Das fängt ja gut an – 337 – Warum nicht Minderheitsregierung?

Deutschlands politische Klasse fragt sich: was nun?
Ein zartes Gefühl der Krise weht durch das Land. Aufregend, oder? Man ist sich aber einig, dass es keine richtige Krise ist (für das Land – für einzelne Personen sehr wohl …).
Die Journalisten wirken angnehm aufgeregt – viele Politiker auch: endlich mal kein „business-as-usual“ – neue Horizonte zeichnen sich ab! Kommt dabei mal etwas wirklich Neues heraus? Der Zauber des „ersten Males“ umschwebt alles politische Handeln jetzt!
Danke, Wähler!
 … sage ich hier, obwohl man an vielen Stellen anklingen hört: „wenn der Bürger sich so einen  Mist zusammen wählt, muss er eben nochmal ran!“ (Nee – muss er nicht! Und alle wissen es.)
709 Bundestags-Abgeordnete dürfen erleben, dass ihnen vielleicht einmal endlich die Bedeutung zukommt, die sie immer schon hätten haben sollen (oder gerne gehabt hätten): vier wilde Jahre ohne diesen deformierenden Fraktionszwang…? „Abenteuer-Spielplatz Parlament„.
Zunächst stehen 5 Personen im Schlaglicht:
Zu vorderst zwei, deren „Haltbarkeitsdatum“ entweder schon in der Vergangenheit – oder jedenfalls in der näheren Zukunft liegt… (beide bestreiten das sicher):
Angela Merkel: nach mehreren (eigenhändigen) Gutachten die einzige, die nichts falsch gemacht hat und nicht versteht, wieso das nicht unter ihr so weiter geht wie bisher.
Ihre Taktik, die 200 Verhandler mit 1000 Themen schwindlig zu machen, um dann ruck-zuck die wirklich wichtigen Fragen („Knackepunkte“) in wenigen Stunden unter ihrer Regie nach Mitternacht durchzupeitschen, ging zwar auf (alle liefen unwidersprochen hinterher) – aber dann schief!
Horst Seehofer: der unter-40-CSU-Scheinriese, der jetzt  sogar von einer angezählten Angela Merkel mühelos in Schach gehalten werden kann und während der Verhandlungen von der eigenen Partei demontiert wurde.
Christian Lindner: war nach seinem Ein-Mann-FDP-Revival-Kraftakt sicher, dass er eine starke Position hat  – und die Union (nein: nicht FC Köpenick…) „naturgemäß“ zur FDP tendiert. Irrtum! In den Sondierungen hat er offensichtlich so wenig Stärke  gehabt, dass er im Schwitzkasten von Angela Merkel gelandet ist und sagte tatsächlich: “ Wir fühlten uns gedemütigt.“ Wenn er ernsthaft durchblicken ließ, der Weg des Emanuelle Macron in Frankrei sei ein Vorbild für ihn, dann zeigt er alarmierende Zeichen der Selbstüberschätzung und sollte den heutigen Aphorismus (s.u.) besonders beherzigen.
Martin Schulz geriert sich ebenfalls wie ein verstocktes Kind, das (lt. Hahne, FAZ) „nur einen Satz“ hat (den mit dem „abgewählt“ …) – und die SPD soll geeint hinter ihm stehen? Wenn das man gut geht! Sein Problem ist die immer-wieder-und-wieder falsche Metaphorik.: er meint zwar das Richtige… aber er sagt das Falsche. Wenn einer erkennt, dass seine Partei jetzt nicht regieren soll/will (aus welchem Grund auch immer), dann sollte er das sagen, und nicht zur Begründung dem Wähler etwas Fiktives in den Mund legen: als hätten alle SPD-Wähler auf den Wahlzettel geschrieben: „Ja, SPD, aber nur wenn Ihr versprecht, nicht zu regieren!“ (… was den Wahlzettel ungültig gemacht hätte!) Der Wählerauftrag in Zahlen: GroKo-Parteien – 53,4%, Jamaika-Parteien 52,5%… (Danke für die Nachhilfe Erik Marquardt!)
