Das fängt ja gut an – 312 – Erlanger Spitzen (2)

Erlanger Spitzen (2)

Erlangens Innenstadt ist „überschaubar“. Vom Südwest-Zipfel der Neustadt (Arcaden) bis an die Auen an der Schwabach im Nordosten bin ich in 30 Minuten hindurchgewandert… Der Erlanger würde das allerdings mit dem Fahrrad in unter 10 Minuten schaffen… wobei er/sie alle möglichen und unmöglichen Wege benutzen würde – Lebensgefahr für andere Passanten dabei durchaus in Kauf nehmend. Man muss sich schon anstrengen, um ein Foto in der Stadt zu machen,  auf dem KEIN Rad oder Radfahrer zu sehen ist. Das kann gelingen auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Schloßplatz (s. Bild 1), auf den der Bürger mit Hilfe eines aufgestreuten Waldboden-Imitates gelockt wird. Im Erlanger Hochsommer ist hier ein Sandstrand aufgeschüttet. Es ist nicht bekannt, ob die Bürger wegen dieser Angebote saisonal weniger in Urlaubsgebiete flüchten als anderswo.

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Bild 1: Glühwein auf Rinden-Dung ist für den, der ihn „genießt“ auch nicht weniger selbstzerstörend als auf dem nackten Pflaster…

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Bild 2: der Wichtel in der Laterne: Prototyp des Erlangers? – Nein! er bewacht das Feuer hier symbolisch, damit die Altstadt nicht noch einmal abbrennt!

Nach meinen Erkenntnissen sind die Radfahrer aber die einzige Gefahr in Erlangen. Damit das so bleibt, wurden hier auch in diesem Jahr die Open-Air-Events mit massiven Beton-Barrieren an den Eingängen geschützt – im Falle des historischen Marktes (Bild 3) mit niedlichen Lego-Imitaten, die die Besucher dann als Unterlage beim Futtern der Hanfsamen-Burger benutzten!

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Bild 3: „Legosteine“ am historischen Weihnachtsmarkt.

Glühwein und Hanf-Nahrungsprodukte stellen aber in Erlangen kein Problem dar, weil sich die Stadt ja ganzheitlich der Gesundheit der Bevölkerung verschrieben hat: hier vom Neustädter Zentrum aus sind mindestens fünf Kliniken fußläufig in maximal 10 Minuten zu erreichen (alle sind Teile der über 200-jährigen UKE)!

Die nächste Klinik ist die Universitäts-Frauenklinik, mit der geburtshilflichen Abteilung dierekt an der Ecke Universitäts-/Östliche-Stadtmauer-Straße-

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Bild 4: Geburtshifliche Abteilung der Frauenklinik Erlangen

Das Figuren-Paar auf der Stele hat mich immer schon angesprochen – ich ging ja zig-mal hier vorbei zur Strahlenklinik. Was es uns genau sagen will, weiß ich aber immer noch nicht – das ist aber vermutlich das Grundprinzip guter Kunstwerke…?

Wenn man hier vor dem Eingang steht, könnte man bei offener Türe wohl direkt in den Kreißsaal blicken.

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Bild 5: UKE – Eingang zu den Kreißsälen – der Fotograf steht hier auf der Universitätsstraße!

Highlight: Bei diesem Besuch lag mein Hotelzimmer im Ersten Stock so, dass ich aus dem Fenster lehnend auf diesen Kreißsaal blickte, in dem eine meiner Enkelinnen zur Welt kam.

Die innerstädtischen Kliniken residieren in stattlichen Gebäuden in historischem Gewand – nüchterner Zweckbau war Ende des 19. Jh. nicht in Mode.

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Bild 6: Treppenaufgang zu einem Klinikgebäude an der Krankenhausstraße

Ein solcher Treppenaufgang ist wohl nicht gerade barrierefrei… soll aber „Bedeutung“ der Institution unterstreichen – was leider mancher Medizin-Professor früher wohl mit seiner eigenen Bedeutung verwechselt hat. Heute ist das natürlich nicht mehr so ….

Seit dem 19. Jahrhundert sind diese Kliniken natürlich auch gewachsen – besonders in den letzten Jahrzehnten in Verbindung mit den Entwicklungen moderner Medizintechnik. Hier wird sich irgendwann die Frage gestellt haben, ob nicht alle Kliniken nach draußen vor die Stadt verlagert werden sollten. Dies ist aber in Erlangen (bisher) nicht geschehen. Ein gutes Beispiel ist die – für mich persönlich wichtigste dieser Kliniken – Stahlenklinik. Bild 7 zeigt die historische Vorderseite an der Universitätsstraße – Bild 8 das heutige Erweiterungs-Areal hinter der Klinik.

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Bild 7: Historische Front der Strahlenklinik.

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Bild 8: Erweiterungsbau der Strahlenklinik zwischen Universitäts- und Glückstraße auf der Rückseite des Gebäudes mit großem unterirdischen Trakt

Ein wichtiges Bindeglied zwischen Medizin und Ingenieurswesen ist die „Medizintechnik“, die bekanntlich bei einem der Weltmarktführer am Ort einen sehr wichtigen Standort in Erlangen hat. Das ist nicht erst seit jüngeren Tagen so, wie das folgende Bild – in der Nähe des Hugenottenplatzes – zeigt.

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Bild 9: Geburtsstätte der Medizintechnik in Erlangen

Mir hat diese Gedenktafel noch einen anderen Gedanken nahe gelegt: kann es sein, dass das Zeitalter der „Garagenbetriebe“ aus denen irgendwann Weltkonzerne hervorgingen, in Deutschland nur einfach etwas länger her ist?

Das Tüpfelchen auf’s „i“ bekamen die Ausübenden der medizintechnischen Zunft kürzlich von ansässigen Konzern verliehen, indem sie zum „Healthineer“ geadelt wurden!

Solche Gedanken gingen in mir um, als ich unter trübem Winterhimmel in der Schwabach-Au spazieren ging.

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Bild 10: Winterhimmel über der Schwabach-Au in Erlangens Norden.

Morgen werde ich noch mehr über Erlangen zu berichten haben.

(Alle Bilder mit Copyright vom Autor selbst)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 19. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 313 – Annahme des besten Falles.

ICE-Ankunft Südkreuz: eine Minute zu früh!

Was mache ich jetzt mit der geschenkten Minute? Geduld! Ohne die kurze Vorgeschichte wird dies nicht verständlich…

Auf der neuen ICE-Schnellfahrstrecke Nürnberg Berlin hatte es seit der Eröffnung am 10.12. häufig Probleme gegeben. Unser Jüngster Sohn war sogar am ersten Betriebs-Tag mit dem ICE in Erfurt „gestrandet“… Meine Hinfahrt Berlin – Erlangen am 14.12. war auch noch ein bischen „ruckelig“ gewesen, aber ohne nennenswerte Verspätung abgelaufen.

Heute, am 18.12. gehe ich die Rückfahrt von Erlangen nach Berlin daher immer noch mit leisen Bedenken an. Aber siehe da: eine Bilderbuchfahrt. Und wie schon am Anfang des Textes zu lesen, komme ich mit einer Minute „Verfrühung“ am Südkreuz an.

Mit diesem Schwung im Rücken lasse ich mich von der Rolltreppe zum S-Bahnhof-Niveau hinauf katapultieren. Oben angekommen läuft direkt vor meiner Nase die S46 in den Bahnsteig ein. Im Hochgefühl einer als völlig verdient empfundenen ÖPNV-Glücks-Strähne rausche ich in den S-Bahn-Waggon und lasse mich in den nächsten freien Sitz fallen.

