermitteln (vom ungefragten Bürger) fließenden Mittel werden gleichzeitig landauf landab für sehr wichtige andere politische Projekte fehlen!

In schwer zu deutenden Metaphern zu sprechen, scheint eine Spezialität des gegenwärtigen Flughafenchefs zu sein. So sagte er zum Thema der Funktion der 78.000 Sprinkler-Düsen:

„Das ist eine Sisyphos-Arbeit“. Bis Ende des Jahres werde sie abgeschlossen. – Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/28240342 ©2017

Wie jedem halbwegs gebildeten Bürger bekannt ist, wird Sisyphus (oder …phos) seine Arbeit, den Stein auf den Berg hinauf zu rollen, NIE beenden …

Hierzu fällt mir das folgende Zitat ein:

Aphorismus des Tages: „Nicht Sisyphus vom Stein, sondern den Stein von Sisyphus befreien. Eine revolutionäre Tat.“ (Siegbert Latzel, *1931, deutscher Germanist und Philosoph)

Bild des Tages: Na denn… tschüß – bis nächstes Jahr! Nein: damit gemeint ist nicht der Flughafen, sondern nur diese Montbretie! Vergehen… und immer wieder strahlend auftreten!

30.November

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, 2. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 330 – Poetry Slam

Waren Sie schon mal bei einem Poetry Slam? (Meine Schätzung: 65% sagen jetzt ja…)

Für mich war es gestern DAS ERSTE MAL beim 7. Poetry Slam Adlershof, Berlin, veranstaltet von Meinhardt Medien im Erwin-Schrödinger-Zentrum. Slam Master: Felix Römer. Es war ein kleiner Saal zu 2/3 gefüllt mit gut 100 Zuhörern.

Da mir also der Vergleichsmaßstab fehlt, liegt auf der Hand, dass dies keine „Kritik“ der Veranstaltung oder der Autoren und Lyrik-Inhalte sein kann – es ist ein Erlebnisbericht!

Fünf Poetry Slammer waren vorher eingeladen – die Regeln kannten die gut, denn sie haben es offensichtlich nicht zum ersten Mal gemacht: obwohl die Vortragszeiten nicht gestoppt wurden, kam es nicht zu Längen. Es gab kein Programm zur Veranstaltung, und ich kannte keinen der Slammer. Daher ließ ich mir die Namen der Teilnehmer hinterher von Herrn Römer geben. Erst später habe ich recherchiert. So bin ich völlig unbedarft und unbeeinflußt dort hin gegangen – Das war gut so!

Ich dachte erst: nur fünf Slammer? Bisschen mickrig das Programm, mit 5 Minuten je Vortrag … Ich war halt Newbie! Hinterher war ich froh darüber – Mehr Teilnehmer hätten mein Gehirn kaum verkraftet.

Das Publikum war auch nicht durchgehend erfahren in dem Genre – nach „Blitzumfrage“ durch den Slam Master waren auch ca. 30% erstmals beim Poetry Slam dabei – erstaunlich. Noch erstaunlicher war die Alterspyramide im Saal: die lag sehr nahe bei der statistischen Gesamtverteilung der BRD (ohne Kinder – aber die muss man sich ja zukünftig ohnehin immer mehr wegdenken…) – das hätte ich viel jünger erwartet. Aber: das Genre ist ja auch schon 25 Jahre unterwegs… Dieses Publikum hatte die heilige Aufgabe, durch Klatschen, Johlen, Trampeln über die Qualität der Dichtung abzustimmen… Der Slam Master räumte seinerseits gleich ein, dass das ein völlig sinnloser Vorgang sei. Buh war auch erlaubt – hat aber keiner gemacht! ( Aus Wikipedia weiß ich, dass es auch Slams gibt, bei denen exakt Punkte vergeben werden – oder Wäscheklammern, die bei dem/der SlammerIn angeklipst werden… das muß sehr schön aussehen!)

Der Wettbewerbsmodus ging so: 1. Durchlauf: SiegerIn aus 5 ermitteln – 2. Durchlauf: SiegerIn aus restlichen 4 ermitteln (Reihenfolge des Vortrags umgekehrt!) – 3. Durchlauf: Finale zwischen den beiden SigerInnen. Natürlich lauter verschiedene Texte!

Kurzer Überblick über die Teilnehmer:

Aron Boks war der erste, der auf die Bühne kam – und wurde schließlich der Sieger des Abends. Sehr jung, Student in Berlin. Er stammt aus dem Harz – wie ich, aber es liegt ein halbes Jahrhundert und die ehemalig Zonengrenze zwischen unseren Geburten/Geburtsorten. Text, Sprache und Performance (Bühnenpräsenz!) bilden bei ihm eine homogene Einheit – und die ist nicht die Darbietung eines Sonnyboys sondern eher dunkel eingefärbt! Ich hatte den Eindruck, dass ihm das Talent regelrecht aus allen Poren dringt und kleine Pfützen auf der Bühne hinterlässt… Seine Texte waren die einzigen, die ich hinterher als Ausdruck ergattern konnte. Sein gedruckter Text ist extrem sperrig zu lesen – aber als er die Performance vortrug – völlig frei sprechend, traf sie mich direkt ins Herz. Sehr ungewöhnlich… Was er da gestern auf der Bühne zeigte hatte nichts mit dem Video auf Youtube, „Hoffentlich Berlin“, zu tun – außer dem gleichen Text (https://youtu.be/5Wqa5DUViqk). Sie würden Ihn nach dem Video nicht wiedererkennen: er muss in der Zwischenzeit sehr hart an der Performance gearbeitet haben. Und eine tolle Gedächtnisleistung erbringt er obendrein!