Zu erwartende Reaktion, wenn ihm heute der Bundespräsident (und pikanterweise Ex-Partei-Genosse) qua Amt den Kopf waschen muss: „Nein, ich will nicht – will nicht!“.
Und damit sind wir schon bei der Person Nr. 5, die jetzt in den Fokus gerückt ist:
Frank-Walter Steinmeier kommt nun als erstem Bundespräsidenten seit der Gründung der BRD eine wahrlich staatstragende Rolle zu: und wir hoffen alle, dass er das sehr klug anstellt!
Und jetzt?
Wenn es nach einer Wahl zwei Mehrheits-Koalitionsmöglichkeiten gibt… wohlgemerkt: nicht skurrile oder absurde, sondern solche, die es entweder schon mehrfach relativ schmerzfrei gegeben hat (schwarz/rot) oder vorher geradezu herbei gesehnt wurde (Jamaika)… dann besteht eigentlich kein Recht auf Neuwahlen! Der Bundespräsident darf mich Recht fordern: macht Euren Job!
Nun sind wir also statt in Jam-aika, in einem tiefen Jam-mertal gelandet:
– die FDP fühlt sich gedemütigt,
– die SPD fühlt sich generell gerade nicht so gut.
Die Minderheitsregierung ist für ein Parlament mit 709 Abgeordneten, in dem dem Kanzler-Wesen (m/w) wahrscheinlich über 100 Stimmen zur Mehrheit fehlen, eine extrem ungewohnte und sicher sehr anstrengende Regierungsaufgabe!
– Die internationalen Partner müssten etwas länger auf Deutschlands Reaktionen warten;
– Ja, es wird sicher auch teurer, da der aufgabenbezogenen auch mal etwas angeboten werden muss – als Gegenleistung.
Aber:
Man könnte sie auch als Chance sehen, dafür dass:
– mal eine Zeit lang die verkrusteten Partei-übergreifenden Strukturen aufgebrochen werden;
– viele verschiedene Verabredungen für verschiedne Problemlösungen ausprobiert werdenkönnten:
– Die Abgeordneten würden zwangsläufig sehr viel Zei im Parlament verbringen müssen, dafür weniger Zeit für Lobbyisten haben (!);
– es könnten ohne einen einzementierten Koalitionsvertrag wichtige Aufgaben jederzeit angegangen und vielleicht sogar erledigt werden;
– neben dem Kanzler-Wesen (m/w) müßten sich schon wegen der vielen Abstimmungsarbeiten zwischen den Parteien endlich politische Talente sichtbar werden, die für dringend nötige Nachfolgen gebraucht werden!
– … und sicher noch viel mehr: Chancen über Chancen…
– wobei (vielleicht) durch Entritualisierung und bessere Transparenz dem Geschäft der Populisten die Geschäftsgrundlage entzogen wird!?

Aphorismus des Tages: „Das Geschäft des Regierens und Gesetzgebens, … , ist von so großer Schwierigkeit, und Verantwortung, dass jedem ein  recht großes Misstrauen in die eigenen Kräfte, gleichsam als erste Bedingung der Tüchtigkeit, zu wünschen ist, damit er nicht ohne die strengste Prüfung seinen Entschluss fasse.“ (Friedrich Carl von Savigny (1779 – 1861) preußischer Rechtsgelehrter und Staatsminister)

Bild des Tages: Friderike (1778 – 1841) – Preußen-Prinzessin (hier ohne Unterleib und mit einem Herz aus Stein, ca. 35 kg.): Jahrzehntelang ist sie mit uns kreuz und quer durch Süddeutschland „getourt“ – jetzt ist sie heimgekehrt dahin, wo das Original dieser Skulptur entstanden ist: ins „preußische Kernland“ Berlin-Brandenburg. Was für eine Koalition.

Friderike

Herbert Börger

© Der Brandenburger Tor, Berlin, 23. November 2017