Es dauert 2-4 Stationen, bis ich wieder in der Realität ankomme und mein Bewusstsein zu registrieren beginnt, dass die Stationen, die wir augenblicklich durchlaufen, nicht den eigentlich zu erwartenden entsprechen. Am Heidelberger Platz ist mir schließlich schlagartig klar: der Zug fährt in die falsche Richtung – nach „Westend“ … Ich springe noch rechtzeitig aus dem Waggon auf den zugigen Perron. Nun bin ich auch bereit zuzugeben, dass nicht der Zug in die falsche Richtung gefahren ist – sondern ich in den falschen Zug EINGESTIEGEN bin. Auf MEINER S46 hätte „Königswusterhausen“ stehen müssen. Damit ich die niederschmetternde Erkenntnis zur genüge auskosten kann, ist der nächste Gegenzug verspätet – und dieser Bahnsteig wirklich besonders zugig.

Fazit: aus der einen geschenkten Minute habe ich 30 verlorene Minuten gemacht….

Ich bin sicher, dass Sie vergleichbare Erlebnisse schon selbst gehabt haben. Ich nenne dies einen  typischen Fall von: „Ungerechtfertigte Annahme des besten Falles.“ oder Neu-Deutsch „Assumption of best case.“

Besonders dann, wenn alles super-glatt und „wie geschmiert“ läuft, neigen wir zu der ungerechtfertigten Annahme, dass nun alles weiter optimal läuft – und versäumen die „Sekunde des Zweifels“ einzulegen, die uns vor Fehlern schützen könnte.

Eine Reihe von positiven Ereignissen, die wir gerne so erwartet hätten (also unser „Normalfall“?) versetzt uns in ein Hochgefühl – und das möchten wir weiter gerne so auskosten … Wir übersehen dabei, dass es sich objektiv gesehen NICHT um einen Normalfall gehandelt hat sondern um den bestmöglichen Fall vieler möglicher Fälle – der aber nicht „normal“ ist.

Es ist gut, wenn man durch solch ein Bagatell-Ereignis, das man leicht noch mit Humor nehmen kann, mal wieder an diesen Mechanismus erinnert wird, denn es gibt Bereiche, in denen solche Fälle nicht mehr als lustig gelten können.

Der erste – und wohl insgesamt wichtigste Bereich – ist die naturwissenschaftliche Forschung. Für die Forschung gibt es aus diesem Grunde strenge Regeln: werden Ergebnisse gefunden, die besonders gut zu den aufgestellten Hypothesen passen, müssen alle Voraussetzungen überprüft werden, die zu diesen Meßergebnissen geführt haben und – das wichtigste überhaupt – sie können nicht als „wahr“ gelten, solange sie nicht wiederholt werden konnten – möglichst in einer anderen Forschungsgruppe.

Forscher sind allerdings auch Menschen! Hat man wunderbar zu den eigenen Hypothesen „passende“ Ergebnisse, ist manchmal der Drang, diese für „wahr“ zu halten großer als „erlaubt“. Das ist nicht immer gleich Betrug…  aber die Versuchung, andere Ergebnisse „passend zu machen“ ist manchmal anscheinend doch zu groß. Es gibt auch vereinzelt echte Betrugsfälle, die dann immer einen großen Schaden für das jeweilige Fachgebiet darstellen. JEDER derartige Versuch der Beschönigung von Forschungsergebnissen, oder gar des Betruges, fliegt irgendwann UNWEIGERLICH auf, da es in den Wissenschaften einen starken Wettbewerb der Forscher untereinander gibt.

Aus diesem Grunde werden wissenschaftliche Veröffentlichungen von neuen Ergebnissen, bevor sie in den für ihr Fachgebiet anerkannten Organen publiziert werden, von Gutachtern streng auf die „Kriterien der Wissenschaftlichkeit“ geprüft. Es sind zehn Regeln, von denen die Wiederholbarkeit eine der wichtigsten ist. Mit ausreichender krimineller Energie kann es in Einzelfällen sogar gelingen, dieses starke System zu überlisten.

Es gibt auch Fälle, in denen Forscher, im Wissen, dass den anerkannten Fachorganen die vorgelegten Erkenntnisse nicht ausreichend abgesichert erscheinen können, einen ganz anderen Weg gehen: den über Presseorgane oder populärwissenschaftliche Veröffentlichungen. Journalisten und Verlage, die um der kurzfristigen „Sensation“ willen helfen, das ausgeklügelte System der wissenschafltichen Absicherung vor einer Veröffentlichung auszuhebeln, schaden wissentlich unserer Kultur der Aufklärung!

Jeder Forscher, der – unbewusst oder bewusst – sich einer derartig gravierenden Verletzung der Wissenschaftlichkeit bei seinen Arbeiten schuldig macht oder als Gutachter einen solchen Versuch deckt oder eben nicht aufklärt, verliert seine wissenschaftliche Reputation. Diese Reputation aber ist die wichtigste Währung, in der Forschungsanstrengungen „bezahlt“ werden.

Der zweite Bereich, in dem es leider keine strengen wisenschaftlichen Regeln gibt, mit denen man eine Konstellation als zufälliges „Eintreten eines besten Falles“ entlarven kann, ist die Wirtschaft – das Geschäftsleben.

Hier sind die Fälle, in denen nach ständig steil nach oben zeigenden Unternehmens- und Markt-Zahlenreihen der schnelle und völlige Zusammenbruch folgt, keineswegs selten!

Der größte Fehler hinter den meisten dieser Fälle (wenn man nicht einem externen „GURU“ geglaubt hat) ist der, dass man die tollen steigenden Unternehmenszahlen unkritisch auf die eigenen Fähigkeiten und Erkenntnisse zurückführt, und eben deshalb glaubt, dass das immer so weiter gehen MÜSSE.

Das wäre nicht so schlimm, wenn daran nur das Schicksal dieses einen Spielers hängen würde.

Also: Augen auf, wenn es mal besonders gut zu laufen scheint!

Aphorismus des Tages: „Die Extrapolation von Erfolg und Wachstum ist der kürzeste Weg zum Scheitern.“ (Der Brandenburger Tor)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 18. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 314 – Erlanger Stadt-Spitzen (1)

Erlanger Stadt-Spitzen (1)

Eine seltene Gelegenheit: vier (in Zahlen: 4 !!) Tage in einer kleinen Groß-Stadt verbringen, ohne Hetze, mit minimalem Pflichtprogramm. Ich lasse mich treiben und dieses Erlangen auf mich einwirken… und stöbere ein bisschen in der Geschichte, denn ohne ein Minimum Wissens über seine Geschichte und seine Topographie kann man nichts Wesentliches über einen Ort erfahren.

Ein paar Wissens-Splitter habe ich in meinem Blog-Text gestern bereits offenbart (https://der-brandenburger-tor.de/?p=4918das-faengt-ja-gut-an-315). Es ist also eine Stadt, die im Laufe der Jahrhunderte drei oder vier große Geschenke bekam, und der man nicht nachsagen kann, dass sie daraus nichts gemacht habe. Ganz im Gegenteil!

Dazu kommen ein paar Kuriositäten. Etwa die, dass in Erlangen die heutige „Altstadt“ jüngeren baugeschichtlichen Datums ist als die „Neustadt“. Oder die, dass ausgerechnet dieser Ort der Lehre und der Wissenschaft nicht weiß, was sein Name bedeutet … (Lt. Wikipedia – wobei es sicher jede Menge Hypothesen geben wird…)

Erst bei diesem Besuch ist mir auch zu vollem Bewusstsein gekommen, was ich eigentlich schon längst hätte wissen können: nämlich dass ich bei unserem Umzug vor knapp vor einem Jahr – von Westmittelfranken nach Berlin – unter dem Aspekt des vor-nationalstaatlichen feudalistischen Kleinstaaten-Deutschlands nur von Residenz zu Residenz umgezogen bin. Bis vor 1806 (als dann Franken zu Bayern kam) hätte ich dabei nur als Untertan desselben Fürstenhauses (Ansbach-Hohezollern) den Ort gewechselt: zum Kernland Brandenburg. Erlangen gehörte seinerzeit ebenso als Brandenburg-Bayreuth bzw. -Kulmbach zu Hohenzollern/Brandenburg bzw. später zum größeren PREUSSEN.

