Das fängt ja gut an – 272 – Neuromorphic Computing (KI)

Künstliches Gehirn, KI und Neuromorphic Computing

oder: Wollen sie wirklich MEIN Gehirn als Vorbild für das künstlicheGehirn nehmen?

(Einige Gedanken, meinem Freund Frank zum Geburtstag gewidmet! Entzündet an der Meldung, dass künstliche Synapsen entwickelt wurden, die nur einen Bruchteil der Energie einer natürlichen Synapse verbrauchen.)

Solange der Mensch logisch denkt, unvoreingenommen forscht und technische Lösungen erschafft, ist er bemüht gewesen, der Natur abgelauschte Lösungen  in seine artifiziellen Schöpfungen (Technik!) einzubringen: um so die Jahrmillionen lange Entwicklungszeit im Kosmos zur Beschleunigung seiner eigenen Entwicklungstätigkeit zu nutzen.

In der jüngeren Technik-Geschichte hat man diesem Vorgehen schließlich einen eigenen Begriff gewidmet: BIONIK. Ich war selbst lange Strecken meiner beruflichen Tätigkeit damit beschäftigt, ein bionisches Prinzip anzuwenden im Bereich der Tragstrukturen aus Hochleistungs-Faserverbundwerkstoffen (GFK-, CFK-Composite) bei denen wir die Struktur der Werkstoffe dem Kraftfluss anpassen, wie es bei Knochen, Bäumen etc. in der Natur bereits existiert.

Das menschliche Gehirn in Verbindung mit unserem Nervensystem  ist ohne Frage auch so ein Hochleistungs-System, das sich die Wissenschaftler und Ingenieure gerne erklärtermaßen zum Vorbild nehmen, um künstliche Intelligenz (KI bzw. AI) und künstliche Gehirne auf Basis neuronaler Netze zu schaffen. Damit wollen wir  Denken, Wahrnehmen, Erinnern, Entscheiden (und Bewusstsein?) auf ein neues, schnellere und komplexeres Niveau heben.

Ich möchte jetzt nicht darüber spekulieren, ob und in welchem Ausmaß Menschen KI-basierten Systemen Denk- und Kognitions-Prozesse übertragen  können, sollen bzw. dies wollen sollen…

Ich bin auch nicht so vermessen, darüber zu befinden, ob es möglich sein wird, das menschliche Bewusstsein auf der Basis von künstlicher Intelligenz und künstlichen Gehirnen (also Computern irgendeiner neuen Technologie) zu simulieren bzw. sogar unkontrolliert „laufen zu lassen“ (also: frei zu setzen!).

Ich bin nur dezidiert der Meinung, dass wir alle gemeinsam unseren Standpunkt definieren müssen, ob wir das machen wollen, wenn das möglich sein sollte – und zwar ehe es möglich sein wird, denn danach wird es auf jeden Fall jemand machen, wenn es nicht vorher reguliert wird – und dann ist es nie mehr rückgängig zu machen!

Ich bin auch dezidiert der Meinung, dass derartige Forschungs- und Entwicklungsprozesse nicht privaten Firmen überlassen werden dürfen, sondern in einen transparenten Prozess auf einer open-source Plattform gehören! KI-Forschungsinstitutionen müssen mindestens so reguliert werden wie Banken – wahrscheinlich eher noch schärfer. Die möglichen Ergebnisse auf den heute noch fiktionalen Ebenen müssten ebenso kontrolliert werden wie Nuklear-Waffen und Biologischen Waffen. Technikfolgenabschätzung als globale Gemeinschaftsaufgabe!

Ich möchte aber allen, die am künstlichen Gehirn arbeiten und sich dabei das menschliche Gehirn als Vorbild nehmen zu bedenken geben, dass die Synapsen in unserem Gehirn bei weitem nicht so effizient zu arbeiten scheinen, wie das dem Forscher im Labor vielleicht vorkommt. Makroskopisch betrachtet enthält mein Gehirn im Bereich der Erinnerung weitaus mehr Müll als Nutzinhalt. Es kann z.B. sein, dass mir der Name eines bedeutenden Physikers gerade nicht einfällt – aber anstatt dessen weiß ich, wie oft Gerhard Schröder oder Mörtel Lugner verheiratet waren (u.v.a.m.)! Ich empfehle daher, dass man sich doch die Qualität der Synapsenfunktion im echten Gehirn darauf hin noch einmal kritisch ansieht! Man sollte dabei berücksichtigen, dass das on-line vernetzte künstliche Gehirn mit direktem Zugang zum Internet zu wesentlich mehr Wissens-Müll Zugang hat als mein Gehirn. Meiner Schätzung nach sind lediglich 0,1% des Daten-Inhalts des Internets potentiell relevant!

Wenn Ingenieure zukünftig Roboter mit künstlichen Gehirnen ausstatten, dann sollten sie keinesfalls vergessen, die folgende wichtige Assoziations-Technik des menschlichen Gehirns zu implementieren: wenn ich losgegangen bin, um etwas Bestimmtes zu erledigen, aber auf halbem Wege vergessen habe, was das war, gehe ich an den Ort zurück, an dem ich den Beschluss gefasst hatte – dann fällt es mir sofort wieder ein. Diese enorm mächtige Kognitionsleistung muss der Roboter unbedingt beherrschen!

(Wenn die letzten beiden Absätzen bei Ihnen den Eindruck einer Glosse erweckt haben, liegen Sie nicht ganz falsch.)

Im übrigen bin ich auch sehr gespannt, wann wir einen neuromorphischen Computer in unserer Hosentasche tragen werden. Dabei wünsche ich mir ein Modell, das nicht mit der KI-Abteilung des Herstellers in Verbindung ist (wie Siri oder Alexa), sondern sich völlig autark lernend entwickelt – vergleichbar mit einem Kind, das geistig heranwächst – nur viel schneller.. Besonders gespannt wäre ich, wann ich dann anfangen kann mit dem Bot philosophische Themen zu erörtern – und ab wann er mir dabei über sein wird….

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 29. Januar 2018