VUX (eine Frau!) stand gestern schließlich im Finale gegen Aron Boks – auch Studentin, auch jung, Berlinerin. Messerscharfe Texte, war in den  Acts mit frauen- und ich-bezogenen Texten unterweg und sprachlich und emotional sehr stark. Erkennbar war sie entprechend auch der Liebling der Frauen im Saal. Sie trägt teilweise frei vor, unterstützt von Blicken in Ihren Schrifttext. Das mach die Performance allerdings weniger frei – und hat sie vielleicht auch den „Endsieg“ gekostet.

Arno Wilhelm(-Weidner) schreibt sehr originelle, witzige Texte. Seine Texte entsprachen etwa meinem Erwartung-Klischee von Poetry-Slam – es reimte sich sogar teilweise… Allerdings liest er durchgehend alles ab. Das führt dazu, dass sein Gesicht überhaupt nicht mehr zu sehen ist, wenn der Text sich unten auf dem A4-Blatt befindet. Durch die fehlende Performance kann er wohl schwer auf der Bühne gegen die „high-performance“-Slammer gewinnen. Bei seinen Texten ist es für mich genau umgekehrt zu Aron Boks: seine Texte gewinnen, wenn man sie selbst liest, gegenüber Wilhelms eigenem Vortrag erheblich! Er erklärt, dass er Sätze liebt, die mit drei Punkten beginnen – ich liebe Sätze, die mit drei Punkten enden …

Fee (die andere Frau) stellt auf der Bühne das „strahlende Leben“ dar – sie schreibt sehr originelle-witzige Texte, verbunden mit einer sehr starken gesellschaftlich Botschaft und mit einer guten Performance (und ein bisschen Gedächtnisstütze). Wenn sie jetz noch immer völlig frei sprechen würde… Sie studiert Operngesang – und baute auch einen kurzen gesanglichen „Beweis“ in ihre Performance ein! Ihr Text „Wenn schlau das neue schön wäre…“ war aus meiner Sicht vielleicht der beste/originellste Eizel-Beitrag des Abends! (Kann man auch auf Youtube sehen/hören (https://youtu.be/n-GjxhHYBqU)  – ihr Vortrag war aber gestern abend eine ganze Klasse besser als im Video!)

Wolf Hogekamp ist – wie mir Felix Römer zu-raunte – DAS Poetry-Slam-Urgestein Deutschlands. Wikipedia bestätigt das! und petzt, dass er Jahrgang 1961 ist. – Er veranstaltete die ersten Slams in Berlin ab 1994 als Vorreiter im deutschen Sprachraum. Es ist also Ehrfurcht angesagt! Und berechtigt. Er liest seine Texte ab – aber die haben es in sich… Sein zweiter Beitrag war von kaum zu überbietender Skurrilität! Und dabei hatte ich ein déjà-vu: er bewegte sich exakt im Genre, das ich bisher nur von Torsten Sträter kannte (der 5 Jahre jüngere Sträter stammt hörbar aus dem Pott – Hogekamp vom Niederrein… darin liegt der ganze Unterschied!). Ist Hogekamp das Original? Danke Meister! Dass er den Slam anscheinend nicht gewinnen wollte (?) sondern die großartigen-jungen vor gelassen hat (?), ist ihm eventuell anzurechnen…

Ich finde es gerecht, die Lyrik-Helden zuerst zu loben…. Ungerecht wäre es aber, den Slam Master ganz auszulassen. Die extrem unterschiedlichen fragilen Gebilde von Lyrik, Texten und Performance müssen unbedingt in einem Rahmen zusammengehalten werden.

Felix Römer ist nach allerhöchsten Maßstäben ein sehr-sehr guter Moderator – einer, dem das im Blut liegt. Er hatte sich gestern Abend (oder macht er das immer so?) für den Weg der „Publikumsbeschimpfung mit Fingerspitzengefühl“ bzw. „Zuckerbrot und Peitsche“ entschieden. Die auftretenden Autoren-Performer sind bei ihm die Helden – das Publikum quasi der träge, etwas beschränkte „Koloss“, aber einer der gedemütigt werden will und manipulierbar ist und dafür mildernde Umstände bekommt.

Wir – Zuhörer und Jury in einer Person – durften in solche Klatsch-Orgien ausbrechen, dass mir heute noch die Hände weh tun (das fördert aber die Durchblutung! … und für nur 10 EURO eher eine billige Therapie!) – danke, Herr Römer.

Zum Schluß bleibt noch, den mutige Gast (eigentlich Zuhörer) zu erwähnen, der sich für eine musikalische Umrahmung des Programms mit Saxofon bereit erklärt hatte, obwohl er eigentlich noch übt… Chapeau!

Heute kein Aphorismus, sondern ein Zitat über den Slam-Zuhörer (aus dem Wikipedia-Artikel):

„Der durchschnittliche Slam-Zuhörer bewertet den künstlerischen Wert eines Gedichts nicht aufgrund literarischer Qualität, sondern im Vergleich zur allgemeinen Populärkultur, die ihn umgibt. Nur mit dem Wissen ausgestattet, welche Dinge sie persönlich in anderen Bereichen ihres Lebens unterhaltsam finden, wenden die Zuhörer die gleichen Standards an, um die Bühnendichter zu bewerten.“

Joe Pettus: How to win a poetry slam
Herbert Börger
© Der Brandenburger Tor, Berlin, 01. Dezember 2017