Da kam mir auch wieder jene Frage hoch, die ich seit einiger Zeit jedem stelle, der sich etwas intensiver mit Geschichte beschäftigt: warum ist bei der umfassenden Restitution nach den Napoleonischen Kriegen beim Wiener Kongress ausgerechnet Franken nicht wieder vom Kgr. Bayern abgetrennt und an Preussen zurück gegeben worden?

Nun glaube ich bei diesem Besuch in Erlangen einen ersten Hinweis zur Erklärung gefunden zu haben: der Übergang der fränkischen Bereiche zum Königreich Bayern war zwar 1806/07 zunächst durch einen machtpolitischen Willkür-Akt unter französischer Herrschaft eingeleitet worden, 1810 aber offensichtlich durch einen Kaufvertrag legitimiert worden. Das könnte erklären, dass der Vorgang nicht unter den Restitutionsgedanken fiel, der den Wiener Kongress beherrschte. Dem muss ich allerdings erst noch weiter nachgehen …

Dabei wäre äußerst interessant, zu wissen, warum dieses alte Stück deutschen Kernlandes VERKAUFT wurde… werden MUSSTE? War Brandenburg/Preussen pleite? Ich nehme gerne Hilfe an!

Erlangen erscheint mir jetzt, da es für mich – als Patient seiner Unversitätsklinik – seit zwei Jahren zu einem Teil meiner eigenen Geschichte geworden ist, als eine eigenartige aber angenehm-eigenartige Stadt: UNSPEKTAKULÄR – eine die sich zwar nicht selbst erfunden hat aber immer kräftig zugepackt hat, wenn sie dazu Gelegenheit hatte… Ich höre die Erlanger ihre Stadt nicht laut und prahlend loben sondern eher still genießen.

Vieles in der Stadt ist nicht so offensichtlich und nicht auf den ersten Blick zu sehen. In der kommenden Woche werde ich weitere „Erlanger Spitzen“ beschreiben. Die Erzählung aus dem „Dartmoore Inn“ war eine Einleitung dazu.

Aphorismus des Tages: „Wenn schon der Versuch, die Geschichte objektiv aufzuschreiben, misslingt – wie soll dann der Forschung gelingen, das zu verstehen, was geschehen ist? Zu oft wird die Beschreibung der Ereignisse bereits absichtlich gefälscht, mit dem Ziel, Akteure der Geschichte in einem besseren Licht erscheinen zu lassen oder Verbrechen zu vertuschen. Der beste Geschichtsschreiber ist ein berufener Kriminologe oder investigativer Journalist (am besten beides!) – der aber nicht den Skandal mehr liebt als die Wahrheit.“ (Der Brandenburger Tor)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 17. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 310 – BER-Neubau in der Krise!

Ist das der 6. oder der 7.  NEUE Termin für eine BER-Eröffnung?

Vorab mein Fazit zur Frage, ob dieser Termin bzw. diese Termine so wie jetzt angekündigt eingehalten werden: ein ganz klares NEIN … Es wird dann eine Reihe von Gründen dafür geben, die man heute noch nicht kannte – oder kennen wollte…

Begründung:

(Anmerkung d. Verfassers: BER = Trivialname und „Reizwort“ für das Neubauvorhaben des Flughafens Berlin-Brandenburg (FBB), der wenn er dereinst eröffnet sein würde den Namen „Willi Brandt“ tragen soll … wobei die Flughafengesellschaft, die auch FBB heißt, parallel zu dem Neubau des neuen Flughafens den alten Flughafen Tegel und den bisherigen Flughafen Schönefeld betreibt. Der neue Hauptstadt-Flughafen und der alte Flughafen Schönefeld liegen im Prinzip auf demselben Grundstück… Für alles – also sowohl für den laufenden Betrieb von zwei total überalterten Flughäfen wie auch den Neubau eines Großflughafens – ist ein normaler GmbH-Geschäftsführer leitend zuständig, der öffentlich allerdings oft fälschlich als Vorstandsvorsitzender bezeichnet wird… Die Flughafengesellschaft ist im Besitz DREIER öffentlicher Körperschaften: BRD, Land Berlin, Land Brandenburg, die naturgemäß unterschiedliche Interessen haben. Ja, und die bilden auch noch einen „Aufsichtsrat“, der aus lauter Beamten besteht, die im Dienst der Eigentümer bzw. im Ruhestand sind. In diesem „Aufsichtsrat“ saß schon jeder, der im politischen Umfeld Rang und Namen hatte… und sogar der jetzige Vorsitzende der Geschäftsführung Lütke Daldrup war vor Jahren schon einmal Mitglied in diesem Aufsichtsrat! Ich interpretiere dieses Gremium – das in der veröffentlichten Organisations-Struktur auch nicht existiert, weil in einer GmbH nicht vorgesehen – als so eine Art von Gesellschafterversammlung der GmbH bzw. einen dieser vorgeschalteten „Beirat“. Richtig konnte es mir noch keiner erklären.)

Diesen Klammer-Einschub habe ich für Nicht-Berliner gemacht – und um gleichzeitig allen Lesern die verwirrende Situation in diesem Unternehmen deutlich zu machen. Was Sie hier verwirrt, lieber Leser, ist die REALITÄT!

Über die Zählweise der Eröffnungstermine ist man sich nicht ganz einig… es ist aber auch wurscht!

Das Besondere des nun ganz neuen (am 15.12. bekanntgegebenen) Termines ist, dass es eigentlich drei Termine sind: Ende August 2018 (also in 8 Monaten!) soll der Bau fertig  sein. Ende 2020 soll dann der „neue“ BER eröffnet werden und danach Mitte 2021 der Flughafen Tegel stillgelegt werden.

Bisher hat der neue Vorsitzende der Geschäftsführung seit März 2017 – Lütke Daldrup – sich durch klare und konsequente Handlungen profiliert: er hat sofort das Führungschaos im technischen Bereich des Flughafen-Neubaus beendet (Wiedereinsetzen von technischem Leiter Schwarz), hat nach drei Monaten im Amt den (ererbten) Fertigstellungstermin 2017 zurückgezogen und die Nennung eines neuen Eröffnungs-Termines vor Ende 2017 angekündigt – diesen Termin dann auf den 15.12. präzisiert und schließlich geliefert. Er hat auch eine fundamental neue Information geliefert, nämlich, dass mit dem größten Einzelauftragnehmer verbindliche Verträge abgeschlossen wurden, die dem genannten Terminplan inhaltlich entsprechen. Das enthält die interessante Teilinformation, dass dies bisher nicht der Fall war!

Soweit ganz ordentlich.

Allerdings hatte Herr Daldrup mich schon bei seinen Vorankündigungen der Terminverkündigung mit dem Ausdruck irritiert, dass der Termin, der genannt werde „unternehmerisch verantwortbar“ sein werde – aber mit minimalen Zeitreserven. Wie ein Mantra hat er dies wiederholt.

Bitte bedenken Sie, dass es Termin-Linien gibt, deren Überschreitung gravierende Folgen nach sich zieht, die bisher weder eingepreist noch eingeplant waren:

  • Schallschutzmaßnahmen für Tegel-Anrainer,
  • Erhaltungsinvestitionen in Flughafen Tegel,
  • höherer Finanzbedarf – also zusätzliche Invest- und Betriebskosten,
  • Verfall von vor langer Zeit erteilten Genehmigungen,
  • neue Anforderungen, die das bisherige Bauvorhaben nun nicht mehr erfüllt.

Ohne genehmigten und durchfinanzierten Wirtschaftsplan könnte theoretisch ja auch eine Insolvenz drohen (GmbH-Recht!).

Sofort nach der Verkündigung der neuen Termine (2018/2020 – s.o.) gab es auch sofort einen derben Rückschlag: die für die Genehmigung des Flughafens zuständige Behörde teilte mit, dass die Termine nicht mit Ihnen „abgestimmt“ seien.  Eine Erklärung, die einerseits vorbeugen will, als Behörde nicht irgendwann den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen, in der andererseits auch mitschwingt, dass man die Termine aus diesem Blickwinkel skeptisch beurteilt …

Diese Information ist insofern alarmierend, als damit ja der Teil der Terminplanung, der auf den ersten Blick sehr großzügig wirken sollte, ins Wanken gerät: die lange Inbetriebnahme-Phase von September 2018 bis Ende 2020. Die Inbetriebnahme selbst kann nur starten, wenn der Bau genehmigt und abgenommen ist!

Ein anderer Kern-Punkt des BER-Neubauprojektes erscheint mir (ich war fast 15 Jahre meines Berufslebens GmbH-Geschäftsführer!) sogar noch dramatischer: Die Geschäftsführung will erst im März 2018 einen neuen Wirtschaftsplan vorlegen – sagt aber bereits, dass die Mittel der GmbH zum Erreichen des jetzt genannten Eröffnungszieles nicht ausreichen und auch noch nicht klar ist, woher diese Mittel kommen sollen.

Wenn die Geschäftsführung in dieser Lage den Neubau fortsetzt, also auch weiter Investitionsmittel zum Fertigbau frei gibt, benötigt sie dazu sofort die ausdrückliche Genehmigung der Gesellschafter. Damit übernehmen die Gesellschafter selbst die unbegrenzte Haftung für diese ab jetzt verbrauchten Mittel! (Denn die Gesellschaft hat ja nur „beschränkte Haftung„- GmbH!) Offensichtlich hat Herr Daldrup als Organ der Geselllschaft ja diese schriftliche Zusicherung der Gesellschafter, dass notfalls mit meinen zukünftigen Steuerzahlungen an Bund und Land Berlin das alles bezahlt wird … sonst stände er ziemlich dumm da!

Erst wenn ein ausgeglichener Wirtschaftsplan vorliegt und von den Gesellschaftern genehmigt ist, kann die GmbH wieder auf normaler gesetzlicher Grundlage durch die Geschäftsführung geführt werden – solange befindet sich das Unternehmen in einer Krise! 

Dies sind aus meiner Sicht doch äußerst Besorgnis erregende Tatsachen, die vom Vorsitzenden der Geschäftsführung mit anscheinend großer Gelassenheit dargestellt wurden. Mich würde einmal interessieren, wie die Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses darauf reagiert haben. Wurden kritische Fragen gestellt?

In den nächsten Tagen werde ich noch einige weitere Fragen zu dem Gesamtkomplex aufwerfen.

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 21. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 316 – Chancengleichheit

Dies könnte vielleicht ein Poetry Slam Text werden. Wenn – dann ist es mein allererster …

Das Versprechen

Oder: wie man Superreichtum erklären … könnte:

– Mach‘ Dir keine Sorgen um unser Wirtschaftssystem. Er ist absolut gerecht: die Tatsache, dass es so viele Superreiche gibt, die meistens so nicht geboren sind, ist gleichzeitig ein Versprechen, dass auch Du so reich werden kannst!

– Schön, aber wenn ich so reich bin, muss ich mir dann nicht ständig Sorgen machen, dass ich den Reichtum wieder verliere?

– Nein: das System ist so gemacht, dass Du dann automatisch immer reicher wirst.

– Toll! Und wo kommt dieser automatische höhere Reichtum her?

– Er wird Dir geschenkt! Von Leuten wie Dir, die es nicht geschafft haben.

– Ja klar, die muss es ja auch geben… da bin ich aber froh! Äh – dumm nur, dass ich noch gar nicht angefangen habe reich zu werden. Was muss ich denn da tun?

– Du musst erst einmal aufhören, diese „Kaufen-“ oder „Buy-Buttons“ anzuklicken.

– Das finde ich aber nicht gut! Die Reichen klicken doch bestimmt den ganzen Tag auf Kaufen-Buttons!?

– Nein – gar nicht! Die schauen Dir zu, wie Du auf Deine Buttons klickst… und freuen sich, denn dadurch werden sie reicher.

– Ach-so… und was muss ich nun tun, um auch reich zu werden? Bisher hast Du mir nur gesagt, was ich nicht tun soll.

– Das ist einfach: anstatt Geld auszugeben musst Du Geld einnehmen.

– Aber ich gebe doch gar kein Geld aus (entrüstet).

– Sorry – extra für Dich: anstatt von Deinem Konto zu ZAHLEN, musst Du bei anderen Konten ABBUCHEN.

– Ohhhkey… aber WAS GENAU muss ich denn nun TUN, damit das los geht mit dem Reichwerden?

– Das musst Du SELBST raus finden.

– Das finde ich blöd: wir haben doch CHANCENGLEICHHEIT !?

– So ist das Wort Chancengleichheit leider nicht gemeint

– Nicht? Ich könnte ja erst mal zum Arbeitsamt gehen? Vielleicht haben die ja Jobs, mit denen man reich wird?

– Dadurch ist noch keiner reich geworden – ausser dem, der das Arbeitsamt gebaut hat. Außerdem heißt das „DIE AGENTUR“

– Ui – klingt ja wie eine Verschwörung – was machen die denn in der AGENTUR?

– Das willst Du nicht wissen… aber wenn Du drauf bestehst: die verwalten die Armut.

– Ach so – na dann geh‘ ich da nicht hin.

– Besser so! Überhaupt… ist doch eigentlich alles gut: Du gehst morgens um 5:00 in Deinen ersten Job, Dienstag- und Donnerstag-Nachmittag machst Du Deinen zweiten Job; und mit etwas Glück findest Du für abends noch einen dritten Job. Am Wochenende drückst Du die Kaufen-Buttons und dann hast Du tagelang während deines Jobs die Vorfreude auf die Pakete, die Du, wenn Du mal Zeit hast, bei den Nachbarn abholst. Dadurch hast Du auch noch jede Menge soziale Kontakte – gratis!

– Das stimmt – aber es kann ja dann doch mal viel besser werden für mich, denn im Moment verdiene ich ja nur den Mindest-Lohn. Bestimmt bekomme ich bald auch einen höheren Lohn!?

– Da hast Du schon wieder etwas falsch verstanden – kannst Du aber nix für: das geht den meisten so! Also: Ein paar soziale Politiker hatten die Idee das Lohn-Dumping zu beenden – also keine Löhne mehr unter 8 €/h, jetzt 8,50 €/h (2020: € 9,35 – Anm. des Autors). Das steht jetzt in einem Gesetz. Alle fanden das gut und gerecht. Die Arbeitgeber fanden das auch super: hört endlich das Feilschen auf! Jetzt kriegen alle 8,50, keiner weniger – aber auch keiner mehr! Das ist nun echte CHACENGLEICHHEIT:

Den Begriff „Mindestlohn“ hat man beibehalten, weil das gut klingt. Und es bedeutet ja auch, dass Du den Lohn irgendwann wirklich kriegst wenn Du erst die Arbeit genauso schnell schaffst, wie sich Dein Chef das vorgestellt hat.

– Danke, dass Du mir das so geduldig erklärt hast. So habe ich das noch nie gesehen. Hat denn jemand der Ministerin schon mal erklärt, was mit ihrem Gesetz passiert ist?

– Nein, das würde als soziale Härte gelten, wenn man Ministern erklärte, was ihre Gesetze WIRKLICH für Folgen hätten.

– Das ist das Schöne an Deutschland: diese soziale Wärme, die durchs Land strömt!

– O.k. – wenn Du meinst?

Aphorismus des Tages: „Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden.“ (Helmut Schmidt zugeschrieben)

Herbert Börger

Copyright Der Brandenburger Tor, 15. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 317 – About Trump!

About Trump!

Und hier noch einmal zu jener „Person“, der man nur dadurch überhaupt schaden könnte, wenn man ab sofort und in aller Zukunft SEINEN Namen nicht mehr drucken, aussprechen, DENKEN… sein Bild nicht mehr zeigen würde – so dass die große, weltumspannende Medien-Maschine ihn VERGESSEN würde.

Wir wissen alle, dass es eine solche Verabredung nicht geben kann. Aber selbst wenn: sie würde auch nichts ändern.

Ich wollte eigentlich vorschlagen, den Namen TRUMP grundsätzlich durch den Namen „Grinsendes Goldlöckchen“ zu ersetzen. Ganz abgesehen davon, dass mit Satire diesem Phänomen nicht beizukommen ist, würde es nichts ändern, sondern dasselbe Phänomen hätte nun einfach einen anderen Namen. Der aber wird weltweit täglich Milliarden-fach geschrieben, gesprochen – und gedacht! Dabei ist es völlig unwesentlich, ob der Name in einem positiven oder negativen Kontext gebraucht wird: es handelt sich um die „Allgegenwart“ in Milliarden von Gedanken, Bildern, Texten – EINE MARKE, so groß wie CocaCola, John F. Kennedy, Marlene Dietrich, Elvis Presley und Dalai Lama zusammen. Niemand kommt an ihr vorbei…

… und damit ist zumindest SEIN Ziel erreicht: das Selbstbild eines Narzissten ist in perfekter Art undWeise in eine „Medien-Realität“ umgemünzt worden. Ihm ist völlig gleichgültig, ob man ihn mag, oder hasst, seiner Meinung ist oder nicht – es geht ihm nicht um Inhalte sondern um Aufmerksamkeit. Dazu schlägt er den Weg ein, der den größten Effekt erzielt. Das durchbohren dicker politischer Bretter und ernsthafte, zielgerichtete Arbeit würde ihn langweilen und nichts zu seinem Ziel beitragen. Ein ernsthafter Diskurs erzeugt keine Vorteile für ihn. Sowas macht das „Establishment“.

Er sucht mit viel Gespür die Lücken und Weichstellen in der politischen Landschaft – vor allem mögliche Tabus – und schlägt dann seinen Keil hinein: damit setzt man unweigerlich Themen. Wenn etwas bisher als „No-Go“ galt, besteht die größte Wahrscheinlichkeit, dass er diese Position besetzen wird! Siehe den Vorgang US-Botschaft in Jerusalem! Das wirkt! Das rückt ihn in den Fokus. Ich stelle mir gerade vor, wie zum x-ten mal irgend jemand aus dem Diplomatischen Dienst ihn fragt, wann er denn einen Botschafter nach Berlin senden wolle: den scheucht er wahrscheinlich mit einem „Not my point -AT ALL!“ Aus dem Oval Office…

Weltpolitische Mit-Spieler wie Putin, Xi, Merkel oder Macron sind ihm in seinem Kalkül völlig egal – er achtet nur darauf, dass seine Position nicht in deren Nähe gesehen werden kann, weder als Verbündete noch als Gegner sind sie wertvoll genug. Viel wichtiger für ihn ist es da, das konservative „Establishment“ in seiner eigenen Partei der Republikaner vorzuführen oder gar lächerlich zu machen. Damit strahlt die Aura SEINER Macht, die nicht von dieser Partei GELIEHEN erscheinen darf.

Wir werden Geduld brauchen: das ungezogene Kind muss noch einige Tage die Bauklotz-Türme der anderen Kinder rundherum kaputt machen. Hoffentlich kommt keines der Kinder zu Schaden. Sicher wird dadraus kein selbst-tragendes politisches System entstehen. Wozu auch: alles was IHM wichtig ist, hat er längst erreicht: sein Name ist die wertvollste Marke der Welt!

Sollte es eng werden in Richtung eines Impeachment-Verfahrens, wird er wahrscheinlich endgültig die Geduld verlieren und aufgeben – und dann haben wir die ganze reaktionäre Evangelikalen-Mischpoke um und hinter Mike Pence an der Backe!

Wenn du denkst es geht nicht schlimmer, … (Fortsetzung bekannt?)

Aphorismus des Tages: „Die Eigenliebe bringt mehr Wüstlinge hervor als die Liebe.“ (Jean-Jacques Rousseau, 1712-1778)

Herbert Börger

Copyright Der Berliner Tor, Berlin, 14.12.2017

Das fängt ja gut an – 315 – Dartmoore Inn

Ich habe keine Ahnung, wer gewinnt …

Ich bin in Erlangen – ein Abend in einer Stadt, die nicht meine Stadt ist, aber auch nicht ganz fremd… in gewisser Weise sogar meine zweite Geburtsstadt…

Erlangen verdankt fast alles, was es ist, drei großen, einschneidenden Ereignissen:

  • Der Aufnahme einer sehr großen Zahl von französischen Flüchtlingen auf einen Schlag im 17.Jh, für die dann extra vom Staat eine neue Stadt neben der alten Stadt gebaut wurde;
  • Die Verlegung der Universität kurz nach ihrer Gründung von Bayreuth nach Erlangen;
  • Die Verlegung des Hauptsitzes der Firma Siemens von Berlin nach Erlangen.

Ich habe die Jahreszahlen dieser Ereignisse alle im Kopf – erspare sie Euch aber, damit Ihr nicht auch mit soviel Müll im Hirn herumlaufen müßt.

Es gibt ein viertes Ereignis, von dem ich unsicher bin, ob man es nicht auch dazu zählen sollte: der große Brand, der die Altstadt zerstörte, so dass  man sie „modern“ wieder aufbauen konnte. Chicago hat das – langfristig – auch nicht geschadet… Dadurch ist Erlangen wohl weltweit die einzige Stadt, deren Altstadt NEUER ist als die Neustadt!

Ihr könnt jetzt den Rest des Tages darüber nachdenken, was uns das sagen will – aber bedenkt: es ist, wie es ist. Nur eines steht fest: Erlangen hat gewonnen!

Ich schlendere durch die baumlosen Gassen der Neustadt. Jetzt müßte ich mal etwas herzhaftes essen – man braucht eine Grundlage… für die Nacht in so einer Stadt!

Ich gehe in die nächst-beste Kneipe: es ist der „Dartmoore Inn“.

Die Kneipe ist rappel-voll. Wie durch ein Wunder finde ich fast ganz hinten am Tresen einen gemütlichen Platz, den ich mir mit einer mächtigen hölzernen Säule teilen darf.

Hinter mir brüllt jetzt einer unentwegt etwas , das ich wegen der großen Lautstärke nicht verstehe. Ich drehe mich um: da ist keiner, nur ein riesiger Flachbildschirm hängt an der Wand, auf dem Hoffenheim gegen Dortmund spielt – und ich habe keine Ahnung, wer gewinnt…

Diagonal entgegengesetzt in der anderen Ecke brüllt noch so ein Bildschirm – den kann ich aber nicht sehen, weil da aus meiner Sicht zwei Holz-Säulen davor stehen. Auf dem läuft glücklicherweise wenigstens dasselbe Programm (hätte schlimmer sein können…).

Ich preise den Zufall, dass ich in dieser Kneipe den offensichtlich einzigen Platz gefunden habe, von dem aus man BEIDE Bildschirme nicht sieht. Freue mich!

Es dauert noch eine ganze Weile, bis ich merke: das ist gar kein Zufall, denn dies ist eine FUSSBALL-KNEIPE. Auch gut – ich freue mich weiter.

Das Dartmoore Inn hat eine fulminante Currywurst-Karte mit 5 Currywurst-Varianten. Ich vermute, dass der Wirt ein gebürtiger Berliner ist. Ich frage ihn. Es stimmt.

Ich bestelle ein Murphy’s Stout. Die meisten Gäste trinken allerdings bayerisches Landbier, oder Veltins. Fußballfans eben.

Ich bestelle eine Currywurst mit einer exotisch-variierten Sauce und freue mich auf das Essen, denn ich liebe das Abenteuer.

Das Stout kommt und ist so tief-schwarz, wie ich es erwartet habe und schmeckt… wie Stout.

Inzwischen ist die Kneipe noch VIEL rappel-voller geworden. Ich hätte nicht gedacht, dass da so viele Leute rein gehen. Gut für die Rente des Wirts. Das Dartmoore wirbt auch damit, dass dort Dart gespielt werden kann. Mir ist schleierhaft, wie man bei dem Gedränge noch Dart spielen kann, ohne dass es zu Verletzungen kommt. Passenderweise liegen aber auch mindestens sieben große Kliniken in unmittelbarer Nachbarschaft…

Es werden überall Zettel und Stifte verteilt. Es stellt sich heraus: es wird heute Abend Kneipen-Quiz geben. Der Wirt ist der Quiz-Master.

Die Curry-Wurst kommt … sogar ziemlich zügig. Was auf dem Teller liegt, nimmt mich vollständig ein – und ich nehme es vollständig ein: prachtvoll – alles.

Zwei junge Leute neben mir versuchen, mich für ihre Quiz-Gruppe anzuwerben – in der vermutlich nicht ganz irrigen Annahme, dass jemand der so stein-alt ist wie ich, schon irgendetwas wissen wird!

Ich bin noch nie in einen Verein eingetreten (außer in die Deutsche Physikalische Gesellschaft) aber ich sage ihnen zu, dass ich es ihnen exklusiv zustecken werde, sollte ich etwas wissen. So geschieht es in der ersten Quiz-Runde. Die beiden versuchen mich mit Freibier zu bestechen, damit ich bleibe – aber das dritte Stout hätte genauso geschmeckt, wie das erste.

Ich brauche öfter was Neues… Ich gehe – und habe wieder keine Ahnung, wer gewinnt… Aber ich habe hier etwas Neues kennenglernt: hätte ich vorher gewußt, dass es eine Fußballkneipe ist, wäre ich nicht rein gegangen. Nun würde ich ins „Dartmoor“ immer wieder rein gehen! Also: ICH habe gewonnen!

Aphorismus des Tages: „Wissen kann auch hinderlich sein!“ (Der Brandenburger Tor)

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Erlangen, 16. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 318 – Klimagipfel geht auch ohne Merkel und Trump!

So kann man den Ruf eines Landes auch gut ruinieren – und Macron nebenbei noch ein Bein stellen!

Obwohl ich Angela Merkel – wegen der (schon immer) völlig fehlenden Agenda für dieses Land – nie gewählt habe, habe ich sie bisher im Außenverhältnis unseres Landes immer respektiert – sie zeigte da oft Haltung und wurde auch von den Gesprächspartnern … respektiert.

Ob das unter den gegenwärtigen Bedingungen unbedingt so bleibt? Ich habe große Zweifel! Der Aufbau einer solchen Reputation dauert zehn Jahre… einreißen kann man das Gebäude in zehn Monaten – vielleicht sogar in zehn Wochen!

Angela Merkel steht vor der größten Herausforderung ihrer Laufbahn, seit sie Parteivorsitzende wurde, indem sie gegenüber dem gestürzten Riesen Kohl die nötige Haltung entwickelte. Seit dem 24.9.17 ist nichts mehr so, wie es war – gemessen an dieser Situation wirkt sie antriebslos, völlig Ideen-los dahin-treibend. Anscheinend wird sie nur von einer fixen Idee beherrscht: es muss alles wieder werden wie es war – Hauptsache ich regiere! Es wäre eine grandiose Chance gewesen, in dieser Lage – gleichzeitig umgeben von einer immer schwieriger werdenden Welt-Situation – Stärke, Initiative oder Brillanz zu zeigen. Es gibt einen brillanten Partner im wichtigsten Partnerland (F) der händeringend um Deutschland wirbt, weil er alleine viel zu schwach für seine Ideen ist (und die beschränken sich nicht nur auf Europa und Klima!). Das alles ist dabei an ihr und uns vorbei zu rauschen und zu verpuffen wie ein nasser Sylvester-Kracher!

Angela Merkel ist nach wie vor Bundeskanzlerin – sie hätte unbestreitbar das Heft des Handelns in der Hand: aber sie hängt wie ein nasser Lappen auf der Wäscheleine. Ich fange nun an, wirklich böse zu werden.

Ich will gar nicht von den Koalitionsverhandlungen selbst reden, in denen sie zugelassen hat, dass ein politischer Geisterfahrer wie Dobrindt die Szene für die Union vor den TV-Kameras dominieren durfte! Ich will auch nicht von der EU reden, in der sich gerade dramatisches abspielt – ohne dass Merkel Führung zeigt: als Folge tanzen einige Osteuropäische Staaten der EU auf der Nase herum, indem sie intern die Kernidee Europas abschaffen…

Ich will nur einige Beispiele (alle in ganz kurzer zeitlichen Folge geschehen) nennen, worin sich die fortschreitende Führungs-Erosion zeigt:

Beispiel 1: Glyphosat-Votum von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt. Eklatanter kann man den Verlust an Führungsschwäche gegenüber einer rotzfrech agierenden „Schwester CSU“ wirklich nicht demonstrieren.

Beispiel 2: Weltklima-Gipfel Bonn. Vor dem Hintergrund der Trump-Aggression gegen das Pariser Abkommen, lässt Merkel das gerade sehr starke Momentum in diesem Thema vorbei plätschern, weil sie ja leider gerade nicht kann. (Ich bin anderer Meinung: sie hätte in einer solchen Frage gekonnt…) Dieser Klimagipfel im eigenen Land hat das erste starke Zeichen für die Merkel-Dämmerung gesetzt und wird auch im Ausland so wahrgenommen.

Beispiel 3: Macron startet eine leidenschaftliche Initiative für Europa – die, wir wissen es alle, natürlich dann in eine realistische Handlungs-Offensive überleitet werden müßte, die ich aber als ein Geschenk an Deutschland wahrnehme. Nun: stärker als mit Ignorieren kann man einen solchen Impuls eines Partners kaum desavouieren! Ich will mal einen Vergleich aus dem täglichen Leben machen: Sie haben zum 20. Hochzeitstag Ihrer Frau 40 rote Rosen geschenkt und wollen mit ihr ausgehen – und sie sagt: och, da hab ich aber meinen Kaffeeklatsch mit meinen Cousinen….

Beispiel 4: Macron veranstaltet den außerordentlichen Klimagipfel in Paris – Merkel entsendet die von ihrem Minister Schmidt ungestraft desavouierte Umweltministerin Hendrix (sorry Frau Hendrix – Sie sind Klasse!): mehr Verachtung kann man nicht zeigen! Die in- und ausländische Presse titelt: „Für Macron geht Klimagipfel auch ohne Merkel und Trump!“ Großartig – hiermit ist Merkel auf der Weltbühne sichtbar im „Lager Trump“ angekommen…

Fazit: man kann sagen, dass Angela Merkel dabei ist, sich selbst abzuschaffen!

Die einzige positive Deutung, die mir einfällt (die ist aber satirisch!) wäre die, das sie dem netten Herrn Macron auch mal die Chance geben will, die lästige Führungsrolle in Europa zu übernehmen – der ist ja auch noch jung, Leider stellt sie ihm aber in Wirklichkeit ein Bein nach dem anderen,

Die gegenwärtige politische Situation ist weder innen noch außen ein Terrain für eine antriebsschwache Regentin, die es sich gerne beim Regieren weiter gemütlich machen möchte!

Herbert Börger

Copyright Der Brandenburger Tor, Berlin, 13. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 319 – Microprozessor Natives

Wir sind die „Microprocessor-Natives“!

Junge Leute ab Jahrgang 1980 (lt. Urs Gasser) werden heute gerne als „Digital Natives“ bezeichnet, weil sie mit der digitalen Kommunikation und dem Internet aufgewachsen sind. Ich persönlich würde diese Geburtsjahr-Grenze allerdings eher auf 1990 setzen, da das iPhone ja erst 2007 eingeführt wurde …

Alles davor sind also analoge Ur-Menschen, die gerade aus ihren Höhlen gekrochen waren, in denen gerade mal ein Telefon und ein Fax-Gerät standen?

Weit gefehlt! Diese Interpretation des Erfahrungshorizonts mit Digital-Technik bei älteren Menschen bedarf dringend einer Korrektur! Ich bin Jahrgang 1945 – und oute mich hiermit als „Microprocessor-Native“ = „µP-Native„. Microprozessor-Native sind sozusagen die Hard-Core-Variante des digital immigrierten Menschen: wir mussten anfangs noch direkt mit den Maschinen sprechen, um die „Segnungen“ der Digitaltechnologie zu nutzen.

Zunächst mussten wir uns alle 2-3 Jahre auf völlig veränderter Hardware, Schnittstellen, Übertragungsprotokolle, Peripherien und natürlich auch Betriebssysteme einstellen – wobei es anfangs nicht einmal Betriebssysteme gab, sondern in Programmsprachen wie Fortran, Algol oder Basic gearbeitet wurde. Wir hatten keine Ahnung, wohin die Reise gehen würde… Mit der rasend schnellen Entwicklung der Prozessorstrukturen änderten sich Hardware, Software und Bedienungs-Schnittstellen komplett, da damit stets völlig neue Möglichkeiten entstanden. Die Anwendungen änderten sich dramatisch. Die Arbeitsweise änderte sich – und alle ca. 10 Jahre auch die Form der Kommunikation mit dem Computer und mit der Umwelt. 1981 formulierte Moore die Prognose (oder Regel), dass sich alle 2 Jahre die Integrationsdichte der µPs verdoppelt. Eine kluge Schätzung… Bisher hat sich die Industrie ganz gut daran gehalten, aber es ist kein Gesetz… Marc-Uwe Kling beschreibt das in Qualityland als eine „selbst-erfüllende Prophezeiung“, was es vielleicht sehr gut trifft. Die Rechen-Geschwindigkeiten stiegen auch enorm – was aber nur Einfluß auf die „Möglichkeiten“ der Maschinen hat und nicht die Arbeitsweise per se veränderte.

Mein 1-Platinen-Heimcomputer Sinclair Z81 von 1981 hatte 1 MIPS (Millionen Instruktionen per Sekunde) – derzeit liegen wir im gehobenen PC-Sektor mit Einzel-Prozessor bei >200.000 MIPS… wobei MIPS als 8-bit-Instruktion definiert ist und gemessen wird. Ein 32bit-Prozessor ist daher in der Praxis eigentlich noch 10.000 mal schneller.

Wir „µP-Natives“ haben als Anwender in den Anfängen ständig vieles von Grund auf neu lernen – und auch verstehen müssen, was in den Kästen vor sich geht… und haben uns nicht beschwert. Der „Digital Native“ rückt ja erst in Bild dieser ganzen Entwicklung, nachdem grafische und haptische Benutzerschnittstellen in einen Milliarden-Massenmarkt eintraten, während sich der Nutzer nicht mehr die geringsten Vorstellungen davon machen muss, was in den Black-Boxes vor sich geht.

Damit man die Bedeutung und Rasanz der ab 1971 aufkeimenden Mikroprozessor-Technologie beurteilen kann, liste ich hier meine digitale Autobiographie auf:

1968: ich bin 22 Jahre alt, im 3. Semester Physik an der TU Clausthal mache ich ein EDV-Praktikum an der ZUSE 3 – Kommunikation mit der Maschine über Fortran mittels Lochkarteneingabe (also off-line). Der vorbereitete Lochkartenstapel wurde im Rechenzentrum abgegeben – am nächsten Tag erhielt ich den Ausdruck des Ergebnisses… wenn das Programm o.k. war – sonst einen Fehlerbericht… nächste Schleife (1 weiterer Tag). Ich vermute, dass der Prozessor meines Kaffe-Vollautomaten zig-fach schneller und leistungsfähiger ist als es dieses Ding war, das mehrere Räume mit Klimaanlage beanspruchte! Stellen Sie sich vor, sie müßten Lochkarten perforieren um Ihren Kaffee zu bekommen – und bekämen den dann morgen…

1970: Während der Diplomarbeit (mit HiWi-Stelle) am Institut für Metallphysik der RWTH Aachen benutzen wir einen HP Tischrechner (9100) mit Magnetkarten-Speichermedium. (Es wäre lächerlich, hier von RAM-Größen zu sprechen… anfangs konnten wir nur 216 Programmzeilen eingeben – da lernte man ein Programm auf die letzte Zeile auszuquetschen! Später erweitert auf 500 Programmzeilen beim HP 9820.) Programmierung per FORTRAN-ähnlichem „HPL-Basic“. Grafiken konnten bereits farbig auf einem Plotter ausgegeben werden. HP hatte damals ein Quasi-Monopol auf derartige wissenschaftliche Arbeitsplatz-Rechner. Preis anfangs ca. DM 15.000,–. Diskrete Elektronik – noch ohne Mikroprozessor!

1971: zunächst unbemerkt von mir, wird der Mikroprozessor erfunden! (Intel 4004).

1972: Der wissenschftlich-technische Taschenrechner HP 35 kommt auf den Markt — und kostet anfangs DM 2.000,–. Wir bekommen alle leuchtende Augen! Als der Preis ein halbes Jahr später auf DM 800,– gesenkt wird, gehe ich zu Karstadt, nehme einen Verbraucher-Kredit auf und kaufe den HP 35. Ihr glaiubt nicht, was das für ein cooles Gefühl war, dieses Teil in einer am Gürtel zun tragenden Tasche dabei zu haben. Und es wurde benutzt, dass die Tasten rauchten! Bis vor 1-2 Jahren hatte ich den noch und er lief auch immer noch am Netzgerät! Dann verschwand er leider bei 2 Umzügen… Nun habe ich mit den „Nachbau“ HP 35s besorgt, wegen der Nostalgie und der UPN… „umgekehrte polnische Notation“. Der Begriff „Taschenrechner“ wird dem Gerät allerdings nicht gerecht: angemessener ist der durchaus damals übliche Begriff „elektronischer Rechenschieber“, denn er hat das mechanische Pendant tatsächlich binnen kürzester Zeit vom Markt gefegt – nachdem TI die Preise drastisch gedrückt hatte! (P.S.: Das Gerät war ein Spleen von Mr. Hewlett! Die Marktstudie VOR Markteinführung des HP 35 hatte ergeben, dass das ein FLOP werden würde – keine nennenswerte Stückzahlen wurden erwartet!)

1973: Ich arbeite in der Industrie – in der Anwendungstechnik machen wir alle technischen Berechnungen mit dem programmierbaren Taschenrechner HP 65 (mit Magnetstreifenleser).

1976: An einer Prüfanstalt mit Forschungsbereich installiere ich an einem Tischrechner HP 9815 (mit IEC-Bus-Schnittstelle) eine ganze Reihe von Meßwerterfassungen – z.T. On-line über ein schnelles digitales Voltmeter, teils über einen Transientenrecorder (für Stoßversuche). Der Festspeicher ist jetzt so groß (2000 Programmzeilen), dass man sich bei der Programmierung nicht mehr so quälen muss. Es gibt erstmals ein Bandlaufwerk! Zeitgleich kommt der erste „PC“ von Apple heraus . Der ist aber in Deutschland eher selten anzutreffen – kurz danach kommt der Commodore 64 auf den Markt – sowas heißt in Deutschland aber dann noch „Heimcomputer„. Der Begriff „PC“ wird erst 1981 geprägt werden. Wir zogen gerade zwei noch-nicht-digital-native Kinder groß und konnten uns so etwas privat nicht leisten. Ich habe zwischendurch nur mal mit dem ca. 150 DM teuren Sinclair Z81 Homecomputer (nur Folientastatur – Anschluß an TV – 8 kB RAM (!) – aus England beschafft) „gespielt“ – einen wirklichen Nutzen hatte das Ding nicht. Zu diesem Zeitpunkt erschließt IBM den Markt der „Personal Computer“ mit dem IBM-PC – in Konkurrenz zu dem seit 1976 von einer Garagenfirma entwickelten Apple-PC. Wie dieser Kampf David gegen Goliath ausgehen würde, hatte damals sicher niemand erwartet.

1983: Den nächsten großen Schritt gibt es dann für mich ab 1983 mit dem Eintritt in die Welt von Apple-Computern im Büro-Bereich. Wir bauten damals bei Firma Freudenberg die erste 3D-CAD-Gruppe auf. Der neue IT-Leiter der Firma kam aus USA mit den neuesten Technologien an Bord. Er überließ mir seine „LISA“ – den ersten Apple-Computer mit dem von XEROX entwickelten grafischen Benutzersystem mit MAUS! Die Lisa hatte damals DM 20.000 gekostet, war ca. 1 MIPS schnell und hatte 256 kB RAM und 2 MB Festplattenspeicher. Damit gehöre ich wahrscheinlich zu einer relativ kleinen Gruppe frühester Mac-User…

Der Nachfolger der Lisa hieß dann „Macintosh“ – und mit der 512 kb-Version statteten wir alle Büro-Arbeitsplätze aus. 3D-CAD wurde auf Graphic-Workstations (in unserem Falle Sun) bewältigt – mit „sagenhaften“ 10 MIPS plus Grafikkarte, die einen eigenen, schnellen Prozessor benutzte. Ein derartiger Arbeitplatz (ohne Server) lag locker bei 125.000 DM! Während des Aufbaus eines Rotations-Körpers konnte man getrost Kaffee holen gehen…

Danach ging es rasant weiter in der Rechen- und Kommunikationsgeschwindigkeit (Peripherie) – und das ermöglichte schließlich die Gesamtheit der Prozesse, die wir heute unter „Digitalisierung“ verstehen, und die sich seit dem sagenhaften Aufstieg des World Wide Web zum Rückgrat der Globalisierung entwickelte. Digitalisierung und Globalisierung gehören untrennbar zusammen!

Damit ist klar: µP-Native und Digital-Native sind zwei völlig verschiedene Paar Stiefel!

Wir – die µP-Natives, sind die tapfer-tragischen Ritter von der traurigen Gestalt, die sich noch mit den immer rasender rotierenden Flügeln der Prozessorentwicklung geschlagen haben; Ihr – die Digital Natives, die mit Wischen und Tippen ein mächtiges weltumspannendes System von Informationen und Geschäftsvorgängen beherrschen… oder von ihm beherrscht werdet? Noch wissen wir nicht, wie es für Euch (und damit für uns alle!) ausgehen wird. Werdet ihn mit den unglaublichen Möglichkeiten fertig werden – oder angesichts dieser in einer Handlungsblockade erstarren?

Werden die Digital-Natives, konfrontiert mit den Versuchungen und Schrecken einer virtuellen Realität voller Sex, Crime, Horror, Fantasy und Sofort-Kaufanreizen, noch moralische Maximen folgen können? Werden sie schlimmstenfalls in eine Angst-Starre verfallen? Wem oder was werden sie folgen, um ihre Haltung in dieser Welt zu entwickeln?

Sollten wir uns nicht alle mit diesen Fragen sehr intensiv befassen – GEMEINSAM?

Eines scheint mir sicher zu sein: einer Generation, die eine Welt ohne WWW nicht kennt, müssen wir helfen zu lernen, dass wirklich SOZIALE Bindungen nur F2F entstehen können!

Herbert Börger

Copyright Der Brandenburger Tor, Berlin, 12. Dezember 2017

Das fängt ja gut an – 320 – Berliner Stadt-Spitzen – Lesebühnen

Berliner Stadt-Spitzen

Ich kenne kaum jemanden, der kein ambivalentes Verhältnis zu einem Stadt-Moloch wie Berlin hat. In Berlin ist alles besonders starkt ausgeprägt: das Positive wie das Negative.

Der Anteil der Menschen, die eine positve Grundeinstellung trotz Mängeln und Anzeichen von Chaos im öffentlichen Raum haben, scheint dennoch sehr hoch zu sein. Das kann vielleicht auch so bleiben, solange die Lebensbedingungen für fast alle, die sich mit der riesigen Stadt arrangieren wollen, erträglich bleiben (z.B. Mieten!).

Wenn es so (noch oder wieder) etwas wie ein typisches „Berliner Miljöh“ in diesem babylonischen Stadtgemisch geben sollte (?), dann müßte es sich in kulturellen Elementen zum Ausdruck bringen, vielleicht sogar zu einem Ausdruck drängen… Das kann aber sicher nicht in dem Angebot etablierter Sprech- oder Musik-Bühnen bestehen, die sich auf „internationalem Niveau“ bewegen – ebenso wenig in der Präsenz von „Sterne-Restaurants“! Hier ist – außer bei der Garderobenfrau – sicher nicht viel Berliner Lebensgefühl aufzuspüren… Ich habe auch große Zweifel, ob man die so viel gepriesene „Klub-Szene“ dazu zählen kann…

Ich bin noch nicht lange genug hier, um das nachhaltig beschreiben zu können. Ich will dem nachspüren und dabei werde ich hier in diese neue Rubrik „Stadt-Spitzen“ kleine Erlebnisse, Momente und Erkenntnisse erzählen, die für mich speziell Berliner Impressionen sind.

Berliner Stadt-Spitzen 1:

Es gibt zwei kreative literarische Phänomene, die nachweislich in den 1990er Jahren für Deutschland ihren Anfang hier in Berlin genommen haben:

  • Poetry Slam (Berlin 1994 Wolf Hogekamp)
  • Lesebühnen (Berlin 1989 ff: Mittwochsfazit/Salbader – Dr. Seltsams Frühschoppen)

Poetry Slam („Demokratisierter Literatur-Wettbewerb“ mit festen Regeln) entstand 1986 in Chicago – sprang schnell nach Europa und Japan über. Heute soll der deutschsprachige Sektor der weltweit größte sein mit derzeit lt. Wikipedia ca. 300 regelmäßigen Veranstaltungsreihen.

Im Gegensatz dazu ist die Veranstaltungsform der Lesebühne in Berlin entstanden und wohl weitgehend auf den deutschsprachigen Raum begrenzt. Hier hat der Gründungsort Berlin immer noch eine überwältigende Dominanz: in der Wikipedia-Liste der deitschen Lesebühnen stehen 40 in Berlin – mit München und Hannover mit je 4 auf dem nächsten Platz…

Auf Lesebühnen gibt es keinen Wettbewerb aber trotzdem individuelle, feste Regeln. Meist gibt es eine feste lokale Autorengruppe mit einem wechselnden Gast. Oft wöchentliche Termine (mit Sommer-/Winter-Pausen), manchmal mit der Regel, dass alle Texte neu/unveröffentlicht sein müssen.

Aus beiden Metiers sind über die Jahrzehnte auch schon überregional publizierende Autoren mit hohem Bekanntheitsgrad hervorgegangen wie zum Beispiel Horst Evers (Lesebühne Frühschoppen) oder Marc-Uwe Kling (Poetry Slam – dt. Meisterschaft 2006/07).

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 11. Dezember 2017